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SOS - Schwestern für alle Fälle - Band 4: Rettender Engel hilflos verliebt

Roman

©2016 135 Seiten

Zusammenfassung

Diagnose: Liebesfieber! Der Jugendroman „Rettender Engel hilflos verliebt“ von Erfolgsautorin Beatrix Mannel jetzt als eBook bei jumpbooks.

Lillys erste Nachtschicht – aufregend! Und es wird auch gleich richtig turbulent, denn die Schwesternschülerin findet in der dunklen Putzkammer ein kleines verlassenes Mädchen. Für Lilly steht fest: Sie muss helfen und die verlorene Mutter wiederfinden. Kurzerhand startet sie eine Suchaktion. Zum Glück hat sie Hilfe von ihrem großen Schwarm Rufus und auch ihr Mitbewohner Jonas ist erstaunlich hilfsbereit. Der hat doch eigentlich nur Sport im Kopf und interessiert sich überhaupt nicht für Lilly… oder?

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „S.O.S. – Schwestern für alle Fälle. Rettender Engel hilflos verliebt“, der vierte Band der Jugendbuchserie für Leserinnen ab 12 Jahren von Erfolgsautorin Beatrix Mannel. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Lillys erste Nachtschicht – aufregend! Und es wird auch gleich richtig turbulent, denn die Schwesternschülerin findet in der dunklen Putzkammer ein kleines verlassenes Mädchen. Für Lilly steht fest: Sie muss helfen und die verlorene Mutter wiederfinden. Kurzerhand startet sie eine Suchaktion. Zum Glück hat sie Hilfe von ihrem großen Schwarm Rufus und auch ihr Mitbewohner Jonas ist erstaunlich hilfsbereit. Der hat doch eigentlich nur Sport im Kopf und interessiert sich überhaupt nicht für Lilly… oder?

Über die Autorin:

Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie – auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian – Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2015 die Münchner Schreibakademie.

Zur Reihe S.O.S – Schwestern für alle Fälle gehören die folgenden Bände:

Willkommen in der Chaos-Klinik
Ein Oberarzt macht Zicken
Flunkern, Flirt und Liebesfieber
Rettender Engel hilflos verliebt
Prinzen, Popstars, Wohnheimpartys

Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de

www.münchner-schreibakademie.de

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eBook-Neuausgabe Mai 2016

Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel Help! Die Krankenhausserie. Rettender Engel hilflos verliebt bei Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Copyright © der Originalausgabe 2005 Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: ©Minerva Studio - Fotolia.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-124-1

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Beatrix Mannel

S.O.S. – Schwestern für alle Fälle
Rettender Engel hilflos verliebt

Roman

jumpbooks

Das erste Mal ... nachts

Nachts sind alle Katzen nicht nur grau, sondern sie mutieren zu grabschwarzen Löwenungeheuern. Weil nachts alles Vertraute von dunklen Schattenschleiern ausgelöscht wird. Oder warum sonst kommt mir der Weg von der Garderobe zum Stationszimmer der Traumatologie plötzlich so verändert vor? Erinnert mich an Gruselfilme, in denen blonde Krankenschwestern in weiß gestärkten Uniformen einen schummrigen Gang entlanggehen, um an der nächsten Ecke von ihrem Mörder angefallen zu werden ... Wenigstens bin ich nicht blond! Aber das macht mich leider nicht mutiger. Denn sogar dieser tagsüber so langweilig dunkelbraune Linoleumboden scheint jetzt bei jedem Schritt meiner Gummisohlen gierig schmatzend wie ein hungriger Moorsee nur darauf zu lauern, dass ich stolpere.

Im fahlen Schein der Neonleuchten wirkt das Stationszimmer kalt und abweisend und erinnert fatal an ein Auffanglager der Heilsarmee für Bahnhofspenner.

Nur Stationsschwester Jasmin, die mir ungeduldig zuwinkt, mich zu beeilen, strahlt wie gewohnt so blütenrein, als hätte eine gute Fee sie aus einer Packung Persil-Megapearls erschaffen.

»Lilly, was trödelst du so herum, wir haben hier einige Notfälle!« Schwester Jasmin springt mir elastisch wie ein gigantisch aufgepumpter Gymnastikball entgegen.

Damit hat meine allererste Nachtschicht in der Nordendklinik unwiderruflich angefangen. Und gleich mit mehreren Notfällen! Mein Puls reagiert sofort mit einem schnelleren Takt und versetzt meinen Körper in freudige Alarmbereitschaft. Das klingt ein bisschen herzlos, aber es bedeutet, dass Schwester Jasmin mich heute zur Abwechslung mal nicht mit entsetzlich öden Putzaufträgen auf Trab halten wird. Stattdessen werde ich mich um die Patienten kümmern. Ja, her mit all den Arm- und Beinbrüchen, die hier auf der Traumatologie so herumliegen.

»Hier.« Schwester Jasmin reicht mir einen Schwamm und Desinfektionsspray und schüttelt missbilligend den Kopf.

»Das waren die drei Jungs von dieser Puschel auf Zimmer 141. Eine richtige Saubande! Die sind hier überall herumgerannt und haben ihre Schokofinger an jeder Tür abgewischt. Diese Ferkelei kann man ja nicht so lassen. Sonst trocknet das an, und der Putzdienst kommt morgen wieder zu gar nichts mehr.«

Ah ja! Bravo! Das ist das erste Mal, dass ich je von Schmutz-und-Putz-Notfällen höre. Mein Puls ebbt wieder ab zu langweiligem poch, poch, poch.

Manchmal frage ich mich, wie es bei Schwester Jasmin zu Hause aussieht, ob da überhaupt irgendein lebender Organismus eine Chance hat. Ich vermute mal, ihren letzten Freund – wenn sie denn je einen hatte – hat sie auch einfach weggeputzt. Und jetzt ist sie unsterblich in Meister Proper verliebt ...

Seufzend gehe ich im dämmrigen Halbdunkel den Gang entlang zu Zimmer 141, wo Frau Puschel seit drei Tagen mit einem komplizierten Oberschenkelhalsbruch liegt.

