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Kim und die Seefahrt ins Ungewisse - Band 2

©2016 169 Seiten

Zusammenfassung

„Um sie herum war es abgrundtief finster. Kim hatte nur einmal kurz die Augen aufgerissen, die tintenschwarze Dunkelheit erfasst und entsetzt die Lider wieder geschlossen.“

Bei dem Versuch, die rätselhafte alte Uhr von Kims Großvater in Gang zu setzen, werden Kim, Lisa und Dennis plötzlich von einem seltsamen Wirbelsturm erfasst ... Plötzlich finden sich die drei Freunde im Jahr 1762 wieder, auf einem Segelschiff mitten im Atlantischen Ozean, das in einer besonderen Mission unterwegs ist: Es soll eine neue Methode erprobt werden, mit der man exakt den Längengrad bestimmen kann. Wer wird das Rennen machen: die Astronomen mit ihren komplizierten Berechnungen oder John Harrison mit seinem Chronometer? Als die Freunde einer Sabotage auf die Spur kommen, lässt Kim sich dazu überreden, die magische Uhr und damit ihre Rückkehr aufs Spiel zu setzen ...

Fesselnd und voller Spannung erzählt Eva Maaser von einem historischen Abenteuer, das die Seefahrt im 18. Jahrhundert revolutionierte.

Jetzt als eBook: „Kim und die Seefahrt ins Ungewisse“ von Eva Maaser. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Bei dem Versuch, die rätselhafte alte Uhr von Kims Großvater in Gang zu setzen, werden Kim, Lisa und Dennis plötzlich von einem seltsamen Wirbelsturm erfasst ... Plötzlich finden sich die drei Freunde im Jahr 1762 wieder, auf einem Segelschiff mitten im Atlantischen Ozean, das in einer besonderen Mission unterwegs ist: Es soll eine neue Methode erprobt werden, mit der man exakt den Längengrad bestimmen kann. Wer wird das Rennen machen: die Astronomen mit ihren komplizierten Berechnungen oder John Harrison mit seinem Chronometer? Als die Freunde einer Sabotage auf die Spur kommen, lässt Kim sich dazu überreden, die magische Uhr und damit ihre Rückkehr aufs Spiel zu setzen ...

Fesselnd und voller Spannung erzählt Eva Maaser von einem historischen Abenteuer, das die Seefahrt im 18. Jahrhundert revolutionierte.

Über die Autorin:

Eva Maaser, geboren 1948 in Reken (Westfalen), studierte Germanistik, Pädagogik, Theologie und Kunstgeschichte in Münster. Sie hat mehrere erfolgreiche Kinderbücher, historische Romane und Krimis veröffentlicht.

Ebenfalls bei jumpbooks erschienen Eva Maasers Kinderbücher:

Kim und die Verschwörung am Königshof
Kim und das Rätsel der fünften Tulpe
Leon und der falsche Abt
Leon und die Geisel
Leon und die Teufelsschmiede
Leon und der Schatz der Ranen

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eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright © der Originalausgabe 2008 Coppenrath, Münster

Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: Sotheby's/akg-images; akg-images/De Agostini Pict.Lib.

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-064-0

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Eva Maaser

Kim und die Seefahrt ins Ungewisse

Band 2

jumpbooks

1. Ist Dennis noch zu retten?

»Das ist peinlich, wenn du den Vermittler für einen Fiesling wie Latte spielst, Dennis.« Lisas Stimme triefte vor Verachtung. »Wo bleibt eigentlich dein Schamgefühl? Und was ist mit deinem Verstand? Ich dachte immer, du bist schlau. Und jetzt begreifst du nicht mal ...«

Dennis musste genau wissen, wie sehr Lisa Latte verabscheute, den größten Rüpel der Schule, der mit Kim und Lisa in die siebte Klasse ging. Staunend, fast schon ehrfürchtig hörte Kim zu. Er bewunderte Lisa restlos, wie sie dastand, den Kopf mit den wundervollen roten Locken hocherhoben, während sie aus ihren jadegrünen Augen ein Feuerwerk vernichtender Blicke auf den armen dicken Dennis abschoss. Lisa machte ihren kleinen Bruder gekonnt zur Schnecke. Dabei sprach sie nicht einmal besonders laut. Nur klar und deutlich genug, um auch in der Ecke des Schulhofs gehört zu werden, in der sich Latte mit seinem bulligen Kumpel Bobo aufgebaut hatte. Unverhohlen starrte er Lisa an. 

Latte hatte Dennis beauftragt, für den Nachmittag eine Einladung ins chicste Café von Münster zu übermitteln. Lisa würde sich auf seine Kosten bestellen können, was immer sie wollte: Schwarzwälder Kirschtorte, Sahnebaiser, Schokoladenkuchen, Nussecken, Milchshake, Cola ... Mit seltsamer Verzweiflung hatte Dennis alle möglichen Köstlichkeiten heruntergebetet. Dabei war schon vorher glasklar gewesen, was Lisa von diesem Angebot halten musste. Und jetzt schrumpfte Dennis sichtlich zusammen. Seine Schultern hingen herab, er wurde langsam blass und schaute immer unglücklicher und furchtsamer drein.

Wieso eigentlich furchtsam? fragte sich Kim. Dennis hatte doch sonst keine Angst vor seiner zwei Jahre älteren Schwester. Und ihr ganzes hochtrabendes Gerede bedeutete nur eins: Sie wollte nicht, fertig aus!

Dennis verhielt sich mehr als merkwürdig, denn er gab auch jetzt nicht auf und  machte sich für Latte weiter zum Affen. Kim zuckte die Schultern. Ihn ging das alles gar nichts an. Trotzdem hörte er zu und amüsierte sich über das Theater, das die Geschwister aufführten.

»Du könntest ihm wenigstens mal `ne Chance geben«, heulte Dennis auf und hielt sich krampfhaft das linke Handgelenk. Tatsächlich umklammerte er seine neue Armbanduhr, ein Geschenk zu seinem elften Geburtstag vor einer Woche. Eine protzige Taucheruhr, die er sich sehnlichst gewünscht hatte.

Dennis und tauchen? Der Junge war das unsportlichste Geschöpf, das Kim kannte. Schon beim bloßen Gedanken an Handstand oder Hürdenlauf musste bei Dennis das Herz aussetzen.

»Armleuchter!« zischte Lisa.

Bedauernd schüttelte Kim den Kopf. Lisas Schatz an Flüchen und unflätigen Ausdrücken war nicht nur sehr beschränkt, sondern auch ausgesprochen fantasielos. Das war schade, er hatte mehr von ihr erwartet. Aber vielleicht war ja die deutsche Sprache hier etwas armselig. Die chinesische kannte etwa hunderttausend verschiedene Flüche, eine wertvolle Hilfe in allen Stresssituationen.

Kim war Halbchinese und lebte noch nicht lange in Deutschland. Vor etwas mehr als fünf Wochen hatte ihn sein Vater Lutz Reimer bei Großtante Betty in Drensteinfurt abgeliefert, einem Dorf nicht weit von Münster, wo Kim inzwischen aufs Gymnasium ging. Ein halbes Jahr zuvor war Kims chinesische Mutter gestorben, und sein Vater hatte beschlossen, China den Rücken zu kehren und wieder in Deutschland zu leben. Seit fünf Wochen nun hockte Kim in Großtante Bettys gruftartigem Haus und sehnte sich nach Shanghai zurück, nach der strahlenden Metropole am Meer.

