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Jule - Band 1: Filmreif

©2016 136 Seiten

Zusammenfassung

Laut, witzig, turbulent: der Jugendroman „Jule, filmreif“ von Erfolgsautorin Beatrix Mannel jetzt als eBook bei jumpbooks.

Hallo, ich bin Jule. 15 Jahre, 1,68 groß … und leider nicht gerade eine Bohnenstange. Noch dazu habe ich eine viel zu große Klappe, die mir jetzt einen ziemlichen Schlamassel eingebrockt hat: eine Gastrolle in der angesagtesten Daily Soap. Ist doch super? Von wegen! Ich soll nämlich den Serien-Moppel spielen. Das Star-Dasein habe ich mir echt anders vorgestellt. Von Glamour keine Spur – und dann soll auch noch mein allererster Kuss vor laufender Kamera stattfinden … wie komme ich da nur wieder raus?

„Einer solch charmanten und frechen Heldin kann man als Leserin nur schwer widerstehen!“ Jugendliteratur aktuell

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Jule, filmreif“. Der erste Roman der Jugendbuchserie für Lerserinnen ab 12 Jahren von Beatrix Mannel. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Hallo, ich bin Jule. 15 Jahre, 1,68 groß … und leider nicht gerade eine Bohnenstange. Noch dazu habe ich eine viel zu große Klappe, die mir jetzt einen ziemlichen Schlamassel eingebrockt hat: eine Gastrolle in der angesagtesten Daily Soap. Ist doch super? Von wegen! Ich soll nämlich den Serien-Moppel spielen. Das Star-Dasein habe ich mir echt anders vorgestellt. Von Glamour keine Spur – und dann soll auch noch mein allererster Kuss vor laufender Kamera stattfinden … wie komme ich da nur wieder raus?

Über die Autorin:

Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie – auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian – Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2015 die Münchner Schreibakademie.

Zur frechen Jugendbuchserie rund um Jule gehören die folgenden Bände: Jule – filmreif, Jule – kussecht, Jule – schwindelfrei, Jule – zartbitter

Bei jumpbooks erschien von ihr außerdem bereits die Serie S.O.S. – Schwestern für alle Fälle mit den Einzelbänden:

Willkommen in der Chaos-Klinik
Ein Oberarzt macht Zicken
Flunkern, Flirts und Liebesfieber
Rettender Engel hilflos verliebt
Prinzen, Popstars, Wohnheimpartys

und der historische Jugendroman Die Tochter des Henkers.

Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de

www.münchner-schreibakademie.de/

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eBook-Neuausgabe August 2016

Copyright © der Originalausgabe 2001 Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Copyright © Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs, unter Verwendung eines Bildmotivs von sowanna (fotolia.com)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-170-8

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Beatrix Mannel

Jule – filmreif

Roman

jumpbooks

GLANZLICHT

Meine Eltern nennen es Lügen, ich nenne es Schwindeln. Das kommt der Sache doch viel näher. Schwindeln heißt für mich: ganz einfach an das Gute glauben. Denn Leute, die alles schwarz sehen, geben sich bestimmt keine Mühe, die Welt mit kleinen Schwindeleien zu vergolden.

Euch muss aber klar sein, dass ich keine Lügnerin bin. Das ist mir wichtig! Lügen, das ist, wenn man die totale Unwahrheit sagt. Sich Vorteile erschleicht. So was wie petzende Streber oder Lehrer-Hilfssheriffs. Ich aber schwindle nur. Ich schwindle, um ein Glanz sein zu können. Das mit dem Glanz habe ich irgendwo mal gelesen, und seitdem geht es mir nicht mehr aus dem Kopf. Weil Glanz genau das ausdrückt, was ich gerne sein möchte: etwas Strahlendes, Zartes, Besonderes. Ein schwebender Traumrest. In jedem Fall etwas anderes, als ich selbst bin.

Mal ehrlich, wenn ich in den Spiegel gucke, was sehe ich da schon?

Blöde Frage, werdet ihr sagen, aber wenn ihr in den Spiegel guckt, was seht ihr da? Euer hochwohlgeborenes inneres Selbst? Dass ich nicht lache! Ihr seht vielleicht, dass die Hose kneift oder ein Pickel sprießt oder die Zahnspange glänzt. Es ist doch ausgemachtes Mama- und Papa-Blabla, dass man sich so, wie man ist, lieben muss! Wer kann das schon?

Aber ich wollte euch ja erzählen, wen ich da im Spiegel sehe: Ich sehe stumpfe, todlangweilige, rotblonde Schnittlauchsträhnen, die immer müffeln – klar, das kann man nicht sehen, aber ich weiß es eben, wenn ich in den Spiegel schaue. Dann kommen 1,68 m, im Quadrat, ziemlich blöd verteilt: oben nichts, in der Taille viel und an den Beinen alles. Mein Gesicht? Sommersprossen, eine undefinierbare brabschige Augenfarbe und ein Mund, der groß genug ist, dass dreizehn saure Heringe auf einmal reingehen. Echt! Hab's probiert.

Meine Mutter hat es an meinem vierzehnten Geburtstag endlich aufgegeben, ständig neue Sensationsdiäten an mir auszuprobieren. Sie betrachtet mich bloß seufzend und murmelt: »Das verwächst sich bestimmt alles.« Heimlich sieht sie sich im Fernsehen dann aber die Vorher-Nachher-Show an, wahrscheinlich gibt es ihr die Hoffnung, dass aus mir eines Tages doch noch ein schöner Schwan wird.

Dabei haben wir in unserer Familie schon den schönen Schwan: meine Schwester Cindy. Sie heißt eigentlich Petra, aber irgendwann hat Onkel Fred festgestellt, dass sie mindestens so schön ist wie Cinderella. Seitdem ist der Name an ihr kleben geblieben wie geschmolzenes Orangensafteis an meinen schwitzenden Sommer-Fingern. Also, ich denke bei Cindy immer an Bert, aber da bin ich in dieser Familie die Einzige.

Nein, wirklich, ich bin nicht neidisch. Meine Schwester ist nämlich leider nett, sodass sie sich nicht mal als Hassfigur eignet. Sie ist gut in der Schule, besonders in Französisch und Englisch und in Sport. Und sie ficht atemberaubend schnell und graziös. Ich bin immer ziemlich stolz, wenn sie bei einem Wettkampf in ihrem eleganten weißen Fechtanzug siegt, den Helm abnimmt und das leuchtende, lange, blonde Haar rausschüttelt.