Als ich die Tür vorsichtig öffne, sehe ich, dass Frau Puschels Bettnachbarin schon schläft. Frau Kim hat sich mit einem Küchenbeil beim Hühnerzerteilen in die Hand gehackt und sich dann auch noch eine Blutvergiftung zugezogen. So etwas, hat sie uns traurig erklärt, sei ihr in den 20 Jahren, die sie schon in ihrem vietnamesischen Restaurant arbeite, noch nie passiert. Und es wäre natürlich ein reiner Konzentrationsfehler. Man müsste seine Energie voll und ganz auf das richten, was man gerade macht. Egal, ob das Hühnerhacken oder Putzen sei. Das hat Schwester Jasmin natürlich gut gefallen. Ich konnte förmlich sehen, wie sie überlegt hat, ein Buch über das ZEN des Putzens zu schreiben.

Frau Puschel kümmert sich rührend um ihre zierliche Bettnachbarin. Jedenfalls dann, wenn die drei Jungs gerade nicht da sind.

In diesem Zimmer wird unglaublich viel gelacht, sogar dann noch, wenn alle anderen auf Station bei dem trübsinnigen Märzwetter eher an Selbstmord denken. Wahrscheinlich braucht man so ein heiteres Gemüt auch, wenn man drei derart lebhafte Kinder hat. Im Stationszimmer haben wir Valentin, Vinzent und Viktor Puschel schon einen Spitznamen verpasst: »die drei Vandalen«.

Nur Rufus mag diesen Namen nicht. Der beste Krankengymnast der Nordendklinik und der einzige Mann, mit dem ich überallhin auf der Welt gehen würde (wenn er mir denn nur endlich ein Zeichen geben würde), findet, dass die Jungs »die drei Puscheltiere« heißen sollten. Doch das sagt Rufus nur, weil er immer an das Gute in jedem Menschen glaubt und nicht wie ich seit Tagen den drei Vandalen hinterherräumen muss.

Frau Puschel liest in einem Buch. Auf dem Einband schwebt ein blutiges Messer unheilvoll über dem altmodischen Häubchen einer – na bitte: blonden! – Krankenschwester.

»Gutes Buch?«, frage ich leise und deute grinsend auf das Cover.

Frau Puschel grinst zurück und schüttelt ihre vom Liegen platt gedrückte dunkelblonde Dauerwelle. »Ne, zu wenig Tote, viel zu wenig Sex!«

Als ich beginne, die Türklinke mit Schwamm und Desinfektionsspray zu bearbeiten, legt sie das Buch auf ihrem Bauch ab und seufzt wohlig. »Schwester Lilly, Sie glauben gar nicht, wie sehr ich es genieße, Ihnen beim Putzen zuzusehen. Daheim muss immer ich das machen.« Sie lächelt mich entspannt an und liest dann weiter.

Ich verkneife mir einen Kommentar und beeile mich, fertig zu werden.

Als ich dann draußen im Gang die Klinke glänzend poliere, wundere ich mich über diese Stille. Verändert sich mit dem Licht auch der Lärm? Je dunkler, desto stiller?

Tagsüber rattert immer irgendwo ein Bett, ein Infusionsständer, der Aufzug. Der Wagen mit den Essenstabletts scheppert, Türen knallen, obwohl sie das nicht sollten, und Gesprächsfetzen vermischen sich mit quietschenden Gummisohlen.

Diese halbdunkle Ruhe klingt deshalb in meinen Ohren irgendwie unwirklich – so, als würde ein Riese kurz den Atem anhalten.

Ich kontrolliere die Klinke noch einmal. Bravo, keine Schokoreste mehr, nur ein sanftes Schimmern im Halbdunkel.

Auf dem Weg zurück ins Stationszimmer habe ich auf einmal das Gefühl, dass mich jemand anstarrt. Aber es kann niemand hinter mir sein, das hätte ich in dieser Stille doch gehört! Mein Nacken kribbelt plötzlich.

Unsinn, ich bilde mir das nur ein!

Eben war der Gang leer, und das ist er bestimmt immer noch. Zögernd drehe ich mich um.

Rufus prallt gegen mich, weil ich abrupt stehen geblieben bin, und grinst. Einen Moment lang bin ich zu erstaunt, um etwas zu sagen, und sehe nur von seinem Gesicht hinunter auf die leisen Gummisohlen seiner Schuhe.

»Mann, hast du mich erschreckt!« Meine Worte kommen mir unnatürlich laut vor im dämmrigen Gang.

»Die erste Nachtschicht ist gewöhnungsbedürftig, da braucht man jede Menge Unterstützung. Hier!« Er hält mir seine Faust hin und fordert mich mit seinen stachelbeergrünen Augen auf, sie zu öffnen.

Seine Finger fühlen sich warm und trocken an, als ich sie langsam auseinander biege. Verblüfft starre ich den goldenen Schokoriegel in seiner Hand an.

»Danke, aber ich hab keinen Hunger, ich esse ja sonst auch nie mitten in der Nacht!«, protestiere ich, obwohl mein Herz deutlich schneller schlägt. Weil ich erst jetzt kapiere, wer da vor mir steht. Rufus! Lilly, es ist Rufus!

Und dazu noch mit einem Geschenk! Das ist schöner als ein »sehr gut« in der Anatomieprüfung, schöner, als Urlaub zu haben und zu beobachten, wie das Meer im Sonnenschein glitzert, aufregender als eine Liebes-SMS. Es ist – da passt nur ein einziges altmodisches Wort: wundervoll!

Der Schokoriegel funkelt im Halbdunkel der Nordendklinik für mich wie ein Schatz aus »Tausendundeiner Nacht«.

Spontan beschließe ich, diesen Riegel niemals zu essen. Ich werde ihn aufheben und an meine Kinder weitervererben. Er wird versteinern und von späteren Generationen als Symbol der Liebe angebetet werden. Ich sehe, wie Mädchen in zweitausend Jahren in seltsamen Gewändern vor dem versteinerten Schokoriegel um Liebe beten, singen und tanzen ...

Manchmal frage ich mich, ob Verliebtsein bei allen Menschen diese Wirkung hat – zu Visionen führt, die ernsthaft und bei Tageslicht betrachtet leicht oder auch ziemlich verrückt klingen.

Rufus hat nicht nur diese eine fatale Wirkung auf mich. Außerdem werde ich in seiner Nähe immer so atemlos, als wäre ich eben bei einem Marathonwettbewerb über die Ziellinie gerannt. Und ich weiß nicht mal, wodurch das ausgelöst wird: ob es seine roten Haare sind, die er immer zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt, seine Augen oder dieser Johannisbeermund – oder einfach alles zusammen.

