Lade Inhalt...

Internat Sternenfels - Band 3: Die Vollmondparty

©2016 146 Seiten

Zusammenfassung

Spaß und Abenteuer garantiert! Sissi Flegels erfolgreiche Jugendbuch-Trilogie „Internat Sternenfels“ – jetzt als eBooks bei jumpbooks.

Die Wunderbar-Clique bekommt eine neue Mitbewohnerin: Rosi Rosini. Eigenwillig, fast schon ein bisschen verrückt – Rosi ist wirklich ein schräger Vogel: Sie hat ihr eigenes Buchstabensystem entwickelt, und beim Rechnen verwendet sie statt der Zahlen ihre eigenen Zeichen. Trotzdem verstehen Nina, Sakiko und Co. sich sofort richtig gut mit ihr. Aber dass man sich mit so viel Eigenart nicht nur Freunde macht, ist klar – und so ist Streit vorprogrammiert …

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Internat Sternenfels: Die Vollmondparty“ von Sissi Flegel. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Die Wunderbar-Clique bekommt eine neue Mitbewohnerin: Rosi Rosini. Eigenwillig, fast schon ein bisschen verrückt – Rosi ist wirklich ein schräger Vogel: Sie hat ihr eigenes Buchstabensystem entwickelt, und beim Rechnen verwendet sie statt der Zahlen ihre eigenen Zeichen. Trotzdem verstehen Nina, Sakiko und Co. sich sofort richtig gut mit ihr. Aber dass man sich mit so viel Eigenart nicht nur Freunde macht, ist klar – und so ist Streit vorprogrammiert …

Über die Autorin:

Sissi Flegel, Jahrgang 1944, hat neben ihren Romanen für erwachsene Leser sehr erfolgreich zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, die in 14 Sprachen erschienen sind und mehrfach preisgekrönt wurden. Die Autorin ist verheiratet und lebt in der Nähe von Stuttgart.

Bei jumpbooks erschienen Sissi Flegels Jugendbuch-Trilogie Internat Sternenfels mit den Einzelbänden Wilde Hummeln, Die Superhexen und Die Vollmondparty sowie folgende Kinderbücher:

Gruselnacht im Klassenzimmer

Bühne frei für Klasse Drei

Wir sind die Klasse Vier

Klassensprecher der Spitzenklasse

Klassensprecher auf heißer Spur

Klassensprecher für alle Fälle

Wir sind die Klasse Fünf

Klasse Fünf und die Liebe

Mutprobe zum Morgengrauen

Die Autorin im Internet: www.sissi-flegel.de

***

eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright © der Originalausgabe 2001 Thienemann Verlag, Stuttgart/Wien

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-037-4

***

Damit der Lesespaß sofort weitergeht, empfehlen wir dir gern weitere Bücher aus unserem Programm. Schick einfach eine eMail mit dem Stichwort Die Vollmondparty an: lesetipp@jumpbooks.de

Gerne informieren wir dich über unsere aktuellen Neuerscheinungen – melde dich einfach für unseren Newsletter an: http://www.jumpbooks.de/newsletter.html

Besuch uns im Internet:

www.jumpbooks.de

www.facebook.com/jumpbooks

https://twitter.com/jumpbooksverlag

www.youtube.com/jumpbooks

Sissi Flegel

Internat Sternenfels

Band 3: Die Vollmondparty

jumpbooks

Internat Sternenfels

Internat Sternenfels ist ein besonderes Internat. Dort leben jeweils fünf bis acht Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersstufen miteinander in einer Wohngemeinschaft. Immer ein Lehrer oder eine Lehrerin hat dort eine eigene kleine Wohnung und ist somit Vater- oder Mutterersatz. Gemeinsam benutzen die Lehrer und Schüler einen Aufenthaltsraum mit einer kleinen Kochnische.

Eine der Wohngemeinschaften heißt Wunderbar, weil Andreas, der zuständige Lehrer, bei jeder sich bietenden Gelegenheit »wunderbar« sagt. Er ist fröhlich, unkompliziert, direkt – und er liebt seine Leute. Deshalb nennen sie ihn auch ihr Ein und Alles.

Außer seinen Schutzbefohlenen Aldo, Nina, Naomi, Sakiko und Cheerio sind auch noch ständig irgendwelche anderen Sternenfels-Leute in dem Gemeinschaftsraum der Wunderbar anzutreffen. Kein Wunder, denn nirgendwo sonst auf Sternenfels gibt's so guten Tee und nirgendwo sonst im ganzen Internat tobt so sehr das pralle Leben wie hier.

Aldo ist der Älteste in der Wohngemeinschaft und geht bereits in die Zehnte.

Seine Schwester Nina kam im letzten Herbst neu dazu und teilt mit der elfjährigen Irin Naomi das Zimmer. Die beiden sind in derselben Klasse.

Sakiko, die Tochter einer Japanerin und eines Deutschen, geht in die Siebte. Sie ist mit Irene aus einer anderen Sternenfels-WG befreundet.

Irene hat durch einen Unfall ein Bein verloren und erst im Internat wieder ein wenig von ihrer alten Selbstsicherheit und Lebenslust zurückgewonnen. Im nächsten Schuljahr darf sie endlich zu Sakiko in die Wohngemeinschaft umziehen. Bis dahin ist Irene tagsüber meist sowieso bei den Mädchen in der Wunderbar und abends trainiert sie seit einiger Zeit eisern mit Heiner aus der Elften.

Curt, von allen nur Cheerio genannt, macht als Fünfter die Mannschaft von Andreas komplett. Keiner ist am Computer so fit wie er, aber mit Zahlen steht er auf Kriegsfuß. Nur dem Einsatz von Nina und Naomi hat er es zu verdanken, dass er vor kurzem nicht vom Internat flog. Er war dabei erwischt worden, wie er sich heimlich den Computerausdruck der nächsten Mathearbeit beschafft hatte.

