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4D - Tatort Düsseldorf

Der Kinderkrimi

©2016 140 Seiten

Zusammenfassung

Ben blickte zu Charlotte, Pia zu Levin – und alle vier hatten den gleichen Gedanken. Ben sprach ihn aus: »Mensch, Leute, wenn die Polizei im Dunkeln tappt, ist das ein Fall für uns!«

Das neue Schuljahr beginnt mit einem Riesenschreck: Pias und Charlottes Klassenkameradin ist von einem Auto angefahren worden – und der Fahrer hat Unfallflucht begangen! Doch damit nicht genug: Levins verhasste Tante Cordula taucht in Düsseldorf auf, um ihn zu sich nach München zu holen. Die Fahrerflucht und die schreckliche Cordula fordern den ganzen Einsatz der vier Detektive: Wird es ihnen gelingen, den Unfallfahrer ausfindig zu machen und Levins Umzug zu verhindern?

Vier Freunde und jede Menge knifflige Ermittlungen: ein Lesespaß für junge und junggebliebene Leser!

Jetzt als eBook: „4D - Tatort Düsseldorf“ von Heide John. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Das neue Schuljahr beginnt mit einem Riesenschreck: Pias und Charlottes Klassenkameradin ist von einem Auto angefahren worden – und der Fahrer hat Unfallflucht begangen! Doch damit nicht genug: Levins verhasste Tante Cordula taucht in Düsseldorf auf, um ihn zu sich nach München zu holen. Die Fahrerflucht und die schreckliche Cordula fordern den ganzen Einsatz der vier Detektive: Wird es ihnen gelingen, den Unfallfahrer ausfindig zu machen und Levins Umzug zu verhindern?

Vier Freunde und jede Menge knifflige Ermittlungen: ein Lesespaß für junge und junggebliebene Leser!

Über die Autorin:

Heide John wurde in Köln geboren und lebt inzwischen auch wieder in der Rheinmetropole. Seit Beendigung des Studiums der Germanistik und der Politikwissenschaften arbeitet sie als Lektorin, freie Journalistin und schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene.

Bei jumpbooks veröffentlichte Heide John bereits den ersten Teil der Kinderkrimis rund um die 4D: Tatort Hofgarten.

Die Autorin im Internet: http://www.facebook.com/heide.john.5

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eBook-Neuausgabe April 2016

Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel 4D: Fahrerflucht in Derendorf im Droste Verlag, Düsseldorf.

Copyright © der Originalausgabe 2008 Droste Verlag GmbH, Düsseldorf

Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © denis_pc – Fotolia.com und © Igor_Zakowski – vectorstock.com

ISBN 978-3-96053-058-9

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Heide John

4D: Tatort Düsseldorf

Der Kinderkrimi

jumpbooks

Kapitel 1:
Schlechte Nachrichten

»Guten Morgen, meine Lieben. Ich hoffe, ihr hattet schöne Sommerferien«, begrüßte Frau Stein ihre Klasse, in der es ziemlich unruhig zuging. Nach sechs langen Wochen gab es viel zu erzählen …

Schlagartig ruhig wurde es, als Frau Stein fortfuhr: »Leider muss ich euch etwas Bedauerliches mitteilen.«

Judith und Viviane hörten umgehend auf zu tuscheln, Niklas steckte sein Handy zurück in die Schultasche und Ruben hörte auf, seinem Banknachbarn unter dem Tisch gegen das Schienbein zu treten. Frau Stein räusperte sich. »Eure Mitschülerin Lea Ritter wird in den nächsten vierzehn Tagen leider nicht am Unterricht teilnehmen können. Sie ist vergangenen Freitag von einem Auto angefahren worden …«

Ebenso schnell wie die Schülerinnen und Schüler bei Frau Steins ersten Worten verstummt waren, wurden sie nun wieder lebendig. Alle sprachen durcheinander: »Was hat sie?«, »Liegt sie im Krankenhaus?«

»Wenn ihr mich ausreden lasst, erzähle ich euch, was ich weiß«, mahnte Frau Stein, die Deutsch und Geschichte unterrichtete. Sofort wurde es wieder still. »Sie hat eine Kopfverletzung und einen komplizierten Beinbruch.« Frau Stein zögerte kurz, weil sie darüber nachdachte, ob sie erzählen sollte, dass der Fahrer des Wagens Unfallflucht begangen hatte. Dann entschied sie sich dagegen. Die Gesichter ihrer Schüler wirkten ohnehin schon besorgt genug. »Sie liegt auf der Kinderstation der Universitätsklinik in der Moorenstraße. Und in ein paar Tagen freut sie sich bestimmt über Besuch. Ich möchte euch allerdings bitten, zuvor bei Frau Ritter anzurufen. Sonst wird es ein bisschen viel für eure Klassenkameradin.«

Babette Stein kannte ihre Pappenheimer. Ihre Klasse war wild, laut und reizte einige ihrer Kollegen durch Scherze und Streiche oft bis zur Weißglut. Aber die Schüler hielten zusammen. Erst recht, wenn es darauf ankam.

Sie nahm ein Stück Kreide und schrieb die Telefonnummer der Ritters an die Tafel. »So«, sagte sie danach, drehte sich um und legte die Kreide auf ihr Pult, »jetzt werden wir uns dem Unterrichtsstoff zuwenden. In diesem Schuljahr gibt es viel zu tun!«

In den nächsten fünfundachtzig Minuten gelang es den meisten Schülern, einigermaßen gut aufzupassen – nur Pia nicht. Hundert Gedanken schwirrten gleichzeitig durch den Kopf der Zwölfjährigen, und Geduld gehörte nicht zu Pias Stärken: Sie wollte und musste unbedingt wissen, was geschehen war!

Frau Stein hatte Charlotte und ihr erlaubt, im neuen Schuljahr wieder nebeneinanderzusitzen. Vorausgesetzt, sie würden nicht wieder so viel schwätzen wie vor den Sommerferien. Die beiden hatten es hoch und heilig versprochen. Bereits an diesem ersten Schultag brach Pia ihr Versprechen.

»Mensch, die arme Lea«, flüsterte Pia ihrer allerbesten Freundin zu.

Charlotte nickte. »Tut mir auch total leid für sie.«

Frau Stein warf den beiden Mädchen einen strengen Blick zu.

»Lass uns in der Pause darüber reden«, murmelte Charlotte. »Sonst sitze ich gleich wieder neben Tessa …«

Pias bereits geöffneter Mund klappte wieder zu. Schon am ersten Schultag auseinandergesetzt zu werden, wäre eine Katastrophe.

Endlich klingelte es und damit war die quälend lange Doppelstunde beendet. 34 Schüler begannen zu schnattern. Charlotte zog Pia am Ärmel. »Komm, lass uns auf den Hof gehen.«

Sie liefen die Treppe hinunter und standen kurz darauf an ihrem Lieblingsplatz unter der alten Linde.