Während ich versuche, wieder auf den Boden zurückzuschweben und ruhig zu atmen, wird mir klar, dass er darauf wartet, dass ich etwas sage. Bloß was?

Seine Augen sind im schummrigen Licht noch viel größer und dunkler und sehen mich neugierig an. »Lilly, alles klar so weit?«, fragt er.

Ich räuspere mich. »Na klar, alles klar.«

»Gut, ich wollte nur wissen, wie viele Tage du noch zur Nachtschicht eingeteilt bist.«

Diese Frage verwandelt meine Knie schlagartig in wabbelige Quallen. Ich möchte mich gern irgendwo festhalten. Wow! Heißt das, Rufus möchte endlich eine Nacht mit mir verbringen? Nein, das kann nicht sein, schließlich ist er ja verheiratet.

Diesen Satz, den ich mir ständig sage und den mir meine Freundin Mascha auch immer wieder gebetsmühlenartig vorsagt, kann ich nicht mehr hören. Ja, zum Kuckuck! Rufus ist mit gerade mal 22 Jahren schon verheiratet, NA UND?

Rufus stützt meinen Ellbogen leicht ab. »Du siehst aus, als wäre dir schwindelig!«, sagt er.

Da hat er Recht, mir ist schwindelig, und ich kriege keine Luft, und die Stelle am Ellenbogen, die er berührt hat, fühlt sich an, als hätte mich dort eine Feuerqualle geküsst. Heiß. Sehr heiß!

»Ich frage wegen unserem Tango-Projekt«, erklärt er.

Das kühlt mich, wieder etwas ab. Zu dumm, dass er sich in den Kopf gesetzt hat, mit mir Tangotanzen zu gehen. Wenn er wüsste, was für eine miserable Tänzerin ich bin! Ich übe schon seit Wochen mit meinem Wohnheimmitbewohner Torsten. Mit dem Erfolg, dass er behauptet, ich würde eher einen Stier tottrampeln als Tangotanzen lernen – deshalb sollte ich es lieber als Torero versuchen.

»Sobald mein Nachtdienst zu Ende ist, machen wir Nägel mit Köpfen und gehen aus, versprochen!«, sage ich lahm und finde, dass ich in der Tat zumindest den Mut eines Toreros habe: Lilly, auf in den Kampf!

»Olé!«, füge ich deshalb etwas zusammenhanglos hinzu.

Rufus scheint zu verstehen, was ich sagen will, und zwinkert mir zu. »Olé, und eine gute erste Nachtschicht!«, wünscht er mir, bleibt eine Sekunde dicht vor mir stehen, und ich weiß nicht, ob er mir ein winziges Abschiedsküsschen geben wird oder ob ich ihm eines geben soll. Ich beuge mich vor, atme diesen Rufus-Duft nach Kakao ein und will ihn auf die rechte Wange küssen.

Leider hat er die gleiche Idee, und so stoßen unsere Nasen unsanft aneinander. Sofort kommt mir meine riesig und hölzern vor – wie die von Pinocchio, wenn er gelogen hat. Rufus scheint das nicht zu merken. Er zieht seinen Kopf leicht zurück, bringt ihn in die richtige Position und haucht ein Küsschen auf meine Wangen. Seine stopplige Wange kratzt ein wenig über meine Haut und verwandelt meinen Körper in einen Whirlpool, durch den das Blut wirbelt wie heißes Wasser. Das Atmen fällt mir noch schwerer.

Bevor ich wieder Luft holen kann, taucht Schwester Jasmin aus dem Nichts auf.

Misstrauisch beäugt sie Rufus. »Was machen Sie so spät noch hier? Schieben Krankengymnasten neuerdings auch Nachtschicht?«

Rufus schaut sie treuherzig an. »Na ja, man könnte es beinahe so nennen, ich hatte noch eine Sitzung mit Dr. Wiener ...«

Jasmin stöhnt. »Dr. Wiener, der sollte lieber was arbeiten, statt in endlosen Konferenzen seine Mitarbeiter zu blockieren! Und Lilly, du kommst jetzt mit mir. Es gibt jede Menge Arbeit für dich.« Gebieterisch stürmt Jasmin zum Stationszimmer.

Ich werfe Rufus noch einen bedauernden Blick zu und folge ihr, was gar nicht so einfach ist, denn Schwester Jasmin ist trotz ihrer Körperfülle schnell wie ein Kugelblitz. Aber wohin lasse ich den Riegel verschwinden? Jasmin sind alle Arten von Essen während der Arbeitszeit ein Gräuel. Das höchste der Gefühle ist ein Schluck Tee.

Sie wäre imstande, mein wundervolles Geschenk zu konfiszieren und es mir erst am Ende meiner Ausbildung zurückzugeben. Und ausgerechnet heute trage ich eine hellblaue Hose ohne Taschen. Ich werfe noch einen Blick über die Schulter zu Rufus, aber der ist schon auf dem Weg zum Aufzug.

Deshalb lege ich den Riegel kurz entschlossen auf das Fensterbrett im Gang, vor dem der Ficus-Baum steht, den ich neulich Blatt für Blatt abstauben durfte.

Jasmin zeigt auf ein Bett, das frisch aus dem OP gekommen ist. Eine Notoperation. Man sieht es daran, dass sämtliche Besitztümer und Kleider des Patienten am Bett baumeln.

»Ein Blinddarm«, klärt mich Jasmin auf. »Der wurde zu uns auf die Station verlegt, weil die Chirurgie kein Bett mehr frei hat. Die hatten heute Blinddarmtag. Fünf Notfälle.« Darüber ist Jasmin sauer, denn schließlich hat sie wirklich genug zu tun. Deshalb werde ich abkommandiert, nach dem Blinddarm zu sehen.

Ich bin ihm dankbar, denn damit ist meine Klinkenputzerei erst mal beendet. Ich rolle das Bett in Zimmer 134, das leer steht.

Der Blinddarm ist eine junge Studentin, die entsetzlich friert. Das passiert oft, denn die Operationsräume werden sehr stark heruntergekühlt, damit sich keine Bakterien ausbreiten können.

Ich verspreche der Ärmsten, ihr eine zweite Decke zu besorgen, und laufe zum Wäscheschrank im Flur.