Ach ja, fast wäre Zilga nicht erwähnt worden, dabei ist sie kaum zu übersehen mit ihren rabenschwarzen Klamotten. Früher hatte sie außerdem noch schwarze Haare, die wie Spikes vom Kopf abstanden, dunkel umrandete Augen, ein weiß geschminktes Gesicht, blutrote Lippen und schwarz lackierte Fingernägel. Zilga besucht als Externe das Internat, das heißt, sie wohnt in der nahen Kleinstadt bei ihrer Oma und kommt jeden Morgen nach Sternenfels, um am Unterricht teilzunehmen. Sie hatte es bisher nicht leicht im Leben, doch zum Glück lernte sie Aldo kennen. Die beiden verliebten sich ineinander und die Liebe dauert und dauert. Deshalb ist Zilga inzwischen schon fast zum Dauergast in der Wunderbar geworden. Zum Ausgleich dafür beherbergt Zilgas Oma Naomis bissige Schildkröte Piccolo, da im Internat Sternenfels Haustiere streng verboten sind.

1

»Es ist Hochsommer, die Sonne knallt vom Himmel und ausgerechnet ich muss die Grippe haben«, krächzte Nina und kroch tief unter ihre Decke. Sie fror, gleichzeitig war ihr glühend heiß, der Hals tat weh, die Augen tränten und die Nase lief.

Naomi wickelte ein Hustenbonbon aus und hielt es ihr vor die Nase.

Cheerio fragte: »Willst du den neuesten Witz hören? Er geht so: Kommt ein Mann in 'ne Bar ...«

»Lasst mich in Ruhe!« Nina zog die Decke noch höher. »Macht die Tür hinter euch zu!«

»Dich hat's aber bös erwischt.« Naomi legte das Bonbon auf den Nachttisch. »Komm, Cheerio.«

Behutsam schlossen sie die Tür.

»Ach, da seid ihr ja!«, rief Andreas, Lehrer, Ersatzvater und Ein und Alles für die Leute in seiner Wohngemeinschaft, über den Flur. »Wie geht es Nina?«

»Schlecht«, antwortete Naomi. »Sie will nichts sehen und nichts hören.«

»Kann ich verstehen. Mir ging's genauso, als ich die Grippe hatte.« Er schnäuzte sich. »Ich muss mit euch reden. Wir treffen uns nach dem Abendessen in der Wunderbar.«

Wunderbar hieß nicht nur die WG, sondern auch das große gemeinschaftliche Wohnzimmer darin, mit der kleinen Kochnische. Sie war gleichzeitig Treffpunkt, Aufenthaltsraum und Mittelpunkt im Leben von Nina und Naomi, Sakiko, Cheerio, Aldo und deren Freunde.

»Worum geht's?«, wollte Naomi wissen.

»Um unsere Wunderbar«, antwortete Andreas knapp. »Am besten, ihr ladet auch Zilga, Irene, Raffi und Solveigh ein. Servus, bis später!«

»Die müssen wir nicht extra einladen, die kommen sowieso!«, rief Cheerio ihm nach und sagte zu Naomi: »Was meint er mit: ›Es geht um unsere Wunderbar‹? Wir haben nichts angestellt, es sind nur noch zwei Tage bis Schuljahresende – was will er nur von uns?«

Naomi runzelte die Stirn. »Keine Ahnung. Was Gutes kann's nicht sein, so, wie Andreas aussah und wie seine Stimme klang.«

Cheerio nickte bekümmert, hob die Schultern, als wäre ihm kalt, und verschwand in seinem Zimmer.

Nina schlief.

Sie verschlief den Vormittag, sie verschlief das Mittagessen, sie hörte nicht, wie Naomi, die mit ihr das Zimmer teilte, am Nachmittag hereinkam, eine Kanne Pfefferminztee und einen Teller mit belegten Broten neben ihr Bett stellte und den Gymnastikanzug und die Turnschuhe holte. Sie bemerkte auch nicht, dass Sakiko und Zilga nach ihr schauten und wieder leise verschwanden.

Erst als jemand eine Tür zuknallte, schreckte sie auf – und fühlte sich plötzlich viel gesünder.

Sie schniefte probehalber: Die Nase war ziemlich trocken.

Sie schluckte versuchsweise: Der Hals tat nicht mehr weh.

Sie hustete zur Probe: Alles in Ordnung.

»Super!«, rief sie ins leere Zimmer, lauschte, sprang aus dem Bett und schaute auf die Uhr. Kein Wunder, dass es so ruhig ist, dachte sie, alle sind beim Abendessen.

Was hab ich doch für einen Hunger, dachte sie erfreut, goss Tee ein, griff nach dem Teller mit Broten und machte es sich am Fenster gemütlich.

Kauend schaute sie auf den Hof hinunter. Der Brunnen plätscherte und die große Tanne warf einen langen Schatten. Jetzt hastete eine einsame Gestalt die wenigen Stufen zum Pavillon, in dem sich der Speisesaal befand, hinauf und verschwand darin.

Nina griff nach dem nächsten Brot und wackelte vergnügt mit den nackten Zehen. Morgen bin ich wieder dabei, dachte sie erleichtert und sprang auf, als nach wenigen Augenblicken absoluter Stille das Geräusch von Stühlerücken und Geschirrklappern durch die offenen Fenster bis zu ihr heraufdrang.

Sie schaute hinaus, entdeckte Naomi und Sakiko, pfiff gellend durch die Finger und winkte heftig.

Die beiden sahen auf, winkten zurück, rannten los und platzten wenig später ins Zimmer.

»Du bist ja wieder gesund!«, rief Sakiko.

»Wird auch Zeit«, fügte Naomi hinzu. »Du musst dich sofort anziehen. Wir treffen uns in der Wunderbar.«

»Warum?«

»Keine Ahnung. Andreas will mit uns reden.«

»Ich hab nichts ausgefressen«, stellte Nina fest und schlüpfte in die Sandalen. »Muss nur noch die Haare zusammenbinden. So.«

Dann marschierten sie los.

