Lade Inhalt...

Jule - Band 3: Schwindelfrei

©2016 154 Seiten

Zusammenfassung

Liebeschaos im Schnee: Der freche Jugendroman „Jule – schwindelfrei“ von Beatrix Mannel jetzt als eBook bei jumpbooks.

Ich kann mein Glück immer noch nicht fassen! Der coole Twister ist tatsächlich mein Freund – ganz offiziell. Und als seine hoch-offizielle Freundin bin ich jetzt natürlich überall mit dabei. Auch beim alljährlichen Snowboard-Ausflug … dabei finde ich Schnee eigentlich nur aus der Ferne schön und „Wintersport“ ist für mich ein Fremdwort. Aber 10 Tage ohne Twister? Auf keinen Fall! Und ich sage euch, bin ich froh, dass ich mitgefahren bin – denn eine mega-hübsche Zicke ist auch mit von der Partie und flirtet doch tatsächlich mit meinen Twister! Da muss ich mir ganz schnell was einfallen lassen …

„Einer solch charmanten und frechen Heldin kann man als Leserin nur schwer widerstehen!“ Jugendliteratur aktuell

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Jule – schwindelfrei“. Der dritte Band der Jugendbuchserie für Leserinnen ab 12 Jahren von Beatrix Mannel. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Ich kann mein Glück immer noch nicht fassen! Der coole Twister ist tatsächlich mein Freund – ganz offiziell. Und als seine hoch-offizielle Freundin bin ich jetzt natürlich überall mit dabei. Auch beim alljährlichen Snowboard-Ausflug … dabei finde ich Schnee eigentlich nur aus der Ferne schön und „Wintersport“ ist für mich ein Fremdwort. Aber 10 Tage ohne Twister? Auf keinen Fall! Und ich sage euch, bin ich froh, dass ich mitgefahren bin – denn eine mega-hübsche Zicke ist auch mit von der Partie und flirtet doch tatsächlich mit meinen Twister! Da muss ich mir ganz schnell was einfallen lassen …

Über die Autorin:

Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie – auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian – Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2015 die Münchner Schreibakademie.

Zur frechen Jugendbuchserie rund um Jule gehören die folgenden Bände: Jule – filmreif, Jule – kussecht, Jule – schwindelfrei, Jule – zartbitter

Bei jumpbooks erschien von ihr bereits die Serie S.O.S. – Schwestern für alle Fälle mit den Einzelbänden:

Willkommen in der Chaos-Klinik
Ein Oberarzt macht Zicken
Flunkern, Flirts und Liebesfieber
Rettender Engel hilflos verliebt
Prinzen, Popstars, Wohnheimpartys

und der historische Jugendroman Die Tochter des Henkers.

Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de

www.münchner-schreibakademie.de/

***

eBook-Neuausgabe Oktober 2016

Copyright © der Originalausgabe 2002 Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler

Titelbildabbildung: Karin & Uwe Annas (fotolia.com)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-176-0

***

Damit der Lesespaß sofort weitergeht, empfehlen wir dir gern weitere Bücher aus unserem Programm. Schick einfach eine eMail mit dem Stichwort Jule an: lesetipp@jumpbooks.de

Gerne informieren wir dich über unsere aktuellen Neuerscheinungen – melde dich einfach für unseren Newsletter an: www.jumpbooks.de/newsletter.html

Besuch uns im Internet:

www.jumpbooks.de

www.facebook.com/jumpbooks

Beatrix Mannel

Jule - schwindelfrei

Roman

jumpbooks

LIEBE ODER WAHNSINN?

Was meint ihr, ist es Liebe, wenn man sich todesmutig für den Angebeteten in eisige Abgründe stürzen will, oder ist es Wahnsinn?

Wenn ich durch das Busfenster diese kalt glitzernden, bis zum Himmel aufgetürmten Schneemassen sehe, die ich in Kürze mit einem Snowboard bezwingen soll, dann denke ich, ich muss verrückt sein.

Aber wenn ich meinen Kopf umdrehe, und Twister in die Augen schaue, wird meine Brust ganz eng vor lauter Glück. Dann lege ich meine Hand auf seinen Arm, und ein Gefühl wandert wie heiße, schwere, ölige Tropfen Rosenduft durch meine Adern. Das ist betörend. Dieses Wort habe ich in einem zerfledderten, aber herrlich altmodischen Schundroman gefunden, in dem uneheliche Waisenkinder zu Gräfinnen werden, Ehemänner Bestien sind und Jungfrauen in dunkle Verliese gesperrt werden. Deren Schönheit verströmt immer etwas verstörend Betörendes. Und so ist es, wenn ich Twister anfasse, oder sehe. Sogar wenn er spricht, fühle ich mich voller ööhs. Als ob seine Stimme direkten Kontakt mit meinen öörogenen Körperteilen hätte. Ich frage mich, ob es da gar keine Grenzen gibt ... Momentan fände ich es wahrscheinlich auch hinreißend, ihm beim Zähneputzen zuzuschauen oder beim Füßewaschen.

Es ist also völlig logisch, dass ich, Jule Neumann, mit 1,68 Meter im Quadrat durch das Wunder der Liebe zum ersten Mal in meinem Leben ernsthaft über die Freuden des Wintersports nachdenke. Für Twister ist der Winter Snowboardzeit. Für mich dagegen war Winter bisher die flauschige Kuschelzeit, bei der man endlich mal im Warmen bleiben durfte, ohne ständige mütterliche Mahnungen zum Thema »an die frische Luft gehen«. Eine Art süße Verpuppungsphase, bevor man im Frühling wieder zum Schmetterling werden muss.

Ihr fragt euch jetzt vielleicht, warum typischerweise ich mit Twister mitkomme, statt dass er mit mir gemütlich vor einem Kamin kuschelt. Ehrlich gesagt, genau das frage ich mich auch. Die traurige Wahrheit ist: Twister wäre auch ohne mich gefahren. Ganz einfach, weil er das schon seit Jahren so macht!

Ich verstehe das nicht. Selbst wenn ich seit Ewigkeiten mit meiner Freundin Luzie in den Osterferien zum internationalen Clubtreffen der, na, sagen wir mal, Nasenringträger reisen würde, wäre ich in der Lage, meine Pläne zu ändern.

Aber Twister hat darüber nicht mal eine Sekunde nachgedacht. Er fährt jedes Jahr in den Osterferien mit seinem Freund Sepp und der Pfarrgruppe West zum Snowboarden. Ich könnte mitkommen, wenn ich wollte, hat er gesagt, oder es eben sein lassen. Und beides wäre für ihn kein Problem gewesen.

Da wollte ich natürlich auch keines daraus machen. Mein bester Freund Matthias hat mir nämlich verraten, dass Jungs Problemmädels hassen. Er sagt, das Einzige, was ihn an seiner Freundin Aische nervt, seien die dauernden Problemdiskussionen. Er würde lieber küssen als reden. Sagt Matthias. Ich glaube übrigens, das ändert sich auch nicht, wenn die Jungs erwachsen werden. Mein Vater stöhnt jedenfalls immer, wenn meine Mutter zu ihm mit rauer Stimme sagt: »Du, Liiiebling« – das Wort Liebling dehnt sie dann so unangenehm, dass man die Probleme hinter den iis fast schon sehen kann –, »wir müssen mal reden.«

Ihr könnt deutlich sehen, dass jedwede Form der Liebe anscheinend Gehirnzellen im großen Stil vernichtet. Besonders meine. Nur weil ich kein Problem sein wollte, habe ich jetzt ein Problem, und zwar ein gewaltiges.