Doch bevor ich mit der Decke zurückgehen kann, klingelt es bei Frau Puschel. Das ist ungewöhnlich, in diesem Zimmer klingelt eigentlich nie jemand.

Ich lege die Decke auf die Ablage neben dem Wäscheschrank und sehe nach, was in 141 los ist.

Frau Puschel ist nicht mehr gut gelaunt. Sie deutet auf die schlafende Vietnamesin im Nachbarbett. Ich muss lächeln, denn Frau Kim schnarcht wirklich unerhört laut.

»Dieser Lärm ist ja nicht auszuhalten. Ich brauche ein starkes Schlafmittel!« Plötzlich grinst Frau Puschel mich an. »Ein Wunder, dass so eine zierliche Person derart laut schnarchen kann! Aber das liegt sicher daran, dass sie sich voll und ganz auf das konzentriert, was sie gerade tut.«

Ich muss mir ein Lächeln verkneifen, und während ich über das ZEN des Schnarchens nachdenke, verspreche ich ihr, dass ich mich sofort darum kümmern werde. Doch erst werde ich Jasmin fragen. Lernschwestern dürfen keine Schlafmittel verteilen, und auch die Krankenschwestern müssen vorher Rücksprache mit dem Arzt halten.

Ich hetze also zu Jasmin zurück, die kurz in den Patientenunterlagen nachschaut. Dort ist nämlich meistens schon notiert, ob Patienten bei Bedarf ein Schlafmittel haben dürfen oder nicht. Dann gibt sie mir eine Tablette für Frau Puschel. Dabei stöhnt sie dramatisch: »Die schon wieder, diese Puschelbrut ...«

Ich bringe Frau Puschel die Tablette, dann erst fällt mir die Decke für den Blinddarm wieder ein.

Doch die Ablage neben dem Wäscheschrank ist leer. Keine Decke in Sicht. Kann es sein, dass Jasmin noch schneller als ein Kugelblitz ist und sie der Studentin schon gebracht hat? Aber woher hätte Jasmin wissen sollen, für wen die Decke ist?

Verwundert laufe ich den schummrigen Gang entlang bis zu Zimmer 134.

Als ich mich über die Studentin beuge, höre ich ihre Zähne klappern. »Die Decke kommt sofort!«, verspreche ich und eile zum Wäscheschrank, hole eine neue, kuschelige Decke heraus und wickle sie dann um die kalten Füße der Studentin. Sie murmelt leise etwas vor sich hin, bevor sie mitten im Satz wieder wegdämmert. Das ist eine häufige Nachwirkung der Narkose.

Leise schließe ich die Tür und gehe den dämmrigen Gang zurück zum Stationszimmer.

Da, ich höre Schritte. Eher kleine Schrittchen. Oder bilde ich mir das nur ein? Da war es wieder. Ich halte den Atem an. Ja, ganz sicher – Schritte! Jetzt bleibe ich stehen und drehe mich um.

Nichts. Nur das Surren der gedimmten Neonröhren. Das muss ich meinem isländischen Mailfreund Halldór schreiben. Seine Mutter hätte bestimmt eine Erklärung dafür. Sie glaubt nämlich an Elfen und Kobolde, was Halldór ziemlich lächerlich findet. Und ich normalerweise auch.

Wahrscheinlich bin ich einfach nur sehr nervös, schließlich kenne ich ja das Krankenhaus nachts noch nicht!

Jasmin sitzt im Stationszimmer und gibt Patientendaten in den Computer ein. Als ich sie frage, ob sie eine Decke weggeräumt hat, schüttelt sie den Kopf, ohne den Blick auch nur eine Sekunde vom Computer abzuwenden, und stöhnt. »Lilly, du musst lernen, ordentlicher zu werden! Du verschusselst einfach zu viel.«

Pah! Diesmal war ich ordentlich, ich weiß genau, wo ich die Decke hingelegt habe. Vorsichtshalber streite ich lieber nicht mit Jasmin, denn unsere Diskussionen enden immer damit, dass Jasmin einen ganz neuen, großartigen Putz-Geistesblitz hat.

Doch obwohl ich ihr nicht widersprochen habe, fallen ihr prompt wieder die Schoko-Türklinken ein, und ich werde zu den Zimmern 140, 142, 158 und 159 abkommandiert.

Diesmal ziehe ich Gummihandschuhe an, damit meine Hände am Ende der Schicht nicht wieder wie Zitronen riechen. Mit rosa Gummihandschuhen, Desinfektionsspray und Schwamm bewaffnet, komme ich mir vor wie ein wahnsinniger mittelalterlicher Ritter auf seinem Kreuzzug gegen Schmutz und Staub. Eine Ritterin natürlich. Ritterin Lilly, die Tapfere, die Gefürchtete, bei der Schmutz keine Chance hat. Von wegen Schussel! Jasmin schätzt mich völlig falsch ein.

Ähem ... oder doch nicht? Ich sollte meinen Schokoriegel nicht vergessen. Nicht, dass er am Ende von Jasmin entdeckt und vernichtet wird.

Doch auf dem Fensterbrett hinter dem Ficus ist nichts. Ich schiebe den kleinen Baum kurz zur Seite, um mich zu vergewissern, aber tatsächlich: Der Riegel ist weg.

Ich höre schon, wie Jasmin wieder »Lilly, du Schussel« sagt, falls ich auf die Idee käme, sie zu fragen, ob sie den Schokoriegel irgendwo gesehen hat.

Nein, da ist es immer noch besser, sich klebrigen Türklinken zu widmen – die können einen wenigstens nicht anmeckern.

Das Schrubben der nächsten drei Klinken verläuft völlig ereignislos. Ich putze aber nur noch die Türseiten zum Gang, um die Patienten nicht aufzuwecken.

Endlich, der letzte Türgriff naht! So glücklich müssen sich Galeerensklaven beim Anblick der Küste gefühlt haben. Doch hier klebt richtig viel Schokoschmiere, und zum ersten Mal finde ich auch, dass die drei Puscheltiere eine ernsthafte Plage sind.

Da, ich bin sicher, dass ich ein Geräusch gehört habe.