»Ich rufe sofort nach der Schule bei Leas Mutter an«, begann Pia. »Vielleicht dürfen wir sie heute schon besuchen.«

»Irgendwie klang es so, als hätte Frau Stein uns nur die halbe Wahrheit gesagt«, erklärte Charlotte nachdenklich.

Pia zog verwundert die Augenbraue hoch. »Warum sollte sie?«

»Weiß nicht, ist nur so ein Gefühl.«

»Sie ist bestimmt fix und fertig, weil sie nicht an der Prüfung teilnehmen kann«, sagte Pia mitleidig.

Charlotte wusste sofort, wovon ihre Freundin sprach. Am Donnerstag würde in Pias Tanzschule eine Auswahlprüfung stattfinden, die eins der Mädchen aus Pias Gruppe seinem großen Ziel ein wenig näher brachte: dem Traum, eine Profitänzerin zu werden.

Seit Monaten sprachen die acht Mädchen aus dem Kurs über nichts anderes: Eine von ihnen würde beim Vortanzen vor der gestrengen Prüfungskommission der berühmten Tanzschule We-make-Stars, kurz WmS genannt, den ersten Platz belegen und anschließend dort trainieren dürfen.

Gut tanzen konnten alle acht. Trotzdem gab es zwei absolute Favoritinnen: Lea Ritter, die mit Pia und Charlotte in eine Klasse ging, und die zickige Claire Winterberg. Die anderen sechs – zu denen auch Pia gehörte – tanzten zwar gut, allerdings bei Weitem nicht so gut wie diese beiden.

»Also wird diese Claire gewinnen – oder?«, fragte Charlotte.

Pia rümpfte die Nase. »Ausgerechnet diese supereingebildete Zicke«, stöhnte sie. »Lea hätte ich es ja gegönnt, aber der …«

Pia hatte sich schon oft bei Charlotte über Claire beklagt, weil sie immer so tat, als sei sie etwas Besseres. Die Winterbergs wohnten in Oberkassel, das auf der linken Rheinseite liegt. In diesem Stadtteil leben besonders viele wohlhabende Leute. Das bemerkt man schon auf den ersten Blick anhand der vielen prachtvollen Häuser, die die Rheinpromenade säumen. Wunderschöne Villen mit Jugendstilfassaden gibt es dort und noble Häuser mit Sandsteinfronten. In Oberkassel leben vor allem Anwälte, Ärzte, Architekten und Designer, also Menschen, die viel Geld verdienen und beruflich besonders erfolgreich sind. Natürlich waren nicht alle Leute, die hier wohnen, eingebildet. Aber Claire Winterberg war es. Und keines der Mädchen mochte die Zwölfjährige mit den langen Beinen. Aber noch schlimmer als Claire war ihre arrogante Mutter Constanze …

»Dann musst du eben gewinnen, Pia!«

»Würde ich ja gerne, leider tanzt diese Kuh echt besser als ich. Lea hat mehr Anmut, aber Claire beherrscht alle Schritte aus dem Effeff. Und außerdem sind da ja noch Rosa und Laura, die sind ebenfalls besser als ich.«

»Streng dich an, Pia Klerk«, meinte Charlotte grinsend. »Wenn man etwas wirklich will, schafft man es auch.«

Pia verstand Charlottes Bemerkung. Sie war längst nicht so ehrgeizig wie Charlotte und sie zweifelte nicht im Geringsten daran, dass sie Claires Vorsprung nicht mehr einholen konnte …

Bevor Pia sich am frühen Nachmittag auf den Weg machte, um Charlotte, Ben und Levin zu treffen, rief sie bei Ritters an. Direkt nach der Schule hatte sie es schon einmal versucht, aber da war nur der Anrufbeantworter angesprungen. Jetzt hatte sie mehr Glück. Bereits nach dem zweiten Klingeln nahm Leas Mutter den Hörer ab.

Ihre Stimme klang abgehetzt, dennoch erkannte sie Pia sofort. Schließlich waren die beiden Mädchen nicht nur Klassenkameradinnen, sondern seit etwas mehr als drei Jahren auch Tanzpartnerinnen. Die Tanzschule befand sich in der ehemaligen Reichsstadt Kaiserswerth, dem ältesten Stadtteil Düsseldorfs. Pia liebte das kleine Örtchen, weil es so viele schöne alte Gebäude gab und weil der Rhein einen so flachen Bogen machte, dass man den mächtigen Strom fast 13 Kilometer weit überblicken konnte. Lea wohnte in Derendorf und damit nicht allzu weit von Golzheim entfernt. Aus diesem Grund wechselten sich Bea Klerk und Elaine Ritter im Winter oft ab, um die Mädchen zum Unterricht zu fahren. Im Sommer nahmen Lea und Pia manchmal die Fahrräder, aber es waren gut acht Kilometer bis Kaiserswerth. Die Strecke war schön, weil man ein gutes Stück am Rhein entlangradeln konnte, aber Pia behauptete oft, sie wäre nach der Fahrt schon so ausgepowert, dass sie nicht mehr fit genug zum Tanzen sei. Das stimmte nicht so ganz: Der wahre Grund lag darin, dass Pia nach dem Tanzen oft keine Lust mehr hatte, erneut so viele Kilometer zu radeln.

»Ich wollte fragen, wie es Lea geht«, begann Pia vorsichtig. »Frau Stein hat uns heute Morgen von dem Unfall erzählt.«

»Nicht besonders, Pia«, antwortete Frau Ritter. »Sie hat ziemliche Schmerzen und steht noch immer unter Schock.«

Pia musste nicht weiter nachfragen. Leas Mutter erzählte ihr ganz von selbst, dass Lea einen komplizierten Sprunggelenkbruch, eine leichte Gehirnerschütterung und eine Platzwunde an der Stirn hatte. Und dass sie wahnsinnig traurig sei, weil sie nun nicht an der Prüfung teilnehmen konnte. Das Wichtigste erzählte Elaine Ritter Pia allerdings nicht.

»Dürfen Charlotte und ich sie besuchen?«, fragte Pia.

»Sicher dürft ihr das, das muntert sie möglicherweise ein bisschen auf. Ihr dürft halt nicht zu lange bleiben. Lea ist noch recht schwach.«

»Heute noch, Frau Ritter?«

Leas Mutter zögerte kurz. »Morgen wäre besser, Pia.«

Pia hatte gerade den Hörer aufgelegt, da klingelte es. Weil sie in Gedanken noch bei dem vorherigen Telefonat war, meldete sie sich mit »Lea Ritter«.

Ben erkannte ihre Stimme trotzdem sofort. »Hey, hast du eine neue Identität angenommen?«, witzelte er.

