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Korallenkuss

Roman

©2017 147 Seiten

Zusammenfassung

Hilfe! Herz über Bord! „Korallenkuss“ von Erfolgsautorin Beatrix Mannel jetzt als eBook bei jumpbooks.

„Sie klammerte sich fest an die Reling, um nicht vor lauter Glück davonzuschweben, so wie eines dieser watteweichen Wölkchen, die hinter den Hochhäusern von Sydney am Horizont verschwanden.“

Endlich hat Luzie es geschafft! Sie ist an Bord der Pacific Blue, dem Kreuzfahrtschiff, auf dem Mark arbeitet – ihre große Liebe. Doch das lang ersehnte Wiedersehen verläuft nicht so romantisch, wie sie sich das ausgemalt hat, denn Mark sieht das mit der ganz großen Liebe etwas anders. Luzie fällt aus allen Wolken … und als dann auch noch der süße Henry auftaucht, ist das Gefühlschaos komplett!

Jetzt als eBook kaufen und genießen: der Jugendliebesroman „Korallenkuss“ von Beatrix Mannel. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

„Sie klammerte sich fest an die Reling, um nicht vor lauter Glück davonzuschweben, so wie eines dieser watteweichen Wölkchen, die hinter den Hochhäusern von Sydney am Horizont verschwanden.“

Endlich hat Luzie es geschafft! Sie ist an Bord der Pacific Blue, dem Kreuzfahrtschiff, auf dem Mark arbeitet – ihre große Liebe. Doch das lang ersehnte Wiedersehen verläuft nicht so romantisch, wie sie sich das ausgemalt hat, denn Mark sieht das mit der ganz großen Liebe etwas anders. Luzie fällt aus allen Wolken … und als dann auch noch der süße Henry auftaucht, ist das Gefühlschaos komplett!

Über die Autorin:

Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie – auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian – Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2016 die Münchner Schreibakademie.

Bei jumpbooks erschien von ihr bereits die Serie S.O.S. – Schwestern für alle Fälle mit den Einzelbänden:

Willkommen in der Chaos-Klinik
Ein Oberarzt macht Zicken
Flunkern, Flirts und Liebesfieber
Rettender Engel hilflos verliebt
Prinzen, Popstars, Wohnheimpartys,

Die Jugendbuchserie Jule mit den Einzelbänden Jule – filmreif, Jule – kussecht, Jule – schwindelfrei, Jule – zartbitter

und der historische Jugendroman Die Tochter des Henkers.

Mehr Informationen auch auf der Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de

www.münchner-schreibakademie.de/

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eBook-Neuausgabe Juli 2017

Copyright © der Originalausgabe 2005 Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock/Rohappy

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ml)

ISBN 978-3-96053-190-6

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Beatrix Mannel

Korallenkuss

Roman

jumpbooks

1.
Sydney, Australien

Auszug aus der Bordzeitung der Pacific Blue Princess, den Blue News
Samstag, den 2. April
Sonnenaufgang: 6:34 Sonnenuntergang: 17:28
Cocktail des Tages: Wekomefre, (Sekt,
Orangensaft, Blue Curaçao)
Bekleidungsempfehlung: leger
Spruch des Tages: »Wohin du auch gehst,
geh mit deinem Herzen.« Konfuzius

Luzie klammerte sich fest an die Reling, um nicht vor lauter Glück davonzuschweben, so wie eines dieser watteweichen Wölkchen, die hinter den Hochhäusern von Sydney am Horizont verschwanden. Endlich war sie am Ziel.

Hier auf diesem Schiff würden sie sich wieder treffen und nie mehr trennen.

Sie konnte es gar nicht fassen, dass sie ganze 92 Tage ohne ein Lebenszeichen von ihm überlebt hatte.

Der Gedanke daran, dass es jeden Augenblick so weit sein konnte, ließ ihre Füße unruhig hin- und herwippen und verwandelte ihren Herzschlag in einen nervösen Trommelwirbel, der ihr den Atem nahm.