Wenn Cindy mit mir zusammen ist, vergesse ich, wie fett ich bin. Ich konzentriere mich auf sie und stelle mir vor, ich wäre Julia Roberts und würde mit Cindy gleich zu einer Oscarverleihung gehen. Und wenn ich mit Cindy über Klamotten rede, sagt sie auch nie zu mir: »Nee, also Jule, das ist doch nichts für dich.«

Es gibt nur eine Sache, die ich an meiner Schwester auszusetzen habe: Sie ist unheimlich brav und deshalb ein bisschen langweilig. Wenn ich zum Beispiel mit ihr das Wolkenspiel machen will – ihr habt das bestimmt auch schon gespielt: Man liegt im Gras, guckt in die Wolken und sieht ganz merkwürdige Gestalten, kopflose Zwerge und Kuhlöwen –, da erkennt sie nie etwas. Sie sagt: »Jule, tut mir Leid, aber es sind doch bloß Wolken.«

Auch über meine Lieblingsbücher kann ich mit ihr nicht reden, weil, das Einzige, was sie liest, sind die Lovestorys in der BRAVO. Klar lese ich die auch. Aber ehrlich gesagt lese ich viel lieber die Sexbriefe an das Dr.-Sommer-Team. Ich stelle mir dann vor, wie die Manuela aus S. bei D. mit dem Busenproblem wohl aussieht und ob sie nach der Antwort glücklicher ist, ob sie einen Freund hat, der Leonardo di Caprio ähnelt, auf einem Hausboot lebt oder in einem Reihenhaus.

Ist doch komisch, wenn man einen Namen hört oder liest, denkt man sich gleich was dazu. Bei meinem Namen ist das auch so. Ich heiße ja Jule, was ein bisschen nach dem Monat Juli klingt. Das mag ich, denn bei Juli, da fällt mir sofort der Sommer ein. Und den Sommer liebe ich, obwohl ich nie ins Schwimmbad gehe – für meinen Körper gibt es einfach keine anständigen Badeanzüge. Aber Juli, das ist barfuß laufen und warmes Gras mit Hummelsummen, Morgenlicht und Libellenflügelschimmern.

Übrigens, manche Namen riechen auch. Zum Beispiel Klaus, das riecht nach Bohnenkraut. Wirklich! Geht mal an den Gewürzschrank und riecht am Bohnenkraut, und dann denkt euch einen Klaus dazu, passt doch, oder? Manchmal riecht der Name auch nach nichts, wie zum Beispiel Jutta. Allerdings kenne ich eine Jutta, sie ist rothaarig wie ich, aber sehr dünn, und sie sieht so aus, wie Zimt duftet. Zuerst dunkelsüß, und wenn man sie länger kennt, schmeckt man die warme Bitterkeit, die sich im Zimt hinter der Süße versteckt.

Wenn ich so was zu Cindy sage, dann zuckt sie mit ihren Schultern und meint: »Jule, du spinnst doch. Du solltest lieber mal raus hier aus deinem Zimmer, anstatt über so einen Blödsinn nachzudenken.«

Nur deshalb hocke ich jetzt mit meiner Schwester hier in diesem Wartezimmer. Um uns herum sitzt eine magersüchtige Schönheit neben der anderen. Neben mir ist eine, die könnte glatt die kleine Schwester von Heather Locklear sein. Sie liest so hoch konzentriert ihren Text, dass sie die Mücke auf ihrer Nase nicht bemerkt, und mir juckt es schon die ganze Zeit in den Fingern, sie zu verscheuchen.

Bestimmt wollt ihr jetzt wissen, wo wir hier sind. Mal ehrlich, denkt ihr vielleicht, ich sitze im Wartezimmer von Dr. Jekyll, dem Schönheitschirurgen, oder bei Mr Hyde, dem Fettabsauger? Ist irgendwie eine tolle Vorstellung, alles Fett, das ich mir in jahrelanger harter Arbeit mit Chips, Fritten und sauren Heringen angefressen habe, einfach so wegzumachen, wie mit einem Staubsauger, schlchzzch, weg ist er, der weiße Wabbel. Filtertütenwechsel, und die Nächste kommt dran.

Nein. Weit gefehlt.

Wir sitzen hier, weil meine schöne, kluge Schwester sich eine Fernsehkarriere in den Kopf gesetzt hat. Hier machen sie ein C A S T I N G. Ich habe es mal so für euch hingeschrieben, weil es die blasierte Empfangsgöttin am Eingang tatsächlich so gedehnt durch die Nase gehaucht hat. Hätte mich nicht gewundert, wenn die Worte wie Zigarettenrauch in Ringen aus ihrem Mund gewabert wären.

Casting könnte man auch übersetzen mit Fleischbeschau. Fleischbeschau von diesen unzähligen Schönheiten um mich rum. Wenn ich es richtig verstanden habe, wollen sie in der berühmten Teenie-Fernsehserie Nachts ist die Liebe dunkler als draußen einige Darsteller auswechseln, weil die zu alt geworden sind. Die armen Schauspieler sind mit dreiundzwanzig Jahren schon zu alt. Das ist noch härter als beim Tennis oder Eiskunstlaufen. Meine Schwester Cindy mit knackigen siebzehn hat also gute Chancen.

Der Unterschied zu den anderen hier ist, dass Cindy nicht wirklich Schauspielerin werden will. Sie ist bloß unsterblich in einen der Helden verliebt. In Gilbert, so heißt der blonde Schönling – jedenfalls in der Serie. Ich finde den Kerl ziemlich langweilig, aber Cindy hat es voll erwischt. So doll, dass sie hofft, ihn über dieses Casting irgendwie kennen zu lernen.

Ihr Problem ist leider nur, dass es mit dem Auswendig-Rezitieren nicht so gut klappt. Und weil sie im Gegensatz zu mir auch nie schwindelt, kann sie nicht das kleinste bisschen improvisieren. Deshalb bin ich mitgekommen. Endlich kann ich auch was für sie tun. Sie hat gesagt, es macht sie sicherer, wenn ich bei ihr bin.

Der Text, den sie lesen soll, ist ziemlich dämlich. Ungelogen, überzeugt euch selbst:

Cindy: »Ich als deine beste Freundin muss es dir sagen: Robert hat eine andere!«

X: »Das glaube ich nicht! Robert liebt nur mich!«

Cindy: »Aber ich weiß es genau!«

X: »Wie kannst du so sicher sein?«

Cindy: »Weil ich diejenige welche bin. Und Robert hat mir gesagt, er wird dich verlassen!«

X gebrochen: »Oh mein Gott. Wie konntest du mir das antun?«

Cindy kalt: »Gott hat damit nichts zu tun, es war Robert! Er ist ein fantastischer Liebhaber!«

Die paar Zeilen haben Cindy und mich schon einige Tage gekostet. Endlos habe ich mit ihr geübt und die schluchzende X gespielt. Das Problem ist nur, dass Cindy einfach nicht fies ist. Sie würde niemals einer Freundin den Freund ausspannen. Sie glaubt nämlich an ausgleichende Gerechtigkeit. Na ja, das kommt vielleicht vom Fechten.