Einen Augenblick hatte er sich in wehmütige Erinnerungen verloren.

Lisa schaute ihn an. »Was sagst du dazu? Ist das zu fassen? Ist er nicht dämlich?«

Lisa und Dennis Wagner wohnten im Nachbarhaus und waren in den vergangenen vier Wochen seine Freunde geworden.

Kim hob die Hände und klatschte bedächtig Beifall.

»Bis auf Armleuchter und Fiesling war alles großartig, was du gesagt hast. Vor allem die Art, wie du Dennis runtergeputzt hast, hatte richtig Stil. Nur diese Schimpfwörter sind einfältig. Has du nichts Besseres auf Lager? Wenn nicht: Kannst du alles heute Nachmittag wiederholen? Dann nehme ich`s auf CD auf und wir arbeiten es durch.«

Entgeistert schauten ihn Dennis und Lisa an.

»Idiot!« zischte Lisa außer sich und ließ ihn stehen. Es hatte gerade zur ersten Stunde geschellt.

Dennis trottete hinter seiner Schwester her, nachdem er einen verwirrten, nein, einen verschreckten Blick über die Schulter zurück in die Schulhofecke geworfen hatte. Neugierig schaute sich Kim um.

Latte stand breitbeinig, massig und riesig mit in die Seiten gestemmten Händen da. Jetzt hob er drohend eine Faust und umfasste mit einer zackigen Bewegung sein Handgelenk.

Komische Geste, fand Kim und dachte an Dennis. Flüchtig überkam ihn Besorgnis, die er rasch loszuwerden trachtete, um sich auf Mathe zu konzentrieren.

In der großen Pause war Lisa im Klassenzimmer geblieben. Es war ihr, hatte sie behauptet, zu kalt auf dem Schulhof. Nieselregen hatte eingesetzt, auch so eine westfälische Eigenart, für die Kim nichts übrig hatte. Typisches Novemberwetter. Deprimierend. Fröstelnd zog er den Reißverschluss seiner Jacke zu und ließ den Blick über den Hof schweifen. Von Dennis keine Spur, wahrscheinlich hatte er keine Lust, sich durchweichen zu lassen. Auch Latte war nirgends zu sehen, obwohl er das Klassenzimmer beim Läuten sofort verlassen hatte. Kim gab es auf, sich über die beiden Gedanken zu machen und verzog sich schaudernd ins Schulgebäude.

Nach der letzten Stunde, auf dem Weg zur Schulbushaltestelle gesellte sich Dennis wieder zu ihnen und drängte sich neben Lisa.

»Weißt du, wie ich das sehe?« fragte er forsch. Auf seiner linken Wange, dicht unter dem Auge, zeichnete sich eine dunkle Stelle ab.

»Was?« gab Lisa knurrig zurück. Anscheinend war sie auf ihren Bruder noch schlecht zu sprechen.

Kim ahnte, worauf Dennis hinauswollte, schon bevor dieser loslegte, während er den Weg zurück spähte. Ja, tatsächlich, hinter ihnen tauchte Latte mit Bobo auf und kam unauffällig näher.

»Ich weiß ja, dass Latte ein Stinkstiefel ist«, begann Dennis hastig. »Beinahe jeder weiß das, aber das ist ja das Problem. Hast du dich mal gefragt, warum er so ist?«

»Nein!« schnauzte Lisa. »Und ich will´s auch nicht wissen.«

»Siehst du! Er ist so, weil ihm niemand Gelegenheit gibt, sich von einer netten Seite zu zeigen. Niemand liebt ihn, selbst die, die ihn gar nicht näher kennen, meckern über ihn. Da ist doch klar, dass er ...«

»Sein Gorilla Bobo liebt ihn, er leckt ihm die Stiefel, das müsste reichen«, fiel ihm Lisa höhnisch ins Wort und strich sich eine rote Locke hinters Ohr.

»Du bist ungerecht und voreingenommen wie alle anderen«, entgegnete Dennis heftig. »Dabei hat er dir nie was getan! Du hältst doch sonst so viel von unabhängiger Meinung, jetzt beweise sie mal.«

»Wegen Latte? Ich bin doch nicht meschugge.«

»Meschugge?« hakte Kim höflich ein.

»Halt die Klappe, ja?« fuhr ihn Dennis an und wandte sich wieder an Lisa.  »Wenn du ihm nur eine klitzekleine Chance einräumen würdest.«

»Eine Heldentat für die ganze Schule«, murmelte Kim unterwürfig. »Im Handumdrehen würdest du aus einer Klapperschlange ein rosiges, zärtliches Kaninchen machen, das wir alle liebhaben könnten. Nie wieder würde Latte jüngeren Schülern die Zähne einschlagen.«

»Genau«, hakte Dennis verzweifelt ein. Er wollte wohl den ironischen Ton nicht hören. »Gib ihm eine halbe Stunde im Café, eine Viertelstunde, zehn Minuten ...«, bettelte er mit ersterbender Stimme.

Mittlerweile hatten sie die Bushaltestelle erreicht. Latte und Bobo waren jetzt auf Hörweite herangekommen. Sie blieben stehen, obwohl Latte nicht auf den Bus zu warten brauchte, denn er wohnte nur zwei Straßen weiter.

»Wenn ich mich mit so einem Ekelpaket an einen Tisch setze, wird mir übel. Ich müsste alles auskotzen, was ich in den letzten drei Jahren gegessen habe. Am Ende wäre ich richtig hohl innen«, sagte Lisa mit erhobener Stimme, »du kannst nicht so bekloppt sein, auch nur im entferntesten anzunehmen ...«

»Bekloppt und meschugge, ist das das gleiche?« fragte Kim freundlich. Dennis puffte ihn in die Seite.

»Aber Latte verehrt dich, Lisa, er himmelt dich an ...«

Dennis Augen sahen entschieden klein und verquollen aus.

»Ist mir egal«, fertigte ihn Lisa ab. »Ich muss ihn schon jeden Tag in der Klasse ertragen – das reicht. Hörst du? Ein Treffen kommt nicht in Frage, nicht mal über meine Leiche oder deine.«

»Sag nicht so was«, presste Dennis hervor.

Der Bus kroch um eine Straßenbiegung. Plötzlich packte Lisa Dennis am Arm, so dass der Ärmel seines Anoraks ein Stück hinaufrutschte und sein Handgelenk freigab, ein recht schmales, nacktes Handgelenk. »Was hat Latte dir für den Versuch, mich herum zu kriegen gegeben? Wieviel? Oder gibt es nur ein Erfolgshonorar?«

Dennis winselte etwas Unverständliches.

Zufällig sah , wie Latte etwas aus der Hosentasche zog und auf das Pflaster fallen ließ. Betont langsam trat er mit seinem Stiefel darauf und drehte den Absatz ausgiebig hin und her. Unwillkürlich sträubten sich Kim für einen Moment die Nackenhaare. Aus den paar Metern Entfernung meinte er, etwas Metallisches knirschen zu hören, während Latte grimmig lächelte.

Kims Blick flog zu den Geschwistern und zu Dennis Handgelenk zurück, das jetzt noch nackter wirkte.