Vielleicht ein Patient, der nicht schlafen kann? Aber die haben meistens einen eher schlurfenden Schritt, weil sie Pantoffeln tragen müssen. Die Schritte, die ich gehört habe, waren viel leichter. Ist es Rufus, der noch mal zurückgekommen ist? Oder mein Erzfeind Dr. Wiener, der eine neue Passion für sich entdeckt hat: Nachts seinen Schwestern hinterherzuspionieren?

So kann das nicht weitergehen. Ich werde doch wohl nicht die ganze nächste Woche bei der Nachtschicht damit verbringen, komische Geräusche zu hören? Also, Lilly, du bist mutig. Jetzt dreh dich um!

Nichts. Niemand. Nur die Blätter am Ficus zittern ein bisschen in der Luft, als wäre jemand dort vorbeigegangen.

Ein durchsichtiger Jemand.

Sonst hätte ich ihn sehen müssen. Oder ein schneller Jemand ... oder ein Geist!

Quatsch! Das ist nur meine Fantasie.

Vielleicht macht Klinkenputzen schwachsinnig? Meine beste Freundin und Mitbewohnerin Mascha sagt ja auch immer, dass ich zu viel über alles nachdenke. Da war nichts.

Trotzdem habe ich eine Gänsehaut und drehe mich auf dem Rückweg zum Stationszimmer andauernd um. Natürlich ist nie jemand hinter mir.

Danach scheucht mich Jasmin von einer wichtigen Sache zur nächsten, sodass ich gar nicht merke, wie die Zeit vergeht, und staune, als unsere Schichtablösung schon auftaucht.

Draußen ist es noch dunkel, als ich die Nordendklinik verlasse. Die Luft ist herrlich frisch und klar, und erst als es unter meinen Füßen knirscht, registriere ich, dass es geschneit hat. Könnte es jetzt nicht langsam mal Frühling werden?, frage ich mich. Es ist schließlich schon fast März. Andererseits: Ich mag Schnee. Und dieser hier ist ganz wunderbar pulvrig.

Am liebsten würde ich mich reinfallen lassen, aber hier in Frankfurt weiß man nie so genau, was unter dem Schnee ist, und ich habe keine Lust, mit Hundedreck paniert aus dem Schneebad aufzutauchen.

Ich kratze etwas Schnee zusammen und forme kleine Bälle, die ich an die Autos werfe. Leider habe ich keine Handschuhe dabei und muss ständig meine rot gefrorenen Finger anhauchen, damit sie sich wieder bewegen lassen.

Vor unserem Schwesternwohnheim, einem hässlichen Betonbau aus den späten Sechzigern, bleibe ich unschlüssig stehen und schaue zum dritten Stock hinauf. Die Fenster der kleinen Zimmer, die nach vorne auf die Straße gehen, sind dunkel. Meine fünf Mitbewohner schlafen um diese Uhrzeit sicher alle – oder sie sitzen schon beim Frühstück, wenn sie Wochenenddienst haben. Aber mir ist noch überhaupt nicht nach schlafen zumute. Ich bin von der Arbeit aufgedreht, und die kalte Luft hat mich noch wacher gemacht. Und in meine winzige Zelle von einem Zimmer zieht es mich so gar nicht. Hier draußen ist es viel schöner!

Ich hauche mir also noch ein paarmal kräftig in die Hände und baue auf die Motorhaube eines alten blauen Volvos eine kleine Schneefrau, die wie die Galionsfigur eines verzauberten Elfenschiffchens im Licht der Straßenlaterne glitzert. Sie würde Jasmin gut gefallen, so sauber und weiß. Aber weil sie nicht bloß sauber, sondern überirdisch schön glitzert, leihe ich ihr meinen Taufnamen: Eliza-Lolita, den ich für mich viel zu übertrieben finde. Doch zu dieser schimmernden Elfenkönigin passt er perfekt. Mir – der äußerst irdischen Lilly Podeschwa – wird jetzt langsam unterirdisch kalt. Zeit, nach oben zu gehen.

Partychaos

Als ich aus dem stinkenden Aufzug steige, bleibe ich in unserem würstchenbeigen Flur kurz stehen, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träume.

Der Teppichboden ist übersät mit Konfetti und Luftschlangen, und überall liegen Kippen herum. Aber Fasching ist doch längst vorbei!

Langsam dämmert es mir. Meine Mitbewohner Eva und Jonas wollten gestern Abend zur Feier ihrer bestandenen Orthopädieprüfung ein kleines Fest veranstalten.

Die haben mich reingelegt! Das war eine Riesenfete. Und ausgerechnet dann, wenn ich Nachtschicht habe! Das ist ja wirklich das Letzte! Meine gute Laune stirbt schlagartig ab und verwandelt sich in wütende, kleine schwarze Konfettifetzchen, die vor meinen Augen herumtanzen.

Auf dem Weg ins Aquarium – so nennen wir die blau gestrichene Gemeinschaftsküche – starre ich jede Kippe und jede Luftschlange böse an.

In der Küche sitzen Eva und Jonas eng nebeneinander auf dem roten Sofa und kichern vor sich hin.

»Stör ich euer ›kleines‹ Fest?«, frage ich, und ihr seliger Anblick macht mich noch wütender. Ich schufte die ganze Nacht, und die machen durch!

Zum Glück fällt mein Blick dann auf die spiegelglatte Kühlschranktür, und ich muss entdecken, dass ich genauso säuerlich aussehe wie Jasmin, wenn sie sich mal wieder opfern muss, um etwas einwandfrei Sauberes noch sauberer zu putzen. Deshalb reiße ich mich zusammen und versuche ein Lächeln.

»War ja wohl doch eher eine Riesenparty, oder?«, frage ich die beiden.

»Ja, 'n Superfest. Schade, dass du nicht hier warst. Es hat zur Krönung nur noch gefehlt, dass du singst!«, kichert Eva.

Am liebsten würde ich jetzt eine Bierflasche an der Wand zerdeppern. Ich weiß genau, wie Eva das gemeint hat. Alle meine Mitbewohner finden nämlich, dass ich nicht singen kann. Was natürlich völliger Quatsch ist. Wenn ich nicht so unbegabt beim Tanzen wäre, hätte ich mich längst bei einer Castingshow beworben.

»Hey, Lilly, das war ein Witz!«, sagt Jonas versöhnlich. Dabei spricht er die Ls in meinem Namen etwas lallend aus. In mir steigt wieder Wut hoch. Das muss ja die Party des Jahrhunderts gewesen sein, wenn sogar unser Gesundheitsapostel Jonas sich zu Alkoholkonsum hat hinreißen lassen!