Zu ihrer Überraschung wartete Andreas bereits. Er hatte Saft und Kekse bereitgestellt und hielt nun die Tür auf »Bis auf Raffi und Irene sind alle da ... Ah, da kommen sie. Jetzt sind wir vollzählig.«

Nina, Naomi und Sakiko saßen auf dem Sofa. Aldo und seine Freundin Zilga teilten sich den einen Sessel, Cheerio und Solveigh den zweiten und Raffi und Irene setzten sich auf den Fußboden.

Andreas zog einen Stuhl heran und räusperte sich. »Tja, was ich zu sagen habe, ist ziemlich unangenehm. Für mich, für euch, aber auch für Herrn Siegmund, der einen Gruß bestellen lässt und euch bittet, zunächst in Ruhe zuzuhören, dann zu überlegen und erst ganz zum Schluss zu urteilen.«

»Himmel!«, rief Nina. »Ist eine Seuche ausgebrochen? Wird die Wunderbar geschlossen?«

»Oder kommst du nach den großen Ferien nicht mehr zurück, Andreas?«, wollte Cheerio wissen. »Das wäre ein Hammer!«

»Nein, nein, darum geht's nicht«, versicherte Andreas.

»Komm zur Sache«, piepste Raffi und wurde rot, als alle lachten. »Sagt meine Ma immer zu mir«, verteidigte er sich. Raffi war der Jüngste in ihrem Kreis. Zu Anfang des Schuljahres hatte er dermaßen unter Heimweh gelitten, dass er, um wieder nach Hause zu dürfen, zu den abwegigsten Methoden gegriffen hatte.

Schließlich hatte sich Irene seiner angenommen. Er war ihr Schützling geworden und nun hielt er es endlich auf Sternenfels aus.

Andreas sah ihn an, seufzte und meinte: »Es geht auch um dich, Raffi.«

»Um mich? Aber ich bin doch in einer anderen WG«, antwortete er verblüfft. »Darf ich zu euch ziehen? Mann, das wäre super!«

»Nein, leider nicht. Es ist so: Unser Direktor, Herr Siegmund, hatte Besuch von Eltern, die eine sehr, äh, schwierige Tochter haben.«

»Sie ist abartig«, stellte Zilga nüchtern fest. »Was ist es? Nimmt sie Drogen? Klaut sie? Ist sie magersüchtig? Fliegt sie von ihrer Schule?«

»Ja, sie muss ihre Schule verlassen. Aber nicht aus den Gründen, die du genannt hast, Zilga.«

»Wieso sonst? Etwas Schlimmeres gibt's doch nicht.«

»Es sind andere Gründe. Das Mädchen ist ... es ist sehr phantasievoll.«

»Phantasievoll?«, wiederholte Aldo gedehnt. »Das heißt im Klartext: Sie spinnt. Ist plemplem. Hat 'ne Meise. Was hat das mit uns zu tun?«

»Erstens: Sie spinnt nicht. Sie hat wirklich nur sehr viel Phantasie. Sie ...«

»Wie äußert sich das?«, fragte Naomi. »Normalerweise ist es doch gut, wenn man Phantasie hat. Dann schreibt man gute Aufsätze. Bei mir heißt es immer: ›Du könntest mehr Phantasie entwickeln, Naomi.‹« Wieder lachten alle. »Also was tut sie? Werd endlich konkret, Andreas. Oder darfst du keine Geheimnisse ausplaudern?«

»Es ist kein Geheimnis. Das Mädchen, Rosine heißt es, hat seine Lehrer ziemlich gestresst, nein, eigentlich hat es sie zur Weißglut getrieben. Rosine hat nämlich festgestellt, dass es leichter und spannender ist, alle Wörter kleinzuschreiben. Im Deutschen und in den Fremdsprachen. Zuerst musste sie alle Arbeiten nachschreiben. Das tat sie auch – jedoch ohne die Schreibweise zu verändern.«

»Echt? In den Klassenarbeiten?«, fragte Solveigh. Es war das erste Mal, dass sie den Mund aufmachte. Solveigh war schüchtern und meistens schwieg sie. »Dazu gehört Mut«, meinte sie bewundernd. »Ich würde das nie tun. Ich könnte das gar nicht.«

»Um die Sache kurz zu machen: Das Ende vom Lied war, dass sie schließlich keine Arbeiten mehr mitschrieb und deshalb in manchen Fächern keine Noten und kein vollständiges Zeugnis bekommen wird. Wie sollte man sie auch benoten können? Also muss sie nun das Schuljahr wiederholen, doch in ihrer alten Schule geht das nicht mehr. Wie gesagt, die Lehrer dort haben die Nase voll von ihr.«

»Aha«, folgerte Aldo weise. »Deshalb haben sich ihre Eltern nach einem Internat für schwierige Fälle umgeschaut und Sternenfels entdeckt.«

»Und weil Herr Siegmund ein Herz für hoffnungslose Fälle hat, hat er gesagt, er versucht's mit ihr, stimmt's? So war's bei mir auch«, sagte Cheerio.

»Herr Siegmund ist bereit, das Mädchen probeweise aufzunehmen. Allerdings nur, wenn sie versichert, sich der gängigen Rechtschreibung anzupassen«, antwortete Andreas.

»Das ist nett von ihm«, meinte Nina. »Und wo kommen wir ins Spiel? Ich meine, wir und die Wunderbar?«

Jetzt fuhr sich Andreas mit allen zehn Fingern durch die Haare. »Herr Siegmund hat sich sämtliche Wohngemeinschaften durch den Kopf gehen lassen und festgestellt, dass das Mädchen wohl am ehesten bei uns eine Chance hätte.«

»Hab ich mir gleich gedacht!«, rief Cheerio. »Wir gelten auch als verrückt und spinnert, stimmt's, Andreas?«

Der nickte. »Ist das ein Wunder? Nach allem, was ihr euch geleistet habt.«

»Wieso? Was habt ihr euch denn geleistet?«, wollte Raffi wissen.