Der Bus hielt, die ersten Kinder drängelten hinein, um nur rasch aus dem Nieselregen zu kommen. Als Dennis an der Reihe war, wandte er Kim das Profil zu. Die dunkle Stelle auf der Wange, kurz unter dem Auge, war wohl doch ein blauer Fleck.

Durch das Rückfenster beobachtete Kim Latte, der finster dem Bus nachstarrte. Dann, im letzten Augenblick, fegte er mit einer wütenden Bewegung mit dem Stiefel etwas Blinkendes in den Rinnstein.

»Kim?« meldete sich Dennis kläglich. »Können wir heute Nachmittag noch mal versuchen, Großvater Kaos Uhr in Gang zu setzen? Ich hab eine neue Idee.«

»Nein«, antwortete Kim rasch. Großvater Kaos Reiseuhr war allein seine Angelegenheit. Ein Abschiedsgeschenk, als er bedrückt und traurig auf dem Flughafen von Shanghai auf das Flugzeug gewartet hatte, das ihn aus seinem bisherigen, sehr glücklichen Leben entführen sollte. Wie ein zu jahrzehntelangem Exil Verurteilter war er sich vorgekommen, dabei traf ihn doch gar keine Schuld. Und da hatte Großvater Kao, der schon so viele Existenzen geführt hatte – auch eine als tibetischer Mönch tief im Himalaja – ihm einen schäbigen, achteckigen Holzkasten in die Hand gedrückt. Den Kasten mit der Reiseuhr. Eine Uhr, die man nicht einfach auf Reisen mitnahm, sondern mit deren Hilfe man reiste – wie andere mit dem Flugzeug, dem Auto, der Bahn. Oder doch nicht ganz so. Beim ersten Versuch, mit der Uhr nach Hause zu reisen, war Kim zusammen mit Dennis, Lisa und Lisas Hund Willie statt in Shanghai in Paris gelandet. Genauer gesagt im Pariser Louvre im Jahr 1617. Das war eine abenteuerliche und höchst gefährliche Geschichte gewesen, da sie sofort in eine Verschwörung gegen den französischen König verwickelt worden waren.

Um nicht noch einmal so eine Panne zu erleben, versuchte Kim seitdem mit äußerster Vorsicht, das Geheimnis der Uhr zu ergründen, beziehungsweise, wie sie funktionierte. Leider ohne Erfolg. Denn seit jener Reise in den Louvre tat sich gar nichts mehr an der Uhr. Nichts bewegte sich, als wäre der gesamte Mechanismus eingerostet. Möglicherweise war sie ja gleich beim ersten Mal beschädigt worden. Aber das konnte Kim nur vermuten. Zweimal hatte er Dennis erlaubt, sich unter seiner Aufsicht die Uhr anzusehen, sie zu fotografieren und Zeichnungen davon anzufertigen. Nur berühren hatte er sie nicht dürfen.

Alle paar Tage kam Dennis herüber und bestürmte Kim mit einer neuen waghalsigen Theorie über die Uhr. Standhaft hatte sich Kim bisher geweigert, auch nur eine davon auszuprobieren - zumindest in Gegenwart von Dennis. Viel zu gefährlich, hatte er jedesmal sorgenvoll erklärt. Tatsächlich aber hatte er sich allein daran gemacht, die Uhr in Gang zu setzen. Denn er war fest entschlossen, ohne Dennis nach Shanghai zu reisen, zu Großvater Kao in dessen Haus, das direkt aufs Meer blickte.

Gerade ratterte der Bus stadtauswärts am Aasee vorbei. Nicht mehr als eine braune Pfütze, dachte Kim verächtlich. Das Wasser sah genauso einladend wie geschmolzenes Blei aus. Dagegen dehnte sich das Meer vor Großvater Kaos Haus tiefblau und unendlich weit bis zum Horizont aus, und war mit schimmernden weißen Schaumkronen besetzt. Kim fragte sich, wie er es auch nur einen Tag ohne das Meer aushalten konnte. Ohne schwimmen, surfen oder segeln auf einer kleinen chinesischen Dschunke ...

Dennis zupfte ihn am Ärmel. »Warum nicht?« fragte er mit erstickter Stimme.

Kim hatte keine große Lust, sich auf Mitleid einzulassen, wo er doch selbst gerade dabei war, ein bisschen Trübsal zu blasen.

»Ich dachte, du bist mein Freund«, winselte Dennis.

»Freundschaften muss man sich sehr genau überlegen«, sagte Kim abweisend.

»Da hörst du`s, du Nervensäge«, schaltete sich Lisa ein. »Hör auf, Kim zu belästigen. Außerdem hat er heute Nachmittag sowieso keine Zeit für dich. Wir müssen für die Mathearbeit morgen pauken.«

Ein kleiner Alpdruck legte sich Kim aufs Herz. Jetzt fühlte er sich annähernd so unglücklich wie der arme Dennis.

2. Dennis auf der Flucht

Seit zwei Stunden verhakelten sich in Kims Hirn algebraische Formeln, die Lisa unerbittlich für ihn zu entwirren suchte. Sie bestand darauf, ihm etwas zu erklären, was er eigentlich nicht erklärt haben wollte. Wieder einmal war er in Gedanken in Shanghai, in seiner alten Schule, in der er in keinem Fach nennenswerte Schwierigkeiten gehabt hatte. Hier, in Westfalen, hatte ihm der Nebel zwischen Drensteinfurt und Münster das Gehirn verkleistert, und er wartete nur darauf, seinem Vater klarzumachen, dass seine Zukunft nur in Shanghai liegen konnte. Jedenfalls wollte er keinesfalls als Schafskopf in Stewert, wie das Kaff für die Einheimischen hieß, enden.

Seit über fünf Wochen war sein Vater damit beschäftigt, in Shanghai letzte berufliche Angelegenheiten zu regeln, viel zu lange für Kims Ungeduld.

Zusammen mit Lisa saß er im oberen Stockwerk in seinem Zimmer. Sie hatten das Licht einschalten müssen, so düster war es im Raum. Mitten auf dem Fransenteppich lag Willie, Lisas kleiner Hund, und sah mit seinem hellen Wuschelfell selbst wie ein Stück Fransenteppich aus.

Auf einmal hob er den Kopf.

Kim nahm an, dass es der Kopf war, denn vorn und hinten ließ sich bei Willie schlecht unterscheiden. Jetzt blitzten die dunklen Knopfaugen durch den Behang auf Willies Stirn. Wieso starrte Willie die hässliche braune Holzdecke an? Nicht einmal eine Spinne hing von ihr herab. Und über ihnen gab es nur noch den großen dunklen Dachboden voller altem Gerümpel, den Tante Betty wegen irgendwelcher Papiere ihres längst verstorbenen Bruders, Kims deutschem Großvater, stets verschlossen hielt.

Nun streckte Willie die Hinterpfoten aus, machte sich lang, gähnte und blaffte kurz.

»Kusch!« sagte Lisa streng. »Und du passt nicht auf, du träumst schon wieder«, herrschte sie Kim an. »Warum gebe ich mich mit dir Trantüte bloß ab?«

Verärgert schüttelte Kim den Kopf. Er träumte nicht, er lauschte. Da war ein sehr leises Knarren über ihnen zu hören. Jemand schlich mit äußerster Vorsicht auf dem Dachboden herum.

