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Hotel 13 - Band 2: Das Rätsel der Zeitmaschine

Der Roman zur TV-Serie

©2016 164 Seiten

Zusammenfassung

„Okay“, lenkte Liv ein. „Ich verspreche, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Also in der Vergangenheit, meine ich.“ Dann runzelte sie die Stirn und formulierte ihr Versprechen noch einmal neu: „In Zukunft werde ich in der Vergangenheit vorsichtiger sein!“

Tom, Anna und Liv setzen alles daran, Magellan endlich persönlich zu treffen, während Jack und Richard ihnen weiterhin dicht auf den Fersen sind und ihre eigenen undurchsichtigen Pläne verfolgen. Allmählich entdecken die drei Freunde, dass ihre Sprünge ins Jahr 1927 direkt die Gegenwart beeinflussen und selbst kleine Veränderungen in der Vergangenheit dramatische Folgen haben können. Als Anna auf einer der Zeitreisen in ein Unglück hineinschlittert, steht plötzlich nicht nur ihre Zukunft auf dem Spiel. Wird es den Freunden mit Magellans Hilfe gelingen, die Rätsel der Zeitmaschine im Hotel 13 zu lösen und das Schicksal in die richtige Bahn zu lenken?

Der Roman zur TV-Serie – mehr Informationen im Internet: www.hotel-13.com

Jetzt als eBook: „Das Rätsel der Zeitmaschine“, der Roman zur Serie „Hotel 13“. jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Tom, Anna und Liv setzen alles daran, Magellan endlich persönlich zu treffen, während Jack und Richard ihnen weiterhin dicht auf den Fersen sind und ihre eigenen undurchsichtigen Pläne verfolgen. Allmählich entdecken die drei Freunde, dass ihre Sprünge ins Jahr 1927 direkt die Gegenwart beeinflussen und selbst kleine Veränderungen in der Vergangenheit dramatische Folgen haben können. Als Anna auf einer der Zeitreisen in ein Unglück hineinschlittert, steht plötzlich nicht nur ihre Zukunft auf dem Spiel. Wird es den Freunden mit Magellans Hilfe gelingen, die Rätsel der Zeitmaschine im Hotel 13 zu lösen und das Schicksal in die richtige Bahn zu lenken?

Bei jumpbooks sind bereits die drei folgenden Romane zur TV-Serie HOTEL 13 erschienen:

HOTEL 13: Das Abenteuer beginnt
HOTEL 13: Das Rätsel der Zeitmaschine
HOTEL 13: Wettlauf gegen die Zeit

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eBook-Neuausgabe April 2016

© 2013 Studio 100 Media GmbH

TM Studio 100

Die Druckausgabe wurde herausgegeben von der Panini Verlags GmbH, Stuttgart. Text: Claudia Weber, basierend auf den Drehbüchern zur TV-Serie »Hotel 13« von Dennis Bots, Koen Tambuyzer, Jasper Beerthuis, Elke De Gezelle, Bjorn Van den Eynde, Catherine Baeyens, Hans Bourlon und Gert Verhulst.

www.studio100.de

Copyright © der eBook-Ausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Lektorat: Ray Bookmiller

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © 2013 Studio 100 Media GmbH

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-055-8

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Hotel 13

Das Rätsel der Zeitmaschine

Der Roman zur TV-Serie

jumpbooks

MIT DER POSTKARTE FING ALLES AN

»Verdammt!«, fluchte Tom und warf einen Stein in die Brandung. Dann ließ er sich am Strand nieder und beobachtete die Wellen, die über den feinen, hellen Sand rollten und sich wieder zurückzogen.

Anna setzte sich neben ihn und legte ihre Hand auf seinen Arm.

Tom war dankbar, dass sie in der kurzen Pause, die der Ferienjob im Hotel ihnen ließ, mit ihm durch die Dünen zum Meer gegangen war. Es tat gut, den Wind durch die Haare wehen zu lassen. So würde er wieder einen klaren Kopf bekommen.

»Ich kann nicht fassen, dass die Postkarte weg ist«, sagte Tom. »Seit acht Jahren trage ich sie nun mit mir herum, passe auf, dass niemand sie zu Gesicht bekommt …« Er hielt inne und schaute Anna an. »Vor dir habe ich sie noch nie jemandem gezeigt.«

Anna nickte und strich sich eine Strähne ihrer langen dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht. Sie wusste, dass sie der erste Mensch war, dem Tom sein Geheimnis anvertraut hatte. Ein unglaubliches Geheimnis.

Alles hatte mit der Postkarte begonnen. Tom hatte sie als Siebenjähriger im Garten seines Elternhauses gefunden. In einer kleinen Kiste unter der Erde.

»Lieber Tom!«, war darauf zu lesen. »Diese Nachricht ist meine letzte Hoffnung. Nur eine Person auf der Welt kann mir noch helfen – du! Sprich mit niemandem darüber. Schon gar nicht mit Richard. Es geht um Leben und Tod! Mach dich in acht Jahren auf den Weg zum Hotel 13. Suche die Kiste. Finde Zimmer 13.« Und statt einer Unterschrift stand nur ein einziger Buchstabe da: »M«

All die Jahre hatte Tom gerätselt, wer ihm die Postkarte geschrieben hatte und warum. Bis er vor ein paar Wochen zum Hotel 13 aufgebrochen war. Hier wollte er den mysteriösen M. finden und das Rätsel der Karte lösen. Und Anna half ihm dabei.

Anna musste unwillkürlich lächeln. Ohne die Karte hätten sie und Tom sich niemals kennengelernt. Ein dummer Zufall hatte sie beide zur gleichen Zeit an den gleichen Ort gebracht, weil sie sich beide für den gleichen Ferienjob beworben hatten. Und natürlich, weil sie beide eine Zusage für diesen Job bekommen hatten – ein Missverständnis, wie sich gleich nach ihrer Ankunft herausstellte. Jack Leopold, der Sohn des gefürchteten Direktors von Hotel 13, hatte sich vertan. Doch nach einwöchiger Bewährungszeit hatte Richard Leopold, der Hotelchef höchstpersönlich, sowohl Anna als auch Tom einen Job gegeben.

Aber nicht nur ihnen – auch Victoria von Lippstein. Die reiche, verwöhnte Tochter einer einflussreichen Geschäftsfrau, musste ihre Ferien statt in einer Luxussuite an der Côte d'Azur nun im Servicebereich von Hotel 13 verbringen, wo sie – anstatt am Strand Cocktails zu schlürfen – Betten machte und Toiletten putzte. Und pausenlos darüber lamentierte, dass die weiß-rote Hoteluniform ihren Teint ruinierte. Schließlich war auch noch Annas beste Freundin aufgetaucht: Liv Sonntag, die Tom für total durchgeknallt hielt. Anna zuliebe versuchte er jedoch, mit ihr klarzukommen.

Sie alle bildeten das Team der Ferienjobber, die dem Juniorchef Jack Leopold unterstanden. Außer, Jack war mal wieder in Ungnade gefallen – und das konnte bei dem unberechenbaren Hoteldirektor Richard Leopold leicht passieren. Tom und Anna hatten beinahe ein wenig Mitleid mit dem armen Jack, der es seinem Vater nie recht machen konnte. Aber nur beinahe. Denn Jack war ein gemeiner, hinterlistiger Typ, der schwer zu durchschauen war. Dabei war er gerade mal siebzehn, also nur zwei Jahre älter als Tom, Anna, Liv und Victoria. Nicht auszudenken, wie er mit zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren sein würde. Noch intriganter als jetzt? Das war kaum vorstellbar.

Zum Glück gab es im Hotel auch noch den Küchenchef Lenny, dessen Herz fast so groß war wie sein stattlicher Körperumfang, und den Koch-Azubi Flo, dessen größte Leidenschaft das Zaubern war. Obwohl … seit er Victoria von Lippstein zum ersten Mal gesehen hatte, war er mehr verzaubert, als dass er ein Zauberer war.

