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Mit Hannibal über die Alpen

Roman

©2016 118 Seiten

Zusammenfassung

„Alle Augen starrten den großen Feldherrn an. Wenn er sich erhob und zu den Truppen sprach, schlug allein der Klang seiner Stimme die Zuhörer in Bann. Erst ein Hornsignal löste die Spannung und die Männer marschierten los.“

Hannibal wagt das Unmögliche und überquert mit einem Heer von 60 000 Mann und 37 Elefanten die Alpen. Der Grieche Silinos schreibt als offizieller Berichterstatter über den Mut der Soldaten und die Heldenhaftigkeit Hannibals. In seinem Tagebuch jedoch zeigt er die Schattenseiten auf: Hier erzählt er von Gefahren und Strapazen, von extrem hohen Verlusten, Verzweiflung und dem Schicksal der Männer, die ihr Leben gaben, später jedoch von der Geschichte vergessen wurden.

Die Wahrheit hinter der Geschichte: Bestsellerautor Tilman Röhrig schildert fesselnd und realitätsnah wie nie zuvor den Kriegszug des Hannibal.

Jetzt als eBook: „Mit Hannibal über die Alpen“ von Tilman Röhrig. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Hannibal wagt das Unmögliche und überquert mit einem Heer von 60 000 Mann und 37 Elefanten die Alpen. Der Grieche Silinos schreibt als offizieller Berichterstatter über den Mut der Soldaten und die Heldenhaftigkeit Hannibals. In seinem Tagebuch jedoch zeigt er die Schattenseiten auf: Hier erzählt er von Gefahren und Strapazen, von extrem hohen Verlusten, Verzweiflung und dem Schicksal der Männer, die ihr Leben gaben, später jedoch von der Geschichte vergessen wurden.

Die Wahrheit hinter der Geschichte: Bestsellerautor Tilman Röhrig schildert fesselnd und realitätsnah wie nie zuvor den Kriegszug des Hannibal.

Über den Autor:

Tilman Röhrig wurde 1945 in Hennweiler/Hunsrück geboren. Seit 1973 arbeitet er als freischaffender Schriftsteller, Film-, Funk- und Fernsehautor. Er schrieb zahlreiche Drehbücher für Spielfilme und Serien wie Neues aus Uhlenbusch und Löwenzahn. Als Referent ist er an Schulen, Volkshochschulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen tätig. Mit seinen Büchern begeistert er jugendliche und erwachsene Leser gleichermaßen; viele davon wurden Bestseller und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem deutschen Jugendliteraturpreis und dem Großen Kulturpreis NRW. Tilman Röhrig lebt heute in der Nähe von Köln.

Die Website des Autors: www.tilman-roehrig.de

Tilman Röhrig veröffentlichte bei jumpbooks bereits die Kinderbücher Kater Muck, Chaos im Kinderzimmer, Leichenhemd und Zähneklappern und Die wirklich wahre Weihnacht.

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eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright © der Originalausgabe 1981 by Tilman Röhrig, Arena Verlag, Würzburg

Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-091-6

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Tilman Röhrig

Mit Hannibal über die Alpen

Seine Alpenüberquerung mit 60 000 Mann und 37 Elefanten

jumpbooks

VOR ÜBER 2200 JAHREN

Im Jahr 218 vor Christus brach der karthagische Feldherr Hannibal Barkas mit einem großen Heer vom spanischen Cartagena aus auf, um den Krieg in das Land des römischen Feindes, nach Italien, zu tragen. Nachdem er einen Teil seiner Truppen zur Sicherung Spaniens und Afrikas zurückgelassen hatte, zog er über die Pyrenäen, folgte dem Lauf der Rhone nach Norden und stand dann mit 50 000 Soldaten, 10 000 Reitern und 37 Kriegselefanten vor den Alpen. Um seinen Ruhm für die Nachwelt festzuhalten, beauftragte Hannibal den Griechen Silenos, von jedem Tag der Alpenüberquerung einen offiziellen Bericht abzufassen. Damals war es für einen Schriftsteller genauso schwer wie heute, im Auftrag eines Herrschenden zu schreiben. So ist es leicht vorstellbar, dass Silenos neben dem offiziellen Bericht noch ein persönliches Tagebuch geführt hat.

ERSTER TAG

Gepriesen sei Baal Hammon{i}!

Gepriesen sei Zeus!