Wenn nicht Großvaters Kaos Uhr in einem alten Schrank dort oben stecken würde, hätte Kim das verstohlene Knarzen und Knarren egal sein können. Aber wegen der Uhr, seinem kostbarstem Besitz, war er ständig in Sorge, denn er befürchtete, dass Tante Betty eines Tages darauf stoßen würde. Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde sie  den schäbigen Holzkasten direkt in den Müll werfen, ohne sich die Mühe zu machen, nachzusehen, was darin steckte. Und wenn doch, würde sie die Uhr auch wegschmeißen, weil sie allem Chinesischem gegenüber größtes Misstrauen hegte. Seit Wochen suchte Kim nach einem besseren Versteck, aber er hatte noch keins gefunden.

Jetzt wurde auch Lisa auf die Geräusche aufmerksam.

»Da ist wer auf dem Dachboden«, sagte sie.

»Hörst du’s auch?« fragte Kim angespannt.

»Das ist Großtante Betty. Wahrscheinlich kramt sie in den Kisten herum. Also, ich hätte keine Lust, in lauter Spinnweben zu fassen. Können wir jetzt weitermachen?«

»Kim!« rief Tante Betty von unten aus der Diele. »Bringst du mir bitte den Schlüssel zur Bodentreppe? Ich hab heute mittag ganz vergessen abzuschließen.«

Kim zuckte zusammen.

Also war Tante Betty nicht auf dem Dachboden! Aber wer dann? Rasch gesellte sich Ärger zu seinem Schreck. Jedesmal, wenn er sich mit der Uhr befassen wollte, musste er eine Gelegenheit abwarten, um unbemerkt an den Schlüssel zu gelangen. Diesmal hätte sich so eine Gelegenheit von selbst ergeben, und er hatte sie wegen ein paar läppischer algebraischer Formeln, die Lisa ihm einhämmern wollte, verpasst. Und jetzt trapste jemand fremdes in der Nähe der Uhr herum.

»Wenn Tante Betty nicht oben ist, wer ...«, begann Lisa, brach ab und starrte die Decke an.

Etwas scharrte dort oben.

»Ratten?« fragte Lisa zaghaft.

Das waren bestimmt keine Ratten. Sondern Schlimmeres, schwante Kim.

Das Scharren war unheimlich. Besorgniserregend.

»Kim«, flüsterte Lisa, »das klingt gar nicht gut.«

»Ach was«, würgte Kim hervor. »Das ist dieses teuflische Novemberwetter draußen. Das macht einen kirre. Entschuldige mich einen Moment.« Er schob den Stuhl zurück und stand auf. »Bin gleich wieder da. Dann rechnen wir das letzte noch mal nach, ja? Du kannst ja schon die nächste Gleichung vorbereiten.« Hoffentlich ging sie darauf ein. Hoffentlich hielt ihr Ehrgeiz sie auf ihrem Stuhl fest. Am besten schmeichelte er ihr noch ein bisschen. »Ohne dich käme ich nie dahinter, du bist schon ein Ass in Mathe.«

»Ach nee!« sagte sie eindeutig spöttisch und erhob sich.

Willie jaulte und kroch auf die Tür zu.

»Du bleibst hier«, befahl Lisa. »Wenn das da oben auf dem Dachboden Dennis, dieser Dämlack ist, kann er was erleben.«

Demnach hatte Lisa Kims Täuschungsmanöver mühelos durchschaut. Bestimmt dachte sie an die Unterhaltung mit Dennis im Bus und unweigerlich an Großvater Kaos Uhr. Die Uhr war der eigentliche Knackpunkt. Und Lisa wusste, wie besessen ihr Bruder von der Uhr war.

Kim stieß die Tür auf, zum Reden bleib keine Zeit, und es war auch überflüssig. Sie wussten ja beide, was auf dem Spiel stand. Nicht auszudenken, was Dennis gerade mit Großvater Kaos Uhr anstellte.

Mit Lisa zusammen rannte Kim über den Flur. Keiner von beiden verstand, was Tante Betty von unten rief, denn die Standuhr im Wohnzimmer begann gerade mächtig zu rasseln. Das war ihre übliche Ankündigung, bevor sie die Stunden schlug.

»Ich hol den Schüssel«, schrie Kim zur Vorsicht, während er mit Schwung die Tür zur Bodentreppe aufriss, »dauert nur eine Minute.«

Dumpf dröhnte der erste Schlag der Uhr durchs Haus.

An Kim vorbei wuselte etwas Weißes, Wuscheliges.

»Komm sofort zurück, Willie«, rief Lisa vergebens.

Kim hetzte hinter den beiden her. Um rascher voranzukommen, nahm er zwei Stufen auf einmal. Denn die Geräusche von oben wurden immer bedrohlicher. Da war die obere Tür. Kaum hatte er sie passiert, fiel sie zu, während der Dachboden in Dunkelheit versank. So gut wie nichts war jetzt noch zu erkennen. Durch die beiden Luken in den Stirnseiten fiel auch bei Sonnenschein wenig Licht.

Wo war der Schalter für die Beleuchtung? Keine Zeit, danach zu tasten. Plötzlich klatschte Kim etwas Helles, Nasses, Riesiges mitten ins Gesicht, umschlang ihn, hielt ihn fest, schnürte ihm die Luft ab. Lisa stöhnte schreckensvoll auf, und von Dennis hörte Kim einen unterdrückten Schrei.

Das Verhängnis war schon in vollem Gang.

Mit beiden Armen kämpfte Kim gegen die Umklammerung an und trat wild um sich. Kaum hatte er den Kopf wieder frei, fiel er lang hin. Als er weiterkroch, unter all den Bettlaken her, die Tante Betty wegen des Regens hier zum Trocknen aufhängt hatte, taten ihm die Knie weh.

Sobald er sich aufrichtete, wirbelte ihm noch ein Kopfkissenbezug um die Ohren, den er grimmig mit sich riss. Nur nicht mehr aufhalten lassen. Lisa hatte auch einen Lappen um den Kopf gewickelt, als sie den Schrank endlich erreichten. Den großen alten Schrank mit Großvater Kaos Uhr.

Ein kalter feuchter Wind brauste ihnen aus dem Schrank entgegen, ein ganz widersinniger Wind, der roch, als wenn er von weit her käme.

Dennis hockte zitternd auf ein paar Lumpen, den aufgeklappten achteckigen Holzkasten mit der Uhr hielt er mit beiden Händen.

»Ich kann sie nicht mehr stoppen«, flüsterte er und schaute kalkweiß zu Lisa und Kim auf. »Dabei habe ich gar nichts gemacht, sie hat sich von allein bewegt.«

Kim und Lisa drängten in den Schrank, zuletzt drückte sich Willie mit hinein, obwohl er offenkundig eine Todesangst ausstand. Aber allein draußen bleiben wollte er auch nicht. Gebannt und entsetzt starrten sie alle auf die Uhr. Sie konnten den Blick gar nicht mehr abwenden, während um sie herum der Wind heulte.

Zaghaft streckte Kim die Hand nach der Uhr aus. Sollte er wagen, sie anzutippen? Oder einen der Zeiger, die sich langsam drehten, festhalten? Ging das überhaupt? Mit den Kräften der Uhr war nicht zu spaßen. Vor verzweifelter Suche nach einem Ausweg wurde ihm flau im Magen.

