Lade Inhalt...

Jule - Band 4: Zartbitter

©2016 157 Seiten

Zusammenfassung

Liebe ist wie Schokolade… Der freche Jungendroman „Jule – zartbitter“ von Beatrix Mannel jetzt als eBook bei jumpbooks.

Hey Leute, ich bin's, Jule. Es sind Sommerferien! Die beste Zeit des Jahres! Was man da alles machen könnte: Mit meinem Freund Twister am Strand liegen und einen Eisbecher löffeln zum Beispiel. Tja, Pustekuchen! Twister will sich unbedingt ein neues Mountainbike kaufen und arbeitet deswegen. Den! Ganzen! Sommer! Unfassbar. Da kommt mir das Angebot, bei einer Reportage mitzumachen, gerade recht. Und das Beste daran: Es ist eine Reportage über Schokolade! Soll Twister doch sehen, dass ich mich auch prima ohne ihn amüsieren kann …

„Einer solch charmanten und frechen Heldin kann man als Leserin nur schwer widerstehen!“ Jugendliteratur aktuell

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Jule - zartbitter“ der vierte Teil der Jugendbuchserie für Leserinnen ab 12 Jahren von Erfolgsautorin Beatrix Mannel. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Hey Leute, ich bin's, Jule. Es sind Sommerferien! Die beste Zeit des Jahres! Was man da alles machen könnte: Mit meinem Freund Twister am Strand liegen und einen Eisbecher löffeln zum Beispiel. Tja, Pustekuchen! Twister will sich unbedingt ein neues Mountainbike kaufen und arbeitet deswegen. Den! Ganzen! Sommer! Unfassbar. Da kommt mir das Angebot, bei einer Reportage mitzumachen, gerade recht. Und das Beste daran: Es ist eine Reportage über Schokolade! Soll Twister doch sehen, dass ich mich auch prima ohne ihn amüsieren kann …

Über die Autorin:

Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie – auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian – Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2015 die Münchner Schreibakademie.

Zur frechen Jugendbuchserie rund um Jule gehören die folgenden Bände: Jule – filmreif, Jule – kussecht, Jule – schwindelfrei, Jule – zartbitter

Bei jumpbooks erschien von ihr bereits die Serie S.O.S. – Schwestern für alle Fälle mit den Einzelbänden:

Willkommen in der Chaos-Klinik
Ein Oberarzt macht Zicken
Flunkern, Flirts und Liebesfieber
Rettender Engel hilflos verliebt
Prinzen, Popstars, Wohnheimpartys

und der historische Jugendroman Die Tochter des Henkers.

Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin:

www.beatrix-mannel.de

www.münchner-schreibakademie.de/

***

eBook-Neuausgabe November 2016

Copyright © der Originalausgabe 2002 Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: Ruth Black (fotolia.com)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-177-7

***

Damit der Lesespaß sofort weitergeht, empfehlen wir dir gern weitere Bücher aus unserem Programm. Schick einfach eine eMail mit dem Stichwort Jule an: lesetipp@jumpbooks.de

Gerne informieren wir dich über unsere aktuellen Neuerscheinungen – melde dich einfach für unseren Newsletter an: www.jumpbooks.de/newsletter.html

Besuch uns im Internet:

www.jumpbooks.de

www.facebook.com/jumpbooks

Beatrix Mannel

Jule – zartbitter

Roman

jumpbooks

GEPLATZTE TRÄUME

Seine Küsse schweben lachend durch die Luft zu mir. Kitzeln die glitzrigen Salzkristalle auf meiner braunen Haut und bringen mein Herz zum Kochen.

Dabei ist mir doch sowieso schon unglaublich heiß von all der Sonne.

Ich schaue Twister an, und bevor ich endgültig verglühen kann, zieht er mich mit seinen großen Händen hoch, und wir stürzen uns nackt und glücklich in die schaumigen Wellen. Tauchen unter und blubbern aus der dunkelgrünen Stille silbrige Luftblasen an die Oberfläche, bis wir nicht mehr können ...

Ja, genau so habe ich, Jule Neumann und liebeskranker Schwachkopf, mir die Sommerferien vorgestellt. Falls es euch erstaunen sollte, dass ich trotz meiner beachtlichen 1,68 Meter im Quadrat davon fantasiert habe, mit meinem Freund Twister nackt allein am Strand zu liegen, das hat einen ganz einfachen Grund: Ich sehe komischerweise nackig besser aus als im Badeanzug. Es gibt einfach keinen, der mir passt.

Andererseits ist das eigentlich auch piepegal, denn mein Freund Twister hatte nur ein müdes Lächeln für diese, wie er es nennt, »romantische Sülze« übrig. Nicht mal drei Tage wollte er mit mir wegfahren! Und warum nicht? Weil er arbeiten muss.

Jetzt habt bloß kein Mitleid mit ihm. Denn er muss nicht arbeiten, weil seine Familie am Hungertuch nagt. Nein, er will sich ein neues Foltergerät zulegen. Sprich ein Mountainbike mit »full suspension«. Fully genannt.

Wer braucht so etwas, frage ich euch. Twister hat schließlich schon ein Mountainbike. Und es kommt noch besser. Was arbeitet Twister? Geht er etwa einer harten und wie ich finde für Jungs absolut angebrachten Tätigkeit nach? Spült er in einer Großküche die fettigen Töpfe? Kehrt er die Reste in einer Fischfabrik zusammen? Sortiert er eklige Krankenhauswäsche nach Farben? Pah, weit gefehlt. Soll ich euch mal eine Handbewegung vormachen, damit ihr es besser erraten könnt? Tja, leider gibt es keine. Die einzige Bewegung, die er dort machen wird, ist Augengymnastik, sprich Glotzen. Er arbeitet nämlich als Bademeistergehilfe in einem Freibad.

»Arbeit« hat er so Mitleid heischend gestöhnt, dass ich beinahe weich geworden wäre. Aber dann ist mir eingefallen, warum das Freibad, in dem er arbeitet, so beliebt bei den vielen Fotomodellen der Stadt ist. Dort gibt es eine Frauennacktbadezone, zu der Männer keinen Zutritt haben, mit einer Ausnahme. Ja richtig! Die gilt für Bademeister und selbstverständlich auch für ihre Assistenten.

Twister versteht mich natürlich nicht. Von wegen Fotomodelle! Das sei alles nur meinem eifersüchtigen Mädchengehirn entsprungen. In Wirklichkeit müsste er sich mit den kleinen Kotzbrocken herumärgern, die immer von der Seite ins Becken springen. Er müsste Papierchen vom Rasen aufheben und würde abkommandiert zum Kloabchecken. Das sei kein Zuckerlecken. Sagt er und schlägt mir vor, ihn jeden Tag besuchen zu kommen, um mich selbst davon zu überzeugen.

So, und da war ich dann völlig platt. Ich, Jule Neumann, lege mich ins Schwimmbad und überwache meinen Freund? Was hat er sich denn dabei gedacht? Dass ich wie eine Walrossmutti in meinem schrecklichen Badeanzug Größe 48 in der Sonne liege, schnaufe und ab und zu ein Küsschen in seine Richtung werfe, während er die Mülleimer ausleert? Ich gebe gern mal eine lächerliche Figur ab, aber auch für mich existieren Grenzen.

Zuerst war ich nur wütend. Habe mir überlegt, wie ich Twister ärgern könnte. Habe mir ausgemalt, wie ich mit einem Supermann an meiner Seite ins Schwimmbad gewackelt komme und überall Kaugummipapiere hinwerfe. Aber irgendwie blieb danach ein schlechter Geschmack im Mund zurück. Es hat keinen Spaß gemacht, sich so etwas vorzustellen. Twister soll mein strahlender Held sein. Niemand sonst.