»Ich komm vom Nachtdienst, da hab ich jetzt wirklich keine Lust auf blöde Witze!«, erkläre ich. »Ich hätte eher Hunger.« Ich gehe zum Kühlschrank und öffne ihn. Außer Jonas' schleimigem Algentrunk ist nichts drin. Nicht mal ein Fitzelchen Käse oder ein Ei. Dabei hab ich doch gestern eingekauft: Wurst, Eier, Käse, Jogurt.

Was für ein Leben! Erst verschwindet mein wundervoller Liebes-Schokoriegel, dann eine ganze Kühlschrankladung!

»Hey, Lilly, unsere Gäste sind über den Kühlschrank hergefallen wie ein ausgehungerter Schwarm Heuschrecken. Sorry!«, sagt Eva.

Das wird ja immer besser. Den Algenschleim trinke ich auf keinen Fall. Dann lieber verhungern. Ich lasse mich auf einen Stuhl plumpsen und überlege, was ich jetzt tun soll. Meckern hat keinen Sinn, das würde an den beiden sowieso nur abprallen.

»Wo sind eigentlich die anderen?«, frage ich.

»Schon in die Heia gegangen!«, sagt Eva, und Jonas intoniert dazu »Heia, popeia«, worüber sie sich ausschütten vor Lachen. Echt witzig, die zwei.

»Mascha auch?«, hake ich nach.

»Mascha liegt auch schon im Bett, aber nicht allein!«

»Mit Benny?«, frage ich, denn das wäre großartig. Schließlich ist Mascha schon länger in Benny verknallt, und ich habe ihr aus Versehen mal einen Strich durch die Rechnung gemacht ... Seither muss ich mir ständig ihren Kummer anhören.

»Nein,« sagt Eva und nuckelt angestrengt an ihrer Bierflasche, aus der aber nichts mehr rauskommt. »Is leer!«, stellt sie fest und lässt die Flasche auf den Boden kullern.

»Mascha ist mit Toby zusammen weg. Der sieht aus wie Benny gepaart mit Affe,« sagt Jonas, was Eva zum Kichern bringt.

»Nur weil der Typ ein paar mehr Haare hat als du, ist er noch lange kein Affe!« Eva streicht mit ihrer Hand demonstrativ über Jonas' Brust. Jonas nimmt ihre Hand von seiner Brust und sieht mich an, als wäre er auf einmal wieder nüchtern.

»Hey, Lilly, wirklich, die Party ist einfach ausgeartet, und ich fand's wirklich schade, dass du nicht hier warst. Komm, setz dich doch zu uns.« Er klopft einladend neben sich aufs Sofa.

»Lilly ist bestimmt viel zu müde nach der Schicht«, mischt sich Eva ein.

»Schade,« murmelt Jonas, dann fällt sein Kopf plötzlich nach hinten auf die Sofakante.

Zeit für mich, ins Bett zu gehen. Aber eigentlich habe ich keine Lust dazu, denn die Zimmerwände nach nebenan sind sehr dünn, und Maschas Liebesleben ist lebhaft. Sie könnte ohne Probleme die Stöhn-Synchronstimme in einem Sexfilm übernehmen.

Lilly, du bist sehr ungerecht, ermahne ich mich. Aber ich komme nicht durch. Die andere Stimme in mir nörgelt weiter: Was heißt hier ungerecht? Nichts zu essen, kein Schlaf, und die anderen feiern Party ohne mich, da kann man ja wohl ein bisschen rumnölen, oder?

»Und, Lilly, wie war denn die erste Nachtschicht?«, fragt Jonas, der nach einem lauten Schnarcher wieder zu sich gekommen ist.

»Gruselig!«, sage ich in der Hoffnung, Eva und ihn neugierig zu machen.

»Bestimmt nicht so gruselig wie Torstens Partyoutfit!«, prustet Eva los. »Graue Leggings und schwarzes Sakko!«, erklärt mir Jonas und lacht dann mit Eva.

Na bravo, mit denen ist wirklich nicht zu reden. Ich stehe auf. »Dann Gute Nacht!«

Bevor ich noch das Licht in meinem Zimmer anmachen kann, tanzen vergnügte Laute von nebenan an mein Ohr, unterbrochen von halb erstickten Seufzern.

Stöhn, stöhn.

Ich setze die Kopfhörer meines Walkmans auf, lege mich aufs Bett und starre den Fleck über mir an der Decke an. Doch das nutzt nichts. Ich höre immer noch die Geräusche aus Maschas Zimmer. Ich drehe die Musik sehr laut und lege mir mein Kopfkissen übers Gesicht. Und was ist mit dir, Lilly?, meldet sich wieder meine gemeine Meckerstimme zu Wort. Und sie hat Recht: Mein Liebesleben ist eine einzige Katastrophe. Keine heißen Verehrer, keine Küsse. Nicht mal Händchen halten im Kino.

Stöhn, keuch.

Nebenan steigern sich die Laute, als ob Mascha extra durch meine Kopfhörer und das Kissen an meine Ohren dringen wollte. Immerhin hat sie offensichtlich Spaß. Den habe ich mit Rufus so nie. Vielleicht sollte ich eine Rufus-Diät machen und mir jeden Tag ein anderes männliches Wesen verschreiben als radikale Medizin gegen schwachsinniges Verliebtsein. So wie Mascha das macht. Benny kommt nicht – na, dann ran an Toby. Bravo!

Andererseits bringt ihr auch keiner Schokoriegel in den Nachtdienst. Ach, der Schokoriegel, wo der wohl geblieben ist?

Probehalber setze ich die Kopfhörer ab. Mist, die geben ja immer noch keine Ruhe. Am liebsten würde ich gegen die Wand bumpern und Ruhe! brüllen wie die letzte Spießerin, aber natürlich mache ich es nicht, starre den Fleck über mir an und überlege, was ich noch tun könnte, um an Rufus ranzukommen.

Seine Frau umbringen, das wär's vielleicht. Diese komische, steinalte Rita, die schon über 30 ist und als karrieregeile Top-Journalistin immer in der Welt herumgondelt. Die braucht ihn doch sowieso nicht!