Alles, was er, Lisa oder Dennis über Uhren wussten, gleich ob Standuhren, Tischuhren, Pendeluhren, Armband- Stopp- oder Taucheruhren nutzte ihnen überhaupt nichts, um diese Uhr zu verstehen. Sie hatte ihre eigenen Gesetze. Mit ihren vielen Zeigern und den neben- unter- und ineinander angeordneten Ziffernringen aus unterschiedlichen Metallen, den Zahnrädern, Achsen und Zapfen, von denen ein gut Teil zwischen den offenen Ringen zu erkennen war, sah sie äußerst verwirrend aus: ein hochkomplizierter Mechanismus. Außerdem waren auf den Ziffernringen keine Zahlen eingraviert, sondern chinesische Schriftzeichen. Kim kannte nur die dreitausend, die fürs Lesen gewöhnlicher Briefe, der Zeitung und fast aller Bücher reichten. Diese hier mussten zu den fünfundvierzigtausend gehören, die er nicht kannte, die auch sonst kaum jemand außer Großvater Kao beherrschte. Nur zwei hatte Kim identifiziert: das Zeichen für Mond und das für Wasser. In der Mitte der Uhr saß ein glasklarer Kristall, der sich langsam grün färbte, während zwei kleine Zeiger sich fast verstohlen bewegten – und zwar rückwärts.

Der eine trug an der Spitze einen winzigen Mond, der andere etwas, das an Wasserwellen erinnerte. Furcht legte sich Kim wie ein schwerer nasser Sack auf die Brust, eine Furcht, die ihn direkt aus dem grünen, pulsierenden Zentrum ansprang.

Das grüne Licht im Kristall wand sich wie ein winziger tollwütiger Drache in Achterschleifen und schien die Zeiger, die immer mehr Fahrt aufnahmen, anzufeuern.

Kim begann es vor den Augen zu flimmern. Der Schrank bebte, ächzte und knarrte, als würde er gleich auseinander fallen. Aus dem Wind war längst ein Sturm geworden. Ein Wirbelsturm! Wie aus weiter Ferne hörte Kim Dennis und Lisa vor Angst schreien, sie klammerten sich alle drei aneinander, um nicht herausgeschleudert zu werden. Während sie gegen den ungeheuren Wirbel ankämpften, wurde jeder Ton unendlich gedehnt. Ihre Gesichter verzogen sich, lösten sich auf, sausten in langen nebelhaften Fetzen um die Uhr in ihrer Mitte herum. Dann erstarben die Geräusche, als würde Wachs oder Watte die Ohren verstopfen, und Kim sah und hörte nichts mehr.

Nur in seinem Kopf ging das furchtbare Kreiseln weiter, er spürte die Kräfte, die an ihm zerrten und zogen, als wollte man ihn in einer riesigen Zentrifuge zu Brei zerquetschen.

Als er dabei war, das Bewusstsein zu verlieren, barst mit einem Donnerschlag der Schrank und sie kugelten alle zusammen hinaus.

3. Unter Ratten

Um sie herum war es abgrundtief finster. Kim hatte nur einmal kurz die Augen aufgerissen, die tintenschwarze Dunkelheit erfasst und entsetzt die Lider wieder geschlossen. Noch wirkte der Drehschwindel nach, der sich nur sehr langsam legte. Das flaue Gefühl im Magen wollte überhaupt nicht aufhören.

»Ist mir schlecht!« stöhnte Lisa.

Wo waren sie bloß gelandet? fragte sich Kim. Vorsichtig tastete er neben sich den Boden ab. Eindeutig Holz, Holzdielen. Die fassten sich irgendwie vertraut an. Und noch immer roch es nach feuchter Wäsche. Ganz behutsam gönnte er sich einen tiefen entspannenden Atemzug.

Glück gehabt. Nichts Ernsthaftes passiert. Höchstens die Sache mit dem kaputten Schrank. Hinter sich spürte er die aufgeklappte Tür und rutschte mit dem Hintern darüber, bis er den Schrank erreichte. Nachdem er ihn ein bisschen abgetastet hatte, nahm er an, dass er nur auf die Seite gefallen, aber nicht zerbrochen war. Alles halb so schlimm. Mit Dennis und Lisa zusammen würde er den Schrank wieder aufrichten. In Gedanken war er bereits bei der Arbeit.

»Wo sind wir?« fragte Dennis mit zittriger Stimme. »Ich seh nichts.«

Kim hatte große Lust, Dennis im Unklaren zu lassen und ihm als Vergeltung für den Schlamassel, den er angerichtet hatte, ein bisschen einzuheizen. Vielleicht sollte er Dennis den Schrank allein aufrichten lassen und dabei zusehen, wie Lisas kleiner Bruder ins Schwitzen geriet.

»Ich seh auch nichts«, jammerte Lisa.

»Entspannt euch alle beide«, sagte Kim großmütig, »wir sind genau da, wo wir vorher waren.«

»Auf dem Dachboden? Wirklich?«, fragte Lisa voller Hoffnung. »Du bist ganz sicher?« fuhr sie eindeutig skeptischer fort. »Dann lasst uns mal sehen, ob wir Licht machen ...«

Der Rest ging in einem erbärmlichen Würgen unter, während sich der Dachboden mit allen Kisten, Truhen und Schränken ächzend in die Höhe hob.

Es war kein Irrtum möglich.

Fünf oder sechs unendlich lange Sekunden hing der Dachboden mit ihnen allen irgendwo oben. Sie verharrten in der Schwebe wie auf dem höchsten Punkt einer Achterbahnfahrt. Nur Kims Magen machte die Bewegung etwas langsamer mit. Dem Gefühl nach blieb der Magen auf halber Strecke oben, als der Dachboden mit einem Donnergetöse herunterkrachte.

»Das«, keuchte Lisa, »halte ich nicht aus.«

Und dann hörte Kim, wie sie sich erbrach. Sie war noch nicht fertig, als der Dachboden wieder hochstieg.

Kim presste die Hände auf den Magen, verzweifelt darum bemüht, den Inhalt bei sich zu behalten. Der Gestank von Erbrochenem hüllte ihn von zwei Seiten ein, denn Dennis machte es Lisa inzwischen nach.

»Ich hab noch nie ein Erdbeben erlebt«, flüsterte Dennis, sobald er sich nicht mehr übergab, mit hohler Stimme. »Du etwa? Fällt jetzt das Haus zusammen?«

Allmählich hatten sich Kims Augen an die Dunkelheit gewöhnt, es kam doch etwas Licht herein. Umrisse traten hervor. Kisten, jede Menge Kisten, der Dachboden stand ja voll davon. Aber sie hatten sich etwas verschoben. Cha bu duo, das passt schon, dachte er und unterdrückte einen nagenden Zweifel.

»Wieso kotzt du nicht?« fragte Lisa anklagend und packte ihn am Handgelenk.

Er hatte gerade aufstehen wollen, ging aber jetzt nur in die Hocke.

»Ja, warum kotzt du nicht?« fiel Dennis jammernd ein. »Mir zieht dieses Erdbeben die Eingeweide aus dem Leib.«

Erdbeben? Das war kein Erdbeben. Das Auf und Ab des Dachboden erinnerte Kim vage an etwas anderes.