Tja, und deshalb räkele ich mich im Moment nicht auf einem quittengelben Handtuch und lasse mir den Rücken einölen, sondern bin hier. An einem Ort, von dem ihr vielleicht noch nie gehört habt und den ihr bestimmt für todlangweilig haltet. Luzie jedenfalls hat mich gefragt, warum ich nicht gleich einen Platz im Sarg miete, als ich erwähnte, wo ich hingehe.

Luzie ist meine beste Freundin und ganz anders als ich. Sie hat Haare schwarz wie Rabenfedern und Augen blau wie Mentholkaugummis. Und genauso wie beim ersten Bissen in eines dieser Dinger muss man auch bei Luzie nach Luft schnappen, wenn man sie das erste Mal richtig anschaut. Vielleicht haben ihre Eltern sie deshalb für die Öffentlichkeit aus dem Verkehr gezogen. Luzie wurde nämlich für die Dauer der Sommerferien in ein Schweizer Mädchen-Ferieninternat namens »Sommertraum« verfrachtet.

Am letzten Schultag haben Luzie und ich deshalb eine kleine Trauerfeier veranstaltet. Eigentlich war es mehr eine Trostfeier. Luzie hat sich in der Eisdiele bei mir um die Ecke an einem Jogurteis ohne Sahne festgehalten und ich an einem Nussbecher, meinem Lieblingseis.

Aber das hat auch nichts genutzt. Am liebsten hätten wir beide geheult. Luzie hasst es, eingesperrt zu sein. Außerdem ärgert sie sich, weil dieses Ferienlager als eine Art Strafe für sie gedacht ist. In den Osterferien haben Luzie und ich ihre Eltern recht ausgiebig angelogen, nur um zusammen in die Ferien fahren zu können. Leider ist Luzies Mutter uns auf die Schliche gekommen und geht jetzt auf Nummer sicher, dass ihr Augapfel nicht irgendwo in der Weltgeschichte herumgondelt. Persönlich hat sie die Verbannung ihres Lieblings nach »Sommertraum« überwacht.

Aber auch vor mir liegen sechs endlose, superöde Ferienwochen. Mein bester Freund Matthias hat einen Job als Fahrradkurier. Meine Schwester Cindy ist für ein Jahr als Au-pair nach Kalifornien abgedampft. Nur weil ich bis zum letzten Moment gedacht habe, dass Twister vielleicht doch noch sein Herz für die Urlaubsfreuden entdeckt, bin ich als Einzige ohne Beschäftigung.

Luzie fand allerdings, dass ich nicht jammern dürfte. Ich müsste wenigstens nicht mit vier anderen Mädchen in einem Zimmer schlafen. Ich dürfte weiterhin jeder Art menschlicher Kommunikation nachgehen, sprich Handy, SMS und Internet. Für sie wären diese unbestreitbaren Segnungen der Zivilisation in ihrem Ferienlager verboten. Was für uns beide bedeutet, dass wir uns nur per Schneckenpost unterhalten können. Eine schreckliche Vorstellung!

Luzie hat mich aus ihren blauen Augen so traurig angeschaut, dass ich wirklich dachte, es wären nicht bloß die Sommerferien, die vor uns lägen, sondern ewige dunkelste Nacht.

Nach unserer dann doch nicht ganz tränenfreien Verabschiedung ging für mich, wie aus dem Nichts und völlig unerwartet, die Sonne auf.

Ein einziger Telefonanruf befreite mich mit einem Schlag von den trüben Aussichten. Am Apparat war Franziska. Sie ist eine Regisseurin, die ich bei meinem kurzen, aber sehr ereignisreichen Gastspiel als lustige Dicke in einer Seifenoper mit dem sprechenden Titel »Nachts ist die Liebe dunkler als draußen« kennen gelernt habe. Franziska hat mir eine Menge beigebracht. Immerhin musste ich in der Serie zum allerersten Mal einen Jungen küssen. Vor laufender Kamera! Dabei habe ich mich ziemlich blöde angestellt. Jetzt, ein Jahr später, wäre das für mich kein Problem mehr. Jedenfalls war Franziska sehr geduldig mit mir.

Als ich dann wieder aus der Serie rausgeworfen wurde, übrigens, weil ich verbotenerweise ein paar Kilo abgenommen hatte, da bot sie mir an, ich könnte irgendwann einmal bei einer ihrer Reportagen mitarbeiten. Wie schön, dass ausgerechnet jetzt irgendwann ist.

Übrigens kriege ich nicht einen Euro für meine Arbeit. Wie mir Franziska erklärt hat, ist ein Praktikum beim Film fast immer unbezahlt. Aber das ist mir egal. Alles kommt mir besser vor, als den ganzen Tag darüber nachzugrübeln, wie es gewesen wäre, wenn Twister und ich zusammen hätten wegfahren können.

Franziska hat sich über meine Zusage ziemlich gefreut, Kein Wunder, denn sie muss in drei Monaten gleich drei Reportagen abgeben und kann jede Hilfe nur zu gut gebrauchen.

Ich verstehe, wenn ihr langsam ungeduldig werdet und endlich wissen wollt, wo ich denn eigentlich bin. Okay, ich befinde mich in der Bayerischen Staatsbibliothek. Nicht zum Bücherabstauben. Nein, ich recherchiere hier gerade. Falls ihr nicht wisst, ob Recherchieren eine todsichere Methode ist, garstige Bücherwürmer zu vernichten, oder eher eine ausgeklügelte Anmachtechnik für Leseratten, verrate ich es euch.

Es ist ziemlich simpel: Ich sammle Informationen zu einem Thema. Das klingt lange nicht so besonders wie: recherchieren. Und ich tue es, weil eine Reportage natürlich nicht einfach so entsteht. Diese spezielle Reportage hat übrigens ein Superthema, etwas, worum mein Leben kreist, wenn ich nicht gerade an Twister denke: um Schokolade! Allein bei dem Gedanken an Schokolade bekomme ich gute Laune.

Es erscheint mir fast, als wäre ich schon eine Ewigkeit in diesem fast kirchenartigen Raum. Niemand schnäuzt sich, keiner erlaubt sich ein Husten in dieser feierlichen Stille. Jedes Mal, wenn die Bibliothekarin einen neuen Bücherrollwagen hereinschiebt, bin ich erstaunt, dass es nicht der Papst mit einem Rudel von Ministranten ist.

Manchmal frage ich mich, ob ich vielleicht die einzig Lebendige hier bin. Die über die Bücher gebeugten Rücken sehen aus wie erstarrt. Noch nie habe ich einen von ihnen bei einer Bewegung ertappt.

Was die anderen wohl so Spannendes recherchieren? Der Greis neben mir liest ein fünfbändiges Werk über die Bedeutung der Diphthongverschiebung im späten Mittelhochdeutschen. Keine Ahnung, was das wohl zu bedeuten hat.

Wenn ich jetzt ein Zaubermittel hätte, mit dem ich die Gedanken, die hier im Raum schweben, sichtbar machen könnte, wüsste ich vielleicht, was es damit auf sich hat. Dann wäre über meinem Nachbarn eine Art Comicblase, und ich könnte den Film sehen, der sich in seinem Kopf gerade abspielt.

In meinem Kopf dreht sich momentan natürlich alles um Schokolade, genau genommen um die Geschichte der Schokolade. Wusstet ihr, dass die Kakaobohne aus Lateinamerika stammt? Mir ist das auch erst seit heute klar. Ich lese zum ersten Mal etwas über olmekische, toltekische und andere uralte Zivilisationen. Es geht um Mayas und Azteken und jede Menge Worte mit quatl und chi und itzn.