Pia schluckte. »Quatsch, ich habe mich versprochen«, sagte sie schnell.

»Und wo bleibst du? Wir warten seit einer halben Stunde auf dich!«

Pia blickte auf ihre Armbanduhr. Es war kurz nach 16.30 Uhr. »Ich bin total durch den Wind«, erklärte sie. »Charlotte hat euch doch bestimmt schon von Leas Unfall erzählt.«

»Charlotte ist auch noch nicht da. Wir dachten, sie ist bei dir. Na ja egal, was ist mit Lea?«

Ben kannte Lea Ritter von früher. In den ersten beiden Gymnasialjahren war er gemeinsam mit Pia, Charlotte und Lea zum Leibniz-Gymnasium gegangen. Seit der siebten Klasse besuchte er gemeinsam mit Levin die Realschule In der Lohe.

»Erzähle ich euch gleich! Seid ihr noch bei dir zu Hause?«

»Ja, aber wir wollen unbedingt nach draußen. Sollen wir uns gleich am Grönen Jong treffen?«

»Und was ist mit Charlotte?«

»Ich rufe sie auf dem Handy an. Wenn sie nicht drangeht, spreche ich ihr auf die Mailbox.«

»Okay«, versprach Pia. »Ich bin in zehn Minuten bei euch!«

Obwohl sie normalerweise wenig eitel war, ging sie ins Bad und musterte sich aufmerksam im Spiegel. Zum Glück waren die hässlichen Hitzepickel, mit denen sie sich in den vergangenen Wochen herumgeärgert hatte, verschwunden. Sie nahm ein grünes Band aus dem Badezimmerschrank und wickelte es um ihre rötlich-blonden Haare. Sie überlegte kurz, ob sie die transparente Wimperntusche ihrer Mutter benutzen sollte, denn heute wollte sie hübsch aussehen. Schließlich hatte sie Ben – und vor allem Levin – drei lange Wochen nicht gesehen.

Ben und Charlotte kannte Pia, seit sie denken konnte, die beiden gehörten zu ihrem Leben wie ihre jüngeren Geschwister Svenja und Jakob. Levin Assmann hingegen war sie vor ein paar Monaten zum ersten Mal begegnet – und mit ihm verband sie noch etwas anderes als mit ihren beiden besten Freunden. Was das genau war, hätte sie nicht zu sagen vermocht. Aber sie spürte sehr deutlich, dass Levin ihr wichtig war. Ganz besonders wichtig sogar.

Nachdenklich zog sie eine Strähne aus dem Pferdeschwanz, so wirkte die Frisur lässiger. Was für ein Aufwand, schoss es ihr durch den Kopf. Macht man so was, wenn man verliebt ist? Pia schüttelte den Kopf und schimpfte mit sich selbst. Quatsch, ich finde ihn nett. Nicht mehr und nicht weniger.

Trotzdem strahlte sie wie ein Honigkuchenpferd, als sie die Jungs wenig später entdeckte. Die beiden saßen auf ihrer Lieblingsbank oberhalb des Weihers, in dessen Mitte der Gröne Jong thront. Ben sprang sofort auf und Pia legte ihm die Hand auf den Arm. Normalerweise war das Charlottes Begrüßungsgeste.

Erstaunlicherweise legte Ben seine Arme um sie. »Super, dass du wieder da bist«, sagte er – und hatte sie bereits wieder losgelassen, bevor die letzten drei Worte über seine Lippen geglitten waren.

Levin hingegen war puterrot geworden. Auch er war aufgestanden. Und auch ihm war die Freude über das Wiedersehen anzusehen, aber er hielt einen halben Schritt Abstand. Genau wie er, traute Pia sich nicht, diese magische Schwelle zu überschreiten. »Hi, Levin«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.

»Hallo, Pia«, antwortete Levin lächelnd, und wenn er nicht schon knallrot gewesen wäre, hätte sein Gesicht wahrscheinlich einen noch intensiveren Farbton angenommen. »Mensch, bist du braun geworden, geworden.«

Pia musste automatisch grinsen. Wenn Levin nervös oder unsicher war, wiederholte er häufig das letzte Wort. Die Freunde hatten sich daran gewöhnt und zogen ihn – ganz im Gegensatz zu seinen Klassenkameraden – niemals damit auf. Jeder Mensch hat eben seine Stärken und Schwächen.

»Drei Wochen Sonne pur«, erwiderte Pia lächelnd. »Habt ihr meine Karte bekommen?«

Die Jungs nickten.

»Na, dann wisst ihr ja Bescheid. Schwimmen, Faulenzen, Essen – mehr ist nicht passiert.«

In diesem Moment tauchte Charlotte auf. »Hallo, Leute«, rief sie schon von Weitem. »Ich freue mich riesig, euch zu sehen!«

Sie sprang vom Fahrrad und ließ es achtlos ins Gras fallen. Das war ungewöhnlich, normalerweise war Charlotte von Grund auf ordentlich. So ordentlich sogar, dass Pia sie manchmal damit aufzog. »Du müsstest eigentlich Charlotte Ordentlich Boysen heißen«, witzelte sie in solchen Momenten.

»Besten Dank«, konterte Charlotte dann. »Ich bin vollauf bedient mit den Vornamen, die meine Eltern mir verpasst haben!«

Dass Charlotte auch noch Maria Anastasia Violante Boysen hieß, war ein wohlgehütetes Geheimnis, das außer ihren Verwandten nur Pia und Ben kannten – und die behielten ihr Wissen für sich, weil Charlotte fuchsteufelswild werden konnte, wenn man sie mit diesen ungewöhnlichen Vornamen ansprach. Denn Charlotte fand sie allesamt entsetzlich. Wie es ihre Art war, hatte sie jetzt jedenfalls nicht das geringste Problem damit, zuerst Ben und dann Levin in die Arme zu nehmen.

»Puh«, stöhnte sie. »Ich bin echt froh, dass die Ferien vorbei sind! Es war so unermesslich öde …«

»Hey, du warst in Dubai!«, fiel Ben ihr ins Wort. »Das muss doch total aufregend gewesen sein.«

Charlotte zuckte die Achseln. »Für Erwachsene vielleicht. Für mich war es nur eine riesige Stadt mit vielen Wolkenkratzern, piekfeinen Hotels und Besichtigungstouren ohne Ende.«

Auf der Vorderseite von Charlottes Postkarte war ein Hotel mit dem Namen Burj al Arab zu sehen gewesen. Weil das Gebäude so beeindruckend groß war, hatte Ben direkt im Internet nachgeschaut, um was für ein Hotel es sich handelte. Erstaunt und begeistert hatte er gelesen, dass das Burj al Arab mit einer Höhe von 321 Metern das höchste Hotel der Welt war. Und nicht nur das: Das Sieben-Sterne-Hotel verfügte über 202 Suiten und hatte sogar einen eigenen Hubschrauberlandeplatz. Bens Neugierde war also von der ersten Sekunde an geweckt gewesen.