»Ich heb`s mir für später auf. Lasst mich in Ruhe.«

Wo war Großvater Kaos Uhr geblieben? Erleichterung überkam ihn, als er sie neben sich entdeckte. Vorsichtig zog er sie näher. Der Kristall leuchtete nicht mehr. Die Zeiger, die er kurz befühlt hatte, standen still. Behutsam klappte er den Deckel zu, wickelte die Uhr sorgfältig in einen Lappen, den er unter seinem Hintern hervorgezogen hatte, und schob sie, ohne hinzuschauen, verstohlen nach hinten in den Schrank. Oder das, was er für den Schrank hielt. So tief hinein, wie er langen konnte, ohne sich groß zu bewegen. Denn noch während er dabei war, hatte er das unbestimmte Gefühl, von irgendwo beobachtet zu werden. Nicht von Lisa oder Dennis. Den eindeutigen Geräuschen nach, waren sie wieder mit etwas anderem beschäftigt. Und Willie lag platt wie eine Flunder auf dem Bauch und gab ein paar klägliche Wuffs von sich.

»Wenn das ein Erdbeben ist, müssen wir sofort vom Dachboden runter und nach draußen. Und wir müssen Tante Betty mitnehmen, hoffentlich ist sie nicht längst vor Schreck in Ohnmacht ...«, Lisa keuchte, würgte und verstummte.

Hinter den Kisten türmten sich Fässer auf, die waren neu auf dem Dachboden, jedenfalls konnte sich Kim an keine Fässer erinnern. Und auf dem obersten dieser Fässer leuchtete ein Paar kleiner giftiger Augen.

Jetzt hatte auch Lisa die Augen entdeckt.

»Eine Ratte!« schrie sie auf.

»Muss eine ziemlich fette sein«, murmelte Dennis halb fasziniert, halb entsetzt, »die größte aller Ratten, wahrscheinlich der König der Ratten.«

Willie hob den Kopf, stand auf, bellte kurz und schob sich ein Stück nach vorn.

»Nicht, Willie, bleib hier«, sagte Lisa und streckte eine Hand nach dem Hund aus.

»Es ist tapfer, er will’s wissen«, sagte Kim. »Willie, der Rattenfänger.«

»Nicht mit mir«, gab Lisa scharf zurück.

In diesem Moment hörten sie ein leises hohes Pfeifen, ein Ton, der Kim eine Gänsehaut über die Arme jagte. Oben auf den Fässern bewegte sich etwas.

Huschte davon.

Willie sprang an den Kisten hoch. Und noch während er dem Rattenkönig, oder was es war, nachbellte, bewegten sich die Fässer. Plötzlich war der Dachboden mit rollenden Fässern erfüllt. Kim hechtete zur Seite und riss Lisa mit. Beide überschlugen sie sich, Kim spürte einen Schlag am Ellbogen, der diesen taub werden ließ. Als er sich endlich wieder aufrichtete, blickte er sich um und erkannte im Dämmerlicht Dennis, der am Boden hockte und stöhnend ein Fußgelenk bewegte.

»Meinst du, du kannst aufstehen?« fragte Kim besorgt und rieb sich den Ellbogen.

»Ich hoff`s.«

»Kim?« rief Lisa. »Dennis? Wo ist Willie?«

Alle sahen sich um.

»Willie?«

Sie riefen ihn abwechselnd. Wenn er wenigstens jaulen würde. Aber von ihm war weder etwas zu hören noch zu sehen. Möglicherweise war er ja weggelaufen, als die Fässer herabrollten. Kim hoffte von Herzen, dass es ihm gelungen war, ihnen auszuweichen. Zusammen mit Lisa und Dennis machte er sich auf die Suche. Wegen der Dunkelheit und all des herumstehenden und liegenden Zeugs brauchten sie eine ganze Weile, bis sie hinter einer Kiste etwas Weißes entdeckten, das wie ein zerknautschtes Stück Teppich aussah.

Willie war von einem Fass überrollt worden. Jedenfalls stellte sich Kim es so vor, wenn ein kleiner Hund von einem schweren Fass überrollt worden war. Wie plattgedrückt lag er auf der Seite.

Und rührte sich nicht mehr.

Lisa kroch zu ihm und wagte nicht, ihn anzufassen. Sie brach in Tränen aus.

»Er ist tot«, stellte Dennis mit tonloser Stimme fest und ging auf die Knie nieder. »Armer Willie.« Völlig fertig schlug er die Arme über dem Kopf zusammen und begann elend zu schluchzen. »Wenn ich bloß nicht die Uhr angefasst hätte!«

Kim beachtete ihn nicht. Ganz dicht rückte er an den kleinen Hund heran. Mit angehaltenem Atem schob er vorsichtig seine Hand an die Stelle, wo Willies Herz sein musste.

Er spürte nichts.

Und nun hob sich der Dachboden wieder, und diesmal schwankte er auch noch zur Seite. Fässer rollten. Es wurde wieder gefährlich.

»Wir sind nicht auf Tante Bettys Dachboden«, sagte Lisa und stemmte sich gegen ein Fass. »Ich glaub`s jedenfalls nicht. Aber ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich glauben soll. Wenn wir auf dem Dachboden wären, könnte ich jetzt runterlaufen und den Tierarzt anrufen.« Sie keuchte auf, als der Dachboden wieder mit Getöse niederkrachte.

»Ist Willie tot?« fragte Dennis bebend. Er hatte aufgehört zu schluchzen. »Ist er tot, Kim?« fuhr er drängend fort. »Sag doch was!«

Kim hielt noch immer die Hand auf Willies Herz.

In dem Fellgewuschel so etwas wie einen Herzschlag zuspüren, war genau genommen unmöglich, und deshalb dauerte es ziemlich lange, bis er sich seiner Sache einigermaßen sicher war. Als nur noch ein winziger Zweifel übrig blieb, fuhr er über das gelockte Fell und tastete mit äußerster Behutsamkeit den kleinen Körper ab, ständig darauf gefasst, Feuchtigkeit zu spüren. Blut.

Kein Blut.

»Sag was«, drängte jetzt auch Lisa, die ihn gelähmt vor Angst beobachtete.

»Meiner Meinung nach ist er nur bewusstlos wie nach einem K.O.-Schlag. Äußere Verletzungen hat er jedenfalls keine, und gebrochen scheint auch nichts zu sein. Aber beschwören kann ich es nicht.«

»Was sollen wir tun?« Hilflos sah sich Lisa um. »Wenn wir wenigstens etwas Wasser hätten, bestimmt braucht er Wasser, wenn er zu sich kommt. Komischerweise höre ich die ganze Zeit schon Wasser schwappen, bloß, wo?«

»Ich glaube, wir sollten uns endlich der Frage stellen, wo wir gelandet sind«, sagte Dennis dumpf, »an den Dachboden von Tante Betty glaubt doch von uns keiner mehr. Und schaut euch meine Füße an! Meine Schuhe sind weg.«

Sie waren alle drei barfuß.

»Und diese Sachen hatte ich vorhin auch nicht an«, ergänzte Dennis und wies auf die helle Schlabberhose, die ihm knapp bis über die Wade reichte. Sie waren alle in etwa gleich gekleidet. Formlose Schlabberhosen, weite bauschige Hemden mit langen Ärmeln und um die Taille so etwas wie ein langer Schal oder eine Schärpe gewickelt, die Hemd und Hose an Stelle eines Gürtels zusammenhielt. Lisa und Kim trugen Tücher so um den Kopf gewunden, dass vor allem Lisas Lockenhaar darunter verschwand. Und in Kims Schärpe steckte ein Messer in einer Lederscheide. Auf der ersten Reise mit Großvater Kaos Uhr hatten sie sich ebenfalls in völlig fremden Sachen wieder gefunden. Diese hier waren immerhin einigermaßen bequem.