Kaum sickern diese exotischen Silben in mein Gehirn, bauscht sich auch schon ein Kleid aus fantastischen Quetzalvogelfedern um meinen Luxuskörper, und ich bereite als Maya-Priesterin ein paar Opfer zum Wohle von Ek-Chuah, dem Gott der Händler und Kakaobauern, vor. Aber mitten in der Opferung erscheint dann aus dem Nichts Twister. So wie er immer ungebeten in meinem Gehirn auftaucht. Und sofort ist mein Kleid aus Federn wieder verschwunden, ich liege in Twisters Armen, und wir überlegen genüsslich, was wir Köstliches mit Schokolade tun könnten ...

Leider muss ich jetzt mit der – äh – Arbeit aufhören, weil mich Franziska abholen wird und Ergebnisse sehen will. Ich packe also meine Kopien und Notizen zusammen und bemühe mich, so wenig wie möglich mit dem Papier zu rascheln. Trotzdem drehen sich zwei Bleichgesichter zu mir um und zischen »Ruhe!« in meine Richtung. Ich frage mich, was passieren würde, wenn in diese heilige Stille plötzlich jemand richtig laut pupsen würde!

Als ich aus der Tür ins helle Sonnenlicht trete, fällt mein Blick auf Franziska, die in ihrem roten Mini-Cooper schon ungeduldig auf mich wartet. Sie streckt die Hand aus. »Hallo, Jule«, begrüßt sie mich, und ihre Stimme klingt dabei gehetzt. »Schön, dass du kommst. Kannst du in Zukunft pünktlich sein? Mein Zeitplan ist sehr eng.« Sie lässt mir kaum Zeit, in den Wagen zu steigen, denn noch bevor ich die Tür geschlossen habe, setzt sie den Blinker und fährt los. Eigentlich ist es mehr Rasen als Fahren. Immer wieder streicht sie ihre langen Haare hinter die Ohren und beißt sich wütend auf die johannisbeerroten Lippen. Besonders dann, wenn ihr Vordermann sich völlig unmotiviert an die Geschwindigkeitsbegrenzungen hält.

Franziska ist kleiner als ich und sehr dünn. Obwohl sie älter sein dürfte als meine Mutter, wirkt sie viel cooler. Na ja, wahrscheinlich könnte ich Madonna als Mutter haben und würde sie nicht cool finden, einfach aus dem Grund, weil sie dann meine Mutter wäre.

Also, Franziska jedenfalls ist cool. Obwohl mindestens 26 Grad herrschen, ist sie von Kopf bis Fuß schwarz angezogen. Das Schwarz erinnert mich aber nicht an dunkle Schatten, sondern es vibriert an ihr, es ist die ganze Zeit in Bewegung.

Kein Wunder, bei den Dingen, die sie auf einmal erledigt: Autofahren, etwas in ihr Diktafon sprechen, Radiosender wechseln, auf die Uhr schauen, anderen Autofahrern den Mittelfinger zeigen und dabei ununterbrochen mit mir reden.

»Gleich sind wir in meinem Büro, dann besprechen wir deine Aufgaben für morgen«, schießt es gerade aus ihr heraus. Ich nicke nur und hoffe, dass wir ihr Büro lebend erreichen.

Gerade als sie den Schlüssel in das Schloss stecken will, wird die Tür von einer langen, hübschen Frau mit einer Unmenge von Sommersprossen aufgerissen. Sie gibt Franziska einen Kuss auf den Mund und murmelt: »Schön, dass du endlich da bist.« Dann mustert sie mich kritisch. »Du bist also die Jule.« Ihre Stimme ist merklich dunkler geworden. »Hi. Ich bin Dorothea.« Sie streckt mir eine ungewöhnlich große Hand hin, in der die meine zusammengequetscht wird wie in einer feuchten Saftpresse. Ich lasse sofort wieder los, ohne daran zu denken, wie unhöflich das wirkt. Dorothea ignoriert es und folgt achselzuckend Franziska, die ihre Tasche inzwischen auf einem der beiden Schreibtische abgeladen hat, um sie auszuräumen.

Franziskas Büro habe ich mir ganz anders vorgestellt. So in etwa wie die Büros bei der Fernsehserie damals: schicke Zimmer mit Fensterfronten, Computern, Vorzimmern, Teeküchen und endlos langen Gängen dazwischen.

Hier geht man von der Straße drei Stufen hoch und befindet sich in einer Art schwarz-weißem Laden. Vorsprünge in der Wand unterteilen den Raum. An der Seite stehen Videogeräte mit mehreren Bildschirmen und Rekordern neben endlosen Reihen mit verschieden großen Videokassetten. Gegenüber sehe ich Musikanlagen, drei Computermonitore, CD-ROMs und CDs. Der Fußboden ist weiß lackiert, die Drehstühle sind schwarz. Weiter hinten, dort wo der Laden etwas breiter wird, stehen Freischwingerstühle an einem großen runden Tisch. Aber außer Dorothea, Franziska und mir ist keiner im Raum.

»Suchst du jemanden?«, fragt Franziska.

»Ich dachte, das hier wäre eine Firma. Aber wo sind die Angestellten?«

Franziska lächelt. »Hier arbeite nur ich und manchmal auch Dorothea oder, wenn sehr viel zu tun ist, mein Regie-Assistent.«

»Aber du machst doch eine Reportage fürs Fernsehen?« Ich kapiere das nicht so ganz. »Braucht man da keine Tonleute, Kameramänner, Techniker, Cutter und so weiter?«

»Doch, klar. Aber die meisten Fernsehsender geben Reportagen außer Haus. Das bedeutet, dass für die Reportage nur ein freier Mitarbeiter verantwortlich ist, in diesem Fall also ich. Manchmal wird auch eine Produktionsfirma beauftragt.«

»Aber wo ist denn der Unterschied?«

»Kommt darauf an. Es gibt Produktionsfirmen, die haben eigene Kamerateams und Schnittplätze. Sie liefern den komplett fertigen Film ab. Oder es läuft wie bei mir, ich bekomme den Auftrag, muss aber selbst sehen, wo ich die Kameraleute herkriege und den Schnittplatz. Und dann gibt es noch den Fall, dass ein Sender einem freien Redakteur oder Producer, wie das manche auch nennen, den Schnittplatz stellt oder das Kamerateam.«

»Ah ja.« Ich bin noch ganz betäubt, denn auch wenn ihr die Sätze eben ganz gemütlich lesen konntet, auf mich sind sie niedergeprasselt wie Hagelkörner bei einem Sommergewitter.

Franziska sieht meine Unsicherheit und grinst. »Schau dich ruhig erst mal um. Dodo, könntest du uns vielleicht etwas zu trinken holen?«

Dodo? Ach, sie meint Dorothea! Was für ein beknackter Name! So würde ich nicht mal einen Goldfisch nennen, wenn ich einen hätte. Dodo nickt und verschwindet.

»Und was macht Dodo hier?«, frage ich lieber, bevor ich einen Fehler mache.

»Dodo ist meine Lebensgefährtin. Dass ich lesbisch bin, ist ja nichts Neues für dich, oder?«

Ich nicke. Damals bei der Serie war ich wirklich überrascht, dass Franziska sich nicht für Männer interessiert. Aber ich finde es nicht wirklich wichtig. »Und arbeitet Dodo auch bei der Reportage mit?«, will ich wissen.