»Och, eigentlich nichts Besonderes«, antwortete Nina ausweichend.

Aldo und Zilga lachten. »Nö, da gab's wirklich nichts Besonderes! Nur, dass Naomi sich eine bissige Schildkröte als Zimmer- und Schlaftier hielt, was streng verboten ist, und dass sie und Nina heimlich Judo lernten, um die Großen verprügeln zu können, und dass Cheerio ...«

»Willst du wohl den Mund halten!«, fuhr der dazwischen.

»Wieso? Ich wollte ja nur berichten, wie du uns jeden Tag ein Puzzlestückchen geschickt hast«, antwortete Zilga und zwinkerte ihm zu.

»Ach ja! Und was war mit euren Zauberkunststückchen und den Hexensprüchen? Und dem nächtlichen Abseilen und so?«

»Jetzt haltet aber den Mund!«, rief Aldo warnend.

Andreas grinste. »Ich sehe, Herr Siegmund hatte Recht: Das Mädchen könnte zu euch passen.«

»Vielleicht. Aber er hat etwas übersehen – bei uns ist zwar ein Bett frei, aber das ist für Irene reserviert«, sagte Naomi, die immer sehr geradlinig und praktisch dachte. »Im kommenden Schuljahr zieht sie zu uns; so ist das ausgemacht.«

2

»Stimmt! Nach den Ferien, zieht Irene hier ein.« Nina sprang auf. »Soll sich doch 'ne andere WG über diese saure Rosine den Kopf zerbrechen. Wir sind komplett. Sorry, alles besetzt.«

»Das sagte ich auch zu Herrn Siegmund. Ich erklärte ihm, dass das freie Bett in Sakikos Zimmer für Irene reserviert ist.«

Irene runzelte die Stirn. »Soll sich daran was ändern?«

»Ja«, antwortete Andreas bedrückt. »Herr Siegmund will etwas daran ändern. Er weiß, dass du dich um Raffi kümmerst, und schlägt vor: Du bleibst in deiner WG, Raffi zieht zu dir und diese Rosine bekommt das zweite Bett in Sakikos Zimmer.«

»Waaas« Das verschlug allen die Sprache.

»Ausgeschlossen. Ein Versprechen bricht man nicht«, sagte Naomi sachlich.

»Eben!«, rief Nina empört. »Man muss zu seinem Wort stehen!«

Solveigh schob die feinen blonden Haare hinters Ohr. »Wenn Irene nicht in eure WG zieht, kann ich statt der Neuen kommen. Das wäre schön.« Sie kuschelte sich eng an Cheerio.

»Langsam, langsam«, rief Zilga. »Andreas, bevor wir weiterdiskutieren, musst du uns sagen, ob wir eigentlich Entscheidungsfreiheit haben oder ob Herr Siegmund schon alles beschlossen hat und wir uns umsonst den Mund fusslig reden.«

»Wir können selbst entscheiden«, antwortete Andreas. »Herr Siegmund ist sich bewusst, dass er Irene ein Versprechen gegeben hat. Deshalb bittet er sie – und uns alle –, die Sache mit Rosine nochmals zu überdenken.«

»Warum soll immer ich solche Entscheidungen treffen?«, rief Irene hitzig. »Damals bei dir, Cheerio, rutschte ich auch ohne mein Zutun in den Schlamassel mit deinen Eltern. Damals hieß es: Entweder spenden sie mir Geld für ein neues Kunstbein, dann bleibst du auf Sternenfels, oder –«

Andreas hob die Hand. »Beruhige dich, Irene. Du sollst die Entscheidung nicht alleine treffen. Glaubst du vielleicht, ich bin glücklich über diese Sache? Jetzt, wo wir uns endlich zusammengerauft haben, sollen wir wieder von neuem beginnen. Nein, ich bin echt nicht begeistert.«

Raffi hob die Hand, langsam, zögernd. »Wenn Irene in die Wunderbar zieht, wo wohne dann ich?«, fragte er nachdenklich.

»Du bleibst in deiner alten WG«, antwortete Aldo. »Wo liegt das Problem?«

»Aber wenn Irene in ihrer WG bleibt, darf ich zu ihr ziehen. Ist das so?«, fuhr er fort.

»Ja, so ist das.«

Raffi nickte. »So ist das«, wiederholte er. Plötzlich füllten sich seine Augen mit Tränen.

»Was ist, Raffi? Wir bleiben doch zusammen«, sagte Irene.

Raffi schüttelte den Kopf und schluchzte: »Stimmt nicht. Wenn du erst mal hier wohnst, hast du für mich keine Zeit mehr. Dann bist du immer mit Sakiko, Zilga, Nina und Naomi zusammen.«

»Du kannst jederzeit zu uns kommen«, meinte Andreas beruhigend. »Das weißt du doch.«

»Das ist was anderes.«

Irene fuhr ihm über die Haare. »Es ist was anderes«, wiederholte sie bedrückt. »Niemand weiß das besser als ich.«

»Ich wohne doch auch nicht in der Wunderbar«, warf Zilga ein. »Ich bin eine Externe.«

»Als Externe wohnst du aber auch nicht in einer anderen WG«, gab Naomi zu bedenken. »Du pendelst nur zwischen deiner Oma und uns. Das ist einfacher, als wenn du dich immer noch mit einer weiteren WG auseinander setzen musst.«

Sie schwiegen.

Raffi schniefte. Andreas reichte ihm ein Taschentuch, schaute auf die Uhr und meinte: »Raffi, du musst ins Bett. Du bist hier der jüngste.«

Gehorsam rappelte Raffi sich vom Boden auf und ging zur Tür. Klein, dünn und sehr verloren stand er da, drehte sich noch einmal um und fragte: »Kommst du mit, Irene?«

Schon wollte sie ihm folgen, da überlegte sie es sich anders. »Raffi, heute gehst du alleine. Morgen früh hole ich dich ab, ja?«

»Versprochen?«

»Versprochen.«

Er nickte. »Gute Nacht.«

Sie hörten seine Schritte auf der Treppe.