Fast so gewaltig wie die schrecklich hohen Berge da draußen. Irgendwie schüchtern mich diese Riesen ein. Twister dagegen wird immer aufgeregter und verrenkt seinen dünnen Körper, damit er nur ja nichts verpasst. Er nennt mir jeden einzelnen Gipfel mit Namen, murmelt etwas von roten, schwarzen und blauen Pisten, und dabei verdunkeln sich seine graugrünen Murmelaugen zu finsteren Löchern. So als würde er komplett vom Gebirge aufgesaugt, und mir bliebe nur seine leere Hülle. Zur Sicherheit lege ich schnell meine Hand auf seinen Arm. Der fühlt sich kühl an unter meinen klebrigen Händen. Ich streichle ihn kurz, aber Twister bemerkt es gar nicht. Er hat nur noch Augen für die Berge.

Luzie, die vor uns im Bus sitzt, schaut über ihre Rückenlehne und lässt sich von Twister alles erklären. Wenn ich nicht genau wüsste, dass sie keinerlei Interesse an Twister hat, würde ich Bauchweh kriegen bei ihren Blicken.

Aber ich weiß, dass sie nur so glücklich aussieht, weil sie es zum ersten Mal geschafft hat, ihrer Mutter zu entkommen. Und ich habe Luzie dabei geholfen. Luzies Mutter ist nämlich ein bisschen verrückt. Stellt euch das einmal vor, ihr müsstet immer zu Hause sitzen, von Mama kontrolliert lernen, kontrolliert essen und kontrolliert Kalorien vernichtenden Sport treiben. Und es würde nicht reichen, nur »gut« zu sein, »sehr gut« wäre das einzig akzeptable Attribut. Ich schätze, neben Luzie hatte Rapunzel eine wirklich schöne Zeit in ihrem einsamen Turm ...

Luzies Mutter hat noch nie erlaubt, dass ihre Tochter allein irgendwohin gefahren ist. Sie durfte nicht mal zu den Klassenfahrten mit, obwohl mehrere Lehrer bei ihr zu Hause vorgesprochen hatten. Luzies Mutter ist ein so schwerer Brocken, dass ich tatsächlich meine bezaubernde Schwester Cindy motivieren konnte, uns zu helfen. Das war von Anfang an unser Plan gewesen. Cindy hat am Telefon meine Mutter gespielt und erzählt, dass wir, also Familie Neumann, in ein Luxushotel in der Schweiz fahren werden und es ganz bezaubernd fänden, ihre Tochter Luzie für diese Zeit in den Schoß unserer Familie aufnehmen zu dürfen. Cindy ist der Anruf nicht leicht gefallen, denn sie lügt normalerweise nicht. Aber ich konnte auf meine tugendhafte Schwester ausnahmsweise ein klein wenig Druck ausüben. Denn Cindy hat schon seit einiger Zeit einen neuen Freund, Jörg, und von dem hat sie Mama nicht die kleinste Kleinigkeit erzählt. Dabei ist Mama Cindys beste Freundin, und Cindy verrät ihr sonst alles. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls haben wir bei der ganzen Sache auch noch mächtig Glück gehabt, denn natürlich wollte Luzies Mutter meine Mutter persönlich treffen, was in letzter Sekunde durch die Tatsache verhindert wurde, dass ein Tennismatch von Luzies Bruder Frederic verlegt wurde und Luzies Mutter nicht kommen konnte. Allerdings mussten wir ihr die Handynummer von Cindy geben, falls sie in Sorge ist. Ich hoffe, dass sie Cindy nicht jeden Tag nervt. Natürlich wollte Luzies Mutter auch noch die Adresse. Zur Sicherheit, wie sie sagte. Ich habe ihr die Adresse eines erstklassigen Luxushotels in St. Moritz gegeben, allerdings mit einer falschen Telefonnummer. Falls sie dort anruft, ist immer besetzt. Zum Glück sind meine Eltern auch verreist. Nach Hawaii. Eine Art zweiter Flitterwochen.

Mit vereinten Kräften haben wir es also geschafft. Luzie ist zum ersten Mal in ihrem Leben frei! So frei, dass sie jetzt über dieser Rückenlehne hängen und Twister anstrahlen kann. Auch sie scheint von dieser monströsen Bergwelt geradezu entzückt zu sein.

Eben bittet sie Twister, mit ihr den Platz zu tauschen, weil sie sich ein bisschen mit mir unterhalten wolle und ihr übel würde, wenn sie sich immer nach hinten umdrehen müsste. Und Twister, der momentan auch neben einem siamesischen Hängebauchschwein sitzen könnte, ohne es zu merken, steht sofort auf und besucht Sepp, der weiter vorn sitzt.

»Ist diese Landschaft nicht wunderschön?«, fragt Luzie und setzt sich mit einem kleinen Plumps neben mich auf das braunlilafarbige Sitzpolster

Oh Mann! Auf was habe ich mich da nur eingelassen? Ich nicke und versuche begeistert auszusehen, schließlich möchte ich kein Spielverderber sein.

»Du bist ein bisschen blass um die Nase, ist dir schlecht vom Busfahren?« Luzie sieht mir besorgt ins Gesicht.

»Nein, der Bus ist wunderbar!« Ich wünschte sogar, die Fahrt würde nie aufhören, denn so könnten wir auch nicht im Jugendhotel ankommen. Aber das kann ich Luzie schließlich nicht erzählen. Sie ist in dieser Hinsicht wie Twister, sie liebt Sport.

»Was ist es dann?« Luzie lässt nicht locker.

Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht bin ich einfach nur müde. Du weißt schon, Twister ist sehr fordernd ...«, grinse ich. Dabei habe ich die letzte Nacht gar nicht mit Twister verbracht. Ehrlich gesagt, ist es uns noch nie gelungen, überhaupt eine Nacht zusammen zu verbringen. Das Höchste der Gefühle war ein Abend, an dem meine Eltern mir erlaubt hatten, bis ein Uhr wegzubleiben. Luzie, die aussieht wie ein blauäugiger Engel, der seine kurzen Haare in flüssiges Pech getunkt hat, grinst zurück. Sie kennt eben meine Wunschträume.

»Und wie findest du Albert?«, flüstert sie mir zu. Ich werfe einen Blick nach vorn. Albert ist der evangelische Pfarrer, der die Gruppe begleitet. Vielleicht ist er auch noch nicht Pfarrer, eher so etwas wie Pfarrerlehrling. Albert hat ein rundes, freundliches Gesicht mit einer Kirchenhaut. Damit meine ich nicht etwa, dass er Pickel hätte wie Glocken, die sich unter einem Kirchturm wölben. Nein. Aber mir ist aufgefallen, dass Menschen, die intensiv für Gott arbeiten, mit so einem rosigen, glatten Teint belohnt werden, der etwas Unschuldiges hat. Als ob die Haut erstaunt wäre, die Sonne zu sehen. Mich würde interessieren, ob ihr die gleiche Beobachtung gemacht habt.