»Jein. Dodo arbeitet mit Suchtkranken in einer Klinik. Sie ist Sozialpädagogin und hilft bei der Wiedereingliederung. Immer, wenn sie etwas Zeit übrig hat und sie ein Projekt interessant findet, springt sie ein.«

»Und wie findet sie Schokolade?«

»Da fragst du sie am besten selbst. In jedem Fall isst sie gern welche.« Franziska lächelt versonnen. »Früher hatte ich übrigens auf dem Bavariafilm-Gelände ein Büro. Aus Prestigegründen. Damals hatte ich auch eine Sekretärin und habe mich ganz schick Efka-Film genannt. Aber die Miete und das Personal waren mir auf Dauer zu teuer. Da musste ich andauernd schrecklich langweilige Aufträge annehmen, nur um das Geld reinzubekommen. Mir geht es hier viel besser. Ich bin relativ unabhängig, und das gefällt mir.«

»Und wann legen wir mit unserer Schokoladenstory richtig los?«, frage ich Franziska.

»Was meinst du mit richtig?«

»Filmaufnahmen und so ...«

Franziska stöhnt. »Also, zuerst müssen wir ein Exposé machen, das vom Sender abgenommen wird. Dann erst können wir loslegen.«

»Ein Exposé, was ist denn das?«

Dodo, die für alle Wasser mitgebracht hat, verdreht die Augen. »Ich habe dir doch gesagt, dass dich eine Praktikantin viel mehr Arbeit kosten wird, als sie dir bringt!«

Franziska zuckt mit der Schulter. »Da täuschst du dich, Dodo, Jule ist von der schnellen Truppe. Wenn sie einmal kapiert hat, wie es funktioniert, ist sie kaum zu bremsen.«

»Danke.« Am liebsten würde ich Dodo die Zunge rausstrecken und »Ätsch« sagen, aber dafür bin ich leider schon zu alt.

»Also, in ein Exposé schreibt man rein, wie der Film ungefähr aussehen soll und welchen Ablauf er haben wird.«

»Das verstehe ich nicht. Musstest du nicht schon ein Exposé machen, bevor der Sender sich entschlossen hat, diese drei Reportagen drehen zu lassen?«

»Siehst du, Dodo, das meine ich. Jule ist wirklich nicht auf den Kopf gefallen ...«

»Ich kann auch jede Menge andere Kunststücke: bis drei zählen, Idiot buchstabieren«, lalle ich und bemühe mich, dabei etwas zu sabbern. Franziska lacht. Dodo findet das nicht komisch und zieht endlich ab. Ich frage mich, was Franziska wohl an Dodo liebt.

»Du hast Recht, Jule, natürlich musste ich schon ungefähr skizzieren, wie die Reportagen aufgebaut sind. Aber das war nur für eine allererste Kalkulation, jetzt braucht der Sender es ein wenig detaillierter.«

Trotz der Gefahr, dass ich mich wieder als Unwissende oute, frage ich nach: »Kalkulation?«

»Das ist eine Aufstellung darüber, was der Film kosten wird.« Franziska trinkt ihr Glas mit einem langen Schluck aus und erklärt dann weiter. »Wenn ich zum Beispiel an die Elfenbeinküste fliege, um dort vor Ort zu drehen, wie Kakao geerntet wird, dann entstehen dabei Kosten. Der Flug, das Hotel, das Essen etc., das alles muss bezahlt werden. Außerdem möchte ich auch noch etwas daran verdienen.«

»Heißt das, wir fliegen nach Afrika?«

Afrika, allein dieses Wort knipst etwas in meinem Kopf an und entführt mich in eine andere Welt, eine Welt, die ich plötzlich von oben betrachte.

Heißer Wind weht mir ins Gesicht, weil ich in einem kleinen Flugzeug sitze und fliege. Unter mir auf der hellbraunen Steppe weiden Gazellen. Etwas weiter vorn schlängelt sich träge ein Fluss, in dem eine Flusspferdmutter mit ihrem Jungen badet. Daneben schläft eine Schar rosafarbiger Flamingos, die auseinander rauschen, als sie den Propeller unseres Flugzeugs bemerken. Und wisst ihr, wer noch im Flugzeug ist? Twister, der mit einem Dreitagebart neben mir sitzt und mich gerade vor einer wilden Löwin gerettet hat. Natürlich hat er sie nicht getötet, nur verjagt. Allerdings hat er dabei ein paar gefährliche Kratzer im Gesicht abbekommen, die ich gleich nach der Landung in unserem Dschungellager verarzten und natürlich küssen werde ...

Leider unterbricht Franziska meine afrikanischen Visionen. »Wir nicht, Jule, wir können dich schlecht mit nach Afrika nehmen. Du darfst eventuell bei einigen Drehs dabei sein, aber sicher nicht in Afrika. Vielleicht die Schweiz, vielleicht Holland. Mal sehen, auf was wir uns beim Sender morgen definitiv einigen.«

Mein Propellerflugzeug stürzt schnurstracks in einen Riesenberg aus Käse. »Schade.«

»Jule, wahrscheinlich machst du dir völlig falsche Vorstellungen von so einer Reise.« Franziskas Worte sollen wohl tröstend klingen, auf mich wirken sie allerdings schulmeisterlich. Mein Eindruck verstärkt sich, als Franziska aufsteht und in dem schlauchförmigen Büro auf und ab wandert. »Erstens einmal ist es immer ein Unterschied, ob man in einem tropischen Land Urlaub macht oder ob man arbeiten muss. Da kann einem das Klima ziemlich auf die Nerven gehen. Es ist heiß und feucht. Den ganzen Tag fühlt man sich klebrig. Und zweitens: kaum ist die Sonne weg, dann kommen die Mücken.«

»Ach, das würde ich schon schaffen.« Schließlich bin ich ja noch keine Greisin und völlig gesund!

»Trotzdem, Jule, es geht nicht. Ich glaube übrigens kaum, dass dir gefallen würde, was wir an der Elfenbeinküste drehen.«

»Wieso denn nicht?« Franziska scheint mich ja für eine ziemliche Mimose zu halten.

»Weil Kakaoanbau in der Regel Kinderarbeit bedeutet und einige der Kinder dort wie Sklaven gehalten werden. Das gehört leider auch in eine Reportage über Schokolade.«

Haltet mich bitte nicht für weltfremd. Kinderarbeit, Sklaven, all das habe ich schon mal gehört oder besser gesagt im Fernsehen gesehen. Aber hier, in Franziskas Büro, wird es für mich viel realer, als es auf dem Bildschirm jemals sein könnte. Kommt das vielleicht daher, dass ich jetzt an eben genau so einer Dokumentation mitarbeite und sie nicht gemütlich auf dem Sofa dahingefläzt anschaue? »Gibt es denn keine Gesetze in Afrika?«, frage ich laut.

»Doch, natürlich schon, aber niemand überprüft das so genau.«

Ich weiß nicht, wie es euch an meiner Stelle gehen würde, aber ich fühle mich auf jeden Fall komisch. Das mit Twister und mir und dem Flugzeug kommt mir plötzlich kindisch vor.

»Warum guckst du denn so seltsam, Jule? Sei nicht sauer, du kommst sicher früher oder später auch mal nach Afrika.« Franziska lächelt mich ausführlich an, und plötzlich schäme ich mich, dass ich sie vorher für oberlehrerhaft gehalten habe. Schließlich bringt sie mir eine Menge bei.

»Wieso eigentlich Afrika?«, erkundige ich mich. »Der Kakao kommt doch aus Lateinamerika.« Immerhin habe ich den ganzen Tag heute über quatls und itzn in Lateinamerika gelesen und bin ja jetzt Expertin!