Dabei mochte sie diese Luft aus salziger Hitze, Öl und Fisch. Schließlich war es die gleiche Luft, die er auch atmete. Wer weiß, überlegte sie, vielleicht begegnet sich irgendwo dort oben am Himmel unser Atem und küsst sich schon längst, während wir uns noch suchen.

Sie schloss für einen Moment ihre aufgeregt flatternden Augenlider, um sich bei ihrem Wiedersehen sein überraschtes Gesicht und den anschließenden Kuss auszumalen. Doch das Rattern und Krachen der Containerkräne wirkte mit geschlossenen Augen unromantisch laut. Es vermischte sich mit dem Kreischen der Möwen, den kurzen Kommandos der Hafenarbeiter und dem sanften Schwappen des Wassers zu einer schrillen Hintergrundmusik für ihre Vision vom ersten Kuss an Bord.

Und da plötzlich hörte sie mittendrin in all dem Lärm sein schmetterndes Lachen! Oder bildete sie sich das nur ein? Sie riss ihre Augen wieder auf und suchte den Kai nach seiner großen, breiten Gestalt ab. Leider war er nicht da.

Enttäuscht bemerkte sie, dass das Lachen nur von den Insassen eines gerade herangefahrenen grün schimmernden Jaguars ausgegangen war. Der Fahrer sprang heraus und half einer grauhaarigen Dame beim Aussteigen, während ein sehr viel älterer Mann im weißen Anzug einen Rollstuhl aus dem Kofferraum zerrte und sich bemühte, ihn schnell aufzuklappen. Sein Strohhut fiel dabei auf die Erde und gab den Blick auf seinen kahlen Schädel frei. Ein zweiter, jüngerer Mann hob ihn auf und gab ihn mit einer Bemerkung zurück, die den älteren Mann zum Lachen brachte.

Doch dieses tiefe Ho-ho-ho hatte nichts mit dem freien und wilden Lachen von Mark zu tun, nach dem sie sich 92 Tage lang so gesehnt hatte. Wenn sie damals in Hamburg nur daran gedacht hätte, seine Stimme und sein Lachen mit ihrem Handy aufzunehmen. Dann wäre es ihr bestimmt leichter gefallen, die Zeit ohne ihn zu überstehen. Oder wenn sie ihm doch nur heimlich eine seiner schwarzen Locken abgeschnitten hätte ... Aber sie hatte nicht mal eine Socke von ihm behalten!

Die drei Menschen unten am Kai wurden von einem Steward mit vielen goldenen Streifen am Ärmel begrüßt und über die Gangway aufs Schiff begleitet.

Durch die Lautsprecher ertönte die Aufforderung an alle Gäste, jetzt von Bord zu gehen, da das Einchecken beendet sei und die Pacific Blue Princess in einer Viertelstunde ablegen würde.

Mark musste also schon an Bord sein.

Wenn sie nur wüsste, wo sich seine Kabine befand! Bei 500 Passagieren und 300 Mann Besatzung war das viel schwerer herauszufinden, als sie es sich vorgestellt hatte.

Nachdem sie allein fast verzweifelt war, hatte sie sich ein Herz gefasst und den einzigen Menschen an Bord, den sie schon kannte, den Hotelmanager Robert Fenwick, nach Mark gefragt. Ob sie denn verheiratet oder verlobt seien, hatte er wissen wollen. Luzie hatte kurz überlegt, ob sie eine Lüge riskieren sollte, schließlich hatte sie ja ohnehin schon so viel aufs Spiel gesetzt, um auf die Pacific Blue Princess zu gelangen. Doch sie ahnte, dass Mark es nicht mögen würde, wenn sie so ein Gerücht in die Welt setzte. Deshalb hatte sie sich entschlossen, ehrlich mit Nein zu antworten. Daraufhin hatte Fenwick sie bedauernd angesehen und ihr dann nur verraten, dass Mark jeden Abend ab 19 Uhr in der Tahiti Bar arbeiten würde.

Irgendwie unglaublich, dass es einfacher gewesen war, einen Job an Bord zu bekommen, als Mark auf dem Schiff zu finden.