Albert hat außerdem eine sehr kultige Brille. Denn er trägt seit seinem zwölften Lebensjahr die gleiche, und diese abartig großen Metallformen sind gerade wieder sehr in Mode. Wenn er die Gläser bunt färben würde, könnte er als DJ des 22. Jahrhunderts durchgehen. Sein blondes Haar ist voll und wölbt sich vorn zu einer Schmachtwelle, die aussieht, als wäre sie an seinem Kopf wie an einer Galionsfigur erstarrt. Sein Lächeln liegt breit auf den gelben Zähnen, und er hat immer ein passendes Bibelzitat auf den Lippen. Er leitet seit Jahren diese Gruppe und ist ein hervorragender Skifahrer, sagt Twister, und der muss es wissen.

Trotz allem ist etwas an Albert, was mich beunruhigt. Vielleicht sind es seine Augen, die ständig hin und her schnellen, aber dann unvermutet stehen bleiben, ganz wie die Zunge einer Schlange.

»Hey, Jule, schläfst du, oder hast du Tagträume?« Luzie stupst mich sacht in meine speckigen Rippen. »Ich hab dich was gefragt!«

»Wie ich Albert finde ... na, also, keine Ahnung.«

»Ich bin ja so aufgeregt. Was glaubst du, wer bei uns im Zimmer sein wird?«

»Sonja vielleicht?« Sonja ist in Twisters Klasse, ich kenne sie noch nicht so gut, aber sie scheint nett zu sein.

»Das wäre ja schon ein ganz schöner Zufall. Was meinst du, wie verteilen die uns überhaupt auf die Zimmer? Alphabetisch?« Luzie nagt am Nagel ihres kleinen Fingers, der sowieso schon bis zum Nagelbett abgekaut ist. Sie knabbert nur an diesem einen Finger und bringt damit ihre Mutter zur Weißglut, denn nach deren Meinung gehören gepflegte Fingernägel zur Grundausstattung einer Karrierefrau.

»Luzie! Mach mal halblang«, bremse ich meine nervöse Freundin. »Ich war doch auch noch nie mit.« Es freut mich zwar, dass Luzie glaubt, ich hätte alles bestens im Griff, aber es erstaunt mich, dass sie so aufgeregt ist. Schließlich kann sie im Unterschied zu mir Ski fahren und sogar snowboarden. Und außerdem ist sie so hübsch, dass eine Menge Jungs sich den Arm abhacken würden, nein, das ist etwas übertrieben, also sich vielleicht die Fingernägel abschneiden würden, um mit ihr ins Kino zu gehen. Warum – frage ich mich – ist sie dann so aufgeregt?

Nick schaut vorbei und schenkt Luzie ein bewunderndes Ganzkörper-Lächeln. »Na, Mädels, alles im grünen Bereich? Wir haben es gleich geschafft«, ertönt seine angenehm warme Stimme.

Luzie lässt wie elektrisiert ihren Finger sinken, wirft Nick einen kühlen Blick zu, allerdings einen von der Sorte: unter meinem Eisberg brodelt ein Grillfeuer, nickt dann aber betont gleichgültig.

Nick grinst und schenkt mir noch ein extra Lächeln. Er mag mich. Und ich weiß auch, warum. Weil er sicher ist, dass ich nicht plötzlich atemlos schnaufend vor ihm stehe und ihn mit schmachtenden Liebeshymnen langweile. Ich vermute, er geht davon aus, dass ich mir bei meinem quadratischen Aussehen keine Hoffnungen auf den feurigsten Romeo der Schule mache. Dabei liegt die Sache ganz anders. Er ist einfach nicht mein Typ. Aber das würde ihm nie einfallen.

»Wie kommt es eigentlich«, lächle ich zurück, »dass du dir eine Woche lang fröhliches Nichtstun leisten kannst? Musst du denn nicht fürs Abi lernen, so wie Cindy?«

Nick zuckt mit den Schultern. »Es klingt ziemlich hochnäsig, wenn ich dir ehrlich antworte. Aber Tatsache ist, dass ich erstens gut im Rennen liege. Und zweitens brauche ich keinen Durchschnitt von 1,0 – schließlich studiere ich anschließend an einer amerikanischen Privatuni.«

»Wow!« Luzie ist beeindruckt.

Diese unreflektierte Bewunderung kann ich natürlich nicht im Raum stehen lassen. »Seit wann kann man die Ausbildung zum Dressman an einer Uni studieren? Was für Seminare hat man da wohl? Fußpflege? Das richtige Shampoo?«

»Da liegst du falsch, Jule.« Nick grinst über das ganze Gesicht und knöpft pantomimisch ein Hemd auf. »Ich studiere Tabledance, Fachrichtung Chippendale.«

»Uhhuhuhu!« Luzie hat sich nach einer Schrecksekunde erholt und begriffen, dass man Nick auf den Arm nehmen darf.

Ich sabbere ein bisschen auf mein T-Shirt. »Bringt mich raus hier, ich kann mich nicht beherrschen, ich werde gleich zum Tier ...«, stöhne ich, und Luzie klatscht aufmunternd. »Gib alles, Baby!«, feuert sie ihn an

Nick tanzt und dreht sich, soweit das im engen Bus klappt, und wirft mir dann ein unsichtbares Hemd zu, das ich lechzend auffange, bevor ich ohnmächtig auf meinen Platz zurücksinke.

Als ich höre, dass Twister applaudiert, schlage ich die Augen auf. Sein Klatschen erkenne ich sofort, denn seine klodeckelgroßen Hände erzeugen einen eigenartig hohlen Klang. Er sucht meinen Blick. Endlich, den ganzen Morgen habe ich darauf gewartet!

Ich weiß ja, dass er keine Ahnung hat, wie sehr ich Wintersport verabscheue und wie groß daher mein Opfer ist. Und ich weiß noch viel besser, dass er gar keine Opfer von mir haben will! Denn er hätte den gleichen Spaß, auch wenn ich zu Hause geblieben wäre. Aber das hätte ich nicht ausgehalten. Zehn Tage ohne Twister!

Ein schrilles elektrisches Fiepen unterbricht uns. Albert hat wieder einmal das Mikrofon eingeschaltet, um uns mit seiner dünnen, klaren Stimme etwas mitzuteilen.

»Ich bin froh und freue mich zusammen mit euch allen. Freut auch ihr euch und teilt meine Freude! Philomen, 2, 17 bis 18. Wir sind gleich da. Bitte macht euch bereit zum Aussteigen.«

Habe ich schon erwähnt, dass Albert für jede Gelegenheit ein passendes Bibelzitat weiß? Seit wir losgefahren sind, ist das jetzt mindestens schon das zehnte. Es scheint so eine Art Hobby von ihm zu sein, zumindest hat mir Twister das erzählt. Ich habe große Lust, mir auch einen Spruch auszudenken, so etwas wie: Seid still und verstummet angesichts der Jugend, denn die Jugend spricht die Weisheit des Alters, Korinthen Zehn.

Doch selbst für mich gibt es ein paar Grenzen.

Da hält der Bus auch schon vor einem alten Gebäude, das mitten zwischen zwei Schneebergen emporragt. Es sieht gar nicht aus, wie ich mir ein Jugendhotel vorgestellt habe. Eher wie ein Herrschaftshaus, in dem Kaiserin Sissy gewohnt haben könnte, als sie noch keine Kaiserin war. Allerdings scheint sich seither niemand mehr um das Gebäude gekümmert zu haben. Die Fassade hat vornehme Risse. Die gelbweiße Farbe der Fensterrahmen ist abgeblättert, der mächtige Balkon über dem Eingang hängt ein wenig schief, und ich kann von unten durch die Löcher im Boden in den Himmel sehen. »Hotel Einstein« steht da in altdeutschen Buchstaben. Daneben ist eine Lüftlmalerei, eine Maria mit Kind.