Und Dank gebührt Hannibal Barkas,

dem großen Feldherrn.

Die Morgennebel hatten wie eine zurückgeschlagene Felldecke unser riesiges Zeltlager dem Licht der frühen Sonne preisgegeben und sich in langen Bahnen über dem Fluss aufgetürmt, als die Begleittruppen des Königs Brancus die Pferde bestiegen. Die Hornisten riefen unsere Soldaten zu einem langen Spalier. Mit knappen Worten dankte Hannibal den Männern, die unsere Armee sicher bis hierher geführt hatten.

»Karthago und ich, Hannibal Barkas, werden Freunde und Verbündete, die uns auf dem langen Marsch unterstützt haben, nicht vergessen.« Alle Augen starrten den großen Feldherrn an. Wenn er sich erhob und zu den Truppen sprach, schlug allein der Klang seiner Stimme die Zuhörer in Bann. Erst ein Hornsignal löste die Spannung und die Männer marschierten los und ritten an. Geschrei und Waffenklirren begleiteten sie, bis sie das Lager verlassen hatten.

Der Zustand der Armee war ausgezeichnet. 50 000 Soldaten zu Fuß, 10 000 Reiter, 37 Kriegselefanten sowie Lasttiere und Schlachtvieh setzten sich in einem unübersehbaren Zug in Bewegung. Die klare Oktobersonne blitzte auf den geputzten Rüstungen und Waffen. Kläffend hechelten die Hunde um das Schlachtvieh herum und die Elefantenabteilung schritt wiegend in Dreierreihen wie ein grauer, mächtiger Muskeltrupp hinter der Reiterei her. So verließen wir das grüne, fruchtbare Flusstal der Rhône und schlugen den direkten Weg zu den Bergen ein. Kaum mehr als zwei Tagesmärsche entfernt, wölbte sich ein nicht sehr hoher, dicht bewaldeter Gebirgszug. Das Tor zu den Alpen – so bezeichneten ihn unsere gallischen Späher.

Gegen Mittag, die schnell reitende Vorhut war bereits über die ersten Hügel hinweggeritten, erhob sich ein ohrenbetäubendes Geheul rechts und links der marschierenden Fußtruppen. Aus den Baumkronen hagelte es Pfeile und Steine. Ehe sich die Kampfordnung formieren konnte, hatten die feindlichen Geschosse bereits große Lücken in unsere Reihen gerissen.

In wenigen Augenblicken war der Boden durchtränkt von dem Blut der getroffenen Soldaten und Tiere. Kuriere jagten nach vorn und der große Feldherr selbst führte den Gegenschlag. Unsere Schleuderer schossen mit Bleikugeln und Kieselsteinen die versteckten Angreifer wie Vögel aus den Bäumen.

Die mit Rüstungen, großen Schilden, Schwertern und langen Lanzen gewappneten und bewaffneten Soldaten der schweren Fußtruppe stellten sich Schulter an Schulter und schützten den Tross, während die nur mit Rundschilden und kurzen Speeren ausgerüsteten Männer der leichten Fußtruppe rechts und links in das Gelände eindrangen und die Angreifer zurückdrängten – bis die Überlebenden davonliefen und in dem Unterholz der Wälder verschwanden.

Die Reihen wurden geschlossen, die Zugordnung wiederhergestellt und Hannibal gab den Befehl zum Weitermarsch.

Am Nachmittag zeigten einige Männer erschreckt auf zwei Anhöhen, die wie große Buckel bis zur Bergspitze hinaufführten. Schneller als ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, dass die Bergstämme auf diesen Höhen ihre Krieger zusammenzogen. Und das Tal zwischen den Bergrücken war für uns die einzige Möglichkeit, das Gebirge zu durchqueren!

Die Hornisten befahlen das Ende des Tagesmarsches. Der Zug verteilte sich und ein Lager wurde aufgeschlagen. Langsam färbte sich die Sonne rot. Bevor sie hinter den zurückliegenden Bergkämmen versank, überzog sie den Himmel mit der Pracht eines karthagischen Purpurmantels. Noch in der Dämmerung verließen die gallischen Späher das Befehlszelt. Sie trugen Kleidung und Waffen der getöteten Feinde und waren von den Gegnern, die hoch über uns lauerten, nicht mehr zu unterscheiden.