»Wenigstens kneift das Zeug nicht so wie das letzte«, stellte Dennis fest, als hätte er seine Gedanken erraten.

»Das ist doch alles unwichtig«, sagte Lisa gereizt, »denkt lieber an Willie. Was machen wir mit ihm? Was können wir für ihn tun?«

Dennis warf ihr einen abwägenden Blick zu. »Am besten lassen wir ihn hier und versuchen herauszufinden, wo wir sind. Wenn wir hier auf unseren Hintern sitzen bleiben, erfahren wir es nie.«

»Ich kann Willie doch nicht allein lassen!« fuhr Lisa auf.

Dennis war schwankend aufgestanden und hielt sich an einer Kiste fest. »Wo ist die Uhr?« fragte er. »Wir sollten auch die Uhr suchen, sie hat uns hergebracht, sie muss uns auch zurückbringen, uns und Willie.«

Kim hatte sich wieder auf die Fersen gehockt. »Hört zu. Ich hab die Uhr versteckt, und ich schlage vor, wir bringen Willie zur Uhr und sehen uns dann alle zusammen um.«

Lisa brachte eine Menge Einwände vor, aber schließlich half sie, Willie zu der großen Kiste zu tragen, in der Kim die Uhr gelassen hatte. Nachdem Dennis sie etwas gründlicher untersucht und Stroh darin entdeckt hatte, war allen klar, dass sie als Tierkäfig gedient hatte und für den Augenblick Willie ein sicheres und bequemes Versteck bot. Die Vorderseite wies unten tennisballgroße Luftlöcher auf, und sie ließ sich nach dem Hochklappen mit einem Haken verschließen. 

»Er kann nicht weglaufen, wenn er zu sich kommt«, sagte Dennis, um Lisa zu überzeugen, »und wir wissen nicht, wann das ist. Das kann Stunden dauern. Bis dahin sollten wir herausgefunden haben, wo wir gelandet sind.«

Kim hatte längst eine Vorstellung davon, mochte sie aber den anderen nicht mitteilen. Besser sie kamen selbst dahinter.

»Mir ist so schlecht, dass ich gerade gar keine Kraft mehr hatte, Angst zu haben. Aber jetzt habe ich welche, eine furchtbare Angst um Willie«, flüsterte Lisa.

Kim hörte die Furcht aus ihrer Stimme heraus und konnte sie beinahe körperlich spüren.

»Ihr geht doch besser allein«, fuhr Lisa trostlos fort. »Was ist, wenn Willie aufwacht und niemand bei ihm ist? Er muss durchdrehen.«

Die Frage war, ob er überhaupt jemals wieder aufwachte. Er konnte innere Blutungen haben oder zerquetschte lebenswichtige Organe. Je länger Kim darüber nachdachte, desto mehr drohte Lisas Verzweiflung auf ihn überzuspringen. Und da war noch seine Sorge um Lisa selbst. Sie konnte vor Schwäche kaum sprechen und musste sich überall festhalten. Es war wichtig, sie so schnell wie möglich aus diesem Rattenloch heraus und an die frische Luft zu bringen, damit sie wieder zu Kräften kam.

»Helfen kannst du ihm im Augenblick sowieso nicht. Wir gehen alle oder keiner«, sagte er brüsk.

»Ach, und das hast du zu bestimmen?« Angriffslustig machte Lisa einen Schritt auf ihn zu und schwankte hilflos. »Eine Stunde«, lenkte sie ein, »in einer Stunde sind wir wieder hier. Können wir uns darauf einigen?«

»Geht klar«, sagte Dennis rasch.

4. Mitten im Ozean

»Wie spät ist es überhaupt? Dennis, schau auf deine Taucheruhr. So weit ich mich erinnere, hat sie Leuchtzeiger«, sagte Lisa.

Dennis zuckte zusammen. »Ich hab die Uhr nicht dabei«, murmelte er kleinlaut.

»Was heißt, du hast sie nicht dabei? Du trägst sie doch immer.«

»Sei kein Schaf, Lisa«, mischte sich Kim besonnen ein. »Was in Tante Bettys Haus eine Taucheruhr war, ist hier und jetzt bestimmt keine mehr. Durch die Reise hat sich alles, was wir dabei hatten, verwandelt, genau wie letztes Mal.« Sein Schweizer Taschenmesser zum Beispiel hing nun in Gestalt eines zwanzig Zentimeter langer Dolchs an seiner Hüfte.

»Das hatte ich vergessen«, stöhnte Lisa auf, » es ist alles so fremd hier. Und vor Übelkeit kann ich kaum denken. Aber was machen wir ohne Uhr? Wir müssen wissen, wie spät es ist. Wenn es so läuft wie letztes Mal, haben wir nur vierundzwanzig Stunden. Und wir wissen nicht, wie lange wir schon hier sind.«

Als sie vier Wochen zuvor mit Großvater Kaos Uhr verreist waren, hatten sie herausgefunden, das sie nur nach Hause zurückkehren konnten, wenn sie sich auf die Minute genau vierundzwanzig Stunden nach ihrer Ankunft mit der Uhr an demselben Ort befanden, an dem sie herausgekommen waren. Damals war es ein kleines enges Gelass gewesen, in den sich der Schrank verwandelt hatte. Diesmal war es die Holzkiste, in der Willie nun lag. Was würde passieren, wenn sie den Rückreisezeitpunkt verpassten? Möglicherweise saßen sie dann an diesem grauenhaften Ort für immer fest. Einem Ort, über den immer noch keinerlei Klarheit herrschte.

Kim erwog, ob es sinnvoll sein konnte, wenn sie sich für die restlichen Stunden alle zusammen in die Kiste quetschten und einfach die Rückreise abwarteten. Er selbst war sehr dafür, es interessierte ihn nicht wirklich, wo sie waren. Lieber kein Risiko eingehen.

»Wir sollten jetzt los«, sagte Dennis nervös. Vielleicht hatte er Angst, dass Lisa auf die Taucheruhr zurückkam. »Von den vierundzwanzig Stunden, die wir haben, können noch nicht viele vergangen sein. Aber je länger wir trödeln, desto weniger Zeit bleibt uns, Hilfe für Willie zu holen. Oder zumindest frisches Wasser.«

Selbst Lisa musste einsehen, dass das, was Dennis vorgebracht hatte, vernünftig klang. Jetzt endlich war sie bereit, mitzukommen.

Aber bevor sie einen Weg hinaus suchten, stellten sie noch eins der Fässer vor die Kiste, in der Willie mit der Uhr steckte. Auf Kims Vorschlag tasteten sie sich dann an einigen Stützbalken vorbei bis zur nächstgelegenen Wand, die sich eigenartig nach außen wölbte. Eine Holzwand. Und die Decke war niedrig genug, um sie mit lang ausgestrecktem Arm berühren zu können. Sie war auch aus Holz. Keiner bemerkte etwas dazu, alle waren mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt oder einfach damit, sich an allerhand aufgestapeltem, fremdartigem Zeug entlang vorwärts zu schleppen.