Ich glaube, das werde ich mögen.

Als ich aus dem Bus aussteige, kriege ich einen Vorgeschmack auf weitere Freuden des Wintersports. Die frische saubere Eisluft, die sich auf meine gerade noch warmen Lungen legt und dort zäh und schnell kleben bleibt wie nasse Hände an tiefgefrorenen Pommes. Und das an Ostern! Als ich husten muss, kommt mir flüchtig der Gedanke, das Frühstadium einer Grippe zu simulieren, aber bevor ich diesen Plan ausführlich überdenken kann, steht Twister neben mir, seinen Seesack über den Schultern. »Soll ich dir mit deinem Koffer helfen?«, fragt er mich mit diesem zärtlichen Unterton, bei dem selbst meine vereiste Lunge sofort auftaut, eine Art Mikrowelle der Liebe.

Hey, Moment mal, was grinst ihr so? Es hat mich eben voll erwischt.

Bevor ich noch etwas sagen kann, nimmt Twister meinen Koffer und geht in das Hotel. Übrigens, wir reden hier nicht von einem modernen Schalenköfferchen. Mein Koffer ist ein gammeliges, schweres, kackbeiges Ledergerät, mit dem man nicht mal seinen Hund vor die Tür schickt. Dieses Gerät gehört aber leider mir. Bis heute waren mir Koffer ziemlich egal. Aber jetzt hätte ich gern etwas Leichtes, Zartes gehabt, etwas, das meine inneren Werte verkörpert, so wie die elegante Koffer-Ausstattung, die meine Schwester Cindy letztes Jahr zu Weihnachten bekommen hat.

Nach dem gleißenden Schnee in der Sonne wirkt die Halle düster, schmuddelig und seltsam gedämpft. Vor einem riesigen Kamin, in dem ein Feuer brennt – ein echtes, knisterndes Feuer –, stehen alte durchgescheuerte Ledersessel, die so groß sind, dass ich und sogar noch eine zweite Person dort bequem Platz finden würden. Der Boden ist mit rotem Teppichboden bedeckt, auf dem wiederum abgetretene asiatische Läufer ausgebreitet sind. Auf dem Kaminsims stehen jede Menge Buddhas, Hirsche, Statuen und Fotos herum. Das Ganze ähnelt eher der Empfangshalle einer älteren Dame als einem Jugendhotel.

Albert winkt die Gruppe zu sich und breitet die Arme aus, als würde er auf der Kanzel stehen. »Für alle, die noch nie hier gewesen sind, ein paar Regeln. Der Herr in diesem Haus ist unser aller Winfried. Ähh, Winfried?« Er sieht sich im Raum um und lässt dann leicht enttäuscht die Schultern sinken. »Also, dazu dann später. Dieses Haus wurde der Kirche mit der Auflage vermacht, es als günstiges Feriendomizil für Jugendgruppen zu nutzen. Dazu ist es nötig, dass ihr alle mit anpackt.«

Protestgemurmel breitet sich in der Gruppe aus.

Albert berührt unwillkürlich das silberne Kreuz auf seiner Brust und fährt dann fort. »Gute Arbeit gibt herrlichen Lohn. Salomon 3, 15. Also, wir teilen zunächst den Küchendienst ein. Hier sind die Listen. Ich würde vorschlagen, wir versuchen es erst einmal auf freiwilliger Basis.«

Ich bin entzückt. Meine Rettung naht! Flugs ergreife ich das Papier und trage mich jeden Tag zum Küchendienst ein! Snowboard, ade! Eine Minute später steht mein Name sowohl auf der Küchenliste als auch auf der Badezimmerliste. Jeweils fünf Mal. Für fünf Tage. Schade, dass es nicht noch mehr zu tun gibt. Luzie sieht mir über die Schulter, keine Ahnung, wie sie das schafft, sie ist nämlich viel kleiner als ich, und zischt mir ins Ohr. »Sag mal, Jule, bist du komplett übergeschnappt? Willst du von Albert heilig gesprochen werden? Du kannst dich doch nicht jeden Tag zum Küchendienst einteilen!«

Zu spät. Alberts Augenbrauen heben sich erstaunt, als er wieder und wieder auf meinen Namen stößt. »Jule, Jule Neumann, wer ist das bitte?«

Alle, die mich kennen, rücken unwillkürlich ein bisschen von mir ab, sodass ein kleiner Kreis rund um mich herum entsteht. Jeder hat nun freien Blick auf mich, wie ich da stehe, in meiner neuen roten Daunenjacke, noch dicker als sonst.

»Das bin ich«, krächze ich.

Albert mustert mich voller Verachtung und zitiert dann mit großartigem Pathos. »Hütet euch davor, Gutes nur deshalb zu tun, um von den Menschen bewundert zu werden. Matthäus, 6, 1.«

Na prima. Fehlt nur noch, dass er angeekelt sein Gesicht abwendet. Twister schaut mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Luzie flüstert leise: »Das hast du jetzt davon!«

Albert hat sich inzwischen wieder gefasst. »Jeder von euch trägt sich einmal zum Küchendienst ein und einmal zum Badreinigungsdienst. Das genügt völlig. Ist das klar?«

Er sieht grimmig in meine Richtung, und ich verzichte nur wegen Twister darauf, auf die Knie zu fallen und laut: »Vergebung, Herr!« zu rufen. Stattdessen atme ich tief durch. Da kann man mal sehen, wie unmöglich es ist, zu WISSEN, was in anderen vorgeht. Denn Albert ist meilenweit von dem entfernt, was er für die Wahrheit hält. Weil mir während dieser Zurechtweisung ziemlich heiß geworden ist, ziehe ich meine Daunenjacke aus und werfe sie achtlos in einen Ledersessel.

»Vorsicht!«

Der nächste Fettnapf. Meine Jacke hebt sich wie von selbst aus dem Sessel, und darunter kommt ein verdutzt aussehender Männerkopf zum Vorschein. Ich habe meine Jacke auf einen Mann geworfen.

»Muss wohl eingenickert sein. Ich bin Winnie.« Der Mann sieht aus, als sei er einer Reportage über die 68er entstiegen, mit Pferdeschwanz, roter Pluderhose und orangem indischem Leinenkittel. Er streckt mir freundlich seine Hand hin, die einen leichten Duft nach Patschuli verströmt.

»Ruhe bitte!«, mahnt Albert. »Wir sind noch nicht ganz fertig.«

Winnie grinst. »Albert, so ganz ohne Bibelzitat? Du enttäuschst mich.« Er zwinkert mir zu. »Albert gibt sich immer so viel Mühe, euch zu erheitern, da wollen wir doch lieber hören, was er uns noch zu sagen hat.«

Albert lächelt jetzt, ein bisschen fies, wie ich finde. »Die Jungs schlafen wie immer im zweiten Stock, die Mädchen im dritten. Nach zehn Uhr möchte ich niemanden mehr im falschen Stockwerk sehen. Wenn doch, gibt es beim ersten Mal eine Verwarnung, beim zweiten Mal rufen wir die Eltern an, dass sie euch abholen sollen.«

Luzie tippt sich an die Stirn. »Das ist ja wie im Mittelalter. Fehlt nur noch der Keuschheitsgürtel.«

Nick, der hinter ihr steht, legt ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Glaubst du, Luzie, Twister und ich würden hier mitfahren, wenn es langweilig wäre? Im Übrigen bin ich sicher, dass ich jeden Keuschheitsgürtel der Welt knacken kann.«

»Wir reden von Keuschheitsgürteln für Männer. Die haben es ja bekanntlich nötiger als Frauen!«, unterbreche ich seine Träumereien.