Na ja, ganz so leicht war das mit dem Job auch wieder nicht gewesen. Bei der Erinnerung daran verzog Luzie ihre Lippen zu einer Grimasse.

Zuerst hatten ihre Eltern sie für komplett verrückt erklärt. Sie sei schließlich erst siebzehn und hätte gerade erst ihre Ausbildung zur Kinderpflegerin abgeschlossen. Da sollte sie lieber über eine Weiterbildung nachdenken, anstatt auf irgendeinem Schiff am Ende der Welt Berufserfahrungen zu sammeln.

Aber Luzie hatte nicht nachgegeben und immer wieder beteuert, dieses Schiff wäre im Gegenteil ihre große Chance. Wann würde sie je wieder so in der Welt herumkommen und dabei noch dazu ihr Englisch aufpolieren? Damit hatte sie ihre Eltern natürlich dann doch eingewickelt. Denn Luzie wusste genau, dass ihr Vater schon lange von einer Weltreise träumte und ihre Mutter es bitter bereute, nie Englisch gelernt zu haben.

Wenn sie ihnen die ganze Wahrheit gesagt hätte, dann würde sie natürlich immer noch brav zu Hause in Hamburg sitzen und Bewerbungen für Kindergärten schreiben.

Deshalb kannte auch nur Luzies beste Freundin Katja die ganze Wahrheit.

Das laute Knacken der Lautsprecher riss Luzie aus ihren Gedanken, und als dann eine Blaskapelle mit »Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus« ertönte, musste Luzie grinsen. Es kam ihr merkwürdig vor, dass am anderen Ende der Welt ein deutsches Volkslied gespielt wurde. Vielleicht lag es daran, dass das Schiff unter deutscher Crewleitung stand und deshalb hauptsächlich Passagiere aus Deutschland an Bord waren?

Am Kai brach hektische Betriebsamkeit aus. Die baumdicken Taue wurden von einem ganzen Trupp Matrosen losgelöst. Viele Passagiere waren jetzt an Deck gekommen, um das Ablegen des Kreuzfahrtriesen zu beobachten.

Und obwohl Luzie das Schiff am liebsten sofort nach Mark abgesucht hätte, blieb auch sie fasziniert stehen und staunte über den Anblick, der sich ihr bot.

Langsam schob sich die strahlend weiße Pacific Blue Princess an der kleinen, vorgelagerten Halbinsel mit dem berühmten Opernhaus vorbei. Für Luzie sahen diese merkwürdigen Dreiecke so aus, als wären sie die Kapuzen von riesigen Wächtern, die dicht hintereinander stehend den Hafen von Sydney bewachten.

Langsam, aber stetig entfernte sich das Schiff von Sydneys Hochhäusern. In den Fassaden spiegelten sich das Meer und der Himmel wider und verwandelten die Türme dadurch in gigantische, dunkelblau glänzende Edelsteinquader.

Merkwürdig, dachte Luzie, wie sehr sich die Dinge verändern, wenn man nur die Perspektive wechselt. Die funkelnden Wolkenkratzer wurden ständig kleiner, und irgendwann, wenn sie das offene Meer erreicht hätten, würden sie ganz verschwunden sein. So wie ihre Vergangenheit.

Jetzt zählte nur noch, dass Luzie am Ziel war.

Durch die Lautsprecher schallten verschiedene Durchsagen in Deutsch, Englisch und Französisch, wann und wo welche Snacks und Drinks serviert würden.

Der Gedanke an leckere Sandwiches ließ das Wasser in Luzies Mund zusammenlaufen. Sie konnte sich gar nicht erinnern, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Doch jetzt musste sie erst mal ihre Kabine suchen und den Koffer auspacken. Dann sollte sie sich bei ihrer Chefin melden. Einer Holländerin, Rosalie van Veen. Was für ein hübscher Name. Luzie stellte sich ein feengleiches Wesen vor, das von allen Kindern vergöttert wurde.