»Dass das klar ist, Irene«, sagte Aldo, »das Ganze ist nicht allein dein Problem. Es ist auch unseres. Wollen wir uns überhaupt auf eine Neue einlassen?«

Irene hob abwehrend die Hände. »Ich habe mich entschieden. Raffi ist noch längst nicht überm Berg. Er braucht mich.« Nach kurzem Zögern setzte sie hinzu: »Und ich find's schön, dass er mich braucht. Ihm macht es nichts aus, dass ich nur ein Bein habe und nicht überall mitmachen kann.«

»Uns macht das auch nichts aus«, warf Zilga rasch ein. »Ja. Das sagt ihr. Aber ihr, ihr nehmt eben ... Rücksicht.«

»Na und? Warum stört dich das? Es wird immer Leute geben, die Rücksicht auf dich nehmen.«

»Stimmt. Genau das ist es ja.« Mühsam stand sie auf »Ich fand's aber anständig von Herrn Siegmund, dass er sich an sein Versprechen erinnert hat. Sag ihm das, Andreas. Bis morgen.«

Leise fiel die Tür ins Schloss.

»Mein Gott, wie ich diese Rosine hasse«, sagte Naomi. »Und Herrn Siegmund. Und dich, Andreas. Warum hast du nicht einfach gesagt, es geht nicht? Es war doch alles schon abgemacht.«

»Warum hast du nicht an mich gedacht, Andreas?«, fragte Solveigh.

Andreas rieb sich die Augen. Müde sagte er: »Ich denke, wir verschieben die Entscheidung. Noch einen Tag haben wir Zeit.«

Sie nickten.

Doch dann fragte Cheerio: »Warum eigentlich? Irene hat sich entschieden. So, wie ich sie kenne, bleibt sie dabei.«

»Stimmt«, bestätigte Solveigh eifrig. »Also ziehe ich zu euch. Ist doch besser als 'ne verrückte Neue.«

Andreas schaute in seinen leeren Saftbecher. »Das, liebe Solveigh, ist nicht meine Entscheidung. Das musst du mit Herrn Siegmund besprechen.«

Solveigh, zart, blond, sehr süß, legte ihre Arme um Cheerios Hals. »Hilfst du mir? Kommst du mit?«

Cheerio wurde rot und murmelte Unverständliches.

Zilga lachte spöttisch.

Da sagte Sakiko langsam und sehr betont: »Du fragst mich gar nicht, ob's mir recht ist, Solveigh. Was ist, wenn ich dich nicht in meinem Zimmer haben will?«

»Das ... das ... Du kannst doch nicht ... Aber es ist dir doch recht«, stammelte Solveigh.

»So? Hab ich das gesagt?« Sakiko stand auf, schritt zur Tür, öffnete sie und knallte sie mit Wucht hinter sich zu.

»Leute, geht ins Bett und versucht zu schlafen. Morgen sieht alles anders aus. Hoffentlich!« Andreas sammelte die Becher ein und stellte den Saft in den Kühlschrank. »Was ist nur aus unserer schönen Gemeinschaft geworden!«

3

Vor dem Frühstück trafen sie einen strahlenden Raffi, der vergnügt neben Irene herhüpfte und ihnen von weitem zuschrie: »Wir ziehen zusammen! Irene und ich! Sie kommt nicht zu euch!«

»Fehlt nur noch, dass er ›Ätsch!‹ brüllt«, knurrte Nina und sagte zu Irene, die unglücklich und so müde aussah, als hätte sie kaum geschlafen: »Hast du dir auch genau überlegt, was du tust? In ein paar Monaten hat sich der Kleine endgültig an Sternenfels gewöhnt, zieht einen Kumpel an Land und will nichts mehr von dir wissen. Du als Ersatzmutter – also ehrlich! Mir würde das stinken.«

»Nur stinken?!«, fuhr Naomi dazwischen. »Du kriegst die Krise, Irene. Zuerst frisst dich der Kleine auf und dann, wenn er dich nicht mehr braucht, stehst du alleine da. Komm zu uns.«

Störrisch schüttelte Irene den Kopf.

Sie setzten sich. Irene bestrich ein Brot mit Butter und Honig und schob Raffi den Teller zu.

»Da kommt Solveigh«, verkündete Raffi und leckte sich Honig vom Finger.

»Ach du grüne Neune!« Nina verdrehte die Augen. Raffi legte das Brot auf den Teller zurück. »Wow«, sagte er andächtig. »Die ist schön, was?«

Naomi sprang vom Stuhl und winkte Sakiko, die sich suchend nach einem Platz umsah.

Sakiko nickte und steuerte, einen Becher Saft und einen Apfel in der Hand, eiligst auf sie zu. »Habt ihr Solveigh gesehen?«

»Nur aus der Ferne. Aber das hat mir gereicht«, antwortete Nina.

»Sie hat sich ein komplettes Make-up ins Gesicht gekleistert. Und das in aller Frühe und am vorletzten Schultag. Möchte wissen, was sie vorhat.«

»Das kann ich dir sagen«, antwortete Irene. »Erstens will sie Herrn Siegmund rumkriegen und zweitens Cheerio beeindrucken. Der ist ja total hin und weg von ihr.«

Naomi nickte bekümmert. »Wenn ich sehe, wie triefig er sie anhimmelt, würd ich am liebsten ein neues Rezept aus unserem Hexenbuch zusammenmischen, Sakiko.«

»Was glaubst du, an was ich heute Nacht gedacht habe?« Sakiko zwinkerte ihren Freundinnen verschwörerisch zu. »Übrigens habe ich entdeckt, dass es einen zweiten Band gibt. ›Hexereien für Fortgeschrittene‹ heißt er. Kostet neunzehn Mark fünfzig. Meine Mutter –«

»Pst!« Nina stieß sie an. »Sie kommt!«

»Ich suche Cheerio«, flötete Solveigh. »Wisst ihr, wo er ist?«

Sakiko ließ den Apfel sinken.