Silenos, Schreiber des Hannibal Barkas

Tagebuchnotiz des ersten Tages

»Wo habt ihr Männer von den Inseln nur so gut schießen gelernt?«, fragt Hassan grinsend, als Ultis unser kleines Zelt betritt.

»Üben – nur üben. Als Kind, wenn du spielst – und als Mann jeden Tag.« Ultis lacht.

Ich sitze auf einem Stein dicht an der zurückgeschlagenen Plane der Zeltöffnung. Der Beutel mit meinem Schreibzeug ist offen. Sorgfältig in ein Tuch eingewickelt, liegt die Papyrusrolle mit meinem offiziellen Tagesbericht neben mir. Auf den Knien habe ich meine persönliche Rolle und will im letzten Licht des Tages noch schnell meine Eindrücke und Gedanken aufschreiben.

Meinen beiden Zeltgefährten merkt man die Anstrengungen des Tages kaum an. Sie sind erprobte Kämpfer. Jeder von ihnen befehligt mehr als 100 Soldaten. In meiner Nähe hockt Hassan. Er kaut hungrig an einem Brotfladen, der noch aus den Vorratskammern des Königs Brancus stammen muss. Der schlanke Numider gehört zur Elitetruppe der Reiterei. An seinen Ohren hängen feine goldene Ringe, um den Hals trägt er einen Skarabäus{ii}. »Ich hab das Amulett von einem ägyptischen Händler gekauft. Ja, der Kerl hat mich mit dem Preis betrogen – aber vielleicht beschützt es mich deshalb so gut.« Wie oft hat er schon nach einer siegreichen Schlacht den Skarabäus zwischen den Fingern gerieben und laut oder murmelnd von dem ägyptischen Händler erzählt?

Ultis lässt sich auf den grasigen Boden fallen. Seine nackten Arme hat er vor der Brust verschränkt – unter seiner Haut treten dicke Adern über seinen Muskeln hervor, laufen gezackt und verschwinden wieder in seinem mächtigen Körper. Der Mann von den Inseln ist Hordenführer unserer Schleuderer. Ich habe es selbst erlebt: Noch aus 30 Fuß Entfernung trifft er mit einer Bleikugel ein aufgespanntes Pferdehaar. Er und seine Männer sind mit ihren Schleudern gefährlicher als ein gleich starker Trupp der besten Bogenschützen.

Die beiden Hordenführer ziehen sich gegenseitig auf, sie sind vergnügt. Hassan prahlt mit seinen Reitkünsten. Er behauptet, während eines Galopps vom Rücken seines Pferdes abspringen, neben dem Tier herlaufen und auch wieder aufsitzen zu können. Ultis ärgert sich, er ist längst nicht so geschmeidig– und doch: »Wenn ich lange übe, dann kann ich das auch!«, behauptet er und Hassan lacht, dass seine Ohrringe leise klirrend aneinanderschlagen.

Bei der Vorstellung, dass der mächtige Ultis auf einem Pferd Kunststücke vorführt, muss selbst ich lachen. Seit wir von Sagunt aufgebrochen sind, teilen wir uns zu dritt dieses kleine, spitz zulaufende Zelt. Tagsüber sehe ich die beiden nur selten, weil ich auf Befehl Hannibals immer in der Nähe des Feldherrn reiten muss. Was mir schwerfällt, denn ich habe mich bis jetzt noch nicht an das lange Sitzen auf einem Pferderücken gewöhnt.

»Silenos, du bist zu wertvoll. Du bist der Schreiber, sagt Hannibal oft zu mir. »Du sollst von unserem Feldzug gegen die Römer und von meinem Ruhm berichten – ich verbiete dir zu kämpfen.« Punktum. Er hat mir den Rang eines Hordenführers verliehen und mir gleichzeitig verboten zu kämpfen! Jetzt sind sogar zwei Reiter zu meinem persönlichen Schutz eingeteilt. Ja, ich habe es besser als viele von uns – besser als die Verwundeten, die irgendwo weit hinter uns in einem dürftigen Zelt stöhnen. Was wird mit ihnen? – Nein, ich verdränge solche Gedanken!

Oder?

Was haben die Hunde gefressen, wenn sie morgens mit blutigen Lefzen zufrieden neben der Schlachtviehherde schlafen? Es ist Krieg! Sicher haben sie sich an einem verendeten Pferd satt gefressen.