Außerdem war da noch Ruth Melle, die gute Seele des Hotels, die immer wieder mit Geschick, Diplomatie und Fingerspitzengefühl zwischen dem Direktor und dem Hauspersonal vermittelte. Und das war des Öfteren nötig. Denn Richard Leopold regierte sein kleines Reich mit eiserner Hand. Mehr wie ein Diktator als ein Direktor. Er war stets korrekt gekleidet, sauber rasiert und so gepflegt, dass er aalglatt wirkte. Mit seinen kalten Augen erinnerte er Anna oft an ein Reptil. Fehlte nur noch, dass eine gespaltene Zunge zwischen seinen dünnen Lippen hervorschnellte …

Richard Leopold hatte das Hotel 13 von seinem Vater übernommen. Seit mehreren Generationen war der schöne Jugendstilbau in den Dünen nun bereits im Besitz der Familie Leopold. Und im Lauf der Jahre war in den Mauern des Anwesens so einiges geschehen. Wenn Steine sprechen könnten, würden sie ganze Bände voller Geschichten erzählen. Und Tom würde Satz für Satz verschlingen, um zu erfahren, was genau hier vor über achtzig Jahren passiert war. Genauer gesagt im Jahr 1927. Denn damals hatte ein gewisser Professor Magellan im Hotel gelebt. So viel hatten Tom, Anna und Liv bei ihrer geheimen Suche bereits herausgefunden. Diesem Professor war es gelungen, eine Zeitreisemaschine zu konstruieren – eine Metallkugel, die die drei Freunde in einem Kellerraum unter dem Hotel entdeckt hatten. Und dieser Raum war über einen geheimen Zugang erreichbar, vom dem lediglich Tom, Anna und Liv wussten.

Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis Tom das geheimnisvolle Zimmer 13 gefunden hatte, von dem auf seiner Postkarte die Rede war. Auf dem Hotelflur befand sich zwischen den Zimmern 12 und 14 nämlich nur eine Wand mit einer muschelförmigen Lampe. Niemand außer Anna, Tom und Liv wusste, dass in dieser Wand ein Schlitz zum Vorschein kam, wenn man die Lampe um neunzig Grad drehte. Der Schlitz diente als Einwurf für einen münzenförmigen Schlüsselanhänger, auf dem in erhabenen Ziffern die Zahl 13 zu sehen war. Auf abenteuerlichen Wegen waren die drei Freunde in den Besitz dieses Schlüsselanhängers gekommen. Sobald er in den Schlitz hinter der Lampe eingeworfen wurde, setzte er einen ausgeklügelten Mechanismus in Gang, und die Wand am Ende des Flurs schob sich nach oben, um den Zugang zu Zimmer 13 preiszugeben.

Wenn er darüber nachdachte, konnte Tom immer noch nicht so recht glauben, was er, Anna und Liv alles herausgefunden hatten. Aber es war nun mal so: Das mysteriöse Zimmer 13 hatte sich als Aufzug entpuppt, der in das Untergeschoss des Hotels führte – in einen Gang, der bei der Zeitmaschine endete. Und mit eben dieser Zeitmaschine waren Tom, Anna und Liv bereits mehrmals in die Vergangenheit gereist. Um genau zu sein, in das Jahr 1927. Damals war Robert Leopold, der Großvater von Richard Leopold, Direktor im Hotel 13 gewesen. Die Ähnlichkeit zwischen Robert und Richard war frappierend. Und den Charakter hatte der jetzige Hotelchef wohl auch von seinem Großvater geerbt. Jedenfalls schikanierte Robert Leopold seinen Sohn Paul nicht weniger als Richard Leopold seinen Sohn Jack.

Wie auch immer – den ersten Teil seiner Mission hatte Tom bereits erfüllt. Er hatte Zimmer 13 gefunden. Die zweite Aufgabe musste er allerdings noch bewältigen. »Suche die Kiste. Finde Zimmer 13«, murmelte er.

»Du kannst den Text von der Postkarte doch in- und auswendig«, stellte Anna fest.

»Willst du damit etwa sagen, es spielt keine Rolle, dass jemand die Karte gestohlen hat?«, fuhr Tom sie an.

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Anna. Sie hatte Tom nur trösten wollen. Aber das konnte sie ihm nicht sagen. Sie traute sich einfach nicht. »Wir finden schon irgendwie heraus, wer es war«, versuchte sie ihn stattdessen aufzumuntern.

»Na ja, eigentlich kann es ja nur einer gewesen sein«, meinte Tom und rückte das schwarze Brillengestell auf seiner Nase zurecht.

Anna schaute ihn fragend an. »Du meinst Jack?«

»Klar, sonst kommt niemand infrage«, erwiderte Tom. »Jack hat die Karte unter meiner Matratze entdeckt.«

»Und was ist mit Herrn Leopold?«

»Der würde doch nie in unseren Zimmern herumstöbern«, meinte Tom. »Das ist eindeutig Jacks Handschrift.«

Anna nickte und schaute ein paar Möwen nach; sie flogen kreischend über den Strand hinweg. Instinktiv griff sie an die kleine Uhr, die sie wie ein Medaillon um ihren Hals trug. »Es wird Zeit«, erklärte sie. »Wir müssen zurück zum Hotel.«

»Und wir müssen diese Kiste finden«, ergänzte Tom. Dann stand er auf und klopfte sich den Sand aus den Hosen. »Wenn wir wenigstens einen Anhaltspunkt hätten, wo wir suchen müssen …«

Anna blickte ihn fragend an.

»Ich meine, in der Vergangenheit oder in der Gegenwart«, stellte Tom klar.

Während er mit Anna durch die Dünen ging, dachte er noch einmal über den Text auf seiner Postkarte nach.

Diese Nachricht ist meine letzte Hoffnung. Nur eine Person auf der Welt kann mir noch helfen du!

Eindringlicher konnte ein Hilferuf kaum klingen. Tom war sich inzwischen sicher, dass der geheimnisvolle »M.«, der die Karte geschrieben hatte, niemand anders war als Professor Magellan, der Erfinder der Zeitmaschine im Hotel 13. Der Professor schwebte in höchster Gefahr. Und das war ihm nur allzu bewusst – sonst hätte er nicht geschrieben, dass es um Leben und Tod ging.

Unwillkürlich beschleunigte Tom seine Schritte. Er dachte an die letzte Reise, die er mit Anna und Liv in das Jahr 1927 unternommen hatte und auf der Anna eine wichtige Entdeckung gemacht hatte: Bis 1921 hatte es ein Zimmer 13 gegeben, und der letzte Gast, der das Zimmer bewohnte, war Professor Magellan gewesen. Während Anna die alten Gästebücher durchsuchte, hatte Tom herausgefunden, dass Robert Leopold, der Hoteldirektor von 1927, Magellan aus dem Weg räumen lassen wollte. Offenbar, weil der Professor nicht bereit war, seine Zeitmaschine zu verkaufen. Doch Robert Leopold hatte bereits einem zwielichtigen Geschäftsmann versprochen, ihm Magellans geniale Erfindung zu übergeben. Dabei ging es um viel Geld. Sehr viel Geld.

Tom hatte keine Wahl. Er musste den Professor warnen, dass sein Leben in Gefahr war. Und das ging nur, wenn er so schnell wie möglich wieder in die Vergangenheit reiste und Magellan fand, bevor es zu spät war.

Jack eilte über den Flur des Personalbereichs und betrat die schwarz-gelb gestreifte Sperrzone vor der Tür, die zum Büro des Hoteldirektors führte. Neben seinem Vater war er der Einzige, der das Büro betreten durfte, ohne vorher um Erlaubnis bitten zu müssen. Trotzdem klopfte er an. Bei seinem Vater wusste man nie, in welcher Stimmung er sich gerade befand. Und da er meistens schlecht gelaunt war, war es am besten, immer vorsichtig zu sein.

»Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mich zu stören«, brummte Richard Leopold und warf seinem Sohn einen kurzen, genervten Blick zu, bevor er sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zuwandte.

»Allerdings«, erwiderte Jack und zog eine alte Postkarte hervor, die er unter der roten Weste seiner Hoteluniform versteckt hatte. Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen reichte er seinem Vater das kostbare Fundstück.

»Hm, eine alte Postkarte – das ist ja toll, Jack«, spöttelte der Hoteldirektor, der gar nicht begriff, was er da in den Händen hielt. Stattdessen fragte er unwirsch: »Was soll das?«

»Lies sie doch erst mal«, forderte Jack seinen Vater auf.

Richard Leopold betrachtete kurz die Vorderseite der alten Ansichtskarte, auf der eine vergilbte Schwarz-Weiß-Fotografie zu sehen war. Wenn man sich etwas Mühe gab, konnte man die Wellen des Meeres erkennen, die schäumend an den Strand rollten. Ungeduldig drehte der Hotelchef die Karte um und sah eine schwungvolle Handschrift. Schön und gleichmäßig, wie sie heutzutage nur noch selten zu finden war.

»Lieber Tom, das mit Edison tut mir leid«, las Richard Leopold und stutzte. Seine Neugierde war geweckt. »Diese Nachricht ist meine letzte Hoffnung. Nur eine Person auf der Welt kann mir noch helfen – du! Sprich mit niemandem darüber. Schon gar nicht mit Richard.« Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch und warf seinem Sohn einen alarmierten Blick zu, bevor er weiterlas. »Es geht um Leben und Tod! Mach dich in acht Jahren auf den Weg zum Hotel 13. Suche die Kiste. Finde Zimmer 13. M.«

Der Hoteldirektor brauchte nicht lange, um zu verstehen, was er da vor sich hatte.

»Tom hat also den Auftrag bekommen, nach Zimmer 13 zu suchen«, stellte er fest und legte die Postkarte vor sich auf den Schreibtisch. Dann schlug er mit beiden Händen auf die Tischplatte und sprang auf. Die Zornesröte stieg ihm ins Gesicht, als ihm klar wurde, dass er all die Jahre einer falschen Spur gefolgt war. Richards Vater, Paul Leopold, hatte ihm von dem geheimnisvollen Zimmer 13 erzählt. Aber nicht, wie es zu finden war. Und nun kam ihm womöglich dieser Rotzlöffel Tom zuvor! Nein, niemals. »Wir müssen das Zimmer finden. Und zwar bevor Tom es tut«, zischte er, und seine Augen verengten sich zu schmalen Sehschlitzen.

»Was, wenn sie's schon gefunden haben?«, gab Jack zu bedenken.

»Nein!«, rief Richard Leopold, und die Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. Er ging in seinem Büro auf und ab wie ein Tiger im Käfig. »Du sagst doch selbst, dass Tom überall herumschnüffelt! Und an den merkwürdigsten Orten auftaucht!«, meinte er zu seinem Sohn. »Das ist das typische Verhalten eines Suchenden, mein Junge!« Der Gedanke schien den Hotelchef zu beruhigen. Jedenfalls blieb er stehen, und seine Gesichtsfarbe nahm langsam wieder eine normale Farbe an. »Nein, nein, glaub mir! Tom ist noch immer mit der Suche beschäftigt! Aber wir werden ihm zuvorkommen!«

»Wir?«, wiederholte Jack. Dieses Wort hörte er so gut wie nie aus dem Mund seines Vaters.

»Jawohl, wir!«, bestätigte Richard Leopold. »Du und ich. Vater und Sohn.«

Dann klopfte er seinem Sprössling – zum ersten Mal überhaupt – anerkennend auf die Schulter. »Gut gemacht, Jack«, sagte er, und ein teuflisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Gut gemacht!

M WIE MÄRCHENHAFTES MEER

»Eigentlich ist es hier draußen viel zu schön, als dass wir den Sommer in geschlossenen Räumen verbringen«, stellte Anna fest und blinzelte in die Sonne.

»Na ja«, meinte Tom. »Schließlich machen wir hier ja keinen Urlaub, sondern einen Ferienjob.«

Und ohne den hätten wir uns nie kennengelernt, fügte er in Gedanken hinzu.

Er war so froh, Anna getroffen zu haben. Mit ihr konnte er über alles reden. Ihr hatte er sogar sein Geheimnis anvertraut. Und ohne sie wäre er niemals so weit gekommen. Er hätte Zimmer 13 nicht entdeckt, die Zeitmaschine ebenso wenig –und er wäre nicht in die Vergangenheit gereist. Anna und er ergänzten einander einfach perfekt. Irgendwie war ihm das schon klar gewesen, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte.

Tom warf Anna einen kurzen Blick von der Seite zu. Sie ging neben ihm her und strich sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn. Mit ihren geflochtenen Zöpfen und der kurzen blauen Latzhose, die über und über mit weißen Segelschiffchen bedruckt war, sah sie total süß aus. Zum Glück machte der Strandhafer den Weg durch die Dünen so schmal, dass sie sehr nah nebeneinander gehen mussten. Ab und zu berührten sich ihre Arme, und Tom konnte sogar Annas Haut riechen. Diese weiche, zarte, blasse Haut, die er am liebsten gestreichelt hätte. Aber er traute sich nicht. Was, wenn Anna ihn nur als Freund sah? Als Kumpel? Als Kollegen beim Ferienjob?

Ach was, dachte er. Sie mag mich. Und wenn ich ihr nicht bald sage, wie sehr ich sie mag, ist unsere Zeit hier zu Ende, und ich sehe sie vielleicht nie mehr!

»Was ist?«, fragte Anna, als Tom plötzlich stehen blieb.

»Hier müsste doch irgendwo der Liebesbaum sein, oder?«, sagte Tom und schaute sich um.

Anna nickte. »Der berühmte Liebesbaum«, lachte sie. »Wer da seine Initialen einritzt, wird angeblich ein Paar.« Sie merkte, dass sie rot wurde, und fügte rasch hinzu: »Sagen zumindest Lenny und Ruth.«

Tom wurde ebenfalls rot. Vor ein paar Tagen hatte er ein A und ein T in die Rinde geritzt. A wie Anna und T wie Tom.

»Komm«, meinte Tom. »Ich muss dir was zeigen.« Wenn er sich schon nicht traute, ihr zu gestehen, was er für sie empfand, wollte er zumindest, dass sie die Initialen sah, die er in die Rinde des Liebesbaums geschnitten hatte. Vielleicht würde sie ihn dann verstehen.

Tom nahm Annas Hand und zog sie zu dem Wrack des alten Boots, in dessen Nähe der Liebesbaum stand. Aber weit und breit war nur Sand zu sehen. Sand und Dünengräser. Keine Spur von einem Baum.

»Der Liebesbaum ist verschwunden«, stellte Tom fest.

»Das gibt's doch nicht!«, rief Anna. »So einen Baum fällt doch keiner! Komm, wir fragen Ruth oder Lenny. Vielleicht weiß von denen jemand, was passiert ist.«

Tom, den der Mut wieder verlassen hatte, nickte und ging schweigend neben Anna zurück zum Hotel.

Als die beiden in der Empfangshalle auf Ruth trafen, wollte Tom sofort wissen, wo der Liebesbaum geblieben war.

»Welcher Liebesbaum?«, wollte Ruth wissen und schaute Tom irritiert an.

»Der berühmte Liebesbaum«, erklärte Anna. »Beim alten Boot.«

»Der, von dem du uns erzählt hast«, ergänzte Tom.

»Wovon redet ihr denn?«, lachte Ruth, die sich nicht sicher war, ob die beiden sie auf den Arm nehmen wollten. »Da steht doch gar kein Baum.«

Tom und Anna sahen sich fragend an. Was hatte das zu bedeuten?