Erst nach ihrem Gespräch mit Rosalie konnte sie essen und danach Mark suchen. Mark! Luzie lächelte, wenn sie sich seine Überraschung vorstellte. Gemeinsam mit Katja hatte sie ihr erstes Zusammentreffen auf dem Schiff tausendmal in Gedanken durchgespielt. Katja hatte natürlich auch behauptet, dass es völliger Irrsinn wäre, ihm einfach hinterherzufahren, wo sie doch seit diesen unglaublichen zehn Tagen in Hamburg keinen Kontakt mehr gehabt hatten. Aber Luzie wusste es besser.

Als sie Mark in der Woanders Bar kennen gelernt hatte, war der Funke zwischen ihnen sofort übergesprungen ...

Luzie hatte gerade allein an der Bar gesessen, weil Katjas Lieblingslied gespielt wurde und Katja deshalb zur Tanzfläche abgedüst war.

Aus dem Nichts war er aufgetaucht und stand vor ihr wie eine Fata Morgana: ein schwarzhaariger Riese mit einem breiten Lachen im Gesicht. »Hi, du hast die schönsten Haare, die ich je gesehen hab. Darf ich die mal anfassen?« Bevor Luzie überhaupt etwas antworten konnte, hatte dieser unbekannte Gigant mit der orangefarbenen Brille seine Hand in ihren blonden Korkenzieherlocken versenkt.

Und Luzie waren die Knie weich geworden, weil seine Hand in ihrem Haar ein Gefühl auslöste, als ob sie sich in einen Riesenhaufen elektrisch aufgeladener Ameisen gelegt hätte. Es kribbelte überall gleichzeitig. Und als er dann die Brille mit den orangefarbenen Gläsern herunter auf seine Nasenspitze schob, sie mit seinen grauen Augen silbrig anstrahlte und mit leichtem Wiener Akzent sagte: »Sorry, Löckchen, i bin der Mark, und wer bist du?«, da hatte ihr Herz das Blut plötzlich hundertmal schneller durch ihren Körper gepumpt, ihre Lungenflügel waren wie zusammengepappt, sodass sie nach Luft schnappen musste, um zu antworten. Sekundenlang hatte sie nicht mal mehr ihren Namen gewusst. »Lu ...« war alles, was sie geschafft hatte.

Aber Mark störte das nicht die Bohne. Er fragte, ob er ihr einen Drink ausgeben dürfte, und bestellte ihr, die gerade mal genug Geld für ein zweites Wasser dabei hatte, lässig einen Mai Tai.

Mit dem Barmann ging er so vertraut um, als wäre er sein bester Freund. Die beiden lachten schallend, Mark warf dabei seine schwarzen Locken in den Nacken, und Luzie sah seine Zähne in der dunklen Bar hell aufblitzen.

Sie hatte an diesem Abend bis dahin noch keinen Alkohol getrunken, aber es kam ihr so vor, als hätte sie Drogen genommen: Ringsherum verrauschte alles zu einem verschwommenen Brei aus Klängen und Lichtern, aus dem nur Mark klar und deutlich herausragte.

Er stieß mit ihr an und erzählte ihr von seinem Job auf der Pacific Blue Princess. Er sei dort Barkeeper und würde so um die ganze Welt gondeln, bevor er sich auf einen Beruf festlegen würde. Er schwärmte von der Atmosphäre und den netten Kollegen.

Leider war am Schiff ein kleineres Leck entdeckt worden, sodass es kurzfristig in die Werft musste und sich die Abreise um zehn Tage verzögerte. Ob sie ihm vielleicht Hamburg zeigen könnte?

Luzie hatte das Gefühl, sie würde träumen. Zum ersten Mal hatte sie ein wirklich interessanter Typ in einer Bar angequatscht, und jetzt wollte er auch noch, dass sie ihm die Stadt zeigte.

Luzie war so durcheinander, dass ihr nichts anderes einfiel, als auf dem Damenklo zu verschwinden.

Auf dem Weg dorthin suchte sie die Tanzfläche nach Katja ab, weil sie dringend mit jemandem reden musste. Das war doch alles nicht normal, oder? In der Toilette blieb sie fassungslos vor den Waschbecken stehen, hielt sich ihre Handgelenke unters kalte Wasser und überlegte, was sie tun sollte.