Nina verschluckte sich.

Naomi hustete. »Der lässt das Frühstück ausfallen.«

»Ist er krank?«

Naomi nickte ernst.

»Was fehlt ihm?«

»Er hat sich den Magen verdorben. Entweder ist ihm dein Lippenstift nicht bekommen oder die Creme, die du dir ins Gesicht kleisterst.«

»Könnte auch dein Lidschatten gewesen sein, der enthält bestimmt jede Menge Quecksilber, so silbrig, wie der schimmert.«

»Ich hab ihm gesagt, er muss beim Küssen vorsichtiger sein«, meinte Naomi. »Ist ja deine Sache, wenn DU dir die Haut ruinierst; aber warum soll ER unter deinem Gift auch noch leiden?«

Solveigh riss erschrocken die Augen auf. »Wieso Gift? Ich verstehe nicht –«

Da dämmerte ihr plötzlich, dass sie auf den Arm genommen wurde; sie drehte sich wortlos um und verließ den Speisesaal.

Ein Zwölfer, der am Nebentisch saß, meinte hingerissen: »Süß sieht die Kleine aus, was? Werd mich im nächsten Schuljahr mal um sie kümmern.«

Sakiko legte die Hand auf seinen Arm. »Junge, damit tust du uns einen großen Gefallen.«

Der Junge stutzte: »Warum?«

Sakiko antwortete bekümmert: »Du weißt ja, sie ist noch nicht lange auf Sternenfels. Klar, sie fühlt sich ein bisschen einsam und so ...«

»Ach so!« Der junge lachte auf. »Ich fürchtete schon, an der wäre was faul!«

»Faul? Sie ist nur schüchtern.«

»Ja, das sieht man«, antwortete der Zwölfer. »Echt süß ...« Er lächelte versonnen.

Plötzlich sagte Raffi: »Ihr könnt sie nicht leiden, stimmt's? Warum eigentlich nicht?«

Die Mädchen sahen sich an.

Sakiko runzelte die Stirn, zuckte die Schultern.

Irene stand auf. »Wir müssen ins Haus, Raffi.«

Die anderen sahen ihnen nach.

»Raffi hat Recht«, meinte Nina. »Ich mag Solveigh nicht besonders. Habt ihr eine Ahnung, warum das so ist?«

»Ich fand's unmöglich, wie sie sich gestern ins Spiel gebracht hat«, antwortete Sakiko ungewohnt entschieden. »Anstatt uns zu fragen, ob's uns recht ist, sagt sie einfach: ›Dann zieh ich zu euch.‹ Und das, wo sie doch sonst so schüchtern ist!«

»Vielleicht tut sie nur so.« Nina dröselte wie immer, wenn sie nachdachte, ihren Zopf auf und flocht ihn wieder. »Mal sehen, was Herr Siegmund zu allem sagt ...«

Das erfuhren sie am Abend.

Solveigh hätte sich das aufwändige Make-up sparen können. »In Anbetracht der Tatsache, dass ihr beide befreundet seid, du und Cheerio, halte ich ein solches Arrangement lerntechnisch gesehen für wenig sinnvoll«, hatte er lapidar gesagt, und nachdem auch Irene ihm von ihrem Entschluss berichtet hatte, war es klar: Im kommenden Schuljahr würde das Mädchen Rosine in die Wunderbar einziehen.

Jetzt, sechs Wochen später, war es so weit.

Wieder einmal war der Tag der großen Anreise gekommen. Es gab die üblichen Begrüßungsszenen, dann verabschiedeten sich die Eltern von ihren Kindern, wobei diese peinlich darauf achteten, keine großen Emotionen zu zeigen.

Nun saßen Nina und Naomi, Zilga und Aldo, Cheerio und Solveigh und natürlich Sakiko total gespannt in der Wunderbar, warteten auf ihren Lehrer Andreas und auf die Neue, das Mädchen Rosine.

»Wie sie wohl aussieht?«, fragte Nina.

»Keine Ahnung! Wie sieht ein verrücktes Huhn aus?«

»Schräg und abgehoben«, vermutete Zilga. »Wahrscheinlich hat sie einen irren Blick.«

»Und Zuckungen, unkontrollierbare Zuckungen«, ergänzte Aldo. »Ein Kumpel von mir hatte einen Kumpel, dessen Großvater hatte einen verrückten Freund, der war ultra-abartig, der –«

Da ging die Tür auf.

Andreas schob ein Mädchen herein.

»Willkommen in der Wunderbar! Das ist unsere Rosine.«

4

»Rosine. Rosine Rosini«, wiederholte das Mädchen und blieb erst mal stehen. Sie wischte die Handflächen an den Jeans ab und holte tief Luft. »Es stinkt euch, dass ich zu euch komme, was?«

Niemand antwortete. Nina und Naomi waren so verblüfft, dass ihnen nichts einfiel. Cheerio beobachtete das Mädchen und stellte fest, dass sie aufgeregt war; Aldo fand Rosine klein, stämmig und, verglichen mit Zilga, unscheinbar. Nur Sakiko kicherte und meinte: »Kann sein, dass wir das denken.«

Rosine nickte. »An eurer Stelle würd's mir stinken. Mir selbst stinkt's nämlich auch.« Sie schaute kämpferisch in die Runde. »Mir stinkt's, dass ich hierher geschickt wurde.«

»Dann fahr doch am besten gleich wieder nach Hause«, sagte Cheerio.

»Geht nicht«, antwortete Rosine knapp.

»W-w-warum nicht?« Naomi hatte ihre Sprache wieder gefunden.