Tom beschloss, Flo zu fragen. Der hatte seine und Victorias Initialen mit einem scharfen Küchenmesser in die Rinde des magischen Baums geritzt. Und seitdem verstanden sich die beiden wunderbar. Aber als Tom den Koch-Azubi auf den Liebesbaum ansprach, wusste auch der nicht, was Tom meinte.

»Leiden die alle an Gedächtnisverlust?«, fragte Anna, nachdem Tom ihr davon erzählt hatte. »Oder haben wir uns alles nur eingebildet?«

»Quatsch«, meinte Tom. »Wir sind uns doch beide sicher, dass es ihn gab!«

In diesem Moment stürmte Liv in die Halle.

»Der Liebesbaum ist weg!«, begrüßte Anna ihre Freundin.

Liv reagierte, als wäre sie beim Schuleschwänzen ertappt worden. Sie flüchtete sich von einer Ausrede in die nächste, und schnell wurde klar, dass sie beim letzten Ausflug in die Vergangenheit den Liebesbaum aus dem Boden gerissen hatte. Einfach so. Weil das Pflänzchen ihr im Weg war.

Tom verdrehte die Augen und atmete genervt durch. Das war mal wieder typisch für Liv. Sie handelte immer so unüberlegt! Ohne sich über die Konsequenzen ihres Tuns Gedanken zu machen.

»Es tut mir leid«, sagte Liv. »Ich konnte schließlich nicht wissen, dass dieser blöde, mickrige Zweig in fünfundachtzig Jahren mal unser Liebesbaum sein wird! Was soll überhaupt die ganze Aufregung?«

»Mann, hier geht es doch nicht nur um den Liebesbaum«, stellte Tom klar. »Dir ist anscheinend nicht bewusst, dass alles, was wir in der Vergangenheit tun, Auswirkungen auf die Gegenwart hat! Und wenn wir das nächste Mal nicht aufpassen, ist vielleicht das ganze Hotel verschwunden. Oder du. Oder Anna. Womöglich gibt es dann gar keine Gegenwart mehr!«

»Okay«, lenkte Liv ein. »Ich verspreche, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Also in der Vergangenheit, meine ich.« Dann runzelte sie die Stirn und formulierte ihr Versprechen noch einmal neu: »In Zukunft werde ich in der Vergangenheit vorsichtiger sein!«

Anna konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Tom dagegen war nicht zum Lachen zumute.

»Was wolltest du mir eigentlich zeigen?«, fragte Anna, um Tom wieder auf andere Gedanken zu bringen.

Tom zögerte. Den Liebesbaum, ging es ihm durch den Kopf. Mit unseren Initialen. Doch das konnte er ihr nicht sagen. Schon gar nicht vor Liv.

»Das geht jetzt nicht mehr«, antwortete er stattdessen und verzog das Gesicht. »Leider …«

»Sprich mit niemandem darüber. Schon gar nicht mit Richard. Es geht um Leben und Tod!«, brummelte Richard Leopold vor sich hin.

Er hielt die vergilbte Postkarte in der Hand und las sie nun bestimmt zum zehnten Mal. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was die Nachricht bedeutete. Entnervt warf er die Karte auf seinen Schreibtisch. Doch sie ließ ihm keine Ruhe. Er zog eine Lupe aus der Schreibtischschublade und betrachtete die Handschrift genauer. Aber auch das brachte ihn nicht weiter.

»Wer ist M?«, fragte er sich und fasste den Buchstaben, mit dem der unbekannte Verfasser unterzeichnet hatte, ins Auge. Da blieb sein Blick plötzlich an etwas hängen. Es war eine Zahl – so klein gedruckt, dass sie mit bloßem Auge fast nicht zu erkennen war.

»1850«, las der Hotelchef und überlegte. »Dann wäre die Karte ja über 160 Jahre alt – das kann unmöglich sein!« Er schabte ein wenig an der rechten unteren Ecke der Postkarte und löste ein Stück des beschriebenen Papiers vom Untergrund ab. »Das werde ich meinem Freund Daniel schicken«, murmelte er, während er das Papierfitzelchen in eine kleine Dose legte. »Der soll das Papier und die Tinte in seinem Labor untersuchen …«

Es dauerte nicht lange, bis die chemische Analyse ausgewertet war, und Richard Leopold war sprachlos, als er erfuhr, dass die Tinte tatsächlich älter war als 150 Jahre.

»Wie kann denn dann auf der Postkarte stehen, dass Tom sich hüten soll vor … mir?«, überlegte er und ging ungeduldig in seinem Büro auf und ab. »Und wer hat dem Jungen vor acht Jahren eine Postkarte geschickt, die womöglich schon vor 150 Jahren geschrieben wurde? Das ist absolut unmöglich!«

Der Hoteldirektor runzelte die Stirn und kratzte sich am Kopf. Wenn er doch jemanden fragen könnte, was damals geschehen war. Von seinem Vater wusste er nur, dass es das geheime Zimmer 13 gab. Über eine historische Postkarte hatte Paul Leopold nie gesprochen.

»Die Person, die am längsten im Hotel lebt, ist Tante Amalia«, murmelte Richard. Er holte geräuschvoll Luft bei dem Gedanken an die alte Frau Hennings. Sie war eine entfernte Verwandte der Familie und bewohnte das Zimmer 10, so lange er denken konnte. Vielleicht wusste sie ja etwas über die Karte. Es war zwar unwahrscheinlich, denn sie war geistig verwirrt, aber einen Versuch wert.

Richard Leopold reckte entschlossen das Kinn nach oben und machte sich auf den Weg ins erste Obergeschoss. Er klopfte an die Tür mit der Nummer 10 und öffnete sie, ohne auf ein Herein zu warten.

»Na, wie geht's uns denn heute?«, fragte er in honigsüßem Ton und ging schnurstracks auf Frau Hennings zu.

Die alte Dame blickte den Hotelchef nicht einmal an. Sie saß geistesabwesend in ihrem Rollstuhl und starrte ins Leere.

»Kennst du diese Karte?« Richard Leopold wedelte mit dem vergilbten Papier vor Frau Hennings' Nase herum.

Keine Reaktion.

Was habe ich denn erwartet?, dachte Herr Leopold und ließ sich seufzend auf dem Bettrand nieder. Dass sie plötzlich klar im Kopf ist? Nur weil ich etwas wissen will?

»Ja.«

Frau Hennings' Antwort kam so unerwartet, dass Herr Leopold beinahe von der Bettkante rutschte. Hatte sie tatsächlich gesprochen? Ihm eine Antwort gegeben?

Der Hoteldirektor schluckte. Dann hielt er der alten Dame noch einmal Toms Postkarte unter die Nase. »Du weißt also etwas darüber«, meinte er ungläubig.

Doch Frau Hennings reagierte nicht mehr.

»Was weißt du über diese Karte?«, wiederholte Richard Leopold, und seine Stimme nahm einen beschwörenden Unterton an. »Sag es mir!«

Frau Hennings betrachtete die vergilbte Schwarz-Weiß-Fotografie. Dann sagte sie: »M.«

Dem Hotelchef blieb die Spucke weg. Er hatte ihr nur die Vorderseite der Postkarte gezeigt. Den Text auf der Rückseite konnte sie gar nicht gesehen haben. Und trotzdem wusste sie, wer die Karte geschrieben hatte?

»M, ja«, rief er aufgeregt. »M stimmt. M wie …«

Frau Hennings schaute ihn eindringlich an. Dann blickte sie wieder auf die Ansichtskarte und tippte mit dem Zeigefinger auf die Schwarz-Weiß-Fotografie. »Märchenhaftes Meer«, sagte sie schließlich, und ein schelmisches Lächeln spielte um ihre Mundwinkel.

Ich verliere gleich den Verstand, dachte Herr Leopold, der noch nie viel Geduld mit der alten Dame gehabt hatte. »Und Zimmer 13?«, fügte er hinzu. »Was weißt du von Zimmer 13?«

Doch Frau Hennings hatte sich bereits abgewandt und starrte wieder ins Leere. Herr Leopold wusste, dass er nicht mehr von ihr erfahren würde. Jedenfalls fürs Erste.