Während sie langsam wieder ruhiger wurde, kam Katja aus einer der Kabinen. »Was ist denn mit dir los?«, fragte sie.

»Mich hat's erwischt«, hatte Luzie verwundert festgestellt. »Ich glaube, ich habe mich Hals über Kopf verliebt.«

Katja kommentierte das mit einem Aufstöhnen. »Immer, wenn ich dich mal drei Minuten allein lasse, machst du gleich solchen Unsinn!«

Trotzdem war Katja neugierig geworden und sofort mit Luzie zurück zu Mark gegangen. Der hatte lässig auch für Katja einen Drink bestellt und war zu beiden so charmant, dass Katja auf dem Weg nach Hause gestand, wie sehr sie Luzie beneidete.

Das war der Anfang der schönsten zehn Tage in Luzies Leben gewesen.

Sie hatten sich jeden Tag gesehen, Hamburg angeschaut, Ausflüge nach Helgoland und Sylt gemacht, aber noch viel öfter waren sie in seinem Hotelzimmer. Das mochte Luzie auch am liebsten, denn hier waren sie allein. Und am allerliebsten mochte sie es, wenn er nach ihren leidenschaftlichen Umarmungen tief seufzte und dann murmelte: »Löckchen, i glaub, i liab di.« Und wenn ihr Kopf dabei auch noch auf seiner Brust lag, kamen ihr diese Worte wie Musik vor, zu denen sein Herzschlag den Takt spielte.

Wie rasend waren diese zehn Tage vergangen. Wie grauenhaft schnell ...

An seinem Abreisetag wollte Mark wissen, warum sie denn so traurig wäre, sie hätten doch nicht gestritten, alles sei in Ordnung. Und wenn sein Schiff wieder zurück wäre, also in zehn Monaten, dann würde er sich ganz bestimmt wieder bei ihr melden. Vielleicht auch schon mal vorher, aber er müsste ja die ganze Zeit arbeiten, das wäre nicht so einfach. Doch bestimmt hätte sie dann schon längst wieder einen neuen Freund!

Als sie das unter Tränen abstritt, hatte er liebevoll gelacht, was in Luzies Bauch immer noch jedes Mal dieses glückliche Schaukelhochfluggefühl auslöste.

Doch dann war sein Lachen weg. Und sie fiel im hohen Bogen von der Schaukel. Eine schmerzhafte Bauchlandung.

Er war weg!

Und zwar weit weg.

Luzie war nicht klar gewesen, wie sie ohne ihn weiterleben sollte.

Katja hatte immer wieder versucht, sie zu trösten und auf andere Gedanken zu bringen, aber das hatte gar nichts genutzt.

Nach vielen durchweinten Nächten und mühsam beherrschten Tagen hatte Luzie dann eine geniale Erkenntnis: Wenn er nicht zu ihr kommen konnte, dann konnte sie doch zu ihm kommen, oder nicht? Irgendeinen Job als Küchenmädchen oder Putzfrau würde es an Bord bestimmt für sie geben!

Und sie hatte Recht gehabt. Man war sogar froh über die Bewerbung einer ausgebildeten Kinderpflegerin. Denn die Reederei hatte beschlossen, mehr Familien anzulocken, und deshalb an Bord einen Miniclub für Kinder eingerichtet.

Allerdings hatte Luzie beim Bewerbungsgespräch ein bisschen geschummelt. Verlangt war nämlich fließendes Englisch, und Luzies Englisch war bestenfalls unterdurchschnittlich. Aber sie hätte auch eiskalt behauptet, dass sie fließend Samoa und Tahitanisch spräche, nur um einen Job auf dem Schiff zu ergattern.

Etwas enttäuscht war Luzie dann allerdings schon. Denn sie musste noch zwei Monate warten, bis sie an Bord gehen durfte, weil der Miniclub erst ab April, also ab Sydney ins Programm aufgenommen wurde.

Aber mit dieser Aussicht hatte sie wenigstens einen Grund, die nächsten zwei Monate zu überleben!