Die Boysens waren wohlhabend, hatten nur eine Tochter und sie reisten für ihr Leben gern. Für die vier Nächte, die sie in diesem Nobelhotel verbracht hatten, mussten sie mehr bezahlen als die Klerks für ihren zweiwöchigen Urlaub auf Mallorca. Charlottes Vater hatte schon lange von einer Reise nach Dubai geträumt und davon, ein paar Nächte im besten Hotel der Welt zu verbringen. Anschließend waren sie in ein erheblich preiswerteres Hotel am Stadtrand von Dubai umgezogen.

»Du musst uns unbedingt davon erzählen«, drängte Ben.

»Ein Tag mit euch ist viel spannender als die interessanteste Stadt der Welt.« Charlotte verdrehte die Augen. »Um gar nicht erst davon zu reden, dass es irgendwie langweilig ist, drei Wochen nur und ausschließlich mit meinen Eltern zusammenzuhocken.«

Die anderen lachten, und Charlotte fuhr fort: »Jetzt sollten wir endlich mal das Thema wechseln. Hast du Frau Ritter angerufen, Pia?«

»Hab ich. Wir dürfen morgen ins Krankenhaus.«

Bens Blick erinnerte Pia daran, dass sie ihm am Telefon versprochen hatte, Genaueres zu berichten. Das holte sie nun – unterstützt von Charlotte –nach.

»So ein Sprunggelenkbruch tut garantiert tierisch weh«, sagte Ben, als sie alles erzählt hatten, was sie wussten. »Sollen wir mitkommen?«

Pia schüttelte den Kopf. »Nee, besser nicht. Dich hat Lea eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, und Levin kennt sie überhaupt nicht.«

»Ihr dürft vorm Eingang der Uniklinik auf uns warten«, ergänzte Charlotte gnädig.

»Können wir ja machen«, meinte Levin. »Um wie viel Uhr sollen wir da sein?«

»Keine Ahnung. Vielleicht so gegen fünf.«

Die nächste halbe Stunde verbrachten sie damit, über ihre neuen Lehrer und ihre aktuellen Stundenpläne zu reden. Die Zeit verging wie im Flug. Als sie sich nach 18 Uhr voneinander verabschiedeten, waren vor allem Charlotte und Levin über alle Maßen froh darüber, dass die Sommerferien endlich vorbei waren.

Kapitel 2:
Ein Fall für 4D?

Leas Gesicht wirkte klein, zerbrechlich und es war kreidebleich. Zum Teil lag das an den schneeweißen Laken des Krankenhausbettes und an dem weißen Kopfverband, der ihre blonden Haare vollständig bedeckte. Als die beiden Mädchen das Zimmer betraten, waren Leas Lider zunächst geschlossen gewesen. Nun schaute sie die beiden aus traurigen Augen an. »Hallo«, flüsterte sie leise.

»Was machst du denn für Sachen?«, begann Pia, die sich bemühte, einen lockeren Ton anzuschlagen. Was freundlich und aufmunternd gemeint war, verfehlte seine Wirkung. Lea schossen sofort Tränen in die Augen.

»Hey«, sagte Charlotte besänftigend, beugte ihren Körper über das Bett und streichelte Lea sanft über die Schulter. »Tut es so weh?«

»Die Schmerzen sind gar nicht mal das Schlimmste. Am schlimmsten ist, dass ich ständig daran denken muss, wie das Auto mit einer Mordsgeschwindigkeit auf mich zugerast ist.«

»Du Ärmste, das war bestimmt furchtbar«, sagte Charlotte.

»Ich bin sogar durch die Luft geflogen«, schluchzte Lea.

»Hat der Fahrer dich nicht gesehen?«, fragte Pia.

»Keine Ahnung, der ist einfach weitergefahren.«

Pia riss die Augen auf: »Einfach weitergefahren? Wie meinst du das?«

Lea zog die Nase hoch. »Hat meine Mutter das nicht erzählt?«

Pia schüttelte den Kopf. Charlotte nahm ein Taschentuch aus der Packung, die auf dem weißen Rollschrank lag, und reichte es Lea. Sie nahm das Tempo, wischte sich über die Augen und putzte sich geräuschvoll die Nase.

»Ich kam aus der Tanzschule, weil ich noch für die Prüfung trainieren wollte …«

Lea machte eine kurze Pause, und Pia nickte automatisch. Der Tanzunterricht begann erst in dieser Woche wieder, die Mädchen durften wegen der Prüfung jedoch zwei Mal in der Woche kostenfrei trainieren.

»… und war auf dem Heimweg«, fuhr Lea mit zittriger Stimme fort. »Bei mir um die Ecke wollte ich über die Straße gehen, da kam dieses Auto und hat mich einfach angefahren.« Sie zog die Nase hoch. »Und dann ist der Fahrer abgehauen …«

»Fahrerflucht – das ist ja wohl das Hinterallerletzte«, schimpfte Pia. »Der hat dich umgebrettert und einfach verletzt liegen lassen?«

Lea nickte schluchzend.

»Könntest du ihn identifizieren?«

»Das haben die Polizisten auch sofort gefragt«, sagte Lea und hielt sich erneut das Taschentuch an die Nase. »Kann ich aber nicht. Es ging alles so schnell.«

»Aber es war ein Mann?«, hakte Charlotte nach.

Lea zögerte kurz. »Es könnte auch eine Frau gewesen sein. Eine Frau mit kurzen Haaren …«

»Blond oder braun?«

Lea zog die Stirn in Falten. »Eher braun. Ehrlich gesagt, weiß ich es echt nicht. Ihr könnt euch überhaupt nicht vorstellen, wie schnell so was geht. Da ist keine Zeit zum Gucken.«

»Doch«, beteuerte Charlotte, »ich kann mir das vorstellen. Hast du denn erkennen können, was für ein Auto es war?«

Zum ersten Mal schlich sich ein winziges Lächeln in Leas Gesicht. »Ihr beide seid neugieriger als die Polizei.«

Pia kicherte. »Neugieriger nicht. Aber gründlicher.«

Charlotte blieb hartnäckig: »Erinnerst du dich denn?«

»Keine Ahnung. Es war eine dunkle Farbe. Schwarz oder blau, eventuell auch braun.«

Braune Autos gibt es doch kaum, schoss es Pia durch den Kopf, sie sprach ihren Gedanken jedoch nicht aus.

»Hast du nach links und rechts geschaut, bevor du über die Straße gegangen bist?«, fragte Charlotte vorsichtig.