Ich könnte diesen gemeinen Part viel besser, mit einem Touch »Bette-Davis-Eyes«. Aber in dieser Serie gibt es für mich und meine fettschwabbelnden Schenkel keinen Platz. Hier sind alle Mädchen wunderschön, und die Jungs sehen aus wie kalifornische Surfer.

Die Empfangsgöttin mit der hauchigen Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Nur dass sie jetzt nicht mehr haucht, sondern gelangweilt von einem Zettel vor sich abliest: »Die Nächste ist Petra Neumann.« Entschlossen springe ich auf. Kein Zweifel soll bestehen, dass ich Cindy begleiten werde. Aber meine Mühe ist umsonst, denn niemand stellt sich mir in den Weg, und schon sind wir in einem großen abgedunkelten Raum.

An einem langen Tisch sitzt so ein mittelalter Typ, unheimlich lässig, mit schwarzen, lockigen Haaren. Er raucht stinkende, filterlose Zigaretten. Es ist klar – er ist der Chef, und die miniberockte Frau neben ihm ist seine Assistentin. Die Empfangsgöttin überreicht ihm den Casting-Bogen, den Cindy ausfüllen musste. Cindy darf sich setzen. Ich plumpse auch auf einen Stuhl.

Mich ignoriert der Lockige, während er Cindy jovial angrinst. »Ich bin Peter Schmittke von Schmittke-Film. Du kannst gerne Peter zu mir sagen.« Er wischt ein paar Aschekrümel von seinem schwarzen Jeanshemd. Dann fragt er Cindy ein bisschen über ihr Leben aus, und endlich soll sie vorsprechen. In diesem Moment klingelt irgendwo ein Handy, und »Peter« schnickt mit einer wütenden Geste Assistentin und Handy aus dem Zimmer. Cindy beginnt, mit zitternder Stimme ihren Text zu flüstern. Dann stockt sie. Peter wird leicht ungeduldig. Ich sehe genau, dass er seine Nase reibt, als wolle er »schneller, schneller!« sagen.

»Was ist denn los, Mädel?«, fragt er genervt.

So eine Unverschämtheit! Der kann sich nicht mal Cindys Namen merken, obwohl ihr Casting-Bogen direkt vor ihm liegt.

»Wer liest denn X?«, wagt Cindy zu fragen. Peter zuckt mit den Schultern, dann fällt sein Blick auf mich. Er grinst mich an, als wäre ich ein Pferd, dem er jetzt gleich ein Stück Zucker anbieten würde.

»Wie heißt du?«

»Jule. Ich bin Cindys Schwester.«

»Aha, die Schwester. Kannst du lesen?«

»Ich kann sogar schon Bananen schälen!«

Peter lacht wie verrückt und klopft sich auf seine schwarzbehosten Schenkel. »Na, dann mal los, Jule!«

Ich tue es nur für Cindy und lese X. Aber weil ich so wütend bin und Cindy so unsicher, lesen wir den Text ganz falsch. Endlich sind wir fertig. Am liebsten würde ich wegrennen. Cindy tut mir Leid. Sie steht stocksteif neben mir. Für sie muss es ein ekliges Gefühl sein, etwas nicht zu beherrschen, denn sonst versagt sie nie.

Und für mich ist es, als ob meine perfekte Schwester plötzlich überall ganz dünne Risse bekommt. So ähnlich wie dieser Augenblick, wenn euer Vater im Brustton der Überzeugung zum ersten Mal völligen Blödsinn sagt und ihr es merkt. Schrecklich!

Die Assistentin kommt wieder herein. Peter tuschelt mit ihr und greift ihr dabei, wahrscheinlich um ihre Aufmerksamkeit zu erzwingen, an den Popo. Ihr findet, das klingt klischeehaft? Es ist klischeehaft.

Die Assistentin betrachtet meine Schenkel. Von oben nach unten, von unten nach oben, bis mir die Kopfhaut prickelt vor lauter Verlegenheit. Cindy und ich stehen immer noch da und wollen bloß noch raus hier, aber Peter schüttelt nachdenklich den Kopf. »Setzt euch hin«, weist er uns an. »Wissen eure Eltern, dass ihr hier seid?«

Schnell antworte ich, denn Cindy würde es nur vermasseln. »Na klar, und wenn wir nicht in einer halben Stunde zurück sind, dann holen sie die Polizei.«

Peter flüstert wieder mit der Assistentin. Die sieht ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Das wird Thomas niemals zulassen!«, piepst sie mit hauchdünner Stimme. Peter lacht ein tiefes, schnurrendes Lachen, von der Sorte »Oh Baby, was ich will, das kriege ich auch!«, und dann drehen sie sich wieder zu uns um.

»Also, äh, Cindy, wir glauben nicht, dass du für unsere Serie geeignet bist. Du solltest noch ein bisschen an deinem Ausdruck arbeiten. Aber deine Schwester Jule wäre die Idealbesetzung für die Rolle.«

Mir wird übel. Ob mir Cindy diese Demütigung jemals verzeihen wird? Aber vielleicht will Lockenkopf uns auch nur auf den Arm nehmen. Er strahlt mich wieder an, als ob ich im Lotto gewonnen hätte. »Na, Jule, wie findest du die Idee, bei uns hier mitzumachen?«

»Ich finde die Serie doof«, plappere ich los. »Die Mädchen sehen aus wie geklonte Barbies, und die Männer haben noch weniger Leben in sich als Notorious B.I.G.«

Die Assistentin nickt triumphierend zu Peter rüber, nach dem Motto: »Was hab ich dir gesagt, die Kleine macht nichts als Ärger.«

Peter kommt so nahe, dass ich seinen Nikotinatem inhalieren muss.

»Aber ist es nicht der Traum eines jeden Mädchens, in unserer Serie eine Hauptrolle zu haben?«

»Ein echter Albtraum!«

»Das sagst du doch bloß, weil du nicht schön bist! Reine Abwehr. Wir könnten dir vielleicht den Besuch beim Schönheitsdoktor bezahlen.«

Mal ehrlich, Leute. Das ist doch unglaublich! Was würdet ihr tun?