Die Hochhäuser von Sydney waren mittlerweile zu kleinen schwarzen Punkten am Horizont geschrumpft. Ringsum dehnte sich das grünblaue Meer, bis es irgendwo mit dem blauen Himmel zur Unendlichkeit verschmolz. Der Wind war hier draußen frischer, und Luzies Haare verhedderten sich. Sie zog ein Haargummi aus ihren Shorts und band sich einen dicken Pferdeschwanz.

Jetzt musste sie nur noch die Zeit bis heute Abend überbrücken. Oder war es keine gute Idee, Mark bei der Arbeit zu überraschen? Vielleicht sah es die Reederei ja nicht gern, wenn Angestellte in die Bar gingen?

Aber das war Luzie jetzt egal. Heute Abend würde sie Mark treffen, keine Macht der Welt würde sie daran hindern. Sie musste nur noch bis dahin durchhalten.

Luzie suchte nach dem nächsten Fahrstuhl, denn sie war hier ganz oben auf Deck Nr. 7, dem Sunstardeck. Ihre Kabine lag aber auf dem Brazil Deck, dem Deck Nr. 2.

Sie packte ihren übergroßen Trolley und zerrte ihn zum Lift. Jetzt war das Gedränge am Lift weniger groß als vorhin beim offiziellen Einchecken, und Luzie konnte sofort mitfahren. Ihr Zimmer hatte die Nummer 518 und lag, wie ihr der Hotelmanager und Personalchef Robert Fenwick erklärt hatte, neben dem Bügelzimmer.

Der Aufzug glitt langsam nach unten. Als sich die Tür öffnete, sah Luzie sich neugierig um. Alle Gänge waren mit Teppichboden ausgelegt. Dieser hier war dunkelgrün und sollte wohl Regenwaldmotive darstellen. Deshalb vielleicht Brazil Deck, überlegte Luzie und zog ihr Gepäck den endlos schmalen Gang entlang. Alles sah gleich aus. Kabinentür an Kabinentür. Der untere Teil der Wände war mit rötlichem Holz und Messing verkleidet, über dem Holz waren die Wände hellblau gestrichen. Alle vier Schritte hingen Bilder an der Wand. Regenwaldbilder. Sie waren festgeschraubt, was Luzie kurz wunderte. Dann fiel ihr jedoch ein, dass es sich dabei bestimmt um eine Sicherheitsmaßnahme handelte, die verhindern sollte, dass die Bilder bei Sturm von der Wand stürzten.

Da, endlich hatte sie die Nummer 518 erreicht.

Gespannt schob sie ihre Schlüsselkarte ins Schloss.

So sah also ihr Zuhause für die nächsten vier Wochen aus: ein schmales Zimmer ohne Fenster mit zwei Kojen. Eine war hochgeklappt, die andere schon mit Bettzeug für die Nacht vorbereitet. Der Teppichboden in der Kabine schimmerte grau, ebenso die oberen Teile der Wand. Der untere Teil war wie die Wände im Flur mit rötlichem Holz verkleidet. Luzie setzte sich auf den einzigen Stuhl, der mit einem rosa Blumenüberzug gepolstert war, und legte ihre Handtasche auf das winzige Tischchen. Dann zog sie die Sandalen aus und wackelte mit ihren schrecklich blassen Zehen. Der Teppichboden kratzte unter ihren Füßen. Ihr Blick wanderte über die Wände mit den angeschraubten, kleinen runden Lämpchen bis zu Tür. An der Innenseite der Tür hing ein Rettungsplan mit Hinweisen, wie sie zur nächsten Sammelstation kommen würde, und der eindringlichen Mahnung, an mindestens einer Sicherheitsübung teilzunehmen.