Rosine zuckte die Schultern. »Private Gründe.«

Andreas zeigte auf den Sessel mit dem abgewetzten Bezug. »Nimm erst mal Platz. Habt ihr schon Tee gekocht?«

»Na klar.« Naomi reichte die Becher herum. »Echt irisch. Ich hab ein ganzes Pfund mitgebracht.«

Rosine blies in den Becher und musterte die Bewohner der Wunderbar. »Mit wem muss ich das Zimmer teilen?«

»Wie bitte?« Sakiko setzte sich kerzengerade hin. »Drei Jahre lang hatte ich ein Zimmer für mich. Jetzt kommst du und fragst, mit wem du das Zimmer teilen musst?! ICH muss es mit dir teilen! Frag mich, ob mir das recht ist!«

»Sag ich doch«, antwortete Rosine. »Wenn ich an eurer Stelle wäre, würd mir ein Neuzugang stinken.«

»Neu-zu-gang«, wiederholte Cheerio genüsslich. »Das Wort merk ich mir. Klingt wie Straf-ge-fan-ge-ner. Oder Voll-zugs-an-stalt.

»Jetzt macht mal einen Punkt«, sagte Andreas energisch. »Nach Sternenfels kommen ständig neue Schüler. Das ist so in einem Internat. Zu einem Internat gehört auch, dass die Bewohner die Neuen mit gutem Willen aufnehmen und dass die Neuen sich bereitwillig integrieren.«

»Und wenn sie's nicht tun?«, fragte Rosine.

Cheerio grinste. »Warum präsentierst du dich eigentlich als ein solches Ekelpaket? Hast du noch nie daran gedacht, dass keiner von uns besonders gern und mit 'ner Wahnsinnsfreude ins Internat gegangen ist? Jeder hatte Heimweh. Jeder stellte sich das Leben in so 'ner Gemeinschaft schwierig vor. Jeder hatte Angst vor dem ganzen Neuen. Aber du – du kommst und meinst, dein ... dein Gefühlsleben sei was ganz Besonderes. Dabei«, er schnaubte verächtlich, »dabei kennen wir das in- und auswendig. Wir wissen, wie es in dir aussieht. Warum? Weil es uns kein bisschen anders ging als dir. Nur – wir haben uns nicht so wichtig genommen.« Er äffte sie nach. »Was ist, wenn ich mich nicht integriere?« Er beugte sich vor. »Ich sag dir was, Rosine: Wenn du schon ins Internat musst, find dich damit ab. Integriere dich schnellstens. Du ersparst dir eine Menge Arger, denn wir sitzen am längeren Hebel. Wir haben uns zusammengerauft, wir wissen, was wir aneinander haben. Aber du – du musst uns erst noch zeigen, was du zu bieten hast. Alles klar?«

»Ich spiele nicht das Ekelpaket. Ich BIN eines«, antwortete Rosine. »Mein Klassenlehrer hat's dir doch geschrieben, Andreas, stimmt's? Garantiert hat der nichts ausgelassen: Rosine ist so und so und so ...« Sie verzog das Gesicht.

»Na und?«, entgegnete Andreas gelassen. »Erstens bilde ich mir meine eigene Meinung. Zweitens bekommt jeder Neue hier eine neue Chance. Drittens hast du das Glück, in der nettesten und verrücktesten Wohngemeinschaft gelandet zu sein, die es auf Sternenfels gibt. Und viertens stimme ich Cheerio voll zu: Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, wie es augenblicklich in dir aussieht. So wie dir ging es jedem. Unterschiedlich ist nur, wie sich der Einzelne nach außen hin präsentiert: schüchtern, verzagt, aufmüpfig oder kämpferisch. Cheerio hat seinen Eintritt ins Internat sehr kreativ gestaltet. Du trittst als Ekelpaket auf.«

Cheerio winkte ab. »Eben. Alles schon erlebt; alles schon mal da gewesen, Kleine.«

Andreas nickte bestätigend. »Beginnen wir noch mal von vorn, Rosine: Willkommen in der Wunderbar!«

Rosine zog die Nase kraus, zögerte – und krächzte widerwillig: »O. k. ... Hallo, ich bin die Neue. Ihr könnt Rosi zu mir sagen.«

»So ist's recht«, meinte Aldo väterlich. »Noch was, Rosi. Sakiko ist eine von uns. Wir stehen voll hinter ihr. Wenn du ihr das Leben schwer machen willst, bekommst du's mit uns zu tun, klar?«

Rosi nickte. Sie sah ziemlich benommen aus, fand Nina.

5

Sakiko spülte die Teebecher und stellte sie ins Fach. Als sie in ihr Zimmer kam, hatte Rosi bereits ihre Kleider und ihre Wäsche in den Schrank gelegt und das Bett bezogen.

Jetzt öffnete sie eine mächtig große Reisetasche, zog etwas Zusammengefaltetes heraus und begann es aufzublasen. Das Ding wurde groß und größer und noch viel größer. Schließlich stöpselte Rosi die Öffnung zu, entwirrte eine Schnur und hängte das Ding mit einem Reißnagel an die Decke.

»Ist das ein Zeppelin?«, fragte Sakiko verwundert.

»Genauer: ein Cargolifter«, antwortete Rosine.

Sakiko trat näher. »So was hab ich noch nie gesehen.«

»Kannst du auch noch nicht gesehen haben. Er steckt noch in der Entwicklungsphase. Mein Vater arbeitet daran mit. In Wirklichkeit ist das Ding 250 Meter lang. Einige Fußballfelder gehen da rein.«

»Wozu braucht man das?«, fragte Sakiko verwundert.

»Sagt doch der Name, oder? Um eine riesige Last von hier nach dort zu befördern«, erklärte Rosi.

Sakiko trat näher. »Was steht denn da? ›Gedanken sind so frei, dass sie nicht mal Flügel brauchen‹«, las sie. »Wer sagt das?«

»Mein Vater«, erklärte Rosi. »Er sagt, wenn man eine ungewöhnliche, völlig neue Idee hat, darf man sie durch kein Wenn und Aber einschränken.«

»Aber ...