Ich jedenfalls werfe mich auf den Boden und küsse Peters Füße. Der Idiot glaubt im ersten Moment, ich wäre tatsächlich so dankbar, dass ich seine polierten, englischen schwarzen Lederschuhe lutschen würde. Immerhin lacht Cindy. Na ja, wenigstens an ihr ist mein überspitzt ironischer Auftritt nicht unbemerkt vorübergegangen. Das Peinliche ist nur, dass ich meine Körpermassen nicht so leicht hochkriege und dann mit rotem Kopf vor Peter stehe.

»Also Peter, wahrscheinlich glaubst du wirklich, dass jedes Mädchen scharf darauf ist, Star zu werden –« Beim Luftholen denke ich daran, dass er glücklicherweise nicht weiß, wie gerne ich ein Glanz wäre. Glanz ist aber etwas anderes, als eine hirnlose Marionette zu sein. Womit ich nicht sagen will, dass alle Schönheiten hirnlos wären. Wie auch immer, ich fahre mit einem gepfefferten »aber dem ist nicht so« fort. »Ich würde doch keinen Millimeter von meinem Luxuskörper opfern, um bei einer Serie mit dem bekloppten Titel Nachts ist die Liebe dunkler als draußen mitzumachen.«

Interessiert betrachtet die Assistentin meinen Auftritt. Peter murmelt, er müsse mal telefonieren und ob wir bitte hier warten könnten.

Die Assistentin bietet uns Getränke an. Ihr ist es wohl zu peinlich, allein mit uns hier zu bleiben. Cindy verlangt ein Wasser, ich eine Cola.

Als sie draußen ist, fragt mich Cindy, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. »Jule, stell dir vor, was das für eine Chance ist. Berühmt und schön! Fünfundzwanzig Kilo verlieren, ohne Diät zu machen! Wir könnten unsere Klamotten tauschen.«

Schrecklicher Gedanke. Cindy trägt bauchfreie Polyestertops und hautenge Schlagjeans, dazu Stelzenturnschuhe. Dagegen sind Korsett und Reifrock direkt bequem. Ich schaue sie an. »Bist du sauer, weil sie mich gefragt haben?«

Cindy seufzt so tief, dass das bauchfreie Top fast über ihren Busen hochgerutscht wäre. »Enttäuscht bin ich schon. Aber ich fände es noch schlimmer, wenn du nicht mitmachen würdest. Stell dir vor, du spielst in der Serie mit, dann könnte ich vielleicht Gilbert, also den Typen, der in der Serie den Gilbert spielt, ich weiß nicht, wie er in Wirklichkeit heißt, kennen lernen. Der ist einfach zu süß.«

Tja. Was würdet ihr tun an meiner Stelle? Auch wenn ich hier eben den Auftritt meines Lebens abgeliefert habe, bin ich doch ein bisschen stolz, gefragt worden zu sein. Und fühle mich plötzlich ungemein wichtig. Zumal Cindy nichts dagegen hat. Wer weiß, vielleicht kann ich mich ja revanchieren und den schönen Gilbert tatsächlich für sie interessieren? Andererseits habe ich eigentlich keine Lust auf diesen Affenzirkus.

Na, wie auch immer. Ich werde mir die Entscheidung aus der Hand nehmen lassen. Wenn ich jetzt Ja sage, wären da immer noch Mama und Papa, und die werden mir das Ganze bestimmt verbieten. Ein Ja bedeutet also gar nichts.

»Aber nur, wenn sie mich so nehmen, wie ich bin«, sage ich zu Cindy. »Ich habe keine Lust auf Diät oder Fettabsauger. Klar?«

Cindy strahlt. »Klasse, Jule.«

Peter und die Assistentin kommen zusammen zurück. Die Assistentin stellt die Getränke vor uns, und Peter hält mir einen Bogen hin. »Den könntest du doch ausfüllen, oder?«

»Aber ich will nicht zum Schönheitschirurgen.«

»Das haben wir verstanden. Wir überlegen schon seit langem, dass eine Dicke in der Serie fehlt. Das wäre doch was für dich!«

Ätzend. Es gibt also in der Serie gar keine richtigen Menschen, sondern bloß Schablonen mit Dicken, Blonden oder Schönen.

»Und was macht die Dicke so den ganzen Tag? Heulen? Versucht sie, in jeder Folge einmal Selbstmord zu begehen? Oder ist es die Variante: Fröhliche Dicke steht zu ihren Kilos, lernt tollen Typen kennen und wird dünn?«

»So weit waren wir noch gar nicht. Aber die Idee mit dem Selbstmord finde ich nicht schlecht«, kontert Peter.

Cindy und die Assistentin lachen. Ich lache nicht. Das habe ich jetzt von meiner Großmäuligkeit.

»Wer ist überhaupt der Regisseur von der Serie? Und was machst du dabei?«

Peter richtet sich gerade auf. »Bei einer täglichen Serie gibt es viele verschiedene Regisseure. Ich bin der Produzent.«

»Was tut denn so ein Produzent?«

»Er hat die Kontrolle über die gesamte Produktion. Er sucht die Leute aus, die im Team mitarbeiten. Er hat die finanzielle Verantwortung gegenüber dem Auftraggeber.«

Cindy zupft an meinem Sweatshirtärmel. Aber ich lasse mich nicht stören. »Und wer schreibt all den Unsinn, den die Schauspieler sagen müssen?«

»Das machen Autoren, die nach den Vorgaben der so genannten Storyliner die Dialoge schreiben.«

Irgendwie bin ich beeindruckt. Es steckt wohl doch viel mehr Arbeit hinter so einer täglichen Seifenoper, als ich gedacht habe. Das Ganze fängt an, mich zu interessieren. »Wenn ich bei euch mitmache, kann ich mir die Texte dann selber schreiben?«

Cindy reißt jetzt energisch an meinem Ärmel. Peter und die Assistentin tauschen einen Blick.

»Nein, das kannst du nicht. Das machen die Profis. Es sind viele Dinge zu berücksichtigen, von denen du keine Ahnung hast. Aber wer weiß, wenn du dich für uns entscheidest, dann wirst du vielleicht nach und nach zum Profi.«

»Okay, ich bin dabei.« Die Worte rutschen einfach aus meinem Mund raus, ohne dass ich meinem Gehirn den Befehl dazu gegeben habe. Bin ich verrückt geworden? Habe ich eine Meise? Nein. Na ja, vielleicht schon, aber irgendwie habe ich Blut geleckt.