Die Nacht hat die Dämmerung verschluckt. Meine Freunde schlafen fest. Ihr Schnarchen ist beruhigend. Es erinnert mich an ein festes, gemauertes Zuhause; doch das haben wir vor unendlich langer Zeit verlassen – und es ist weit weg.

Silenos

ZWEITER TAG

Gepriesen sei Baal Hammon!

Gepriesen sei Zeus!

Und Dank gebührt Hannibal Barkas,

dem großen Feldherrn.

Noch vor dem Morgenappell fand eine Besprechung im Befehlszelt statt. Die gallischen Späher waren zurückgekehrt. Strähnig klebten die zottigen Haare, feucht vom dichten Nebel, an ihren Köpfen. Sie bauten mit Erde eine Nachbildung des vor uns liegenden Berges mit den besetzten Anhöhen, der Schlucht und dem Weg, der zum Pass hinaufführte. Kieselsteine bezeichneten die Stellungen der Feinde.

Der große Feldherr setzte sich zu den verwildert aussehenden Männern. Er sprach mit ihnen.

»Es sind Häuptlinge der Bergstämme, die dort oben gut 1000 Krieger zusammengezogen haben«, sagte einer der Späher und deutete mit dem Finger auf die Kieselsteine auf jedem der Bergrücken.

»Allobroger!«, sagte ein zweiter Späher. »Wir sind bis zu ihren Stellungen geschlichen. Die Plätze sind gut ausgewählt. Von da aus und von dort aus beherrschen sie die ganze Schlucht. Ohne große Mühen können sie den Zugang zum Pass sperren.«

Hannibal erhob sich. Eine steile Falte zeigte sich auf seiner Stirn. »Wie habt ihr es geschafft, bis zu den Stellungen vorzudringen?«, fragte er.

Der erste Späher las weitere Kieselsteine vom Zeltboden auf und schichtete sie jenseits der Passhöhe zu einem Haufen. »Hier. In diesen Ort ziehen sich fast alle Krieger während der Nacht zurück. In den Stellungen bleiben nur wenige Posten als Wache.«

»Während der Nachtstunden befinden sich auf den Bergkuppen also nur einige Männer?«, vergewisserte sich der große Feldherr.

Die Späher nickten. »Aber schon bei Tagesanbruch besetzen sie die Anhöhen wieder.«

Mit zwei Schritten war der große Hannibal Barkas an der Zeltplane, schlug sie zurück und blickte in den Nebel, der sich zögernd in den Baumkronen auflöste. »Abmarsch, sobald es hell genug ist!«

Keiner der anwesenden Zug- und Hordenführer widersprach. Das Vertrauen in den Feldherrn war groß. Er hatte die Männer noch nie enttäuscht!

Während des ganzen Tages lag eine gedrückte Stimmung über dem Zug. Auf den Bergrücken, die vor uns lagen, standen unbeweglich die Truppen der Allobroger und verfolgten unser Vorrücken.

Sie warteten nur, bis wir unentrinnbar in der Bergschlucht ihren Geschossen ausgeliefert sein würden.

Schließlich erreichten wir das hügelige Gelände unmittelbar am Tor der Schlucht. Die späte Sonne riegelte mit schwarzen Schattenbänken den Einstieg ab und ließ das enge Bergtal noch bedrohlicher erscheinen. Oben auf den Anhöhen zeichneten sich die Allobroger jetzt scharf und klar gegen den Himmel ab.

Die Hornisten signalisierten das Ende des heutigen Marsches. Hannibal befahl ein weit auseinandergezogenes Lager aufzuschlagen. Wenig später hetzten seine Kuriere von Horde zu Horde. »Vor jedem Zelt müssen zwei Wachfeuer angezündet werden! Zwei Wachfeuer!« Dem Tross gaben sie Anweisung, die Tiere zu füttern, sie aber nicht auf die Weide zu schicken. Ohne zu murren, gehorchten die Männer – auch wenn sie den Befehl nicht verstanden.

Silenos, Schreiber des Hannibal Barkas

Tagebuchnotiz des zweiten Tages

Ich weiß nicht, was vorgeht! Hassan und Ultis haben mir nicht geholfen das Zelt aufzubauen. Sie waren nur kurz da und schlugen mir grinsend auf die Schultern. »Schreib, Silenos, aber beeil dich!« Damit sind sie in Richtung Befehlszelt davongegangen. Immer wieder muss ich zu den Barbaren auf der Anhöhe hinaufstarren, die da oben auf uns lauern wie Raubvögel auf ein Tier, das sich am Boden entlangwindet. Sie warten nur den richtigen Augenblick ab.