»Du hast Recht. Kakao wächst rund um den Äquator, das Hauptanbaugebiet ist heute aber in Afrika, die Elfenbeinküste um genau zu sein.«

Franziska hört auf, hin und her zu tigern, kommt näher und legt freundlich ihre Hand auf meinen Arm. »Neben dem Recherchieren habe ich noch ein paar andere Aufgaben für dich. Unser erster Dreh findet in einer Schokoladenfabrik statt. Dort werden wir einige Leute interviewen, und wir brauchen von jedem eine so genannte Freigabe oder Freistellungserklärung, mit der er das Recht an seinem Bild und Wort an uns abtritt.«

Ich verstehe Bahnhof und schaue Franziska fragend an.

»Das bedeutet, wir brauchen eine Erlaubnis, damit wir die Gespräche mit ihnen auch senden dürfen.«

Franziska dreht sich zu einem Stahlregal auf der anderen Zimmerseite um. »In dem Ordner dort drüben sind Vordrucke. Am besten rufst du in der Firma an, die Nummer findest du auch in den Unterlagen.« Sie zeigt mir die Sachen, bevor sie fortfährt. »Außerdem wirst du dich beim Drehen um die Kassetten kümmern, das ist eine wichtige Aufgabe. Beschriften und aufpassen, dass nichts verschwindet. Und natürlich Time-Codes notieren.«

»Time-Codes?« Alles schwirrt in meinem Kopf und wird zu einem unübersichtlichen Chaos. Ich glaube, Aliens, die auf die Erde kommen, haben es leichter. Time-Codes kann ich natürlich übersetzen: Zeit-Kodes. Aber was zur Hölle soll das sein?

»Um etwas auf einer Kassette zu finden, eine besonders lustige oder interessante Stelle, braucht man den Time-Code. Das ist in etwa das Gleiche wie die Seitenzahlen in Büchern.«

Ein Glück, ja, von Büchern hab ich schon mal was gehört, da kann ich mitreden. Ich nicke also verständnisvoll. Franziska ist in ihrem Element und fuchtelt mit den Händen, während sie weiter erklärt.

»Jeder kann nachschauen, was in einem bestimmten Buch auf Seite 77 steht. Und so funktioniert das auch beim Film. Die Kassetten bekommen einen Time-Code, mit dem wir dann später arbeiten. Du wirst während den verschiedenen Drehs notieren, bei welchem Time-Code wir zum Beispiel die Schoko-Nikoläuse auf dem Band abgefilmt haben und wann wir damit aufhören. Das hat den Vorteil, dass wir nicht alle Kassetten von vorne nach hinten anschauen müssen, um endlich zur Szene mit den Nikoläusen zu kommen.«

»Gut.« Ich nicke, aber eher zu meiner eigenen Beruhigung, denn je länger dieses Gespräch dauert, desto unsicherer werde ich. Das alles klingt ganz anders, als ich mir es vorgestellt habe. Ich dachte, ich, Jule Neumann, halte eine Kamera auf den Präsidenten einer großen Schoko-Welt-Firma und interviewe ihn so gekonnt, dass er mir nachher das Du anbietet und ich lebenslang Schokolade umsonst kriege. Aber Time-Codes notieren, das hört sich nach mühevoller Kleinarbeit an.

Franziska mustert mich prüfend. »Hast du auch wirklich alles verstanden? Mir ist es lieber, wenn du mich einmal zu viel fragst, als dass wir hinterher das große Chaos beseitigen müssen.«

Jetzt erwacht mein gesunder Ehrgeiz. Wie kommt sie bloß auf die Idee, ich könnte irgendwo großes Chaos hinterlassen? »Also gut, dann frage ich: Was steht genau für morgen an?«

»Wie ich eben schon sagte, du telefonierst am besten mit der Schokoladenfabrik und lässt dir einen Termin geben wegen der Freigaben. Außerdem recherchierst du noch weiter nach witzigen Anekdoten und Begebenheiten zur Geschichte der Schokolade. Morgen verhandle ich endgültig die Details mit dem Sender. Und ich schlage vor, wir treffen uns übermorgen und besprechen den genauen Produktionsplan.«

Franziska sieht jetzt ziemlich ungeduldig aus.

»Okay.« Ich bin platt von all den Neuigkeiten und habe den Eindruck, dass Franziska nichts dagegen hätte, wenn ich jetzt gehen würde. Sie schaut andauernd zu ihrem Schreibtisch, als ob dort etwas mit Vehemenz explodieren würde, wenn sie sich nicht auf der Stelle darum kümmert. »Dann habe ich noch eine Frage. Lässt es der Produktionsplan zu, dass ich jetzt nach Hause gehe?«

»Na klar, Jule.« Franziskas Gesicht entspannt sich für einen Moment. »Wir sehen uns dann übermorgen um neun Uhr, okay?«

Sie verabschiedet sich freundlich von mir, aber ich kann ihr ansehen, dass sie längst an vier andere Dinge denkt. Mindestens.

Bei der Soap damals kam sie mir nie so gestresst vor. Vielleicht liegt es daran, dass sie die Serien nur macht, um genug Geld für ihre schlecht bezahlten Reportagen zu haben. Die Serien bedeuten ihr nichts. Aber die Reportagen, die liegen ihr am Herzen.

Diesen Mechanismus kenne ich. Ich kann zu Jungs, die mir total egal sind, viel lockerer sein als zu solchen, die mir etwas bedeuten. Wie zum Beispiel Twister.

Apropos, was meint ihr, soll ich ihn kurz im Schwimmbad besuchen oder lieber nicht?

Ihr habt völlig Recht. Ich sollte ihn in seinem eigenen Saft schmoren lassen und nicht hingehen. Das habe ich seit drei Tagen durchgezogen. Soll er doch sehen, was er davon hat, dass er nicht mit mir in den Urlaub fahren wollte! Basta, denke ich und mache mich auf den Weg nach Hause, um mein Badezeug zu holen. Ihr seht, in puncto Durchhaltevermögen bin ich Weltmeisterin. Aber mal ehrlich, nach diesem staubigen Tag in der Bibliothek habe ich mir ein bisschen Schwimmen wirklich verdient. Und wenn Twister nun gerade Bademeistergehilfe ist, was kann ich dafür?

Ich fahre mit der U-Bahn nach Hause. In der Bahn ist es heiß, und es riecht nach einer Mischung aus Schweiß und altem Brot. Nachdenklich betrachte ich die beiden Männer mit den erschöpften Gesichtern, die mir gegenübersitzen, und überlege mir, was für eine Arbeit sie heute wohl machen mussten. Und plötzlich kommt es mir so vor, als wäre Time-Code-Aufschreiben eine ganz wunderbare Aufgabe, vielleicht mühsam, aber wunderbar.

Hey, ich bin dabei, an einer Reportage über Schokolade zu arbeiten, eine Sache, ohne die ich nicht leben kann. Eine Sache, die mir fast so viel bedeutet wie Twister.

SCHWIMMBADWUNDER

Wie immer türmen sich vor dem Ungererbad hunderte von Rädern. Viele sind umgefallen, und ich finde nur schwer einen Platz für mein altersschwaches Vehikel. An der Kasse sieht es nicht besser aus. Sogar jetzt, am späten Nachmittag, stehen die Menschen Schlange. Zum Glück habe ich eine Mehrstreifenkarte, mit der ich das weiße Drehkreuz am Eingang problemlos passieren kann. Kaum bin ich hindurch, erschlägt mich eine unglaubliche Mischung aus Kreischen, Juchzen, Heulen und Wassergeplätscher. Die Geräusche würde ich gerne einfangen und dann in der Staatsbibliothek wieder freilassen.

Jedes Fitzelchen Grün ist mit Decken und Handtüchern, Wasserbällen und Luftmatratzen bedeckt. In den Becken sieht man mehr Menschen als Wasser. Twister wird jede Menge zu tun haben, schießt es mir durch den Kopf.