»Dann ruf doch mal eben deine Eltern an, damit wir einen Termin ausmachen können.«

Cindy hält die Luft an. Ich bleibe cool. »Ja, kein Problem. Kann ich erst mal alleine mit ihnen sprechen?«

Peter und seine Assistentin nicken. Ein schönes Bild, auch wenn ich gerade zu abgelenkt bin, um es zu genießen. Sie geben mir ein Handy, erklären, wie die Nummer zu wählen ist, und gehen dann beide aus dem Zimmer.

»Was willst du Mama sagen?« Cindy nimmt eine ihrer herrlichen Haarsträhnen in den Mund, kaut lustlos auf ihr herum und verunstaltet sie mit ihrem Speichel. Eine schreckliche Angewohnheit.

»Mach dir keine Sorgen«, beruhige ich sie. »Ich sage ihr einfach, ich hätte mich bei der Vorher-Nachher-Show beworben und dabei hätten sie mich fürs Fernsehen entdeckt. Das klappt bestimmt. Mama ist froh, wenn ich erfolgreich bin.«

Ich habe richtig getippt. Mama, die als Sekretärin in einer Schule arbeitet, beschließt hocherfreut, persönlich vorbeizukommen.

Und so geschieht es, dass ich, Jule, der Klassenmoppel, der Fettkloß der Nation, in den nächsten Ferien knallharte sechs Wochen am Set, so nennen die Profis den Drehort, verbringen soll.

Plötzlich bin ich der Superstar in meiner Klasse, und jeder will mit mir einen Kaffee trinken gehen. Natürlich hatte ich vorher schon Freunde, meistens Jungs. Mein bester Freund heißt übrigens Matthias und geht in die Parallelklasse. Wir sind seit Ewigkeiten befreundet. Wir wohnen nämlich im gleichen Haus und haben uns schon im Sandkasten gegenseitig die Schaufeln auf den Kopf gehauen.

In der Schule tun wir allerdings so, als würden wir uns kaum kennen. Ich will nicht, dass Matthias von seinen Freunden gehänselt wird. Die finden es nämlich total uncool, sich mit fetten Mädchen abzugeben. Das mit den Mädchen kann ich sogar verstehen. Ich finde es auch immer ein bisschen langweilig, mit Mädchen zusammen zu sein. Aber vielleicht ist es ja auch so, dass meine Geschlechtsgenossinnen mit mir nichts anfangen können.

Doch jetzt plötzlich, als angehender Fernsehstar, da finden auch Mona, Lisa und Katharina die gute alte Jule plötzlich ganz interessant. Wahrscheinlich hatten sie vorher nur Angst, meine Speckrollen könnten ansteckend sein.

Wenn die Mädels mich belagern und ausfragen, tue ich unheimlich bescheiden und schwindle nur ganz wenig. »Nein, eine winzige Nebenrolle, meine Eltern wollen ja nicht, dass die Schule leidet ...« und dergleichen.

Außer Matthias weiß keiner, dass ich mehr als einmal in der Serie auftauchen soll. Bis auf Cindy natürlich. Der muss ich jeden Abend schwören, dafür zu sorgen, dass sie Gilbert kennen lernt.

Und dann geht alles ganz schnell. Der Tag, an dem es losgehen soll, rückt näher und näher, und ich bekomme schon leichte Beklemmungen. Besonders als der Kostümbildner zu uns nach Hause kommt. Ihr könnt euch bestimmt vorstellen, wie überrascht der Mann ist, als er den Umfang von Busen, Bauch und Po bei mir messen muss. 80-107-120 klingt zugegebenermaßen nicht so schick wie 90-60-90, aber er schüttelt die ganze Zeit den Kopf, und das geht mir dann doch ein bisschen auf die Nerven.

Am Abend vor meinem ersten Tag am Set liege ich im Bett und beobachte, wie sich das Steppdeckengebirge auf meinem Bauch hebt und senkt.

Leise kommt meine Mutter herein und setzt sich auf die Bettkante. Sie duftet schwach nach ihrem Parfüm, das ich Clesamai nenne, weil es nach Clementinen, Sandelholz und Maiglöckchen riecht. Natürlich hat ihr Parfüm einen tollen französischen Namen, aber Clesamai klingt einfach mehr nach Mama. Ich würde lieber Lilly zu Mama sagen, aber sie findet es nicht gut, wenn Kinder ihre Mutter mit dem Vornamen anreden. Dabei rollt doch so ein Name wie Lilly elegant wie Perlen über die Zunge. Daneben klingt »Mama« glatt wie das Muhen einer Kuh, findet ihr nicht?

»Jule, ich möchte dich etwas fragen«, sagt sie und nimmt meine Hand in ihre.

Hoppla, das hört sich nach einem ernsten Gespräch an. Habe ich irgendwas verschusselt?

»Was ist denn?«

Mama sieht mir direkt ins Gesicht, mit ihren großen, blauen Augen. »Sag mal, Jule, bist du dir sicher, dass du bei dieser Serie wirklich mitmachen möchtest?« Sie streicht eine rote Haarlocke ordentlich hinter ihr Ohr zurück.

»Na klar! Sonst würde ich's doch nicht machen. Hat mich keiner gezwungen.«

»Weißt du, Jule, ich frage mich, ob es sein kann, dass du vielleicht nur deshalb mitmachst, um mir etwas zu beweisen.«

»Wie meinst du denn das?«

Mama überlegt einen Moment. »Na ja, ich weiß, dass du weißt, dass ich nicht glücklich über dein Aussehen bin. Du bist einfach zu dick. Ich sage das nicht, weil ich dich mehr lieben würde, wenn du dünn wärst, oder weil es mir peinlich ist. Ich mache mir einfach Gedanken über deine Gesundheit. Und ich dachte, dass du mir mit dieser Fernsehrolle beweisen willst, dass mit dir alles in Ordnung ist.«

Meine Mutter ist wirklich eine gute Mutter. Ich meine, sie kümmert sich um uns und so, aber manchmal, da verstehe ich sie einfach nicht. Was soll das mit ihr zu tun haben? Gibt sie sich die Schuld an meinem Gewicht? Wie kommt sie bloß auf solche Ideen? Manchmal sind gute Mütter ganz schön anstrengend. Was soll ich ihr denn jetzt sagen? Ich kann nicht mal Cindy und ihre sehnsuchtsvolle Liebe zum schönen Gilbert vorschieben, denn das ist schließlich Cindys Geheimnis.

»Das ist Quatsch, Mama, wirklich. Ich bin einfach neugierig. Das ist alles! Gute Nacht, Mama.« Ich umarme sie und gebe ihr einen dicken Kuss. Ich hoffe, damit sind komplizierte Diskussionen abgewendet. Und tatsächlich, sie steht leise seufzend auf und geht aus meinem Zimmer.