»Keuschheitsgürtel für Männer! So ein Schwachsinn! Davon habe ich ja noch nie etwas gehört.« Nick verdreht seine Augen.

»Ich auch nicht, aber es ist eine interessante Idee«, mischt sich Winnie ein.

Nick, Luzie und ich drehen uns zu ihm um, aber er ist schon unterwegs in die Raummitte, wo Albert gerade tief Luft holt. Winnie nutzt die Pause, gibt bei einem flüchtigen Lächeln den Blick auf bräunlich gefärbte Zähne frei und stellt sich vor. »Seit meine Mutter darauf bestanden hat, diesen Kasten«, er zeigt gleichgültig auf die Möbel und den Kamin, bevor er fortfährt, »der Kirche zu vermachen, bin ich hier der Manager.«

Das bringt einige zum Kichern. Sogar mich. Der Mann sieht nicht so aus, als könnte er einen Computer von einem Wasserkocher unterscheiden. Aber das kann natürlich auch Tarnung sein.

Winnie unterstreicht mit einem leichten Nicken, was er gerade gesagt hat. »Ein Manager ist nichts ohne sein Team. Dazu brauche ich eure Hilfe. Aber das Allerwichtigste ist, dass ihr euch hier wohl fühlt. Übrigens seid ihr nicht die einzigen Gäste. Es kommt noch eine Gruppe aus London. Hat jemand Fragen?«

»Sind die Badezimmer mit Föhn ausgestattet?«, kommt es trillernd aus einer Ecke.

Bösartiges Gelächter macht sich unter den Jungs breit. Sie stupsen sich gegenseitig an und bewegen die ausgestreckte Hand wie Scheibenwischer vor ihren Augen, um zu demonstrieren, wie dumm diese Frage ist.

Aber dann stöckelt ein Hauch von einem rotgold funkelnden schlanken Mädchen mit einem gewaltigen Busen auf Albert zu und sieht hilflos in die Runde.

Atemlose Stille breitet sich aus. Albert steht der Schweiß auf der Stirn. Nein, das ist gelogen, aber ehrlich gesagt, würde es mich nicht wundern, wenn es noch käme. Ich schiele zu Twister, den ich wegen seiner Länge immer gut ausfindig machen kann. Und was sehe ich? Auch ihm steht der Mund offen.

Ist das zu fassen? Ich meine, eben waren sie sich einig, wie dämlich diese Frage ist, und jetzt stehen sie starr, als wäre eines der sieben Weltwunder zum Leben erwacht. Ich habe Lust, in die Hände zu klatschen, um zu sehen, was passiert. Luzie zwinkert mir zu. »Die kenne ich, die war bei mir im Ballettunterricht. Das ist Dörte.«

Dörte! Die Jungs sehen in der Tat schon völlig abgezehrt, verdörrt aus. Albert hat sich gefasst, er räuspert sich. Ich bin gespannt, ob ihm ein Bibelzitat einfällt. Aber er enttäuscht mich.

»Äh, also, ja, ich bin sicher, Winnie kann dir einen Föhn ausleihen.«

Dörte dankt ergeben, senkt ihr dunkelrotes Kringellöckchen-Haupt und trippelt von dannen. Sie hinterlässt eine Menge aufgeregte Spermien in Alarmbereitschaft.

Warum wurden manche Gaben so ungerecht verteilt? Wenn ich auf meinen Busen hinunterschaue, sehe ich nur zwei winzige Hügel, sonst nichts. Dafür kommen dann meine Beine in gewaltigen Säulen, von meinem Hintern wollen wir erst gar nicht reden. Auf Schuhen, wie sie Dörte gerade so anmutig vorgeführt hat, würde ich im Teppich hängen bleiben, die Absätze würden unter meiner Last abknicken, und ich würde ins Bodenlose stürzen.

Ich riskiere noch einen Blick auf Twister, in der Hoffnung, dass er mir ein Augenzwinkern schickt, einen Blick, der klar macht, dass wir beide etwas Wertvolleres haben als, na ja, einen Busen. Aber was ich sehe, verknotet mein Herz derart, dass es einen anderen Takt schlägt, so, als würde ein Schlagzeuger mit einem dritten Stick auf eine kaputte Trommel hauen. Twister hat seinen Mund zwar wieder geschlossen, aber sein Blick klebt sehnsüchtig an Dörte, einem Gefangenen gleich, der die Sonne anschmachtet.

Nick flüstert mir leise ins Ohr. »Vielleicht doch eine gute Idee, mit den Keuschheitsgürteln für Männer, oder?«

Mir fällt leider keine überzeugende Entgegnung ein. Albert ist wieder Herr seiner Sinne und bestimmt, dass wir jetzt auf unsere Zimmer gehen sollen. Luzie und ich haben Zimmer Nummer 37 erwischt. Wenigstens sind wir zusammen. Ohne abzuwarten, ob sich Twister noch einmal meines Koffers erbarmt, schleppe ich das gute Stück in den dritten Stock, denn einen Aufzug gibt es in diesem Luxushotel nicht. Und ich schwöre mir, erstens nie wieder so viel Zeug mitzunehmen und zweitens mir einen leichteren Koffer anzuschaffen. Schweißüberströmt komme ich endlich oben an. Luzie ist schon längst da, denn sie hat intelligenterweise einen sehr großen Rucksack mitgenommen, mit dem sie unabhängig von jeder Hilfe ist.

»Welches Bett möchtest du?«, fragt sie mich.

»Sollten wir nicht warten, bis die Dritte auch noch da ist, und dann die Betten verteilen?«, schlage ich ziemlich außer Atem vor.

Luzie schüttelt den Kopf. »So ein Quatsch, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ganz klar.«

Ich ziehe einen der wackelig aussehenden Stühle zu mir und setze mich erst mal, um das Zimmer näher zu betrachten. Es gibt zwei Fenster. Zwei Betten stehen jeweils an den gegenüberliegenden Wänden rechts und links von den Fenstern, ein Bett befindet sich mitten zwischen den Fenstern. Jedes Bett hat eine kleine Kommode als Nachttisch mit einem Lämpchen darauf. Alle Betten, Lampen und Kommoden sind unterschiedlich. Gleich am linken Fenster steht auf dem Nachttischchen eine wunderschöne geschnitzte nackte Frau, die einen orangen satinierten Glasschirm hält. Das ist natürlich höchst frauenfeindlich, aber es gefällt mir trotzdem.

»Das Bett dort links hätte ich gern.«

Luzie nickt und kraust dann die Stirn. Nach einer Minute hat sie sich entschlossen. »Okay, dann nehme ich das mittlere Bett. Es ist zwar nicht der beste Platz, aber wer weiß, wen wir als Drittes dazukriegen, und so können wir abends noch miteinander flüstern.«

Ich stehe auf und lege mich auf das Bett, von dem man in den Himmel sehen kann. Wenigstens haben wir nicht auch noch einen Panoramablick auf die Berge. Ich habe keine Lust auszupacken und überlege, ob ich den Koffer nicht einfach unters Bett schieben und mich je nach Bedarf aus ihm bedienen soll. Luzie hat sowieso schon alle Kleiderbügel, die in dem Bauernschrank vorhanden waren, in Beschlag genommen. Unglaublich, was sie alles aus ihrem Rucksack zaubert. Ich habe höchstens ein Drittel der Klamotten dabei, und trotzdem ist mein Koffer voll. Liegt vielleicht daran, dass meine Kleider fast doppelt so groß sind wie ihre.