Was, wenn er gerade der Miss München den Rücken abrubbelt? Oder Miss Coverfoto die Schenkelchen eincremt?

Ich sollte nicht so kleinlich sein. Aber wenn ich an Twister denke, funktioniert mein Kopf nicht mit der gleichen Zuverlässigkeit wie sonst.

Da ist er, ich habe ihn entdeckt. Er steht neben einem Kinderwagen am Rand der Kleinkinderplanschzone. Was ich sehe, lässt meinen Puls schneller werden und verengt meine Kehle. Ich habe bisher nicht gewusst, wie sehr ich Twister liebe. Wenn ihr ihn sehen könntet!

Er steht da in seiner weißen, kurzen Hose, ohne T-Shirt. Ich sehe seine, na ja zugegeben, etwas magere Brust, aber immerhin wachsen ihm keine ekligen Haare drauf. Daran ist natürlich noch nicht wirklich viel Besonderes. Aber jetzt kommt es: An diese Brust schmiegt sich gerade ein winziges Bündel Mensch, beschützt von seinen muskulösen Armen. Jetzt streichelt er das flaumige, zarte Köpfchen und schaut es an. Ich weiß nicht, warum mich das so glücklich macht. Es ist das Rührendste, was ich je gesehen habe! Oder schmelze ich gerade in der Sonne dahin, weil ich einen Sonnenstich habe? Bisher fand ich Babys ziemlich nervtötend. Ich habe es zweimal als Babysitter probiert, aber das Geplärre und die ständige Windelwechslerei haben mich mehr als angeödet. Das hier jedoch ist etwas völlig anderes. Wie die beiden umspült vom Sonnenlicht so auf der Wiese stehen, das ist wunderschön. Warum nur habe ich das Gefühl, ich müsste zu zarter Harfenmusik leicht wie auf Wolken zu Twister schweben, um ihm ins Ohr zu flüstern, wie sehr ich ihn liebe?

In diesem Moment entdeckt mich Twister und winkt mir hektisch zu. Ich bahne mir einen Weg durch die Massen – warum nur fällt mir an dieser Stelle Moses und das Meer ein, das er teilt? –, und endlich erreiche ich Twister. Ich bin immer noch benommen von diesem überirdisch schönen Bild und küsse ihn voll auf den Mund, obwohl ich das sonst vor Publikum selten tue.

»Super, dass du da bist, Jule, halt das mal. Ich bin gleich zurück!« Twister streckt mir das Baby hin. Ich lasse meine Badetasche fallen und bette das Kleine vorsichtig auf meinen Arm. Seine blauen Kugelkulleraugen gucken mich erstaunt an. Ich kann mich gar nicht losreißen, und als ich wieder hochschaue, ist Twister schon losgerannt.

»Twister, wo läufst du denn hin?«, frage ich verdutzt, aber er hört mich nicht mehr oder will mich nicht hören. Das Baby wirft einen letzten Blick auf mein Gesicht und dann, als hätte es etwas Entsetzliches gesehen, fängt es an zu heulen. Es wird lauter und lauter, bis es sich wie eine Sirene bei Feuerwehralarm anhört. Und je mehr es seine Lautstärke steigert, umso röter wird es im Gesicht.

Wie gesagt, Babysitting ist einfach nichts für mich. Wieso lag das Kleine so friedlich in Twisters Armen, und wieso schreit es jetzt? Ich schuckele es hin und her und summe sogar »Alle meine Entchen« in sein Ohr, aber das Baby kümmert sich nicht um meine kläglichen Beruhigungsversuche. Na ja, so überzeugend singe ich auch nicht. Einige Frauen in der Nähe haben sich mittlerweile zu mir umgedreht und schütteln die Köpfe.

Verzweifelt suchen meine Augen das Bad nach Twister ab. Aber ich entdecke ihn nicht. Um mich abzulenken, versuche ich die Schweißtropfen zu zählen, die mir den Rücken runterlaufen. Ich muss dieses Baby zum Schweigen bringen, aber wie? Mund zuhalten geht ja leider nicht. Wer kann auch ahnen, dass derart kleine Körper solch starke Organe besitzen? Ich würde mir die Ohren zuhalten, wenn ich könnte.

Jetzt stampft eine Frau im azurblau gestreiften Badeanzug auf mich zu. »Ist das Ihr Baby?«, fragt sie mit strengem Gesichtsausdruck.

Und da haben wir den Salat. Was soll ich denn jetzt antworten? Wenn ich mich an die Wahrheit halte, ist hier sofort die Hölle los. Die Frau wird den Bademeister rufen, und ich werde wie eine Kindesentführerin oder – schrecklicher noch – wie eine Kindesmisshandlerin dastehen.

Andererseits, wenn der Bademeister kommt, dann bringt er vielleicht auch Twister mit. Also entscheide ich mich doch für die Wahrheit.

»Was haben Sie dann mit dem Kind zu schaffen?«, keift die Frau prompt. »Sind Sie eine Verwandte?« Ihre Augenbrauen ziehen sich zwischen der Nasenwurzel bedrohlich zusammen, und so, als ob das Baby die Gefahr wittert, holt es einmal tief Luft und nuckelt dann an seinen Fingerchen. Kein Laut mehr dringt aus seiner Kehle. Meine Schweißtropfen auf dem Rücken haben sich mittlerweile in einen mittelgroßen Wasserfall verwandelt. Wo bleibt nur Twister?

»Also ...?« Die Dame vor mir pocht auf Antworten.

»Nein, ich bin auch keine Verwandte.«

»Dann geben Sie sofort das Kind her.« Die Frau kommt näher.

»Auf keinen Fall.« Ich weiche einen Schritt zurück. Immerhin habe ich Twister versprochen aufzupassen, und die Frau kenne ich nicht. Wahrscheinlich will sie dem Baby nichts Böses, aber wer weiß schon, was in jemandem vorgeht, der sich in einem derart hässlichen Badeanzug in die Öffentlichkeit wagt?

»Hilfe, Bademeister!«, kreischt die Frau plötzlich los. Viele Menschen drehen sich zu uns um, und einige erheben sich von ihren Badelaken. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass so etwas bedrohlich aussehen könnte.

Ohne es zu wollen, halte ich das Baby jetzt noch fester in den Armen. Ich werde Twister den Hals umdrehen, wenn er jemals zurückkommen sollte.

»Was ist denn hier los?« Eine weiß bekleidete zauberhafte Shorts-Schönheit zwängt sich durch den Kreis von Zuschauern, der sich um mich gebildet hat.

»Sind Sie etwa der Bademeister?«, fragt die azurblau Gestreifte missbilligend.

Was für eine Idee! Solche Frauen tragen rote Bikinis und arbeiten bei »Baywatch«, aber doch nicht im Ungererbad!

»Ja, bin ich«, erwidert die Schönheit mit angenehm weicher Stimme. »Und was ist das Problem? Hat sich das Kleine verletzt?«

Mir wird schwindelig. Vor mir steht also eine von Twisters Kollegen. Davon hat er nicht das kleinste Bisschen erwähnt. Die Rede war nur von Bademeistern. Bademeisterinnen kamen nicht vor.

Die Shorts-Schönheit wirft mir einen freundlichen Blick zu und scheucht die Schaulustigen auf ihre Laken zurück. Die Azurblaue zögert noch, aber dann wendet sie sich ab, nicht ohne Empörung im Blick, und ich kann endlich erklären, was los ist. Als die Schönheit Twisters Namen hört, nickt sie. »Hm«, meint sie, »ich weiß auch nicht, was eigentlich passiert ist. Aber wir beide gehen erst mal aus der Sonne in unser Besprechungszimmer. Dann sehen wir weiter. Ich bin übrigens Sandra, und wie heißt du?«

»Jule!«

Sandra schenkt mir einen noch netteren Blick aus ihren braunen Augen. »Dann bist du also Twisters Freundin. Die, die so unglücklich ist.«

Ich werde Twister nicht nur den Hals umdrehen, ich werde es sehr langsam tun! Ich unglücklich? Blödsinn!