»Dann eben nicht«, zischte er, verließ das Zimmer und eilte zurück in sein Büro. »Ich finde andere Informationsquellen. Tom, zum Beispiel …«

Die Augen des Hotelchefs verengten sich abermals zu schmalen Schlitzen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er wieder etwas Teuflisches ausheckte.

Der Junge ist schlauer, als ich dachte, sinnierte Richard Leopold. Es wird Zeit, ihn mit seiner Postkarte zu konfrontieren.

Wenig später stand Tom im Büro des Hotelchefs und zupfte nervös an seinem Hemd herum. Er wusste, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte, wenn er hierherzitiert wurde. Jack stand höhnisch grinsend da, während sein Vater etwas aus der Innentasche seines Jacketts zog.

Tom traute seinen Augen nicht. Es war die alte Postkarte. Er warf Jack einen wütenden Blick zu. Wusste ich's doch, dass du dahintersteckst, du gemeiner Dieb, dachte er, beschloss allerdings, sich zu beherrschen. Die beste Strategie war, alles zu leugnen.

»Woher hast du diese Karte?« Herrn Leopolds Stimme klang schneidend scharf.

»Die gehört mir nicht«, antwortete Tom. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.

Herr Leopold schien unbeeindruckt. »Gehört dir nicht, gehört dir nicht, gehört dir nicht«, murmelte er vor sich hin, während er Tom umkreiste wie ein Raubtier seine Beute. Dann blieb er plötzlich stehen und fixierte Tom mit seinen kalten Augen. »Du willst mich aber nicht für dumm verkaufen, oder?«, fragte er gespielt freundlich, als würde er mit einem kleinen Kind reden.

Tom schüttelte den Kopf und hielt die Luft an. Was würde Herr Leopold nun machen?

Eine Weile tat der Hoteldirektor gar nichts. Jack wusste, dass dieses eisige Schweigen die Ruhe vor dem Sturm war. Und ausnahmsweise galt der Zorn seines Vaters mal nicht ihm.

»Wenn du die Karte nie gesehen hast«, meinte Herr Leopold schließlich, »wie kommt sie dann unter deine Matratze? Und wieso steht dein Name darauf?«

Tom zuckte mit den Schultern. »'ne Karte von 1850«, sagte er und lachte unsicher, »was soll die mit mir zu tun haben?«

Herr Leopold blickte Tom prüfend an. »Ja, vielleicht hast du recht«, bemerkte er und bedeutete Tom, dass er das Büro verlassen konnte.

»Warum lässt du ihn denn gehen?«, fragte Jack, der sichtlich enttäuscht war, dass es kein Donnerwetter gegeben hatte.

»Weil ich jetzt hundertprozentig sicher bin, dass Tom mehr weiß«, antwortete Herr Leopold.

Jack verstand nicht, worauf sein Vater hinauswollte.

»Wenn er die Karte nicht kennt«, erläuterte der Hoteldirektor genüsslich, »woher weiß er dann, dass sie von 1850 stammt?«

SOLOTRIP FÜR LIV

»Seid ihr sicher, dass Victoria schläft?«, flüsterte Tom, als Anna die Tür des Mädchenzimmers hinter ihm schloss.

Liv grinste. »Hey, Victoria«, rief sie und leuchtete ihrer Zimmergenossin mit der Taschenlampe ins Gesicht. »Deine Frisur ist total im Eimer!«

Tom hielt die Luft an, und Anna konnte sich nur mit allergrößter Mühe das Lachen verkneifen. Doch Victoria rührte sich nicht. Sie lag mit ihrer Schlafmaske über den Augen im Bett und träumte vermutlich von Palmen, Paillettenkleidern, Zimmerservice und unzähligen Hotelangestellten, die ihr jeden Wunsch von den Augen ablasen.

Liv grinste, während Anna und Tom sich zu ihr aufs Bett setzten.

»Okay, wann reisen wir wieder in die Vergangenheit?«, fragte sie und rutschte ungeduldig auf der Matratze hin und her. Sie konnte es gar nicht erwarten, wieder in das Jahr 1927 zu reisen. Dort hatte sie nämlich gerade Diederich kennengelernt – den süßesten Jungen aller Zeiten. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eingeschlossen. Die Liebe ihres Lebens, da war sie sich ziemlich sicher. Und die letzten Restzweifel wollte sie so schnell wie möglich aus dem Weg räumen.

»Gute Frage«, meinte Tom und blickte von Liv zu Anna. »Ich fürchte, das ist nun erst mal zu riskant.«

Liv konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.

»Jack und Herr Leopold suchen jetzt auch nach Zimmer 13«, erklärte Anna ihrer Freundin. »Die haben uns die ganze Zeit im Auge!« Dann wandte sie sich Tom zu. »Können sie mit der Karte eigentlich was anfangen?«

»Eher nicht«, antwortete Tom. »Zum Glück …« Er dachte daran, wie lange er, Anna und Liv gebraucht hatten, bis sie das geheime Zimmer gefunden hatten. Das mussten Jack und sein Vater erst mal hinkriegen. Und selbst wenn sie in Zimmer 13 waren – dann mussten sie als Nächstes den Mechanismus für den Aufzug in Gang setzen. Und die Zeiger der alten Standuhr rückwärtslaufen lassen. Und den Durchgang zu Magellans Werkstatt finden. Das war ziemlich viel für einen vielbeschäftigten Hotelchef und einen nicht ganz so viel beschäftigten Chef der Ferienjobber.

»Hey, Leute, wir lassen uns doch von denen nicht unterkriegen, oder?«, rief Liv. Als sie sah, dass Anna den Zeigefinger an die Lippen legte, fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort: »Morgen reisen wir zurück, okay?«

»Liv hat recht«, stimmte Tom zu. Wenn auch aus anderen Gründen. Er musste Magellan warnen, dass sein Leben in Gefahr war, während Liv nur ihren Diederich im Sinn hatte.

»Aber erst mal müssen wir abwarten«, sagte Tom, womit er Livs Ungeduld einen gehörigen Dämpfer verpasste. »Bis wir einen Plan haben, wie wir lack und Herrn Leopold ablenken können.«

In diesem Moment wälzte sich Victoria von einer Seite auf die andere. Dabei streckte sie einen Fuß aus dem Bett und steckte ihren glitzerlackierten großen Zeh in Toms Ohr.

Tom zog den Kopf ein. »Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Wir sprechen morgen weiter. Gute Nacht!«, flüsterte er, stand auf und schlich auf Zehenspitzen hinaus.

Anna kroch ebenfalls in ihr Bett. »Nacht, Liv«, murmelte sie.

»Nacht«, antwortete Liv. An Schlaf war allerdings nicht zu denken. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wobei – so viele Gedanken hatte sie gar nicht. Sie konnte eigentlich nur an Diederich denken. Seine dunkelblonden Haare … seine strahlend blauen Augen … sein Körperbau … Er sah aus wie ein griechischer Gott.

»Ach, Diederich«, flüsterte sie und kuschelte sich in ihr Kissen.

»Dachte ich mir's doch«, brummte Anna.

»Na ja«, meinte Liv. »Was soll ich machen? Ich denke die ganze Zeit an ihn. Er ist so süß, und es ist total romantisch mit ihm …«

Anna setzte sich auf. Es war so dunkel im Zimmer, dass sie ihre Freundin nicht sehen konnte. Aber sie musste ihr den Kopf zurechtrücken, solange es noch möglich war. »Liv«, sagte sie sanft. »Du lebst hier in der Gegenwart und Diederich 1927 – wie soll das denn funktionieren?«

»Ja und?«, zischte Liv. »Was ist das Problem?«

»Alles, was ich gerade gesagt habe«, erwiderte Anna.