»Wozu hast du denn so viele Kleider mitgenommen?«

»Gehen wir denn nicht auch aus?« Luzie dreht sich mit der Gegenfrage zu mir um und gibt den Blick frei auf ein rosafarbenes Nichts mit Federn dran.

»Und was ist das?«, frage ich. »Ein Negligee? Was hast du denn vor?«

»Jule, du bist echt hinterm Mond! Das zieht man doch über ein blickdichtes Unterkleid, nämlich das hier.« Sie hält mir ein dunkelfliederfarbenes Stück Stoffschlauch hin. Bevor ich noch einen Kommentar dazu abgeben kann, ich bitte euch – blickdicht – warum nicht gleich wasserdicht wie Pampers? –, geht die Tür auf, und die hinreißende Dörte schwebt in unser Zimmer. Ich bete, dass sie sich in der Zimmernummer geirrt hat.

»Hallööchen! Ich bin die Dööörte, und wir wohnen hier zusammen. Das ist ja nett, dass ihr schon hier seid.« Dörte trippelt auf mich zu und reicht mir strahlend ihre Hand. Ich habe große Lust, mich wie der böse Wolf im Märchen zu gebärden, aber ich glaube, meine Schauspielkunst wäre an Dörte verschwendet. Also hole ich tief Luft und schüttle betont fest ihr Händchen. Sie verkneift sich einen Schmerzensschrei und lächelt tapfer weiter.

»Jule heiße ich, und das dort drüben ist Luzie.«

»Nett. Dann nehme ich mal das Bett dort rechts. Und welcher Schrank ist für mich?« Hilfe suchend sieht sich Lockenköpfchen im Zimmer um. Aber es gibt nur einen einzigen Schrank, und der ist jetzt schon halb voll mit Luzies Kleidern.

»Wie wäre es mit dem!«, schlägt Luzie vor und deutet auf den Bauernschrank.

Dörte lächelt und zieht ihren Rollkoffer dorthin. Leider muss ich euch berichten, dass Dörte auch von hinten aussieht wie eine moderne Göttin weiblicher Schönheit. Ein knackiger Hintern schwebt in ihren Jeans, als würde er dort ein Eigenleben führen.

Luzie legt sich zu mir aufs Bett, und wir schauen Dörte beim Auspacken zu. Sie zerrt alles aus ihrem Koffer und verteilt es auf dem Fußboden, der genauso schmuddelig ist wie der in der Empfangshalle. Dabei redet sie die ganze Zeit vor sich hin. »Die Socken, ja die Socken, die rolle ich immer auf, weil meine Mutter mir gesagt hat, dass man sie dann besser findet, hahaha. Dann hat man nicht nur immer den einen. Sollte ich jetzt besser die Unterwäsche in die Kommode räumen oder lieber nicht? Ob diese vier Handtücher wohl reichen werden, was meint ihr?« Fragend dreht sie sich zu uns um. Luzie und ich werfen uns einen Blick zu. Wir sind uns einig: Das wird bestimmt die reine Hölle mit dieser Labertasche.

Aber da erwische ich einen Ausdruck in Dörtes farngrünen Augen. Sie sieht so aus, als würde sie gleich anfangen zu heulen. Und dann stelle ich mir vor, dass ich in ein Zimmer komme, wo sich schon zwei gute Freundinnen breit gemacht haben, und die geben mir zu verstehen, dass ich ein lästiger Störenfried bin. Eigentlich haben ja auch Mädchen mit perfektem Busen ein Recht darauf, als Mensch behandelt zu werden. Leider.

Also versuche ich die Situation mit einem Scherz zu entspannen und beantworte ihre Frage. »Ich glaube, die vier Handtücher reichen. Ich für meinen Teil habe beschlossen, mich nicht zu waschen, das ist sowieso umweltfreundlicher.«

Unsicher sieht Dörte in Luzies Richtung, die sich ein Grinsen verkneifen muss. »Jule, da hast du Recht«, macht Luzie mit. »Außerdem soll man sich bei Schnee sowieso nicht zu oft waschen, da wird man bloß krank von.«

Dörte streicht irritiert ihre Kupferlocken hinter die Ohren. »Das ist nicht euer Ernst, oder?«, fragt sie lahm.

»Nein.« Luzie verdreht die Augen. »Auch wir beide waschen uns hin und wieder.«

»Ach, da bin ich aber froh.« Erleichtert wendet sich Lockenköpfchen wieder dem Schrank zu. »Wisst ihr, ich habe das letzte Mal mit ziemlich komischen Mädchen zusammengewohnt.«

»Wieso komisch?« Ich setze mich auf, um sie besser beobachten zu können.

»Die waren immer ganz gemein zu mir, haben meine Sachen versteckt und so. Übrigens, habt ihr gesehen, wie viele nette Jungs dabei sind?«

»Hmmmm.« Wenn ich an Twisters Blick denke, möchte ich gar nicht mehr freundlich zu ihr sein. Dabei kann sie ja nichts für Twisters Blick. Eigentlich sollte ich sauer auf ihn sein.

Dörte schlüpft aus ihrem Pullover und in ein Sweatshirt. Zuletzt zieht sie schwungvoll ihre Lockenmähne aus dem Halsausschnitt und wirft sie dekorativ nach hinten. »So. Bin ich froh, dass ich fertig bin!«

Luzie wird ganz rot im Gesicht und steht auf. »Du spinnst wohl! Schau dich mal um, hier liegen noch dutzende von Sachen auf dem Boden, willst du die nicht wegräumen?«

»Ach, sei doch nicht so spießig, das stört eh keinen.«

»Doch – mich!« Luzie faucht nur noch. »Da fällt man drüber. Wenn wir das alle drei so machen würden, käme hier keiner mehr zur Tür rein!«

Dörte überlegt kurz und angestrengt. »Ja, stimmt. Es wäre blöd, wenn hier keiner mehr reinkommen würde. Weil, wie sollen uns Jungs besuchen, wenn sie die Tür nicht aufkriegen? Aber ...«, einmal mehr schaut sie sich hilflos um, »wohin soll ich den Kram denn räumen? Der Schrank ist voll, meine Kommode ist voll ... vielleicht in deine?« Sie wendet sich an mich. »Du siehst nicht so aus, als ob du viel dabeihättest. In XL-Größen gibt es einfach nicht diese Auswahl, oder?« Sie wirft Luzie einen Beifall heischenden Blick zu.

»Du hast ja keine Ahnung, wie viel Platz die Jutesäcke brauchen, die ich statt Kleidern trage«, säusele ich und beschließe, dass ich definitiv nicht freundlich sein will.

Luzie kriegt einen Lachkrampf, Lockenköpfchen schaut irritiert zu uns. »Ach so, na dann ...« Erschöpft betrachtet sie den Wäschehaufen. »Ich hab's. Ich packe alles zurück in meinen Koffer.« Sie stopft ihre Klamotten wahllos in den Koffer zurück und lässt ihn dann mitten im Zimmer stehen. »Ja dann, man sieht sich, oder?« Mit diesen Worten verlässt sie unser Zimmer.