Gerade als wir an der Tür mit dem Schild »Teeküche« angekommen sind, schießt Twister atemlos um die Ecke. »Jule!«, schreit er mich an. »Wieso bist du nicht da geblieben, wo du warst? Ich habe das ganze Schwimmbad nach euch abgesucht!« Dann bemerkt er Sandra, lächelt ihr kurz zu und redet in diesem unverschämten Ton mit mir weiter.

Und statt dass mir eine prickelnde, eiskalte Gemeinheit einfällt, die mich aus der Rolle des Trottels rauskatapultiert, stehe ich nur da, wütend wie Hölle, aber stumm. Ich reiche ihm das Kind, drehe mich um und gehe weg.

Aber nach ein paar Metern wird mir klar, dass der Zorn einfach oben rausschäumen muss, sonst platze ich auf dem Weg nach Hause. Ich drehe mich also um und brülle Twister an: »Du Blödmann hast mich ewig mit diesem Monster allein gelassen! Beinahe wäre ich gelyncht worden!« Zugegeben, ich übertreibe an dieser Stelle ein wenig in Ausdruck und Inhalt, aber es war doch so, oder? »Und anstatt sich bei mir zu bedanken, dass ich das Baby vor azurblauen Zicken rette, schreist du mich auch noch an. Was fällt dir eigentlich ein?«

Twister sieht verunsichert hinter Sandra her, der er das Bündel gerade übergeben hat und die damit aus dem Zimmer verschwindet.

»Hey, Jule, jetzt beruhige dich.« Twister kommt auf mich zu. Aber ich will nicht in seine erbsengrünen Augen sehen, und ich will erst recht nicht, dass er mich in seine Arme nimmt. Wieso erzählt er dieser Sandra, ich wäre unglücklich?

Twister bleibt vor mir stehen. Ich schaue ihn streng an. Nicht mit mir! Da fällt er plötzlich vor mir auf die Knie und sagt mit herzzerreißender Stimme: »Verzeih mir!« Dann presst er mit rückhaltlos übertriebener Verzweiflung seinen Kopf an meine Beine und tut so, als würde er schluchzen.

Und natürlich, was macht mein Zorn? Verraucht auf der Stelle, und ich muss sogar lachen.

Die Tür geht auf, und Sandra ist wieder da. Ohne Kind übrigens. Sie lächelt amüsiert, als sie Twister vor mir auf den Knien liegen sieht. Twister springt auf und erklärt mir endlich, was es mit all dem Schlamassel auf sich hat.

Die Mutter des Kindes war in eine große Glasscherbe getreten. Zuerst wollte der Chef-Bademeister die Wunde selbst verarzten und hatte das Baby Twister solange in Obhut gegeben. Aber dann stellte sich heraus, dass die Wunde zu tief war. Sie musste genäht werden, und daraufhin wurde das Baby gesucht, weil die Mutter natürlich nicht ohne ihr Kind in den Krankenwagen steigen wollte.

»Ganz schön aufregend, dein Job! Ich meine euer Job«, füge ich mit Blick auf Sandra noch freundlich hinzu. Sie kann ja nichts dafür, dass Twister mir nie von ihr erzählt hat.

Twister zuckt mit den Schultern und zieht unauffällig an meinem Kleid.

Sandra seufzt. »Ach, das ist eine Ausnahme. In der Regel ist es hier ziemlich ruhig. Deshalb bin ich ja auch so froh, dass Twister aushilft. Mit ihm macht alles gleich viel mehr Spaß.«

»Das glaube ich sofort. Twister ist ein echter Komiker. Übrigens, ich verstehe immer noch nicht, wie er auf die Behauptung kommt, ich sei unglücklich. Na ja, vielleicht hat er gemeint, dass ich traurig bin, weil wir so wenig Zeit füreinander haben.« Ich werfe Twister einen zuckersüßen Blick zu. »Unsere Arbeitszeiten lassen sich eben schlecht koordinieren, ich bin einfach sehr viel unterwegs. Aber ich darf nicht meckern«, seufze ich tief und nachhaltig, »so ist das nun mal beim Fernsehen.«

Sandra schaut mich an, als hätte sie mich bisher gar nicht richtig gesehen. So, als ob sich plötzlich ein Schleier von meinem Gesicht gehoben hätte. Twister übrigens auch. Der Arme weiß leider nicht, wovon ich rede, denn aus purem Trotz habe ich nichts von Franziska und der Schokolade verraten. Es ist mir nicht mal schwer gefallen, schließlich haben wir uns drei Tage nicht gesehen.

Sandra schiebt sich wieder in mein Blickfeld. »Fernsehen?« Sie zupft an ihren weißen Shorts. »Das ist ja interessant.« Sie dreht sich zu Twister und wirft ihm einen missbilligenden Blick zu. »Davon hast du mir gar nichts gesagt, Twister. Wie wär's, Jule, gehen wir nach der Arbeit mal was trinken?«

Twister, der natürlich nicht zugeben will, dass er keine Ahnung hat, wovon ich rede, zieht mich zur Tür. »Jule, du bist doch bestimmt zum Baden hergekommen, oder? Wollen wir los?«

»Tschüss!«, ruft mir Sandra nach.

»Tschüss, und ja, ich fände es super, etwas trinken zu gehen!«, kann ich gerade noch antworten, bevor Twister die Tür mit einem Knall schließt.

»Arbeitszeiten beim Fernsehen? Wieso hast du mir nichts davon erzählt?«

»Warum sollte ich? Du hast mir ziemlich deutlich klargemacht, dass es dir piepegal ist, was ich in den Ferien so anstelle.«

»Dass du immer gleich so übertreiben musst! Du bist mir nicht piepegal. Ich will einfach Geld verdienen. Ist das denn so schwer zu verstehen?«

»Ich finde, dass Liebe wichtiger ist als Geld!«

»Oh, Mann!«, stöhnt Twister herzzerreißend. »Mädchen! Man kann doch beides haben, Liebe und einen Job, oder nicht?«

»Du vielleicht. Ich werde jetzt wenig Zeit haben. Mein Job fordert mich ganz. Zum Glück habe ich jede Menge nette Kollegen«, lege ich noch eins drauf. Dabei wollte ich das gar nicht. »Apropos Kollegen, Sandra ist bestimmt nett, oder?« Manchmal bemühe ich mich, besser zu sein, als ich bin. »Du hast mir gar nichts von ihr erzählt.«

»Wundert dich das?«, fragt Twister grinsend zurück.

»Ja, natürlich.« Ich bemühe mich um ein hoheitsvolles Gesicht. »Du weißt ja, ich bin nicht eifersüchtig, dafür aber großherzig, großzügig, geistreich ...«

»Du sagst es, und natürlich sagst du auch immer die Wahrheit, und was das Allerbeste an dir ist, du bist eben Jule. Wie schön, dass du endlich gekommen bist.« Dann zieht er mich mit seinen riesigen Händen an seine Brust und küsst meine roten Haare. Und ich fühle mich fast so klein und geborgen wie das Baby vorhin, allerdings möchte ich mehr als nur in seinen Armen liegen und fröhlich glucksen. Viel mehr.