Angst? Nein – ich kann es nicht genau sagen. Vor mehr als einem Monat überquerten wir den großen Fluss – die Elefanten auf breiten Holzflößen und ich auf dem Rücken meines Pferdes. Da hatte ich wirklich Angst! Nun gut, ich kann nicht schwimmen – und tatsächlich sind viele von unseren Männern ertrunken. Aber jetzt spüre ich eher einen dumpfen Druck, hervorgerufen durch die ungewisse Spannung. Als ich heute Morgen zusammen mit den Führern der einzelnen Abteilungen im Befehlszelt den Bericht der gallischen Späher gehört hatte, wollte ich beinahe den Vorschlag machen, umzukehren und einen anderen Alpenübergang zu suchen. Aber ich wagte es nicht.

Ich bin der Schreiber und Hannibal ist der Feldherr. Dieser knapp 29-jährige Mann wusste bisher immer das Richtige und sicher weiß er es auch heute. Damals, als sein Vater Hamilkar mit Gefolge und Truppen in das südliche Iberien übersiedelte, war Hannibal erst zehn Jahre alt und ich ein junger Mann von knapp 20. Die griechischen Schulen in Karthago ...

Ich muss abbrechen. Der riesige Ultis hat mit zwei Handgriffen unser Zelt einfach vom Boden hochgehoben. Dieser Kerl. »Komm, pack ein, beeil dich!«, treibt er mich an. Im Verhältnis zu seiner mächtigen Gestalt hat er eine ungewöhnlich leise Stimme.

Hannibal befiehlt nach mir! Jetzt, wo doch der Tag schon fast kein Licht mehr hat.

Was geht vor? Ich ...

Silenos

DRITTER TAG

Gepriesen sei Baal Hammon!

Gepriesen sei Zeus!

Und Dank gebührt Hannibal Barkas,

dem großen Feldherrn.

Was für eine Nacht! Was für ein Tag! Noch spät am Abend des zweiten Tages verließ Hannibal mit einem Trupp der besten Männer das Lager. Ohne Marschgepäck, nur mit Waffen für den Nahkampf und Munition für die Schleuderer zogen wir in die Schlucht. Wir sahen kaum die Hand vor Augen. Erst als der halbrunde Mond bleiche Lichtstreifen über den Berg in das Tal schickte, kamen wir besser voran. Die gallischen Späher führten uns sicher wie Hunde, die einer Fährte folgen, die erste Anhöhe hinauf. Unten im Tal brannten unzählige Wachfeuer. Die Feinde sollten glauben, wir hätten ein festes Lager eingerichtet. Kein Stein löste sich unter unseren vorsichtigen Schritten. Wir verständigten uns nur noch mit Handzeichen. Plötzlich duckten sich die Gallier. Sofort folgten alle ihrem Beispiel. Ein Stück weiter oben machten wir fünf Gestalten aus, die sich laut lachend im seltsamen Tonfall ihrer Sprache unterhielten. Hannibal gab den Schleuderern ein Zeichen.

Fünf Männer, alle von den Inseln, krochen vorsichtig aus der Deckung heraus. Im blassen Mondlicht wies der Hordenführer jedem Schleuderer einen der unaufmerksamen Allobroger zu. Zeitgleich erhoben sich unsere Männer und surrend schnitten die wirbelnden Schleudern Kreise in die Nacht. Aufgeschreckt durch das Geräusch hielten die Gegner in ihrer Unterhaltung inne und starrten für einen Moment ratlos zu den wie aus dem Nichts aufgetauchten Kämpfern.

»Jetzt!« Der Befehl kam leise und doch scharf. Die Geschosse verließen die Kreise und von den todbringenden Bleikugeln getroffen, sanken die Barbaren lautlos zu Boden.

Die erste Stellung war eingenommen!

Gut zwei Stunden vor dem ersten Tageslicht am östlichen Horizont waren wir die Herren über die Anhöhen des Passes geworden. Zwei Kuriere jagten zurück ins Lager und schrien in jedes Zelt und alle Unterstände den Befehl zum sofortigen Aufbruch.

Was für ein Tag brach an!