Doch Liv wollte keinen weiteren Einwand mehr hören. Sie musste zurück in die Vergangenheit reisen. Und zwar ohne Anna und Tom …

Die Gelegenheit bot sich am Tag darauf. Tom hatte einen Picknickkorb gepackt und wollte mit Anna an den Strand.

Hallo, da läuft doch was zwischen den beiden!, dachte Liv.

Sie gönnte es Anna von Herzen – obwohl Tom nun nicht gerade Livs Typ war. Viel zu ernst. Aber zu Anna passte er. Wie auch immer. Wenigstens hatte Liv nun ein bisschen Ruhe. Anna und Tom würden sie wohl nicht so schnell vermissen.

Heimlich schlich Liv sich in das Zimmer der Jungs, um den Schlüsselanhänger zu holen, der den Mechanismus für Zimmer 13 auslöste. Tom hatte ihn in den Schirm seiner Nachttischlampe geklebt. Dann huschte sie ins erste Obergeschoss und näherte sich der Wand zwischen Zimmer 12 und Zimmer 14. Sie drehte die Muschellampe um neunzig Grad und warf den Schlüsselanhänger in den Schlitz hinter der Lampe. Es war das erste Mal, dass sie alleine in Zimmer 13 ging. Und das erste Mal, dass sie mit der Zeitmaschine in die Vergangenheit reisen würde. Doch zuvor musste sie sich noch umziehen. Mit Jeans und T-Shirt würde man sie im Jahr 1927 vermutlich sofort in die Klapsmühle einsperren. Aus diesem Grund hatten Tom, Anna und Liv auf einer ihrer Zeitreisen Kleidungsstücke aus dem Jahr 1927 in die Gegenwart mitgenommen, die sie in Professor Magellans Werkstatt aufbewahrten. Liv schlüpfte in das helle Blümchenkleid, das sie in der Vergangenheit immer trug, und schlang die beigefarbene Stola um die Schultern.

Vorsichtig ging sie an den seltsamen Spulen vorbei, die gewaltige Hochspannungsfelder erzeugten. Ohne diese Dinger war die Zeitreise nicht möglich. Dann stieg Liv in die Metallkugel, um ihren Solotrip ins Jahr 1927 anzutreten. Sie drückte den roten Hebel im Inneren der Zeitmaschine nach unten und schloss die Augen. Im gleichen Moment fiel die Einstiegsluke zu, und an der Außenseite schob sich ein schwerer Eisenriegel krachend vor die Tür. Jetzt gab es kein Zurück mehr. In der Werkstatt begann es zu knistern und zu zischen. Die mächtigen Spulen, die mit Kupferdraht umwickelt waren, summten und sprühten Funken, die entlang der Kupferdrahtumwicklung nach oben zischten. Zwischen den Spulen am oberen und unteren Ende der Metallkugel zuckten Lichtblitze hin und her. Ein tosendes Brausen setzte ein und schwoll zu ohrenbetäubendem Lärm an.

Liv presste die Augenlider noch fester zusammen, denn im Innern der Zeitmaschine wurde es so hell, dass es in ihrem Kopf schmerzte. Dann tauchte sie in einen Strudel aus Lichtern und Dunkelheit. Ein gigantischer Sog schien sie durch das Universum zu ziehen – vorbei an unzähligen Sternen. Liv fühlte sich, als wäre sie mit einer Silvesterrakete unterwegs durchs Weltall.

Dann wurde es still. Der Sog ließ nach, und die Lichter verloschen. Das Brausen wurde schwächer und ebbte schließlich ganz ab. Ein kräftiger Ruck signalisierte Liv, dass die Tür entriegelt wurde. Zischend öffnete sie sich, und Liv kletterte ungeduldig aus der Kapsel. Es war wie immer. Dampfschwaden erfüllten den gesamten Raum, und Liv wedelte hustend mit der Hand vor dem Gesicht herum, damit sie etwas sehen konnte.

»Wer sagt's denn?«, murmelte sie, unglaublich erleichtert darüber, dass ihre Reise in die Vergangenheit geklappt hatte. Nun musste sie nur noch Diederich finden. Doch als sie sich auf den Weg zum Aufzug machen wollte, hörte sie Stimmen in dem Gang zwischen Zimmer 13 und der Werkstatt. Männerstimmen. Und die wurden rasch lauter.

»Oh mein Gott, was mach ich jetzt?«, jammerte Liv und hüpfte nervös auf der Stelle.

Durch den Gang konnte sie nicht – so viel war klar. Also blieb ihr nur der Weg zurück. Eilig kletterte sie wieder in die Zeitmaschine und zog die Tür zu.

»Ich habe einen Käufer, der für die Zeitmaschine sehr viel Geld bezahlen will«, hörte Liv von ihrem Versteck aus einen der Männer sagen. Seine Stimme klang seltsam hoch und irgendwie heiser. Das konnte nur einer sein: Robert Leopold, der durchtriebene Hoteldirektor, der Großvater von Richard Leopold.

»Wir können reich werden. Sehr reich«, fuhr Robert Leopold fort.

»Kommt gar nicht infrage!«, erwiderte eine zweite Stimme, die Liv nicht auf Anhieb erkannte. »Die Maschine wird nicht verkauft!«

Wem gehörte diese Stimme? Liv reckte den Kopf und spähte vorsichtig durch das Bullauge, das in der Tür der Zeitmaschine war. Vor der Metallkapsel sah sie einen großen, alten Mann, der ihr den Rücken zuwandte. Liv konnte nur sein langes, zerzaustes, graues Haar erkennen. Das musste Professor Magellan sein.

»Na gut«, hörte sie Robert Leopold sagen. Seine Stimme klang eiskalt und drohend. »Das war Ihre letzte Chance …«

Unwillkürlich zog Liv den Kopf ein. Der Hoteldirektor durfte sie auf gar keinen Fall entdecken. Dann wurde es still. Liv spitzte die Ohren, aber das Gespräch der beiden Männer schien beendet zu sein. Langsam näherte sie sich wieder dem Bullauge und linste hinaus. Robert Leopold war gegangen. Jedenfalls war er weder zu sehen noch zu hören.

Der Professor dagegen war in der Werkstatt geblieben.

So ein Mist, dachte Liv. Jetzt stecke ich hier fest und kann nicht raus!

Durch das Bullauge beobachtete sie, wie Magellan zur Werkband schlurfte. Plötzlich blieb er stehen und ging in die Knie. Dann öffnete er einen der Unterschränke und machte sich daran zu schaffen.

Was treibt dieser Typ denn da?, fragte sich Liv und drückte ihre Nase an die Scheibe, damit sie besser sehen konnte.

Der Professor schaute auf eine Reihe dicker Bücher, die in dem Unterschrank standen.

Na großartig, dachte Liv. Wenn er jetzt anfängt zu lesen, kriege ich hier drin Platzangst.

Doch Magellan holte keines der Bücher hervor. Stattdessen klappte er die Buchrücken nach unten wie eine Klapptür.

Wahnsinn, das ist ja der Hammer!, schoss es Liv durch den Kopf. Hat der alte Fuchs da etwa ein Geheimfach?

Sie riss die Augen auf und verfolgte mit angehaltenem Atem, wie der Professor ein kleines, hölzernes Kästchen aus seinem Versteck holte.

»Die Kiste«, flüsterte Liv. »Ist das womöglich die Kiste, die auf Toms Postkarte erwähnt wird?« Sie schloss die Augen und versuchte, sich den genauen Wortlaut ins Gedächtnis zu rufen. »Suche die Kiste«, hatte auf der Karte gestanden. »Finde Zimmer 13!«

Professor Magellan öffnete das Holzkästchen und holte etwas heraus. Dann verstaute er es wieder in dem Geheimfach und schlurfte durch den Gang zum Aufzug.