Leider müssen wir das auf später verschieben, denn vorerst will Twister alles über meinen neuen Job wissen, und ehe wie uns versehen, muss er wieder zurück zur Arbeit. Bevor ich mich auf den Weg nach Hause mache, schwimme ich noch eine Runde, na ja, ich versuche, mir durch die Menschen-Wasserball-Massen einen Weg zu bahnen, und überlege dabei, warum manche Frauen eigentlich keine Männer mögen. Ich finde mindestens einen von ihnen wunderbar. Meistens jedenfalls.

SCHOKOLADENWAHNSINN

Diese Stille hier macht mich einfach nervös. Manchmal lege ich die Hand vor den Mund und kontrolliere meinen Atem. Gott sei Dank. Ich atme.

Richtig geraten! Ich bin wieder in der Bayerischen Staatsbibliothek und brüte über Schokolade. Es kommt mir ein bisschen komisch vor, dass Franziska mich noch einmal hierher geschickt hat. Eigentlich müsste sie doch schon längst alles über Schokolade wissen! Wie hätte sie denn sonst ihr Exposé zusammenstellen können? Will sie, dass ich lerne, wie man sich Informationen zu einem Thema besorgt? Oder hat sie nur das Nötigste gelesen und erhofft sich von mir ein paar lustige Einzelheiten? Zum Glück interessiert mich Schokolade mehr als Kaffee oder Tabak, das sind die beiden anderen Reportagen, die Franziska drehen wird. Allein das Wort Schoookooolaaade, da bekommt man doch sofort Appetit, sich etwas Süßschmelzendes in den Mund zu schieben. Was hier natürlich streng verboten ist. Nicht mal trinken darf man. Dazu muss man die Cafeteria aufsuchen, was ich ziemlich oft tue. Immer, wenn ich merke, dass ich bloß noch Löcher in die Luft starre, stehe ich auf und gehe raus. Danach läuft es besser.

Und mit welcher Energie ich mich hier über die Schokolade informiere, während ich langsam, aber sicher verstaube, erstaunt mich selber. Sämtliche meiner Lehrer würden vor Begeisterung ein Freudentänzchen wagen. Und weil ich gerade so in Schwung bin, gebe ich euch eine kleine Kostprobe. Nicht vom Tänzchen natürlich, sondern von meinem Angelesenen:

Also, die Kakaobohne wächst an Bäumen, und zwar direkt aus dem Stamm. Das sieht einigermaßen verrückt aus, ist aber wichtig, weil die Früchte so schwer sind, dass die Äste sonst einfach abbrechen würden. Die Kakaobohnen sind nämlich im Fruchtfleisch einer großen Frucht versteckt. Mit den Kakaobohnen konnte man übrigens früher bezahlen. Das heißt, in Lateinamerika wuchs das Geld wirklich einmal auf Bäumen. Aber das ist lange her.

Hey, Moment mal, ich habe den Eindruck, es reicht euch schon. Ihr wisst gar nicht, was ihr alles verpasst, zum Beispiel diese Geschichte:

Madame de Sévigné, eine sehr gebildete Frau, die im 17. Jahrhundert gelebt hat, also zur Zeit von Sonnenkönig Ludwig, schrieb allen Ernstes an ihre Tochter einen Brief, in dem sie vor dem Genuss von Schokolade warnt. Sie berichtete von einer Marquise, die einen ganz und gar schwarzen Jungen zur Welt brachte! Und warum wurde das Kind so schwarz? Weil die Marquise während ihrer Schwangerschaft zu viel Schokolade getrunken hatte.

Ich muss wohl laut gegrinst haben, denn mehrere bitterböse Blicke werden auf mich abgeschossen. Unschuldig lächle ich zurück. Etwas Schokolade könnte denen auch nicht schaden. Immerhin weiß man definitiv, dass Schokolade die Stimmung verbessert, weil sie Phenylehtylamin enthält, der gleiche Stoff, der auch freigesetzt wird, wenn man verliebt ist. Wenn ich so darüber nachdenke, könnte das vielleicht der Grund sein, warum ich weniger Schokoriegel esse, seit ich Twister kenne.

Anscheinend habe ich bei dem Gedanken an Twister schon wieder geseufzt.

Hastig raffe ich meine Sachen zusammen, bevor den mörderischen Blicken rund um mich herum noch Taten folgen. Außerdem muss ich mich auf den Weg zu Franziska machen. Ich bin gespannt, wie ihr gestriges Gespräch mit dem Sender verlaufen ist.

Nach dem dämmrigen Licht in der Bibliothek blendet mich die Sonne, und ich muss meine Augen zukneifen. Schon der kurze Weg zu meinem Fahrrad genügt, damit ich aus allen Poren schwitze. Am liebsten würde ich jetzt in einem kühlen See schwimmen, statt durch die stickigen Abgase zu Franziska zu radeln. Oder wenigstens im Schwimmbad herumplanschen. Bei der Hitze hat Twister heute bestimmt jede Menge zu tun. Und das ist auch gut so. Da bleibt nicht so viel Zeit, um mit sexy Sandy zu reden.

Dodo macht mir die Tür auf. »Dicke Luft!«, sagt sie und rollt ihre Augen zum Himmel. Heute flimmern über einen der Monitore Bilder, der Ton ist allerdings abgedreht.

»Hallo«, begrüße ich Dodo und frage mich, was denn wohl passiert sein kann.

Franziska rennt mit dem Telefon in der Hand vor dem Schreibtisch auf und ab. Dabei wirft sie hektische Blicke auf den tonlosen Film und schüttelt ununterbrochen den Kopf. Ich mache mir Sorgen, dass sie sich Probleme mit der Bandscheibe holt, so heftig sind ihre Bewegungen. Die Fingernägel heben sich weiß vom Telefonhörer ab, ihr Gesicht ist sehr blass, und zum ersten Mal sehe ich eine Falte, die von der Nase zum Mund läuft. »Das ist eine Unverschämtheit!«, brüllt sie ins Telefon. »So geht das nicht! Dann werde ich mir eben eine andere Firma suchen, es gibt ja genug in München!« Sie nimmt den Hörer vorn Ohr und sieht für einen Moment so aus, als würde sie ihn am liebsten gegen die Wand werfen. Stattdessen feuert sie ihn auf den Schreibtisch und knirscht hörbar mit den Zähnen. Mir läuft es kalt den Rücken herunter.

Dodo geht zu ihrer Freundin und legt ihr beruhigend die Hand auf die Schulter, aber Franziska schüttelt sie ungeduldig ab. »Lass, das hilft mir jetzt auch nicht weiter.« Dodo setzt sich auf einen der Stühle, die an dem runden Tisch in der Ecke stehen, und winkt mir zu, mich neben sie zu setzen.

»Hallo, Jule!« Franziskas Lächeln sieht gequetscht aus, aber ich finde es nett, dass sie sich überhaupt bemüht. Ich nicke vorsichtshalber nur.

Dodo steht wieder auf. »Wie wäre es mit einem Milchkaffee?«

Mir kommt es zwar so vor, als wäre eine Runde Beruhigungsmittel jetzt eher angebracht, aber ich halte mich zurück.

Als Dodo mich auffordernd anschaut, nicke ich, als wäre Kaffee eine herausragende Idee. Dabei mag ich Kaffee nicht besonders.

Gleich darauf ist Dodo verschwunden.

Franziska räuspert sich. »Du fragst dich sicher, was hier eigentlich los ist, Jule, oder?«

»Ja.« Ich beschränke mich weiterhin auf die Kurzform.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960531777
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (November)
Schlagworte
eBooks statrke Maedchen frech Chaos Humor Ferien erste Liebe Freundinnen Schokolade
Zurück

Titel: Jule - Band 4: Zartbitter
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
157 Seiten