»Jetzt redest du wie meine Mutter«, sagte Lea und ihre Stimme klang wieder klein und bedrückt. »Ich bin über einen Zebrastreifen gegangen, und natürlich habe ich geguckt, ob ein Auto kommt. Vielleicht nicht lange genug, weil ich hungrig war und so schnell wie möglich nach Hause wollte. Aber der Wagen ist viel zu schnell gefahren. Das hat die Polizei gesagt …«

»… und woher wussten die das?«, fragte Pia neugierig.

»Das kann man anhand der Bremsspur messen«, erklärte Lea. Ihre Finger krallten sich in die Bettdecke. »Ich hätte tot sein können, oder gelähmt –oder was weiß ich.«

»Mensch, Lea«, sagte Charlotte mitfühlend. »In gewisser Weise hast du eigentlich noch Glück im Unglück gehabt …«

Lea ließ sie nicht ausreden, und erneut traten Tränen in ihre Augen. »Glück? Pustekuchen! Ich kann nicht tanzen!«

»Du kannst garantiert wieder tanzen«, meinte Pia und ihr Blick glitt über Leas eingegipstes Bein. »So ein Bruch heilt doch wieder!«

»Aber ich kann bei der Tanzprüfung nicht mitmachen«, schluchzte Lea.

Pia versuchte, etwas Tröstliches zu sagen: »Nächstes Jahr gibt es doch wieder eine Prüfung.«

Dieser Satz machte alles noch schlimmer.

»Aber nicht mehr für unsere Altersgruppe, Pia. Das weißt du genauso gut wie ich. Und ich will Tänzerin werden. Das habe ich mir immer schon gewünscht!«

»Wenn du das wirklich willst, schaffst du es auch ohne die Prüfung«, sagte Charlotte.

Lea schüttelte traurig den Kopf. »So eine Chance kommt nie wieder. We-make-Stars ist weit und breit die beste Schule. Tänzerinnen, die da ausgebildet werden, treten in der ganzen Welt auf.«

Im Gegensatz zu Charlotte wusste Pia, dass Lea recht hatte. Natürlich gab es viele andere Schulen, die junge Tanztalente förderten und ihnen die Tür zu ihrem Traumberuf ein Stückchen weiter öffneten. Aber wer von der WmS kam, hatte von vornherein gute Chancen, weil die Schule über die Grenzen Europas hinaus einen glänzenden Ruf besaß.

»Claire ist bestimmt froh über meinen Unfall«, mutmaßte Lea dann. »Jetzt hat sie keine Konkurrentin mehr.« Ihr Blick streifte Pia. »Tut mir leid, Pia«, fuhr sie fort. »Ich hab's nicht so gemeint. Du tanzt total gut.«

Pias zog die Augenbraue in die Höhe. Sie war weder beleidigt noch böse, weil sie wusste, dass Lea den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Sie tanzte seit ihrem vierten Lebensjahr und sie war durchaus begabt. Dennoch war sie nicht so perfekt wie Claire Winterberg und sie tanzte bei Weitem nicht so anmutig wie Lea. Pia ging es vor allem um den Spaß am Tanzen, gewinnen wollte und musste sie nicht. Erst recht nicht um jeden Preis.

»Ich will keine Tänzerin werden, Lea. Deshalb muss ich auch nicht zu WmS.«

Lea riss ihre rot geweinten Augen ein Stückchen weiter auf.

»Wie, du willst gar nicht?«, fragte sie erstaunt. »Warum nimmst du dann an der Prüfung teil?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht aus sportlichem Ehrgeiz«, erklärte Pia. »Das Tanzen macht mir wahnsinnigen Spaß, aber als Beruf kann ich mir das nicht vorstellen. Ich glaube, ich werde …«

Pia kam nicht dazu, ihren Satz zu Ende zu sprechen, weil eine Krankenschwester das Zimmer betrat. »So«, sagte sie energisch. »Nun ist Schluss! Ihr beide seid schon viel zu lange hier. Lea muss sich schonen, und ich muss den Kopfverband wechseln.«

Lea protestierte nicht. Sie wirkte tatsächlich erschöpft.

»Okay«, meinte Charlotte. »Dann gehen wir jetzt. Ruf an, wenn du uns sehen möchtest oder Hilfe brauchst.«

Lea nannte ihr die Telefonnummer des Krankenhauses und die Durchwahl, Charlotte notierte sie auf der Rückseite ihres aktuellen Sudoku-Heftes.

»Ich bringe dir Freitag oder Samstag die Hausaufgaben vorbei«, sagte Pia und lächelte Lea zu. »Das lenkt dich bestimmt ab.«

»Bring mir lieber am Donnerstag die Prüfungsergebnisse«, antwortete Lea. »Oder ruf mich an.« Sie kniff die Augen zusammen. »Und wenn du mir einen Gefallen tun willst, Pia Klerk, tanzt du bei der Prüfung besser als Claire!«

***

Als Pia und Charlotte durch den Krankenhausflur gingen, in dem es stark nach Desinfektionsmitteln roch, meinte Charlotte: »Allmählich hätte ich Lust, diese Claire Winterberg persönlich kennenzulernen. Lea hat ja noch mehr über sie gemeckert als du.«

»Sie ist echt ein Monster«, sagte Pia grinsend. »Ein zickiges Tanzmonster.«

Wie verabredet, warteten Ben und Levin vor der Universitätsklinik auf die Mädchen. Auf dem Klinikgelände gibt es Gebäude, die hundert Jahre alt sind, aber auch welche aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren sowie diverse Neubauten. Die Jungen warteten allerdings nicht direkt vor dem Haupteingang, sondern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ben kickte gerade eine leere PET-Flasche zu Levin. Der verfehlte sie um Haaresbreite und sie landete im Rinnstein.

»Oh, Mann«, ächzte Charlotte. »Gibt es eigentlich ein Gesetz, das besagt, dass Jungs immer und überall kicken müssen?«

»Scheint angeboren zu sein«, lachte Pia. »Mein Dad macht das auch. Und Jakob sieht man auch selten ohne Ball.«

Levin hatte die Flasche aus dem Rinnstein gefischt und schoss sie Ben zu.

»Komm, wir gehen rüber«, schlug Pia vor. »Sonst bekommen die zwei noch Ärger wegen dem Lärm.«

»Wegen des Lärms – Genitiv«, korrigierte Charlotte ihre Freundin. Sie hatte nicht nur ein Faible für Mathematik, sondern auch für korrektes Deutsch.

»Von mir aus auch wegen des Lärms«, erwiderte Pia gelassen. Sie wusste, dass Charlotte es nicht böse meinte.

Levin entdeckte die Mädchen einen Moment eher als Ben. »Hi, da seid ihr ja …«

»… endlich«, ergänzte Ben. »Es ist kurz vor halb sechs.«

»Ihr glaubt gar nicht, was passiert ist«, begann Charlotte, ohne auf Bens Vorwurf einzugehen.