»Das halte ich keine zehn Tage aus.« Luzie ist aufgesprungen und steht vor dem Koffer. »Am liebsten würde ich mal ordentlich reintreten.«

»Ich hab nichts gesehen«, biete ich ihr an und schaue demonstrativ weg.

Luzie schüttelt den Kopf. »Nein, ich mache nicht alles, woran ich denke.«

»Echt?«

»Ich bin ja nicht so eine Neandertalerin wie du!« Luzie geht schon mal vorsorglich in Deckung, aber ich bin viel zu müde, um ihr etwas an den Kopf zu werfen. Nicht mal ein paar passende Worte fallen mir ein.

Es klopft an der Tür.

»Ja, bitte!«, rufen Luzie und ich gleichzeitig. Twister und Sepp stürmen herein. Twister setzt sich neben mich aufs Bett, als ob alles in bester Ordnung wäre. Sepp bleibt an der Tür stehen.

»Na, wie findest du dein Zimmer?«, fragt mich Twister und legt seinen Arm um meine Schultern. Ich mache mich ganz steif.

»Was ist denn los? Haben wir gerade eine private Unterhaltung unterbrochen?« Er lässt seinen Arm wieder fallen. »Nein, überhaupt nicht«, erwidert Luzie, geht zur Tür und zieht Sepp mit sich aus dem Zimmer. »Wir sehen uns dann unten, bis gleich!«, ruft sie über ihre Schulter und schließt die Tür.

Twister sieht mich mit großen Augen an. Hätte ich nicht bemerkt, wie er Dörte angeschaut hat, würden mir jetzt die Knie weich. »Jule, was ist denn?« Ihm kommt eine Idee. »Ich hab's! Du hast Schiss vor deiner eigenen Courage, wegen morgen, oder?«

»Phh ...« Diese Antwort strotzt jetzt nicht gerade vor Intelligenz, aber sie zeigt, wie sauer ich bin.

»So zickig bist du doch sonst nicht. Hättest du vielleicht die Güte, mir jetzt zu sagen, was los ist, oder soll ich einfach wieder gehen?« Seine Stimme klingt mächtig abgenervt. Am liebsten würde ich weiterhin nichts sagen. Aber Twister ist imstande und geht tatsächlich, und dann säße ich hier mit wehem Herzen. Allein.

Also räuspere ich mich kräftig und bemühe mich um eine Erklärung, die nicht zu eifersüchtig klingt. »Ich bin sauer, weil du Dörte so angeschaut hast, als würdest du unheimlich gern die Freundin wechseln.« Nun ist es raus, und es klingt saudämlich, so kleinlich.

Twister grinst breit. Dann streicht er über seine blondierten Haare, was bedeutet, dass er angestrengt nach einer guten Antwort sucht.

»Jule ... sieh mal, das ist doch ganz einfach. Ich meine, stell dir vor, mir würde ein Busen im Gesicht wachsen ...« Gegen meinen Willen muss ich grinsen, bei der Vorstellung, wie blöd Twister damit aussehen würde, aber ich hoffe, er hat es nicht gemerkt.

»... da würdest du auch glotzen, oder? Wunder sind doch dazu da, dass man sie anschaut, findest du nicht?«

»Dörte ist ja wohl kein Wunder ...«, entfährt es mir, und wenn ich an ihr blödes Gefasel von vorhin denke, bin ich mir sicher, dass ich Recht habe. Was meint ihr?

»Na gut, ein Busenwunder halt«, lenkt Twister ein.

»Und?«

»Man wird ja wohl noch schauen dürfen. Ich meine, ich habe Augen, um zu sehen, Hände, um zu fühlen«, jetzt streichelt er meinen Nacken, der Fiesling, weil er genau weiß, dass ich davon ganz schwummerig werde, und flüstert dann weiter, »... eine Nase zum Riechen ...«, er schnuppert an meinen Ohren und haucht dann direkt in meine Ohrmuschel, »... und einen Mund zum Küssen.« Und küsst mich von den Ohren langsam über die Wange bis zum Mund. Mir ist heiß und kribbelig, und natürlich habe ich gar keine Lust mehr, an ihm herumzunörgeln, das hier ist ja viel, viel schöner.

Gerade als Twister meinen Oberkörper langsam in die Kissen drückt, kommt jemand ins Zimmer.

Wir beide zucken zusammen, haben ganz vergessen, dass wir nicht allein sind.

»Hallöööööchen«, ertönt es zuckerwattig, »entschuldige, Jule, ich wuuusste ja gar nicht, dass du einen Freund hast!« Am liebsten würde ich sie auf der Stelle informieren, dass sich sogar Nilpferde fortpflanzen können, aber ich halte dann doch meinen Mund.

Sie geht zu Twister, der mit hochrotem Kopf neben mir sitzt, und streckt ihm ihr Händchen hin. »Ich bin die Döörte. Und wie heißt du?«

Er schaut mich an, zuckt entschuldigend mit den Schultern und sieht ihr dann ins Gesicht. »Twister.« Er schüttelt ihre Hand.

»Wow. Das ist ja ein toller Name! Bist du Amerikaner?«

»Nein. Das ist mein Spitzname.«

»Wow. Ein Spitzname!« Ihre Augen werden kugelrund vor Überraschung. »Ich hatte noch nie einen Spitznamen«, bedauert sie, als wäre ein Spitzname vergleichbar mit einem geheimen Nummernkonto in der Schweiz.

»Dörte wohnt in unserem Zimmer«, werfe ich ein, nur um auch etwas zu diesem grandiosen Gespräch beizutragen.

Twister lächelt breit. »Das ist ja schön.« Er zwinkert mir zu, und ich habe plötzlich doch wieder das Gefühl, als ob er mich lieben würde, auch wenn ich kein Wunder bin.

Dörte geht zu ihrem Koffer und zerrt ein weißes Spitzenblüschen hervor. »Ihr könnt ruhig dableiben, ihr stört mich gar nicht«, trillert sie fröhlich und zieht ihr Sweatshirt über den Kopf. Ehrlich, das ist ja wohl das Allerletzte!

Natürlich glotzen wir jetzt beide auf ihren unglaublichen, fliederfarbenen BH, beziehungsweise auf den Inhalt. Dörte braucht unverhältnismäßig lange, um das Sweatshirt über den Kopf zu kriegen, finde ich jedenfalls. In der Zeit hätte ich mich dreimal umgezogen und noch Zähne geputzt!

Twister beugt sich über mich. Er flüstert: »Jule, du musst doch zugeben, dass das außergewöhnlich ist, oder?«

Ich nicke schwächlich. Endlich hat Dörte es geschafft. Sie lächelt Twister an, als wäre er allein mit ihr im Zimmer. »Mir war so heiß ...«

Ich muss kotzen. Ungelogen! Denn jetzt hat Twister wieder genau diesen verlangenden Ausdruck wie vorhin unten in der Halle.

Vielleicht wäre ich doch besser zu Hause geblieben, dann müsste ich das nicht mit ansehen. Und ich habe gedacht, bei diesem Urlaub wäre das Snowboarden das Schlimmste, was mir passieren könnte. Nun ja, zumindest scheinen sich meine Folterqualen auf das Thema Berge zu konzentrieren.

ALLER ANFANG IST SCHWER

Ich muss als Erste aus dem Bus steigen. Luzie und Twister winken durch die Fensterscheibe und wünschen mir mit hochgereckten Daumen viel Glück. Die beiden fahren mit dem Rest der Sportskanonen weiter zu den richtigen Pisten. Hoffentlich in ein sehr weit entferntes Gebiet. Ich kann bei meinem Weg in die Hölle keine Zeugen gebrauchen.