»Halt!«, rief Rosi und kicherte. »Kein Aber!«

»He! Du kannst ja lachen!«

»Warum nicht? Manchmal bin ich ein lachendes Ekelpaket.« Neben dem Cargolifter baumelten nun mehrere Schnüre mit durchlöcherten Muscheln von der Decke.

An die Wand pikste sie eine lange, schwarzgraue, papierdünne Schlangenhaut. Schließlich holte sie aus der Reisetasche eine kleine Akkubohrmaschine, eine Schachtel mit Dübeln und Schrauben und – eine Hängematte.

»Was dagegen, wenn ich die aufhänge?«, fragte Rosi und nahm mit den Augen Maß. »Von hier nach da, das würde passen.«

»Wozu brauchst du die Hängematte?«, entgegnete Sakiko verblüfft. »Du schläfst doch im Bett, oder?«

»Zum Nachdenken lege ich mich aber immer in die Hängematte«, erklärte Rosi. »Was ist? Kann ich sie nun aufhängen oder erlaubst du's nicht?«

»Die Hälfte des Zimmers gehört dir«, antwortete Sakiko. »Wenn jemand was dagegen hat, sind's die Putzfrauen.«

»Gut.« Rosi schraubte einen Bohrer ein und presste die Maschine gegen die Wand.

Das Rattern war ohrenbetäubend. Im Nu erschienen sämtliche Bewohner der Wunderbar.

»Was geht hier vor?«, brüllte Andreas. »Bist du wahnsinnig? Frag gefälligst um Erlaubnis, wenn du ...«

»Sie hat mich gefragt«, unterbrach ihn Sakiko. »Ich hab gesagt, die Hälfte des Zimmers gehört ihr. Das stimmt doch, oder?«

»Ja, aber ...« Andreas schüttelte nur noch den Kopf.

»Aber was?«, fragte Rosi. »Was hast du gegen die Hängematte

»Das ist ein toller Gag«, meinte Cheerio. »Wenn sich Sakiko nicht dran stört, brauchst du auch nichts dagegen zu haben, Andreas.«

»Aber die Löcher in der Wand!«

»Dafür hab ich den Fertigkitt.« Seelenruhig hielt Rosi eine Tube in die Höhe.

Andreas verdrehte die Augen.

»Nicht schlecht, unser Neuzugang«, sagte Aldo zu Cheerio. Der hob anerkennend den Daumen.

»Kann ich nun das zweite Loch bohren oder nicht?«, wollte Rosi wissen.

Andreas knurrte Unverständliches und verließ das Zimmer.

»Nur zu«, sagte Cheerio aufmunternd.

Bald baumelte die rot-orange-lilafarbene Hängematte in der Zimmerecke und Rosi verstaute Bohrmaschine und Schachtel wieder in der Reisetasche.

»Für ein richtiges Holidayfeeling fehlen euch nur noch ein paar Palmen«, stellte Naomi fest.

Rosi nickte. »Die werden morgen geliefert.«

»Waaas?«

»'ne Hängematte ohne Palmen ist wie Meerwasser ohne Salz: Es ist nichts. Das weiß doch jeder«, erklärte Rosi ernsthaft. »Mein Vater hat mir extra Geld dafür gegeben.«

Nina kicherte. »Und was ist mit dem Sand? Kommt der gleich mit?«

»Auf den Sand verzichte ich, aber nicht auf die Sonne!« Wieder griff Rosi in die Reisetasche. Ihre Zuschauer beobachteten fasziniert, wie sie eine leuchtend gelbe Plastiksonne aufblies und sie über der Hängematte von der Decke baumeln ließ.

»Schade, dass Piccolo nicht mehr hier ist. Die Schildkröte würde perfekt dazu passen«, stellte Naomi fest.

Rosi drehte sich um. »Sagt mal, ist ein Aquarium im Zimmer erlaubt?«

»Hast du eins in deiner Reisetasche?«, fragte Cheerio lachend.

»Nein. Aber meine Eltern würden mir meines bringen, wenn es ...«

»Was würden dir deine Eltern bringen?« Andreas betrat wieder das Zimmer. »Du liebe Güte!«

»Sie hat noch ein Aquarium«, erklärte Aldo. »Fische bellen nicht, sie beißen nicht, sie machen keine Unordnung. Fische sind die idealen Internatstiere, oder?«

»Tiere jeder Art sind absolut verboten«, sagte Andreas. »Gibt's sonst noch was?«

»Warte auf morgen«, antwortete Cheerio fröhlich. »Morgen, Kinder, wird's was geben!«

6

Rosi schaffte es, innerhalb kürzester Zeit die Aufmerksamkeit der anderen Internatsschüler auf sich zu lenken: Die vorsorglich mitgebrachte Bohrmaschine, die Hängematte, der Riesenzeppelin und die Plastiksonne machten im Internat schnell die Runde. Als dann noch drei – allerdings kleine – Palmen geliefert worden waren, war ihr Ruf gefestigt: Rosi war 'ne Ausnahme, vielleicht war sie tatsächlich verrückt.

Dabei unterschied sie sich äußerlich kaum von den anderen. Sie trug die übliche Kleidung: Turnschuhe, Jeans, T-Shirt.

Sie war so groß wie Nina und Naomi und wie Nina hatte sie dünne, krause, jedoch sehr kurz geschnittene Haare. Sie war ein bisschen füllig und beim besten Willen konnte sie niemand besonders hübsch oder gar schön nennen. Aber komisch: Trotz ihres bestenfalls durchschnittlichen Äußeren fiel sie auf.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960530374
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Kinderbuch ab 8 Jahre Freundinnen Humor Außenseiter Internat Streiche Clique für Mädchen Hanni und Nanni Abenteuer Schloss Einstein eBooks
Zurück

Titel: Internat Sternenfels - Band 3: Die Vollmondparty
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
146 Seiten