»Ihr wart im Krankenhaus und habt Lea besucht, die von einem Auto angefahren wurde.«

»Nicht nur das«, sagte Charlotte. »Stellt euch vor, der Fahrer hat nicht angehalten, nachdem er Lea angefahren hatte.«

Levin blickte sie entsetzt an. »Was? Der hat Unfallflucht begangen?«

»Exakt!«, erwiderte Pia. »Nicht zu fassen, oder?«

»Solchen Typen sollte man den Führerschein für immer wegnehmen, wegnehmen!«

»Das sehe ich genauso«, verkündete Charlotte. »Aber dazu müsste man ihn zuerst einmal schnappen.«

»Wenn ich das richtig verstanden habe«, meinte Pia, »hat die Polizei nicht die geringste Spur.«

Ben blickte zu Charlotte, Pia zu Levin – und alle vier hatten den gleichen Gedanken. Ben sprach ihn aus: »Mensch, Leute, wenn die Polizei im Dunkeln tappt, ist das ein Fall für uns!«

»Ein Fall für 4D«, strahlte Pia und hob ihre Hand: »Schlagt ein, Freunde.« Die anderen brauchten diese Aufforderung gar nicht. Zehn Mädchen- und zehn Jungenfinger schlugen mit einem lauten Knall gegeneinander.

***

Vor nicht allzu langer Zeit hatten sie der Polizei dabei geholfen, zwei Handtaschenräuber ausfindig zu machen, die im Hofgarten ihr Unwesen getrieben hatten. Die Mädchen hatten Levin kennengelernt, der auf den ersten Blick etwas seltsam wirkte und keine Freunde in der Realschule In der Lohe hatte. Schon bald hatten sie herausgefunden, dass Levin Assmann ein netter Kerl war. Und nur mit seiner Hilfe war es ihnen gelungen, die Handtaschendiebe zu fassen. Nachdem der Fall gelöst war, hatten Charlotte, Pia und Ben beschlossen, Levin in ihren Bund aufzunehmen und von nun an vier Freunde zu sein. Vier Freunde, die nur noch einen Namen brauchten. Schlussendlich waren sie auf 4D gekommen – 4D wie vier Düsseldorfer oder vier Detektive …

»Und was tun wir jetzt?«, fragte Charlotte und rieb sich verstohlen die schmerzende Hand.

Ben hatte es trotzdem gesehen, seine Mundwinkel verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. »Seid ihr mit den Rädern da?«, fragte er.

Charlotte und Pia nickten.

»Dann fahren wir zum Tatort«, bestimmte Ben. »Gute Idee«, lobte Levin.

»Wenn da nicht ein winziges Problem wäre«, wandte Charlotte ein.

»Und welches?«

»Wir wissen nicht, wo der Tatort ist.«

Alle Augen richteten sich auf Pia. Pia zog die Augenbraue hoch. »Äh, woher soll ich das wissen?«

»Vielleicht, weil du in dieselbe Klasse gehst wie Lea und jede Woche mit ihr tanzt«, antwortete Ben.

»In dieselbe Klasse gehe ich auch«, erklärte Charlotte der Gerechtigkeit halber. »Aber ich weiß es genauso wenig.

»Stopp«, rief Pia. »Sie hat doch gesagt, ›bei mir um die Ecke‹ …«

Charlotte schlug sich die Hand vor den Kopf. »Stimmt, und, dass sie über einen Zebrastreifen gegangen ist.«

»Wo wohnt Lea noch mal?«, fragte Ben.

»In der Mauerstraße.«

»In Derendorf also«, sagte Levin. »Ich glaube um die Mauerstraße herum sind einige Zebrastreifen.«

»Hmm«, murmelte Pia. »Sollen wir noch mal zurückgehen und fragen?«

Charlotte runzelte die Stirn. »Nö, die Schwester hat uns ja gerade erst rausgeworfen.«

Auf die Idee, bei Lea anzurufen, kamen die Mädchen nicht.

»Ist wahrscheinlich gar nicht so wichtig«, fiel ihr Ben ins Wort. »Ich habe eine bessere Idee.«

»Dann schieß mal los!«

Ben kickte erneut gegen die PET-Flasche, die in den letzten Minuten vor seinen Füßen gelegen hatte.

»Wir besuchen OW«, schlug er vor.

»Mensch Leute, das ist eine supergute Idee! Der kann uns bestimmt eine Menge zum Thema Unfallflucht sagen.«

»Und ich würde ihn gerne wiedersehen«, fügte Pia hinzu. »Ich finde ihn nämlich total süß.«

Für einen kurzen Moment erstarrte Levin. Dann feixte er. Natürlich fand Pia den Polizisten nett. Aber OW war erwachsen und damit keine Konkurrenz für ihn …

Pia schien instinktiv gespürt zu haben, was Levin gedacht hatte und fuhr fort: »Wenn wir Glück haben, sind Marie Hahn und Stefan Frank ebenfalls da. Die finde ich nämlich auch ultranett!«

Die vier Freunde hatten Glück. Marie Hahn lief ihnen bereits im Eingangsbereich der Polizeiwache auf der Heinrich-Heine-Allee über den Weg.

»Hallo«, sagte sie freundlich. »Schön, euch zu sehen!«

Sie wechselten ein paar Worte, kurz darauf verabschiedete sich die junge Polizistin mit den langen dunkelblonden Haaren. »Ich habe Feierabend«, erklärte sie schmunzelnd. »Und mein Mann freut sich, wenn ich ausnahmsweise pünktlich nach Hause komme.«

»Sind denn die anderen beiden da?«, fragte Ben.

»Stefan Frank ist auf Streife, aber Onno Wolfgramm müsste in seinem Büro sein.« Marie Hahn zog ihre dunkle Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. »Geht ruhig hoch, OW freut sich bestimmt über euren Besuch.«

Und das tat er auch. Nachdem Charlotte an die Tür geklopft hatte, ertönte ein etwas brummig klingendes »Herein«.

OWs Tonfall änderte sich sofort, als er die Freunde erblickte. »Ah, unsere vier Helfer«, grinste er. »Das ist ja mal ein erfreulicher Besuch.«

»4D«, sagte Charlotte wie aus der Pistole geschossen. »Wir haben inzwischen einen Namen.«

Der nette Polizist begriff sofort, was gemeint war. »Ach, du Himmel«, antwortete er und schlug gespielt theatralisch die Hände über dem Kopf zusammen. »Ihr wollt mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass ihr schon wieder auf Verbrecherjagd seid?«

»Sind wir«, erwiderte Pia. »Eine Klassenkameradin von Charlotte und mir ist angefahren worden.«

»… und der Autofahrer ist einfach abgehauen«, ergänzte Ben.