Ich höre schon eure Kommentare. Wieso Hölle? Snowboarden ist doch himmlisch, und außerdem, wenn man die Hosen im Vorfeld schon so gestrichen voll hat, dann kann das ja nichts werden. Da habt ihr natürlich Recht. Deshalb trichtere ich mir seit zwei Stunden frohe Botschaften ein: Jule, endlich kannst du zeigen, was in dir steckt, endlich eroberst du dir die Welt von Schnee und Eis. Du wirst in zwei Tagen sicher auf dem Board stehen und dann neben Twister die Hänge hinabrauschen. Er wird dann voller Begeisterung an deiner Seite durch den pulvrigen Tiefschnee sausen bis zu einem kleinen Tannenwäldchen. Dort werdet ihr zusammen vulkanartige Leidenschaft erleben und vereint in Lavaströmen der Lust die Kälte vergessen und glühen, glühen, glühen. Hey, ich weiß, meine Fantasien sind etwas übertrieben, aber sie wärmen – wenigstens ein bisschen – von innen.

Im Augenblick fällt mir allerdings jeder Schritt in der kalten Luft schwer. Der Schnee knarzt unter meinen Softboots, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als zu Hause auf meinem Bett zu liegen.

Die Snowboardlehrerin heißt Mona Hinteregger und betrachtet mich nachdenklich. Wahrscheinlich bin ich die erste richtig Dicke, der sie Snowboarden beibringen soll.

»Sag mal, Jule, kann es sein, dass ich dich schon mal im Fernsehen gesehen habe?«

Was wieder einmal ein Beweis dafür ist, dass man nicht versuchen sollte, die Gedanken von anderen zu lesen, man liegt wirklich total oft falsch. Ich zumindest. Trotzdem tue ich es immer wieder.

Die fünf Jungs, die außer mir diesen Kurs belegt haben, schauen neugierig zu mir herüber. Ich höre, wie einer von ihnen flüstert: »Klar, die war Star in einer Talkshow zum Thema: Hilfe, mein Kind ist ein Fettkloß!« Die anderen kichern. Ich ignoriere das und wende mich demonstrativ Mona zu: »Ja. Ich habe mal in einer Serie mitgespielt. Aber das ist schon fast ein Jahr her. Sie müssen ein gutes Gedächtnis haben.«

»Hieß die Serie vielleicht ›Nachts ist die Liebe dunkler als draußen‹?«

»Ja.« Ich nicke.

»Die wird gerade im österreichischen Fernsehen wiederholt. Und ich liebe diese Serie.«

Ich fühle mich ein bisschen besser. Vergnügt schüttelt mir Mona die Hand. Wenn sie lacht, blitzt eine kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen auf, es sieht irgendwie süß aus. »Also Jungs, also Jule, bevor es losgeht, müssen wir erst einmal herausfinden, welches Bein vorne auf eurem Brett stehen soll.«

Ich versuche, über meinen in die rote Daunenjacke verpackten Bauch einen Blick auf die Beine zu erhaschen – gar nicht so leicht. Da kriege ich plötzlich einen kräftigen Schubs in den Rücken und falle nach vorn in den Schnee wie ein nasser Sack. Ich brauche euch nicht zu erklären, wie ich mich fühle, oder? Aber ich lasse nicht locker, ich bleibe weiterhin positiv! So eine Schneemaske ist sicher das Beste für einen frischen Teint.

Niemand lacht, was noch unangenehmer ist, als wenn sich alle ausschütten würden. Mona entschuldigt sich. »Das tut mir Leid. Ich wollte eigentlich nur demonstrieren, wie man herausfindet, welches Bein vorne am Brett stehen sollte. Komm, Jule«, sie reicht mir die Hand, »steh auf, und dann probieren wir das gleich noch mal. Ich hätte dich vielleicht vorwarnen sollen.«

Sie stellt sich hinter mich, gibt mir einen Stoß, und ich trete mit dem linken Bein nach vorn, um den Stoß abzufangen. »Seht ihr, so geht das. Probiert jetzt bitte kurz ein paar Mal aus, ob ihr mit rechts oder links abfedert. Dann holen wir die Bretter und legen los.«

Schnell bilden sich Zweiergruppen. Ich bin nicht nur das einzige Mädchen, sondern auch die Älteste in der Gruppe. Dass ich die Dickste bin, brauche ich euch nicht zu sagen, das ist euch sicher sowieso klar. Der Junge, der sich meiner erbarmt, heißt Friedel und ist höchstens zehn Jahre alt. Er spricht kölsch und findet es toll, jemandem vom Fernsehen in den Rücken zu hauen.

Endlich dürfen wir an die Bretter. Als Erstes sollen wir den vorderen Fuß in die Halterung einklicken und dann mit dem anderen anschieben.

»Mann, das ist voll easy«, versichert mir Friedel, und seine silberne Zipfelmütze hüpft fröhlich, »echt wie beim Skaten. Endcool.«

Da ich nicht skate oder anderen abartigen körperlichen Ertüchtigungswahnsinn treibe, wenn man vom Schulsport einmal absieht, finde ich das weder cool noch easy. Bei dem Versuch, das Brett zu bewegen, fange ich an, zu schwitzen wie im Hochsommer. Ich habe den Verdacht, das Brett bleibt am Schnee kleben, einfach weil ich zu schwer bin. Aber wie gesagt, ich motiviere mich heute, weil ich diesen verdammten Sport lernen werde. Man kann alles lernen, sagt meine Mutter, wenn man nur will. Bei meiner Schwester Cindy stimmt das auch.

Mona kommt wieder und wieder zu mir, um mich zu ermutigen. »Toll, Jule!«, ruft sie, als hätte ich gerade den K2 im Alleingang geschafft, wenn ich nur zwei Millimeter vorwärts gleite.

Die fünf Jungs sind die gleiche Strecke bereits dreimal hin- und hergefahren, als ich zum ersten Mal am anderen Ende ankomme. Nass geschwitzt und atemlos. Diese Strapaze muss dann zweimal wiederholt werden, bis Mona endlich »Mittagspause« ruft. Nicht nur die Jungs sind begeistert.

Mona führt uns in eine »Skihütte«. Drinnen ist es stockdunkel, die Luft rauchverpestet und stickig. Jeder von uns quält sich aus seinen Sachen, und gemeinsam warten wir, dass wir einen freien Tisch bekommen. Es dauert nur eine klitzekleine halbe Stunde, schon klappt's. Die Bedienung teilt uns mit, was alles aus ist, eigentlich die komplette Speisekarte außer Pommes. Die kommen dann nach einer weiteren halben Stunde, latschig und kalt. Nicht meckern, Jule, versuche ich es wieder mit meinem Tagesmotto, du musst die Dinge positiv sehen.

Ich freue mich deshalb lieber, dass die Pommes billig für nur fünf Euro zu haben sind. Fröhlich lächelnd würge ich die Dinger runter, spüle mit einer Apfelschorle ohne Kohlensäure nach und mache mich frohgemut zum Klo auf, bevor ich die ganze Montur wieder anziehen muss.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960531760
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (September)
Schlagworte
eBooks Maedchen frech Snowboard Berge Liebe Flirt Eifersucht Freundschaft erste Liebe
Zurück

Titel: Jule - Band 3: Schwindelfrei
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
book preview page numper 41
154 Seiten