Aber ich. Ich brauche ihn. Und so einen Ersatz-Toby, das wäre einfach nichts für mich, ich bin nicht Mascha.

Stöhn, stöhn. Jetzt reicht es mir. Mit dem Schlafen wird das ja wohl nichts mehr. Ich werde Halldór eine Mail schreiben. Der gute alte Halldór hat mich schließlich schon so oft vorm Irrewerden gerettet! Oder soll ich doch lieber Mascha kaltmachen?

Ach, Ach, Halldór,

hast du manchmal auch Lust, alles hinzuwerfen und auszuwandern – zum Beispiel nach Madagaskar? Du bist immer so ausgeglichen, sogar als deine Freundin Solveig dich verlassen hat, hast du niemals über sie hergezogen. Ich bin schlechter. Ich bin neidisch und hasse Mascha und diesen Sex-Marathon nebenan, weil mein Leben derart öde verläuft, dass alles zu spät ist. Im Vergleich zu mir hat eine Essiggurke richtig viel Spaß am Leben. Mal ehrlich, eher kommt eine Essiggurke mit einem Würstchen zusammen als ich mit Rufus.

Ja, ich sehe ihn oft, aber es passiert nichts, und das Wort Geduld kann ich echt nicht mehr hören. Worauf soll ich eigentlich warten? Dass ich alt und hässlich werde? Meine schwarzen Haare grau und meine langen, schlanken Beine dicke Stampfer mit Orangenhaut werden?

Wirklich schade, dass du so weit weg bist, manchmal male ich mir aus, wie du wohl aussiehst, und verrenne mich in die Idee, dass wir das Traumpaar des Jahrhunderts sein könnten. Hey, du brauchst keine Panik zu kriegen! Ich bin ja tausende von Kilometern weg, und das Geld für einen Islandflug werde ich während meiner Ausbildung ganz sicher nie zusammenbekommen.

Zurück zu Rufus. Ich glaube, ich nehme mir deine letzte Mail jetzt endgültig zu Herzen. Ich greife an. Und zwar richtig mit Körpereinsatz. Ich könnte tun, als würde ich stolpern, und ihn so anrempeln, dass er mich festhalten muss – und dann küsse ich ihn. Oder ich werfe mich verzweifelt an seine Knie und schluchze. Er wird mich dann hochziehen und mich mit seiner wundervollen Stimme fragen, was denn los ist. Mit ersticktem Schluchzen (kann ich ganz gut, hab ich vorm Spiegel ausprobiert, musste aber aufhören, weil Mascha reinkam und gefragt hat, ob ich Heuschnupfen habe) werde ich dann »Ich leide so sehr« flüstern. Und er wird mich fest in seine Arme schließen und die Tränen wegküssen ... Die Frage ist nur, wo mache ich das? In der Nordendklinik ist die Gefahr zu groß, dass jemand vorbeikommt. Und vielleicht reagiert er ja auch ganz anders – man stelle sich vor: Er zieht mich von seinen Knien hoch, schüttelt genervt den Kopf und fragt mich, ob das immer so ein Drama ist, wenn ich meine Tage kriege! Trotzdem, ich lasse Rufus nicht mehr alles bestimmen, sondern – ja, kaum schreibe ich es hin, geht es mir schon besser – ich werde ab sofort aktiver vorgehen. Dann muss er endlich Farbe bekennen. Ich hab die Nase voll. Jawohl! Auf in den Kampf! Olé ... nur, wie soll ich das am besten anpacken? Hast du eine Idee? Zu Hilfe!

Jedenfalls danke ich dir, dass du mir immer ein Ohr leihst und mir so gute Ratschläge gibst. Ich drücke die Daumen, dass bald eine kommt, die dir Solveig endgültig aus dem Schädel treibt. Ich fand übrigens das Gedicht, das du ihr gewidmet hast, nicht pubertär, sondern sehr schön, romantisch und vor allem mutig. Ich hab's mir ausgedruckt und unter meine Schreibtischunterlage gelegt, damit ich's öfter mal anschauen kann. Manchmal bilde ich mir beim Lesen ein, es wäre an mich gerichtet ...

Ich glaube, ich lese es jetzt, dann schlafe ich bestimmt gut. Hey, Mann, nein! So hab ich das nicht gemeint. Es ist NICHT langweilig, sondern so inspirierend, dass ich bestimmt etwas Schönes träumen werde.

Einen dicken, fetten Pfannkuchenkuss schickt dir deine Lilly

PS: Kannst du deine Mutter mal fragen, ob es auch in Krankenhäusern Elfen und Kobolde gibt, oder leben die nur in der freien Natur?

Ich glaube nämlich, bei uns in der Klinik spukt's nachts. Ja, lach du nur, aber da passieren merkwürdige Dinge!

Die Putzwunderüberraschung

Am liebsten würde ich heute meine gesamte zweite Nachtschicht über mit Pudelmütze arbeiten. Aber Schwester Jasmin wird das sicher nicht gutheißen.

Die Pudelmütze sollte alle meine Haare bedecken und so lange draufbleiben, bis sie wieder normal aussehen. Ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich geritten hat, zum Friseur zu gehen. Wo ich doch gar kein Geld dafür habe.

Quark, ich weiß doch, welcher Teufel das war!

Kein Teufel, sondern eine Teufelin namens Mascha!

Sie hätte mir heute Morgen die Haare schneiden sollen, stattdessen kam sie in ihrem hässlichen unkenfroschgrün gestreiften Bademantel und einem lächerlich glücklichen Lächeln im Gesicht zu mir herübergeschlappt und teilte mir mit, dass sie zu verliebt sei, um sich heute mit derart banalen Dingen wie Haaren beschäftigen zu können. Außerdem würde Toby noch bei ihr bleiben. Und Toby sei der Schatz, auf den sie immer gewartet hätte. Ein unglaublich zärtlicher, aufmerksamer, liebevoller, leidenschaftlicher ...

An der Stelle habe ich dann demonstrativ gegähnt und sie gefragt, ob er ein Klon von Benny sei, denn genau das Gleiche hat sie mir erst vor kurzem über Benny erzählt, als der noch ihr Top-Favorit war.

Daraufhin hat Mascha mich erst schockiert angeschaut, dann mitleidig gelächelt und gesagt: »Mir ist klar, dass eine ungeliebte Bohnenstange wie du einfach zu einer neidischen sauren Zitrone werden muss, deshalb verzeihe ich dir.«

Leider ist sie so schnell aus dem Zimmer gerannt, dass ich sie nicht mehr erwürgen konnte.