Aber mal ehrlich, Jule, denke ich, warum willst du bei der Serie mitspielen? Es ist nicht nur wegen Gilbert, es ist tatsächlich noch etwas anderes. Kann das vielleicht mein Weg zum Glanz werden? Ich bin mir nicht sicher. Aber morgen werde ich schon mehr wissen.

HEXENKESSEL

Es ist so weit. Unglaublich, wie viele Leute hier herumlungern. Ich komme mir vor wie ein Alien im Ameisenhaufen. Alle scheinen sich zu kennen, begrüßen sich, lachen und klopfen sich auf die Schultern.

Ich bin froh, dass mich eine blasse, dünne Gestalt, die alle kurz Eff nennen, herumführen muss. Allein würde ich mich hier niemals zurechtfinden.

Zuerst bringt Eff mich zum Kostümbildner. Dort sieht es aus wie in der Umkleidekabine eines Faschingsvereins. Endlose Reihen mit Garderobenständern voller Kleider. Auf den hohen Fensterbänken stehen Köpfe mit Hüten und grinsen auf dieses bunte Chaos herab.

Der Kostümbildner, es ist derselbe, der bei uns zu Hause war, verpasst mir eine schreckliche grüne Latzhose und ein Psychedelic-T-Shirt. Als ich in den Spiegel sehe, wird mir fast schwindelig. Aber vielleicht bin ich auch nur aufgeregt.

Und schon klopft Eff ungeduldig an die Tür und fragt, ob wir endlich fertig seien, ich müsse dringend in die Maske. Der Kostümbildner schiebt mich raus, und Eff beeilt sich, mich in der Maske abzuliefern. Kaum hat er dort die Tür aufgerissen, werde ich von strahlend hellen Lichtern geblendet. Ich sehe nur noch Sternchen. Als das Flimmern in meinem Kopf ein wenig nachlässt, kann ich die riesigen Spiegel erkennen. Und einen Mann und eine Frau. Sie bitten mich, auf einem der beiden Frisörstühle Platz zu nehmen. Der Mann, er heißt Olaf, beugt sich über mich und hält einen Stift vor mein Gesicht. Dann schüttelt er den Kopf und rührt mit einem Pinsel auf verschiedenen Pudern herum, stäubt den Puder auf seinen Handrücken, hebt die Hand neben meine Wange und murmelt unzufrieden vor sich hin. Schließlich beginnt er, etwas auf mein Gesicht aufzutragen. Dabei fachsimpelt er die ganze Zeit mit der Frau – sie heißt im Übrigen Mary und hat die anstrengende Aufgabe, sich um meine Haare zu kümmern – über meine schöne Haut. Und das, wo ich – ungelogen – in diesem Spiegel wie ein Zombie aus dem Friedhof der Kuscheltiere aussehe.

Nachdem Olaf mit dieser Gesichtsbehandlung fertig ist, kneift er die Augen zusammen, sieht prüfend auf meine Haut und scheint zufrieden mit dem Ergebnis. Während er sich dann meinen Mund vorknöpft, fragt er mich, wie alt ich denn eigentlich sei.

»Fünfzehn«, nuschle ich, weil er mir gerade die Lippen mit einem Pinsel knallrot ausmalt. Und dann ist er fertig, und ich sehe überhaupt nicht mehr aus wie Jule. Ehrlich – ich erkenne mich fast nicht wieder. Ganz fremd kommt mir mein Gesicht vor. Das soll also Tina sein. Tina, das ist meine Rolle. Leise übe ich den Satz, den ich gleich sagen soll. Mein erster Satz! »Hallo, ich bin Tina aus Salzgitter, wir sind gestern hier eingezogen.«

Das ist ja an sich ein ganz normaler Satz. Aber weil ich mich dauernd darauf konzentriere, nur ja nichts zu vergessen, liegen die Worte bleischwer auf meiner Zunge. Panik steigt in mir hoch, mir wird übel. Auf was zum Teufel habe ich mich da eingelassen?

Aber ich habe keine Zeit, mir meine kunstvoll gedrehten Locken zu raufen, denn schon werde ich von Eff zurück ans Set gehetzt. Er schärft mir ein, mich nur ja nicht vom Fleck zu bewegen. Das wäre mir auch nicht im Traum eingefallen, denn dort wimmelt es mittlerweile von noch mehr Menschen. Da sind die Kameraleute mit Assistenten, von denen die meisten so aussehen, als würden sie prinzipiell nur in alten VW-Bussen übernachten. Zwischen den Kameraleuten rennen beständig Tontechniker hin und her. Der eine hat einen prallen Trommelbauch und regt sich andauernd bis fast zum Gehirnschlag auf. Der andere murmelt leise vor sich hin und lugt immer wieder verstohlen zur Decke, als würden sich die Tonprobleme bald in Regen auflösen.

Außerdem gibt es eine Regisseurin. Sie ist mindestens einen Kopf kleiner als ich und sehr schlank. Sie hat langes, offenes Haar, das ihr fast bis zur Hüfte reicht. Ihr Gesicht ist von tiefen Falten durchzogen, und ihr voller Mund leuchtet johannisbeerrot.

Dann stellt sich der Regieassistent bei mir vor. Er hat eine astreine Hühnerbrust. Ehrlich, wenn ich einen Klöppel hätte, dann könnte ich auf seinen Knochen Xylophon spielen. Davon bin ich so abgelenkt, dass ich seinen Namen gleich wieder vergesse. Die Regisseurin, die mit dem Johannisbeermund, heißt übrigens Franziska.

Und dann sind noch tausend andere Leute dort, Beleuchter, der Chefkameramann, Aufnahmeleitung, Aufnahmeleitungsassistent und der Assistent des Aufnahmeleitungsassistenten. Was der zu tun hat, habe ich schnell kapiert. Das ist der Kaffee- und Brötchenholer von Franziska.

Und natürlich ist auch Gilbert da. Gilbert, der mit richtigem Namen Ralf Klopstock heißt. In Wirklichkeit ist er überhaupt nicht so beeindruckend wie im Fernsehen. Obwohl, jetzt sieht er mich mit seinen unglaublich blauen Augen an. Augen wie ganz blaue Glasmurmeln. Oh Mann, das kribbelt sogar in meinem Bauch. Er kommt zu mir herüber und begrüßt mich. »Hallo, darf ich mich vorstellen? Ich bin Ralf Klopstock, und wer bist du?«

Ich bin so verdattert über diese förmliche Vorstellung, dass mir so schnell nichts einfällt, nichts außer Blödsinn.