Liv überlegte kurz. »Diederich muss warten«, murmelte sie. »Wenn er mich wirklich liebt, tut er das auch.«

Sie kletterte aus der Metallkapsel, ging auf den Unterschrank zu und holte die Kiste aus dem Geheimfach. Liv drückte das hölzerne Ding an ihr Herz, als hätte sie einen Schatz entdeckt. In gewisser Weise war das ja auch so. Nun wollte sie aber auch wissen, was der Professor in der Kiste verbarg. Sie nahm den Deckel und wollte ihn aufklappen. Doch er ließ sich nicht öffnen.

»So ein Mist«, fluchte Liv.

Sie stand auf und betrachtete das Werkzeug, das auf der Werkbank lag. Entschlossen griff sie nach einem Schraubenzieher und steckte ihn in die Ritze zwischen Kiste und Deckel. Ohne Erfolg. Die Kiste blieb verschlossen.

»Dann nehme ich dich eben so mit«, sagte sie zu dem hölzernen Kästchen und stieg wieder in die Zeitmaschine. »Tom wird schon wissen, wie er dich knackt …«

»Es ist so schön hier, dass ich gar keine Zeitreisen mehr machen möchte«, rief Anna und streckte die Beine auf der Picknickdecke aus. »Weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft. Ich würde am liebsten immer hier bleiben. In den Dünen. Mit dem Meeresrauschen im Hintergrund und den Möwen über mir.«

Tom lächelte Anna an. Er hatte sich vorgenommen, ihr endlich zu gestehen, was er für sie empfand. Dafür hatte er extra dieses romantische Picknick vorbereitet. Jetzt oder nie, dachte er.

»Du, Anna«, begann er. »Ich muss dir etwas sagen …«

»Ja?«, antwortete Anna und blickte ihn fragend an.

Tom schluckte. Er merkte, wie sein Mund trocken wurde. Und irgendwie schien auch sein Gehirn zu blockieren. »Zitteraale«, brachte er schließlich hervor.

Bildete er sich das nur ein oder verschwand das Lächeln auf Annas Gesicht gerade?

»Wenn … wenn zwei Zitteraale sich berühren«, stotterte er, »dann … entsteht in ihren Körpern Strom.«

Anna sah ihn mit großen Augen an.

»Kennst du das?«, fragte er, in der Hoffnung, dass sie zumindest ahnte, was er meinte.

»Willst du sagen, ich bin ein Zitteraal?«, entgegnete Anna.

»Nein, äh … natürlich nicht«, stammelte er und wusste gar nicht, wo er hinschauen sollte. Anna konnte er jetzt jedenfalls nicht ansehen. Sie musste ihn ja für total bekloppt halten.

EINE ZIEMLICH VERTRACKTE KISTE

Eine Zeit lang herrschte betretenes Schweigen zwischen Tom und Anna. Nur das Kreischen der Möwen war zu hören. Und das Lachen der Badegäste, das der Wind vom Strand in die Dünen trug.

Tom konnte nicht fassen, wie doof er war. Hier saß er. An diesem traumhaft schönen Fleck. Bei einem ziemlich romantischen Picknick. Mit dem Mädchen, in das er verliebt war, an seiner Seite. Und er traute sich einfach nicht, es ihr zu sagen.

Schließlich brach Anna das Schweigen. »Du, Tom«, setzte sie an. »Kann ich dich mal was fragen?«

»Ja, klar«, antwortete Tom, erleichtert darüber, dass die peinliche Kunstpause zu Ende war.

»Stell dir mal vor, du kennst jemanden, der verliebt ist.«

Tom senkte seinen Kopf, aus Angst, gleich wieder rot zu werden.

»Sehr verliebt sogar«, fuhr Anna fort und strich mit der Hand über die Picknickdecke. »Nur, die Liebe ist nicht möglich.«

Tom wagte immer noch nicht, Anna anzusehen. Seine Ohren waren ganz heiß geworden, und das Blut pochte in seinen Schläfen.

»Würdest du das demjenigen dann sagen?«, fragte Anna.

Tom spürte, wie sein Herz schneller klopfte. Es sprang ihm fast aus dem Hemd.

Spricht Anna womöglich von mir?, schoss es ihm durch den Kopf. Natürlich! Sie hat gemerkt, wie schüchtern ich bin. Und nun nimmt sie die Dinge selbst in die Hand … Aber warum soll die Liebe nicht möglich sein?

Tom wurde ein wenig flau im Magen. Einerseits war er froh, dass Anna das Thema endlich von sich aus ansprach – andererseits fühlte er sich wie ein Versager, weil er sich nicht traute, ihr seine Gefühle zu gestehen.

»Kommt drauf an«, sagte er mit heiserer Stimme und blickte Anna unsicher an. »Weiß er's denn schon?«

Anna stutze. »Er?«, fragte sie verwundert.

»Ist … es kein Er?«, stammelte Tom. Jetzt wusste er gar nicht mehr, was er denken sollte.

»Nein, Quatsch! Natürlich nicht!«, rief Anna. »Ich meine Liv!«, fügte sie lachend hinzu. »Liv und Diederich. Welchen verliebten Jungen sollte ich denn kennen? Jack? Oder Flo?«

Zum Glück ertönte in diesem Moment die Glocke des Eismanns. Tom war dankbar für die Unterbrechung.

Während er für Anna und sich Eis holen ging, zwang er sich zur Ruhe.

»Cool bleiben, Tom«, befahl er sich. »Du sagst ihr einfach, was du für sie empfindest.«

Als er sich wieder neben Anna auf die Picknickdecke setzte, reichte er ihr eine Eiswaffel. »Was ich sagen wollte«, fing er an, »ist Folgendes … Ähm … Also … Das mit den Atomen … das ist eigentlich einfach Quantenphysik.«

Anna hob die Augenbrauen und sah ihn an, als ob er einen vietnamesischen Dialekt sprechen würde.

Doch diesmal ließ Tom sich nicht beirren. »Manchmal«, erklärte er, »da kann es passieren, dass das eine Teilchen genau weiß, was das andere gerade macht … Das ist ziemlich ungewöhnlich … Also, richtig ungewöhnlich …«

»Ja, genau«, erwiderte Anna und leckte an ihrem Eis. Sie hatte nicht den geringsten Schimmer, warum er jetzt mit Quantenphysik anfing. Jungs sind wirklich eine eigenartige Spezies, dachte sie.

»Du verstehst, was ich meine?«, fragte Tom hoffnungsvoll.

»Nein, eigentlich nicht«, gab Anna zu.

»Okay, ich versuch's anders«, sagte Tom und holte Luft. »Kationen und Anionen … die ziehen sich gegenseitig an … wie Menschen sich gegenseitig anziehen.«

Anna lächelte. Zumindest diesen letzten Halbsatz hatte sie verstanden. Und vielleicht würde sie bis Sonnenuntergang auch den Rest seines naturwissenschaftlichen Vortrags verstehen

Aber so weit kam es nicht. Noch bevor Tom seinen Nachhilfeunterricht in Quantenphysik fortsetzen konnte, erschien Liv auf der Bildfläche.

»Anna, Tom!«, rief sie und wedelte ihren Freunden aufgeregt zu, während sie auf sie zustürmte. »Ihr glaubt nie, was mir passiert ist«, sagte sie und ließ sich unaufgefordert auf der Picknickdecke nieder.

Tom war sauer, dass sein Picknick so abrupt unterbrochen wurde. Anna dagegen atmete erleichtert auf. Irgendwie war ihr Tom ein Rätsel. Manchmal fühlte sie sich ihm so nah. Und dann gab es wieder Momente, da hatte sie den Eindruck, dass sie ihm gar nichts bedeutete. Wie jetzt. Wo er die ganze Zeit über Zitteraale und elektrisch geladene Teilchen sprach.

»Ich habe die Kiste gefunden«, sprudelte es aus Liv hervor. »Von Magellan, von der Postkarte!«

Der Gegensatz zwischen Livs Euphorie und der Sprachlosigkeit, mit der Tom und Anna ihr begegneten, hätte kaum größer sein können.