Der enge Schluchtweg war nicht zu erkennen. Wie Schafwolle nach der Schur bauschte sich der Frühnebel tief unter unseren mühelos erkämpften Stellungen. Nur das Wiehern der Pferde, das Brüllen des Viehs, das Knirschen und Schlurfen der Schritte, vermischt mit dem Kläffen der Hundemeute, bewies uns, dass die Marschkolonne durch das Tor zu den Alpen zog.

Auf einem Seitenkamm des Passes erschien die Vorhut der Allobroger. Ihre Pferde bäumten sich erschreckt auf, als der erste Geschosshagel unserer Schleuderer sie empfing. Schnell erkannte der nachrückende feindliche Trupp die veränderte Machtposition und blieb in sicherer Entfernung – weit außerhalb der Reichweite unserer Bleikugeln. Die aufsteigende Sonne trocknete den Nebel aus und legte die ziehende Marschkolonne frei. Längst hatte der Tross den schroffen Einstieg passiert. Die Männer der Nachhut grüßten zu unseren Stellungen hinauf.

Hier oben hatten sich einige Männer des nächtlichen Kommandos auf den mit struppigem Gras und späten Blumen bewachsenen Bergrücken gesetzt und schliefen. Ihre Kurzschwerter hatten sie in den Boden gespießt, die Hände um die Griffe verschränkt und ihre Köpfe steckten zwischen den Armbeugen, wie Vögel ihre Schnäbel im Gefieder verbergen. Wir waren erleichtert, wir hatten den Feind mit unseren Wachfeuern im Tal überlistet.

Der große Feldherr Hannibal stand auf einem Felsblock. Er beschattete die Augen mit der Hand und verfolgte den Zug seiner Armee. Die Unterführer lehnten an den Steinen.

Plötzlich sprang der Feldherr mit einem Satz von seinem Aussichtspunkt herunter. »Mitkommen!«, befahl er den Führern. In großen Schritten stürmte er die Anhöhe noch weiter hinauf. Sein ausgestreckter Arm zeigte auf den Weg, der sich aus dem Grund des Tals bis auf die halbe Höhe des Bergrückens heraufwand und dort am Abhang weiterverlief. Und genau oberhalb dieser Stelle hatten sich die Allobroger zusammengerottet!

Unsere Marschkolonne zog sich auseinander – der Pfad wurde schmal. Die Tiere mussten eins hinter dem anderen hertrotten, die Zehnerreihen der Fußtruppen waren gezwungen, in einer Kette von je zwei Mann zu marschieren.

Dann polterte die erste Steinlawine der Feinde auf die Marschkolonne nieder. Die Brocken rissen die Männer von ihren Pferden. Verwundete Tiere bäumten sich auf, wendeten und galoppierten in die nachfolgenden Soldaten und Tiere hinein. Wieder wirbelten Hufe. Männer und Tiere stürzten den Steilhang hinab. Und immer mehr Geröll prasselte auf unsere Reihen hinab. In das entsetzte Geschrei der Verwundeten mischte sich das schrille Wiehern der verletzten Pferde, die jetzt alles niedertrampelten, was sie an der Flucht zurück ins Tal hinderte – bis sie schließlich selbst erschöpft zusammenbrachen, Mensch und Tier mit in den Abgrund rissen.

Hochbeladene Packpferde des Trosses verloren das Gleichgewicht und stürzten hilflos in die Tiefe. Jetzt stürmten die Allobroger mit Siegesgeheul aus ihren Verstecken und schlugen mit Schwertern und Lanzen auf unsere Krieger ein.

Mit entsetzten Gesichtern verfolgten wir aus der Sicherheit unserer Stellung die Panik, die unser Heer ergriff. Von den Bergwänden ringsum hallte das Grauen wider.

»Wenn wir den Tross verlieren, ist alles verloren! Kommt, Männer! Kein Gegner soll sagen: Ich habe die punische Armee vernichtet!« Die Augen des Feldherrn Hannibal glühten und seine Rede peitschte die Männer auf. Schon stürmte er selbst mit gezücktem Schwert und geschmeidig wie eine Wildkatze von der Anhöhe hinunter. Den Tod der Kameraden im Anblick, das hilflose Schreien der Tiere und der Kampfmut ihres Feldherrn – das alles beflügelte die Soldaten des Sondertrupps. Sie prallten von oben herab auf die Gegner und hieben und stachen auf sie ein.