»Ich bin die Gewinnerin des Gilbert-Bravofanclubs und darf dir heute bei den Dreharbeiten zuschauen. Später musst du mit mir dann schick essen gehen.«

Ralf lächelt, dabei legen seine eher schmalen Lippen eine ganze Front strahlend arktisch-weißer Zähne frei. Er greift souverän in seine Hosentasche und holt eine Autogrammkarte raus. »Was soll ich denn draufschreiben? Für wen?«

Mist, er hat nicht begriffen, dass ich einen Witz machen will. Was habe ich da bloß wieder angerichtet? »Für Cindy, bitte, in Liebe, Gilbert.« Ralf lächelt großherzig und schreibt mit starkem Rechtsdrall den gewünschten Text.

»Vielen Dank!«

»Bis später und viel Spaß!« Er geht graziös wie ein Tänzer zur Aufnahmeleitung. Dort verwandelt er sich unglaublich schnell in Rumpelstilzchen und tanzt um den Aufnahmeleitungsassistenten herum. Die beiden werden immer lauter, und ich höre Gesprächsbrocken. Offensichtlich macht der schöne Ralf dem Aufnahmeleitungsassistenten die Hölle heiß, weil ihm keiner gesagt hat, dass hier eine Fanclubmieze rumhocken würde. Der Assistent, durch Ralfs Gebrüll weiß ich jetzt auch seinen Namen, Stefan, wird rot. Er versichert Ralf, dass er auch nicht informiert ist. Dann kommt Stefan zu mir. »Wer bist denn du?«

Ich bleibe ganz ruhig. Eigentlich sollten doch alle hier am Set wissen, wer ich bin.

Was würdet ihr an meiner Stelle tun? Genau! Ich mache auch erst mal so weiter. Ich bin ziemlich neugierig, wie sich das Ganze entwickeln wird. »Ich bin hier von der Bravo«, geb ich kund. »Ist etwas nicht in Ordnung?«

Stefan erklärt mir unheimlich freundlich, dass leider keine Außenstehenden am Set sein dürfen und ob ich ihm in den Aufenthaltsraum folgen wolle, da gebe es auch was zu trinken. Er verbessert sich nach einem Blick auf meine Figur: »Und zu essen.« Als er das sagt, schmatze ich total gierig mit den Lippen, wie ein Tiger, der schon lange kein Fleisch mehr gehabt hat. »Gibt's da auch Dickmänner, die ganz dicken?«

Stefan mustert mich genauer. Er sieht nicht aus wie ein Blödmann. Er hat eine große, ein bisschen rote Nase, dunkelbraune Augen und ist sehr muskulös. Er wirkt aber so, als hätte ihn ein Riese mit einem Hammer zusammengeschrumpft. Bei den vielen Muskeln müsste er irgendwie größer sein. Ich würde seine Arme gerne mal anfassen. Während er mich intensiv anschaut, registriert er die Schminke, und ihm geht ein Licht auf.

»Du bist nicht von der Bravo?«

»Nö.« Ich starre verlegen auf meine Fußspitzen, obwohl ich sie wegen der dicken Latzhose gar nicht sehen kann.

»Du hast mir tierischen Ärger eingebrockt.« Stefan kann genauso schmelzend gucken wie Ralf, nur dass es bei ihm wärmer wirkt. Die Jungs hier sind ganz schön gefährlich. Sie schauen einem in die Augen, in die Seele, in den Magen und verbrennen die vorhandene Gehirnmasse. Ich werde sehr auf mich aufpassen müssen. Vielleicht wird die Serie von Aliens produziert, die im Laufe der Dreharbeiten echte Menschen durch Marionetten mit Feueraugen ersetzt haben?

»Tut mir Leid.«

Stefan grinst ziemlich breit. »Wenn Ralf das erfährt, wird er richtig sauer. Er hasst es, wenn man ihn auf den Arm nimmt. Er hat nicht die Bohne Humor.«

Na wer sagt's denn: Ralf ist also wirklich ein Idiot! Oder wie nennt ihr Leute, die nie über sich lachen können? Ohne jede Überzeugung antworte ich, nur um überhaupt etwas zu sagen: »Tut mir echt noch mehr Leid.«

»Und jetzt lüfte dein Geheimnis«, fordert Stefan mich auf. »Wer bist du?«

Jetzt will ich eine wirklich originelle Antwort geben und überlege, ob ich mich als Großmutter von Leonardo di Caprio outen soll. Aber da schnaubt schon der Aufnahmeleiter heran. »Was soll der Blödsinn? Liest denn eigentlich keiner von euch die Dispo oder die Stabsliste? Das hier ist die Neue: ›Tina‹. Oh Stefan, wenn ich dich mal fünf Minuten allein lasse! So wirst du es nie zu was bringen.«

Der rotnasige schwitzende Aufnahmeleiter trägt eine Mini-Plie-Dauerwelle, von der ich gedacht habe, sie wäre mit den Zwergpudeln ausgestorben. Außerdem duftet er süßlich-weinig. So riecht auch mein Chemielehrer, Herr Kimmler, und der trinkt heimlich. Aber Herr Kimmler brüllt nie so herum, der wird ganz leise, wenn er wütend ist. Das finde ich schlimmer. Trotzdem ist es eine Sauerei, wenn man jemanden vor anderen anschreit.

Ich überlege, was ich zu Stefans Verteidigung vorbringen könnte. Schließlich kann er überhaupt nichts für meine Schwindeleien. »Das war doch alles nur ein Missverständnis. Wirklich. Ich muss mich falsch ausgedrückt haben.«

Der Aufnahmeleiter brummelt etwas Unverständliches und erklärt mir, dass ich jetzt umgehend zur Regiebesprechung zu kommen hätte. Regiebesprechung. Das klingt unheimlich wichtig.

Ich trabe mit der Menge mit und lande an einem langen Tisch. Kurz vor uns ist gerade Peter eingetrudelt. Ihr erinnert euch an Peter, den Lockenkopf, der sich und die Serie produziert? Er küsst alle auf die Wangen, bei mir verzichtet er darauf. Stattdessen betrachtet er mich wohlgefällig, bittet um Ruhe und stellt mich offiziell dem Team vor. Alle starren mich in meiner grünen Latzhose an. Ich fühle mich wie ein fetter, einsamer Baumstamm ohne Äste, kurz vor dem endgültigen Waldsterben. Die meisten nicken mir freundlich zu. Nur Ralf kann sich kein Lächeln abringen.