Onno Wolfgramm runzelte die Stirn. »Das ist schlimm. Erzählt mir bitte ein wenig ausführlicher, was passiert ist und wo es passiert ist.«

In den nächsten Minuten berichteten die vier abwechselnd, was sie wussten. Der sympathische Polizist hörte ihnen aufmerksam zu und unterbrach sie kein einziges Mal.

»Ein eindeutiger Fall von Fahrerflucht also«, fasste OW schließlich zusammen. »Das kommt leider Gottes gar nicht selten vor. Gegen einen Unfall ist niemand gefeit, aber nicht zu seiner Tat zu stehen, ist ein Verbrechen, das völlig zu Recht streng bestraft wird.«

»Wie streng, streng?«, fragte Levin wissbegierig. Pia warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Bei ihrem gestrigen Treffen hatte Levin nur ein einziges Mal das letzte gesprochene Wort wiederholt. Und sie hatte fast gehofft, dass Levins Tick im Laufe der Sommerferien ganz verschwunden sein könnte. Aber so schnell ging das eben nicht. Ihre Tante Pat, die Kinder- und Jugendpsychologin war, hatte ihr erklärt, dass Levins Tick wahrscheinlich mit dem Tod seiner Eltern zu tun hatte. »Posttraumatische Belastungsstörung«, hatte sie es genannt – und bei ihrem letzten Besuch in Düsseldorf war sie so nett gewesen, ein langes Gespräch mit Levin zu führen. Aber reden allein half eben nicht immer.

OW schien die Wiederholung gar nicht bemerkt zu haben. »Deine Frage lässt sich nicht auf Anhieb beantworten, Levin. Das hängt davon ab, wie schwer der Unfall war, ob jemand verletzt wurde – und ob Trunkenheit am Steuer im Spiel war.«

»Muss der Täter ins Gefängnis?«, mischte Ben sich ein.

OW griff nach seinem Kugelschreiber und klopfte energisch auf seinen cremefarbenen Schleiflackschreibtisch. »Paragraph 142 Strafgesetzbuch, wenn ich mich richtig erinnere«, sagte er dann. »Also eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, Punkte in Flensburg und auf jeden Fall eine hohe Geldstrafe.«

»Wie viele Punkte bekommt man?«, fragte Charlotte, die genau wusste, dass es in Flensburg eine Kartei gab, in der sämtliche Verkehrsvergehen jedes einzelnen Autofahrers gespeichert wurden. Für das Nichtbeachten einer roten Ampel gab es zum Beispiel mindestens drei, meistens sogar vier Punkte. Fuhr man zu schnell, gab es ebenfalls Punkte und hohe Geldstrafen. Schon ab acht Punkten erhielt der Fahrer eine Verwarnung – und bei achtzehn Punkten wurde der Führerschein endgültig eingezogen.

»Auch das hängt von der Schwere des Vergehens ab«, antwortete OW. »Wenn jemand, wie im Fall eurer Klassenkameradin, einen verletzten Menschen einfach liegen lässt, ist der Führerschein bestimmt sofort weg. Das entscheidet jedoch nicht die Polizei, sondern das Gericht.«

»Wobei man den Typen zuerst mal finden muss«, meinte Ben.

»Stimmt, aber glaubt mir, die meisten Täter werden von uns gefasst und ihrer gerechten Strafe zugeführt.«

»Könnten Sie uns denn helfen?«, fragte Pia vorsichtig.

»Nein, Polizeistationen sind immer einem Stadtteil zugeordnet. Eure Klassenkameradin ist ja in Derendorf verunglückt und dieser Bezirk fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.« Bevor er weitersprach, schaute er die Freunde prüfend an. »Auch wenn ihr euch seit dem Handtaschenraub für Detektive haltet, Leute«, fuhr er mit ernster Stimme fort, »möchte ich euch eindringlich bitten, die Finger von dieser Angelegenheit zu lassen! Fahrerflucht ist eine Straftat – und Straftaten gehören in den Aufgabenbereich der Polizei und nicht in die Hände von Schülern!«

»Keine Sorge«, erwiderte Ben ausweichend. Ihm war nicht entgangen, dass der Tonfall des Polizisten zunehmend ernster geworden war. »Aber Sie wissen doch bestimmt, ob es besondere Merkmale gibt?«

»Was meinst du mit Merkmalen, Ben?«

»Zum Beispiel, ob man einem Auto ansehen kann, wenn ein Mensch davorgelaufen ist.«

»Ja«, antwortete OW ernst. »Selbst ein relativ kleines Tier wie ein Hase, der gegen ein Auto prallt, das zirka 100 Kilometer pro Stunde fährt, entwickelt einen Druck von 125 Kilogramm. Bei einem Reh entsteht ein Aufschlaggewicht von einer halben Tonne. Nun könnt ihr euch ungefähr vorstellen, mit welcher Wucht ein Mensch gegen ein Auto prallt.«

»Es hängt also vom Körpergewicht des Opfers und der Geschwindigkeit des Fahrzeugs ab, ja?«

»Exakt!«

»Welche Schäden sind am Auto zu sehen?«, fragte Pia neugierig.

»Je nachdem. Lackschäden, ein kaputter Kotflügel, ein zersplitterter Scheinwerfer. Wie gesagt, das hängt vom Aufschlaggewicht ab.«

Charlotte hakte nach. »Gibt es so etwas wie ein Täterprofil?«

»Ihr redet schon wie richtige Polizisten«, schmunzelte OW. »Du möchtest also wissen, ob es einen bestimmten Menschentyp gibt, der so etwas tut?«

Charlotte nickte.

»Nein. Manche handeln im Affekt, das heißt, sie fahren einfach weiter, weil sie selbst sehr erschrocken sind. Manche stellen sich später freiwillig der Polizei. Andere handeln schlichtweg gewissenlos: Sie haben Angst davor, bestraft zu werden und das Opfer ist ihnen gleichgültig.« Das Gesicht des jungen Polizisten wurde noch ernster. »Aber wir erwischen sie trotzdem …«

In diesem Moment klingelte das Telefon. OW nahm ab, sprach ein paar Worte und legte den Hörer anschließend zurück auf die Ladestation. »Sorry, Freunde, ich muss sofort weg!«

»Schade«, sagte Levin, »es war echt interessant.«

»Ich habe euch schon eine ganze Menge erzählt, mehr kann ich zu diesem Thema gar nicht sagen«, erklärte Onno Wolfgramm und schlüpfte in seine Uniformjacke, die über der Stuhllehne gehangen hatte. Gemeinsam mit den Freunden ging er nach unten. Währenddessen überlegte er, ob er sie noch einmal ermahnen sollte, sich nicht in die Angelegenheiten der Polizei einzumischen. Dann entschied er sich dagegen. Seiner Meinung nach hatten die vier nicht die geringste Chance, dem Unfallverursacher auf die Schliche zu kommen.