Für einen Augenblick erreichte die Verwirrung einen unfasslichen Höhepunkt – doch dann ergriffen die Krieger der Allobroger die Flucht. Die wenigen Überlebenden warfen ihre Waffen weg und verschwanden zwischen Hügeln und Felsen oder sie tauchten im Unterholz der dicht bewachsenen Seitentäler unter.

Hannibal befahl der Marschkolonne, ohne Rast hinauf bis zur Passhöhe zu ziehen und dort ein Lager aufzuschlagen. Für den großen Feldherrn war der Kampftag noch nicht zu Ende. Mit mehr als 400 Reitern machte er sich auf und jagte über den Pass zum nahen Ort, in dem die Allobroger ihr Standquartier aufgeschlagen hatten. Mit Kampfgeschrei fielen unsere Männer über die Häuser und Gehöfte her. Doch kein Bewohner, kein feindlicher Krieger war hier zurückgeblieben. Unsere Soldaten verwüsteten die Behausungen der Allobroger und erbeuteten Schlachtvieh und Korn – genug Vorrat, das gesamte Heer drei Tage lang zu versorgen.

Abgekämpft, aber siegreich erreichte Hannibal zusammen mit dem Stoßtrupp und der Beute in den frühen Nachmittagsstunden den Lagerplatz auf der Passhöhe. Die Männer sanken erschöpft auf den weichen Boden neben den Zelten.

Silenos, Schreiber des Hannibal Barkas

Tagebuchnotiz des dritten Tages

Ich kann den plötzlichen Frieden der Landschaft unter mir immer noch nicht fassen. In den letzten Sonnenstrahlen leuchten die Blätter herbstlich in bunten Farben. Das weite Tal auf der anderen Seite des Passes erstreckt sich breit und einladend. Ein Fluss schlängelt sich durch die Ebene und meine Augen wandern seinen Lauf hinauf Ein vorspringender Gebirgszug lässt den Blick auf das Tal nicht mehr zu, versteckt die Ebene hinter einer Biegung und erst weit hinten am östlichen Horizont blitzen die Krallen der hohen Alpen.

Vor dem Zelt schlafen meine Gefährten. Hassan liegt auf der Seite. Mit der rechten Hand umklammert er sein Amulett. Und Ultis schnarcht, den Mund weit geöffnet. Mit seinen ausgestreckten Armen und Beinen – die Brust hebt und senkt sich – sieht er aus wie ein lebender Muskelberg. Sie sollen schlafen! Während der zäh verrinnenden Nacht und dem blutigen Tag haben sie unermüdlich gekämpft.

Wenn ich meine Augen schließe, dann quälen mich die Bilder von verwundeten Männern und aufgerissenen Tierleibern, dann dröhnt mir das Sterben noch in den Ohren.

Soeben war Hannibal hier. Er setzte sich neben mich und studierte meinen Tagesbericht.

»So ist es richtig, Silenos. Jeder soll erfahren, wie heldenhaft und kühn wir den Pass bezwungen haben.« Er legte mir anerkennend die Hand auf die Schulter. »Ihr Griechen seid ein Volk der Künste und Dichter Ich bin froh, dass du mein Schreiber bist.« Damit ging er weiter von Zelt zu Zelt und sprach den Soldaten Mut zu. Er sparte nicht mit Lob und Anerkennung.

So schafft er es immer. Selbst die Verwundeten, die sich noch zum Lager hinaufschleppen konnten, lächeln dankbar, wenn er mit seiner klaren Stimme zu ihnen spricht.

Ja, auch ich spürte eine heiße Welle des Stolzes, als er meinen Bericht lobte. Und doch habe ich hastig meine persönlichen Aufzeichnungen vor ihm versteckt. Mich quält ein Schuldgefühl, weil ich nicht die ganze Wahrheit über den heutigen Tag geschrieben habe. Kein Wort von den erschreckenden Verlusten, mit denen wir dieses kurze Wegstück bezahlt haben, keine Zahl habe ich in dem Bericht erwähnt. Das Gerücht wird von Zelt zu Zeltgeflüstert: In der zurückliegenden Schlucht ist der Aufstieg übersät mit mehr als 3000 Toten aus unseren Reihen, von den Tieren gar nicht zu reden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960530916
Dateigröße
847 KB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
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