»Hallo? Jemand zu Hause?«, fragte Liv und schaute von Anna zu Tom. »Versteht ihr denn nicht, was ich sage?« Sie holte tief Luft, bevor sie den Text von der Postkarte zitierte: »Suche die Kiste. Finde Zimmer 13!«

Immer noch keine Reaktion.

»Hallo? Das … ist … die … Kiste!«, sagte Liv langsam, als hätte sie es mit Schwerhörigen zu tun. Dann drückte sie Tom das Kästchen in die Hand.

Tom drehte Livs Fund ungläubig zwischen seinen Fingern hin und her. Das Kästchen war aus massivem Holz, vermutlich Eiche. Und auf dem Deckel stand eine Inschrift: »Professor Doktor T. Magellan«, las Tom vor. Da fiel endlich der Groschen bei ihm. Liv hatte die Kiste, die der Professor auf der Postkarte erwähnte, gefunden. Teil zwei der Mission war also fast erfüllt. Nur, was sollten sie mit der Kiste machen? War womöglich eine weitere Botschaft in ihr? Eine Botschaft von Magellan an Tom?

»Wow, Liv, das ist unglaublich«, rief Anna, der nun ebenfalls klar wurde, was Tom da in den Händen hielt. »Wo hast du sie gefunden?«

Das Strahlen auf Livs Gesicht erlosch schlagartig. Sie konnte Anna und Tom nicht erzählen, dass sie alleine in die Vergangenheit gereist war. Das würden die beiden ihr nie verzeihen. Sie würden sich hintergangen fühlen. »Ich hab sie in Zimmer 13 gefunden«, flunkerte sie und war erleichtert, dass Tom und Anna das Verhör nicht fortsetzten.

Was würden die zwei erst sagen, wenn sie erfuhren, dass Liv den Schlüsselanhänger von Zimmer 13 nicht mehr hatte? Schlimmer noch – dass Jack ihn ihr abgenommen hatte?

»Was ist das?« Richard Leopold blickte kaum auf, als sein Sohn ein rundes Stück Metall auf den Schreibtisch legte.

»Ein Schlüsselanhänger«, antwortete Jack selbstgefällig.

Jetzt erst ließ sich der Hoteldirektor dazu herab, das Ding ein wenig genauer anzuschauen. Es war eine Bronzeplakette, die ziemlich angelaufen war und die Größe einer Münze hatte. Oben war sie von einem Loch durchbrochen, wie es für einen Schlüsselanhänger so üblich war. »Und was soll ich damit?«, fragte Herr Leopold in barschem Ton.

»Dreh ihn mal um«, forderte sein Sohn ihn auf.

Als Richard Leopold die Zahl sah, die sich auf der Vorderseite der Bronzeplakette befand, wusste er, was er vor sich hatte: den Schlüsselanhänger von Zimmer 13. »Woher hast du den?«, wollte er wissen, und seine Stimme klang mit einem Mal wesentlich freundlicher.

»Liv abgenommen«, antwortete Jack und ließ sich zufrieden in dem Stuhl gegenüber seinem Vater nieder.

»Liv«, murmelte der Hotelchef und drehte den Schlüsselanhänger nachdenklich zwischen seinen Finger hin und her. »Zu einem Schlüsselanhänger gehört ein Schlüssel. Zu einem Schlüssel gehört ein Zimmer. Dann haben sie Zimmer 13 schon gefunden!«, rief er schließlich und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass noch ein paar Räume weiter die Gläser an der Bar schepperten. »Sie sind uns einen Schritt voraus!« Bei dem Gedanken an Tom, Anna und Liv lief sein Gesicht vor Zorn dunkelrot an.

»Ja«, meinte Jack und blieb ungewohnt gelassen angesichts des väterlichen Tobsuchtsanfalls.

Das erstaunte sogar Richard Leopold. Gespannt beobachtete er, wie sein Sohn einen kleinen Metallkoffer auf den Schreibtisch hievte.

»Aber wir können bald jeden ihrer Schritte verfolgen«, sagte Jack und öffnete den Koffer. »Wenn wir diese kleinen Dinger heimlich aufhängen«, fuhr er fort und zeigte auf eine beachtliche Menge von Überwachungskameras, die sich in dem Metallkoffer befanden, »sind wir in der Lage, Tom, Anna und Liv zu beobachten. Von hier aus!« Er lächelte seinen Vater triumphierend an. »Sie zeigen uns Zimmer 13 – und kriegen es nicht mal mit.«

Herrn Leopold hielt es nicht länger auf seinem Stuhl. »Worauf warten wir noch?«, rief er und rieb sich die Hände. Zu sehen, was in seinem Hotel vor sich ging – das waren ja fantastische Aussichten! Er wollte die Überwachungskameras sofort installieren. Und zwar in allen Gängen und Fluren, im Aufenthaltsraum des Personals, in der Küche und in der Empfangshalle. Tom, Anna und Liv würden ihn in Zukunft nicht mehr hintergehen. Dann stürmte der Hoteldirektor auf seinen Sohn zu und klopfte ihm anerkennend auf den Rücken. »Ich bin stolz auf dich, mein Junge! Du bist eben ein richtiger Leopold. Durch und durch!«

»Anna, ich muss dir was ganz Schlimmes erzählen«, murmelte Liv, nachdem sie sich die Zähne geputzt und ihren Pyjama angezogen hatte.

»Ist irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte Anna besorgt und setzte sich zu Liv aufs Bett.

»Also, es ist so …«, begann Liv. »Ich glaube nicht, dass wir die Münze … Ich habe die … ähm … aus Versehen … also, ich habe … ähm …«

Anna konnte sich Livs Gestammel nicht länger anhören. »Was willst du denn sagen? Raus damit!«, forderte sie ihre Freundin auf.

Aber Liv brachte es nicht übers Herz, Anna zu gestehen, dass der Schlüsselanhänger von Zimmer 13 sich nun in Jacks Besitz befand. »Tom ist in dich verliebt!«, platzte es stattdessen aus ihr heraus. Das war wenigstens keine Lüge.

Noch bevor Anna realisierte, was ihre Freundin da gerade gesagt hatte, war Liv vom Bett aufgesprungen und rannte aus dem Zimmer.

Anna saß da wie vom Blitz getroffen. »Tom? Verliebt? In mich?«, wiederholte sie und drückte ihren Stoffaffen an sich. »Kann das sein? Er redet doch nur von Atomen … von Teilchen … die sich gegenseitig anziehen …« Sie schaute das Kuscheltier an, als ob es sie verstehen könnte. »Ist er etwa wirklich in mich verliebt?«

Doch der Stoffaffe gab ihr keine Antwort.

Zur gleichen Zeit saß Tom eine Tür weiter auf seinem Bett und versuchte, Magellans Kiste zu öffnen. Aber was er auch anstellte, das Ding wollte nicht aufgehen. Als Flo ins Zimmer kam, versteckte Tom die kleine Kiste schnell unter seiner Bettdecke.

»Warum so ernst, mein Freund?«, fragte Flo und räumte ein paar Sachen von seinem Bett. Als sein Zimmergenosse nicht antwortete, ließ Flo sich auf Toms Bett plumpsen. »Hey, Tommi! Was ist denn los? Hast du Stress mit Pippi Langstrumpf? Oder mit Annika?«

Tom konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Flo hatte mitten ins Schwarze getroffen. »Mit Mädchen allgemein«, murmelte Tom. »Weißt du, ich will 'nem Mädchen sagen, dass ich's echt toll finde, und dann rede ich die ganze Zeit über Quantenphysik!«

Details

Seiten
Erscheinungsform
eBook-Lizenz
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960530558
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
eBooks Kinderbuch ab 8 Jahre Jugendbuch TV-Serie Nikelodeon fuer Maedchen fuer Jungen Zeitreise Abenteuer Freundschaft Geheimnis Das Buch zur Serie
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Titel: Hotel 13 - Band 2: Das Rätsel der Zeitmaschine
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