Franziska, die kleine, langhaarige Regisseurin, bespricht den Drehplan für diesen Tag. Mit den Beleuchtern diskutiert sie die Lichteinstellungen. Ihr Assistent, der mit der Hühnerbrust, notiert fleißig alles. Dann beschwert Franziska sich bei Peter, dass irgendein Chefkameramann schon wieder zu spät dran sei. Sie habe es satt. Peter schüttelt energisch seine schwarzen Locken und versichert ihr, das werde nie wieder vorkommen. Schließlich seien hier ja alle Profis, Vollprofis.

Kennt ihr einen Unterschied zwischen Profis und Vollprofis? Ich habe immer gedacht, ein Profi ist automatisch ein voller Profi. Na ja. Außer mir und Ralf sind noch vier andere Darsteller da: Sonja, sie spielt Katja, die schwarzhaarige, böse Schönheit in der Serie, Besitzerin eines Schmuckladens. Dann ist da noch Helga, sie stellt die Mutter von Katja dar. In dieser Folge verliebt sich der Freund von der bösen Katja in ihre freundliche, großherzige, warme Mutter, und Katja flippt aus. Der Junge, dem das passiert, heißt in der Serie Orlando und wird von Theo gespielt. Orlando sieht nicht aus wie Orlando. Orlando, da denkt man doch an Ritter oder mittelalterliche Knappen mit langen braunen Locken! Ich jedenfalls. Als ich mitkriege, dass dieser tätowierte und gepiercte Typ Orlando heißen soll und sich in Katjas Mutter verlieben muss, bin ich wirklich neugierig, was sie mit mir anstellen wollen. Und ich werde nicht enttäuscht: Ich soll Orlandos Schwester Tina sein, die vor Jahren zur Adoption freigegeben wurde. Tina weiß nicht, dass Orlando ihr Bruder ist. Sie verliebt sich in ihn, obwohl sie lesbisch ist.

Na, was sagt ihr dazu? Ihr seid verwirrt? Ich auch. Und dazu ist das noch ausgemachter Schwachsinn! Ich hätte mir die Serie vielleicht öfter mal mit Cindy zusammen anschauen sollen. Ich bin gespannt, wie sie mein »Lesbischsein« umsetzen wollen. Wälze ich mich in verschwommenen Kameraeinstellungen mit anderen Frauen auf lila Laken herum, oder wie?

Franziska erklärt mir, wie mein »Charakter als Tina« angelegt ist: Ich soll eine lustige Lesbe sein, die dann zur Hetero bekehrt wird. Immer fröhlich und gut drauf. Wie von selbst kommen mir da die Worte aus dem Mund. »Das ist kein Problem für mich, ich habe eh bloß lustige Lesben in meinem Freundeskreis. Das läuft schon.«

Franziska stutzt einen Moment. Dann lächelt sie wie jemand, der gerade unverhofft einen zerknitterten Hundertmarkschein in der frisch gewaschenen Jeanshose gefunden hat. »Jule, ich glaube, wir werden gute Freunde werden.«

Neugierig beäugt Ralf die Szene vom anderen Tischende aus. Peter erklärt die Besprechung für beendet, und alle stürmen aus dem Zimmer an ihre Positionen.

Ich habe gleich in der nächsten Szene meinen ersten Einsatz, und ganz ohne Schwindeleien ... äh, ich bin aufgeregt. Ich bin jetzt schon fünf Mal auf dem Klo gewesen, dabei ist gar nichts mehr da zum Pieseln.

Aber nun ist es so weit. Ich stehe mitten in der Kulisse, schwitze vor mich hin und tue mir unendlich Leid. Franziska erklärt mir eine Markierung am Boden. »Hier stellst du dich hin. Und dann sagst du deinen Satz.«

»Und was ist mit der Kamera? Muss ich nicht in die Kamera schauen?«

»Doch. Aber nicht bei diesem Satz. Da konzentrierst du dich erst mal auf deinen Auftritt. Okay, du bist neu in der Stadt, und noch kennst du niemanden. Gib alles!« Leise murmelt sie noch in ihren dunklen Lippenflaum: »Lustige Lesbe!«

Plötzlich gleißen höllisch helle Scheinwerfer auf, mir direkt in die Augen. Sofort kommen mir die Tränen. »Maske!«, brüllt jemand, ich glaube, der Aufnahmeleiter. Die Lampen erlöschen wieder. Der Maskenbildner kommt angehetzt, träufelt mir etwas in die Augen, tupft das zerlaufene Make-up weg und flüstert mir »toi, toi, toi« ins Ohr. Bei meinem anschließenden Selbstmord werde ich ihn dafür besonders lobend im Abschiedsbrief erwähnen.

Das Licht flammt wieder auf. Franziska ruft laut: »Und bitte«, und ich bringe außer einem heiseren Krächzen nichts heraus. »Wasser bitte!«, brüllt der Aufnahmeleiter. Die Lampen werden dunkel. Stefan stürzt herbei und drückt mir ein Glas Wasser in die Hand. »Wird schon, Bravo-Girl«, haucht er zwischen zwei Schlucken in mein Ohr. Das fühlt sich gut an, sein Atem an meinem Ohr. Ehrlich, trotz allem kann ich das spüren. Meine Knie werden noch weicher.

»Alles okay?«, fragt Franziska aus dem Dunkel. Ich nicke zaghaft, obwohl nichts okay ist und ich lieber am anderen Ende der Welt wäre. »Na dann bitte«, befiehlt Franziska.

Diesmal bringe ich meinen Satz heraus. Ich sage fehlerfrei: »Hallo, ich bin Tina aus Salzgitter, wir sind gestern hier eingezogen.«

Ich komme mir vor wie eine Idiotin. Ich rede als Baumstamm verkleidet ins Nichts abstruse Sätze. Was mache ich hier eigentlich? Und warum? Während ich wie ein Ölgötze dastehe und warte, was passieren wird, ruft Franziska aus dem schwarzen Nichts zu mir herüber: »Gestorben!«

Ja, genauso fühle ich mich. Abgestorben. Aus. Ende. Was für eine Blamage!

Franziska kommt zu mir. »Du bist eine Naturbegabung. Du hast eine unglaubliche Kamerapräsenz!«

Ich starre sie an. »Häh?« Freundlich nimmt sie mich an die Hand und setzt sich mit mir auf eine Treppenstufe in der Deko.

»Aber es ist doch alles gestorben?«, stottere ich.

Franziska lacht schallend. »Das heißt, dass die Szene fertig gedreht ist. Wir können sie so lassen. Das war gut.«

»Das war gut

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960531708
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juli)
Schlagworte
eBooks starke Maedchen erste Liebe Chaos Flirt Filmstars verliebt Freundinnen Humor frech
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Titel: Jule - Band 1: Filmreif
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