Neidische saure Zitrone! Sie hätte auch gleich glühende Speere in meinen Bauch rammen können. Und um ehrlich zu sein, aus irgendeinem mysteriösen Grund musste ich dann heulen. Weil ich so blöd zu Mascha war und weil Mascha den Finger genau in die Wunde gelegt hat. Während sie es sich gut gehen lässt, himmle ich Rufus an, was zu nichts führt. Das muss ein Ende haben. Deshalb dachte ich, es wäre eine gute Idee, erst mal zum Friseur zu gehen und mein langweiliges Bohnenstangen-Outfit komplett zu verändern. Weg mit dem polangen schwarzen Haar!

Jedenfalls war ich mir sicher, bis ich beim Friseur saß und in die Hände eines augenbrauengepiercten, bauchfreien Schönlings fiel, dessen schwarzes, gegeltes Haar einen leichten Blauschimmer hatte.

Rodolfo nannte er sich, was mich beinahe zum ersten Mal an diesem Tag zum Grinsen gebracht hat. Rodolfo war so wenig Italiener wie ich Chinesin. Als ich ihm verkündet habe, er solle meine polangen Haare abschneiden und mich mittels jeder Menge Wasserstoff und einer Dauerwelle in einen blonden, romantischen Engel (wie Mascha) verwandeln, entgleisten ihm die Gesichtszüge und auch sein falscher italienischer Akzent. »Uff gar keen Fall!«, rief er entsetzt, um dann zu säuseln: »Oh no, mia bella, das kannst du deinen Haaren nicht antun. No, no, dieses wunder-wunder-wuuundervolle Haar.« Nein, meinte er, er hätte eine viel, viel bessere Idee, die meinen Typ optimal zur Geltung brächte.

Leider wusste ich da noch nicht, für welchen Typ er mich hielt. Anders als Mascha sah er in mir nicht die neidische saure Zitrone, sondern ein Zebra. Denn ich habe jetzt merkwürdige blonde Strähnen, die nicht mal vorne am Haaransatz anfangen, sondern etwa vier Zentimeter weiter unten, und einen fransigen Pony, mit dem ich aussehe wie gerade aus dem Bett gefallen. Mein neuer Typ ist also: räudiges Zebra nach einem langen Winterschlaf.

Ich strecke dem räudigen Zebra im Spiegel der Krankenhaus-Umkleide gerade die Zunge heraus, als Schwester Jasmin hereinrauscht. »Was trödelst du denn schon wieder so lange? Auf, marsch, marsch, es gab eine Massenkarambolage auf der Eschborner Allee!« Dann wirft sie mir noch einen schrägen Blick zu. »Was ist denn mit deinen Haaren passiert? Bist du in einem Ventilator stecken geblieben?« Sie wartet nicht lange auf eine Antwort und stürmt zur Tür.

Soll ich jetzt lachen oder weinen? Stattdessen schüttle ich nur den Kopf, verfluche Toby, Mascha, Rodolfo und am meisten mich selbst, denn dieser neue Look hat mich schlappe 60 Euro gekostet.

Wirklich schade, dass es keine Häubchen mehr für die Schwestern gibt, außer im OP natürlich. Aber ich kann ja wohl schlecht mit einem OP-Häubchen herumlaufen. Ob ich mich vielleicht auf die chirurgische Station versetzen lassen soll?

Ich beeile mich, den Vorsprung von Jasmin aufzuholen, und haste über den dämmrigen Flur. Im Halbdunkel fällt mein Zebra-Look vielleicht gar nicht so sehr auf. Außer Atem erreiche ich das Stationszimmer. Zwei frisch operierte Patienten kommen gerade aus dem OP und warten schon darauf, in ihr Zimmer gefahren zu werden. Ich übernehme das, während Jasmin die neuen Patienten in die Patientendokumentation aufnimmt.

Als ich ins Stationszimmer zurückkomme, schimpft Jasmin vor sich hin. »Stell dir vor, was diese Vandalen von der Puschelbande sich schon wieder erlaubt haben!«

Ich zucke nur mit den Schultern, ich habe heute schlimmere Probleme als die Puscheltiere, außerdem wird Jasmin es mir sicher gleich sagen.

»Diese Monster haben in allen Klos auf diesem Stockwerk die Türschlösser mit Kaugummi verklebt. Wenn wir mit der Massenkarambolage fertig sind, werde ich der Puschel mal einen Vortrag über Erziehung halten, so geht das nicht weiter! Und jetzt musst du dringend die Tabletts vom Abendessen einsammeln, die stehen immer noch herum!«

Das mache ich gerne, denn dabei kann ich mit den Patienten kurz reden und fragen, wie ihr Tag war. So eine Frage klingt vielleicht ein bisschen schwachsinnig, weil die Patienten ja scheinbar im Krankenhaus nichts Großartiges erleben. Doch für die Patienten ist alles, was passiert, wichtig und aufregend. Und außerdem lenkt mich das von meinem elenden Dasein als Zebra ab!

In Zimmer 141 ist es völlig ruhig, wenn man vom dezenten Schnarchen absieht. Neben Frau Puschels Bett liegen die Bilder, die ihre drei Vandalen gemalt haben: eine blaue Sonne mit roten Wolken, ein Strichmännchen mit Beinen direkt am Kopf und ein merkwürdiges Tier mit braunen Flecken. Kaum zu glauben, dass diese Puscheltiere auch nette Seiten haben. Eigentlich sollten die mir auch ein Bild malen, mir schwant nämlich jetzt schon, wer diesen Kaugummi nachher wegkratzen muss. Miss Zebra!

Das Tablett von Frau Puschel ist wie immer komplett abgegrast und aufgeräumt, das von Frau Kim steht unberührt auf dem Tisch. Sie hat wieder nichts gegessen, das muss ich Jasmin sagen.

Ich trage die Tabletts so geräuschlos wie möglich nach draußen und stelle sie auf meinen Wagen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960531241
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
eBooks ab 12 Jahren fuer Maedchen Krankenschwestern Humor Liebe Frech Freundschaft
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Titel: SOS - Schwestern für alle Fälle - Band 4: Rettender Engel hilflos verliebt
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