Diesbezüglich sollte OW sich gewaltig irren …

Kapitel 3:
Sieger und Verlierer

»Ich hätte so gerne einen Hund«, seufzte Charlotte zum fünfhundertsten Mal. »Aber wie ich meine Eltern kenne, bekomme ich ein neues Klavier.«

Charlottes zwölfter Geburtstag stand kurz bevor, und die vier Freunde hatten schon vor den Sommerferien beschlossen, eine große Party zu feiern. Die Boysens hatten nichts dagegen, dass Charlotte viele Gäste einlud. Wogegen sie schon etwas hatten, war ein Haustier.

»Wir sind viel zu selten zu Hause«, behaupteten sie, sobald Charlotte auf ihr derzeitiges Lieblingsthema zu sprechen kam.

»Ihr seid viel zu wenig zu Hause«, antwortete Charlotte mit schöner Regelmäßigkeit. »Ich komme ja direkt nach der Schule heim, da hätte ich genug Zeit, mich um einen Hund zu kümmern!«

Charlottes Eltern arbeiteten viel, sie waren selbstständige Immobilienmakler und hatten ein Büro in der Innenstadt. Hanna und Georg Boysen tat es leid, dass sie nicht viel Zeit für ihre einzige Tochter hatten, aber das war der Preis für ihren beruflichen Erfolg. Zum Ausgleich fuhren sie gerne in Urlaub – und diese Reisen führten stets zu ihrem nächsten Argument, das gegen ein Haustier sprach. »Und was machen wir in den Schulferien, Charlotte?«

Wenn Charlotte dann vorschlug, den Hund mitzunehmen, wusste sie insgeheim, dass das unmöglich war. Was sollte ein Hund in Dubai oder in einem der vielen anderen Länder der Welt, die sie mit ihren Eltern besuchte?

Pia hatte sich schon mehrfach angeboten, in den Ferien auf Charlottes zukünftiges Haustier aufzupassen. Ihr Angebot überzeugte jedoch weder Pias noch Charlottes Eltern. Die Klerks fuhren zwar meistens nach Holland und mieteten dort ein kleines Häuschen in Strandnähe oder sie reisten wie in diesem Jahr nach Mallorca. Aber sie fanden es schon schwierig genug, jemanden zu finden, der während ihres Sommerurlaubs auf Einstein und Zweistein, die beiden Langohrkaninchen, aufpasste. Außerdem behaupteten sie stets, mit drei Kindern voll und ganz ausgelastet zu sein.

»Meine Eltern schalten ebenfalls auf Durchzug, sobald ich mit dem Thema Hund anfange«, sagte Pia.

»Du hast wenigstens deine Geschwister«, maulte Charlotte.

Pia lächelte ihrer besten Freundin aufmunternd zu. »Hey, dafür hast du Ben, Levin und mich. Gleichberechtigte Jugendliche sozusagen, kein kleines Gemüse, um das du dich kümmern musst …«

»Auch wieder wahr«, stimmte Charlotte zu. »Aber ein Hund wäre trotzdem das Allergrößte.«

»Wenn du doch einen bekommst, machen wir den 4D-Hund aus ihm«, mischte Ben sich ein. Er hatte mit dem Rücken zu den Mädchen an Charlottes Schreibtisch gesessen, irgendetwas gezeichnet und bislang geschwiegen.

»Superidee, Ben«, grinste Pia. »Er könnte unser Fährtensucher sein und uns bei der Jagd auf Verbrecher helfen.«

»Schön wär's«, meinte Charlotte, erhob sich von ihrer Bettdecke, die mit einem zarten Rosenmuster bestickt war und ging zu Ben. »Was kritzelst du da eigentlich?«

»Ich kritzele nicht«, wehrte Ben sich. »Ich zeichne!«

Charlotte legte ihm die Hand auf den Arm. »War nicht so gemeint, Ben. Ich weiß, dass du ein großer Künstler bist – oder zumindest mal einer wirst.«

Ben Schumacher konnte extrem gut zeichnen. Schon als kleiner Junge hatte er leidenschaftlich gerne gemalt und sein Vater hatte ihm beigebracht, wie man ein Bild am besten aufbaute, wie man Perspektiven zeichnete und mithilfe von Schatten und Schraffuren Struktur in eine Zeichnung brachte. Er lächelte und hob das Bild in die Höhe. »Das ist unser Hund«, teilte er mit und zeigte auf ein knuddeliges schneeweißes Etwas, das fast aussah, als sei es lebendig.

»Toll«, sagte Charlotte anerkennend, Pia stand ebenfalls auf, um Bens Zeichnung zu betrachten. »Echt süß«, bestätigte sie. »Und was ist das darüber?«

»Unser Logo«, erklärte Ben und zeigte auf den Kreis, in dem »4D« stand. »Logos kennt ihr aus der Werbung, oder? Zu jedem Produkt gehört ein bestimmtes Bild in einer bestimmten Farbe.«

Das wussten die Mädchen natürlich. »Wir könnten das Zeichen im Copy-Shop auf T-Shirts drucken lassen oder so«, schlug Ben vor.

»Sollen wir sofort losziehen und gucken, was das kostet?«, fragte Pia. In diesem Moment fiel ihr Blick auf Charlottes Wecker. »Mist, es ist ja schon 17 Uhr, ich muss nach Hause!«

»Du willst noch ein bisschen für die Tanzprüfung üben, oder?«

Pia nickte. »Bis morgen ist nicht mehr viel Zeit und ein paar der Grundschritte sollte ich echt noch mal proben. Ben, wenn du magst, kannst du übrigens morgen gerne zuschauen. Charlotte kommt und Levin will auch dabei sein.«

»Ah, Levin hast du also schon eingeladen?«, frotzelte Ben.

Wenn jemand anderes das gesagt hätte, wäre Pia vermutlich rot geworden. Ihre Gefühle für Levin waren neu und auch ein bisschen verwirrend für sie. Bislang war es ihr nicht geglückt, sie richtig einzuordnen. Dass Ben diese Frage stellte, war okay. Schließlich kannte sie ihn seit sie denken konnte –und im Grunde war er wie ein Bruder für sie. Da errötete man nicht.

»Hab ich«, antwortete sie deshalb gelassen. »Im Gegensatz zu dir hat er meine Tanzkünste noch nie bewundern dürfen.«

»Wenn du erst mal ein Superstar bist, willst du bestimmt nichts mehr mit uns zu tun haben«, witzelte Ben.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960530589
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Kinderbuch ab 8 Jahre Fünf Freunde Kinderkrimi TKKG für Jungen Drei Fragezeichen Freundschaft Detektive Spannung für Mädchen Abenteuer Derendorf Fahrerflucht eBooks
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Titel: 4D - Tatort Düsseldorf
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