Immer wieder hielt Lisa inne, während sie würgte und sich krümmte. Von ihnen dreien ging es ihr am schlechtesten, trotzdem klagte sie nicht mehr. Ein Stück vor ihnen fiel von irgendwo oben fahles Licht ein. Dort schien ein breiter Schacht zu sein. Darauf hielten sie zu, bis sie eine steile Treppe erreichten, die hinauf führte. Falls das eine Treppe sein sollte. Sie bestand nämlich nur aus einem Brett mit aufgenagelten Querstreben, auf denen die Füße kaum Halt finden konnten.

»Ich hatte gedacht, wir müssten irgendwo runter«, sagte Lisa verwundert.

»Du denkst immer noch an den Dachboden«, murmelte Kim.

Schon nach den ersten zwei Sprossen weigerte sich Dennis weiterzuklettern, so dass sie ihn von hinten schieben mussten. Ein Stockwerk höher stießen sie auf Säcke, aufgestapelte Ballen und riesige Seilrollen. Und es ging noch weiter nach oben. Sie kamen an Kammern vorbei, in denen es nach ungewaschenen Kleidern und stark nach Käsesocken roch, und in denen sie an den Wänden sargartige Kojen mit zusammengeknüllten Decken vorfanden.

»Komisch, nicht wahr?« meinte Dennis verhalten. »Geht euch die Stille auch so auf die Nerven?«

»Stille?« japste Lisa. »Hast du Stille gesagt? Ich komme mir wie an einer Autobahn vor.«

Lisa brauchte nicht extra auf das Dröhnen und Rauschen einzugehen, noch auf die Schlaglaute und das metallische Klicken und Klacken. Von Stille nicht die Spur.

»Du weißt genau, was ich meine. Keine Stimmen außer unseren. Wo sind die Leute? Wisst ihr, was ich glaube? Außer uns ist kein Mensch hier. Das ist unheimlich.«

Einen Augenblick blieben sie stehen und lauschten angespannt. Da war tatsächlich niemand zu hören. Das Fehlen jeder menschlichen Stimme oder Gegenwart hatte etwas unbezwingbar Geisterhaftes, dass sie schaudern ließ. Lisa klammerte sich an Dennis, außerstande weiterzugehen. Keiner sprach mehr und jetzt konnten alle umso deutlicher die Stille spüren, die Dennis gemeint hatte: ein grauenhaftes Verlassensein.

»Es riecht nach Tod«, wisperte Lisa nach einer langen Pause. »Dabei weiß ich nicht wirklich, wie das riecht, aber so stell ich es mir vor.«

»Für mich riecht es nach Ratten und Mäusen«, sagte Kim leidenschaftslos. »Vielleicht nach toten Ratten und Mäusen.«

»Was?« rief Dennis.

Sie kamen an eine weitere steile Treppe. Vielleicht die letzte, denn es wehte jetzt frische Luft herein, die Kim und die anderen gierig einsogen. Wenig später standen sie auf rutschigen Holzplanken, während ihnen ein Sprühnebel ins Gesicht wehte.

Vor ihnen, jenseits einer Holzbrüstung, nur ein paar Meter entfernt, erstreckte sich unendlich weit und erhaben der Ozean. Eine graue See verschwamm weit draußen mit dem Horizont und wälzte sich in ungeheuren Wogen heran. Ein Brecher krachte über die Brüstung, Wasser spülte über ihre nackten Füße und lief ab. Kim schüttelte sich.

Über ihnen blähten sich an turmhohen Masten rotbraune Segel. Riesigen Kissen gleich, fingen sie den Wind ein, der heulend durch die Takelage fuhr.

»Wir sind auf einem Schiff«, stöhnte Lisa entgeistert.

Wie auf Kommando drehten sie sich alle zugleich um.

»Mitten im Ozean«, stimmte Dennis zu. »Oder siehst du irgendwo Land?« Er hielt sich an Kim fest, der auf dem schwankenden Schiff selbst um sein Gleichgewicht kämpfte. »Ich hab’s geahnt, die letzten zwei Hühnerleitern rauf, hab ich’s geahnt. Du etwa nicht?« fuhr Dennis mit einer gewissen Befriedigung fort.

Überaschenderweise nickte Lisa und griff hastig nach einem Tauende. »Die gebogenen Wände, die Schlafkojen, die aufgerollten Seile. All das Holz! Nur, wo sind die Leute? Die Matrosen, der Kapitän und wer sonst noch auf ein Schiff gehört.«

»Ein Navigator!« sagte Dennis mit Nachdruck. »Ein Mann, der mit Seekarten und dem ganzen Navigationskram umgehen kann. Ich glaub nicht, dass das Schiff mit GPS segelt. Und schaut euch mal die schwarzen Wolken überm Horizont an! Die gefallen mir überhaupt nicht.«

Die Wolken sahen selbst aus der Entfernung nach einer ausgewachsenen Sturmfront aus.

Nach Katastrophe.

Das Schiff fuhr unter vollen Segeln genau darauf zu, aber es war niemand zu sehen, der steuerte. Überhaupt kein Mensch, soweit es sich überblicken ließ. Nach Kims Einschätzung waren sie aus einer Luke im vorderen Teil des Schiffes herausgekrochen. Vor ihnen ragte ein Oberdeck auf, zu dem eine Treppe hinaufführte und wahrscheinlich gab es hinten weitere Decksaufbauten. Nur bis dorthin konnten sie nicht sehen, denn zwei Boote, ineinandergesteckt und mitten auf dem Schiff platziert, versperrten ihnen die Sicht.

Eimer standen herum, Bürsten lagen daneben, ein Tau war nur halb aufgerollt, aus einem Werkzeugkasten hatte jemand Werkzeug herausgekramt und liegengelassen.

Es sah aus, als hätte die Mannschaft vor einer Minute das Schiff verlassen.

»Wir befinden uns auf einem Geisterschiff«, sagte Lisa und machte sich nicht die Mühe, ihr tiefes Entsetzen zu verbergen. »Bevor die vierundzwanzig Stunden herum sind, werden wir im Sturm untergehen. Oder kann von euch einer so ein Schiff segeln?«

»Wahrscheinlich sind alle an Bord von einer tödlichen Seuche erledigt worden«, mutmaßte Dennis.

»Dann wären wir auf Tote in den Kojen gestoßen«, murmelte Kim gedankenvoll.

Immer noch aufs höchste verwundert, schaute sich Dennis um. Er wies mit einer ausholenden Geste auf die rote Brüstung, die blau gestrichene, geschwungene Treppe zum Oberdeck, das hellgelbe Geländer, das viele blinkende Messing. »Das Schiff gefällt mir. Alles Holz bis auf die Decksplanken sieht aus wie frisch lackiert. Muss viel Zeit kosten, das Schiff so gut in Schuss zu halten.«

»Sei still«, fuhr ihn Kim an. »Hört ihr das auch?«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960530640
Dateigröße
1.3 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Uhrmacher John Harrison Jugendbuch ab 12 Jahre historischer Roman für Jungen Seefahrt Freundschaft Längengrad Spannung 18. Jahrhundert für Mädchen Zeitreise Abenteuer eBooks
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Titel: Kim und die Seefahrt ins Ungewisse - Band 2
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