Luzie bekam eine Gänsehaut, aber nicht von dem Gedanken an ein Schiffsunglück, sondern weil die Klimaanlage auf vollen Touren lief. Sie stand auf, regelte die Temperatur etwas nach oben und inspizierte das Bad. Wenn sie vor dem Waschbecken stand, musste sie den Bauch einziehen, um nicht mit dem Hintern an die Türklinke zu stoßen. Und dabei war Luzie schlank! Sie fragte sich, wie das beispielsweise dickere oder schwangere Passagiere handhabten. Aber vielleicht buchten die ja auch größere Kabinen. Bestimmt gab es auf dem Schiff auch Luxussuiten, bei denen die Bäder dreimal so groß waren.

In diesem Waschklo konnte man jedenfalls nicht zu zweit duschen. Sehnsüchtig dachte Luzie daran, wie sie in Marks Hotelbadezimmer mit viel glitschigem Schaum und heißem Wasser zusammen geduscht hatten.

Auch ihr Bett war schmal. Wie man sich darin näher kommen sollte, ohne dass einer dabei herausfiel, war ihr ein Rätsel. Oder waren nur die Bäder und Betten des Personals so winzig, damit man nicht auf dumme Gedanken kam?

Sie drehte das Bordradio an und packte dabei ihre Kleider in den Schrank.

Plötzlich fiel aus einem zusammengerollten T-Shirt ein Päckchen.

Wie war denn das in ihren Koffer gekommen? Luzie setzte sich auf ihr Bett und riss ungeduldig das Papier auf. Eine Karte mit dem Foto eines kleinen rosa Schweinchens flatterte ihr entgegen.

»Liebe Luzie, deine Mutter hat mir geholfen, diese Überraschung für dich zu verstecken. Ich drücke dir die Daumen, dass alles so läuft, wie du es dir wünschst. Und damit du auch ja nichts von deiner spannenden Reise vergisst, schenke ich dir ein Reisetagebuch. Dann kannst du mir später alles viel besser erzählen! Alles Liebe, deine Katja«

Katja war wirklich die beste Freundin der Welt! Wie schön es wäre, wenn Katja auch hier sein könnte! Aber Katja ging leider noch zur Schule.

Luzie betrachtete gerührt den rosa glänzenden Einband des Tagebuchs und blätterte durch die vielen leeren Seiten. »Dass alles so läuft, wie du es dir wünschst« ... aber was, wenn irgendetwas schief lief?

Unsinn! Auf diesen Seiten werde ich alles aufschreiben, und dabei wird die schönste Liebesgeschichte der Welt herauskommen, beruhigte sich Luzie und beschloss, unter die Dusche zu gehen und sich für die große Begegnung mit Mark schön zu machen.

2.
Melbourne, Australien

Blue News
Sonntag, den 3. April
Sonnenaufgang: 6:36 Sonnenuntergang: 18:11
Cocktail des Tages: Wave Breaker (Amaretto, Apfelsaft)
Kleidungsempfehlung: Herren Jackett, Damen entsprechend
»Menschen irren, aber nur große Menschen
erkennen ihren Irrtum. « Kotzebue

Wenn das noch eine Minute länger dauert, werde ich verrückt, dachte Luzie und gab sich alle Mühe, Rosalie trotzdem anzulächeln.

Sie bekam nichts von dem mit, was Rosalie erzählte, weil sie aus dem Miniclub raus wollte, ein Deck tiefer in die Tahiti Bar und endlich zu Mark.

Denn am Abend zuvor hatte sie zu ihrer großen Überraschung von Robert Fenwick erfahren, dass von Rosalie und ihr auch erwartet wurde, abends auf Anfrage zu babysitten. Natürlich mussten die Eltern das extra und cash bezahlen, aber es stand außer Frage, dass man sich zur Verfügung stellte. Und so hatte sie gestern Abend Mark weder gesehen noch geküsst, sondern den unleidlichen kleinen Niklas gehütet. Als seine Eltern endlich zurückgekommen waren, wurde die Tahiti Bar gerade geschlossen.

Sie hatte Mark nirgends entdecken können, nur seinen schwedischen Kollegen Lars. Der hatte aber nur viel sagend gegrinst, als sie nach Marks Zimmernummer gefragt hatte, und ihr stattdessen seine angeboten.

Ungeduld waberte wie Lava durch Luzies Körper. Was war das für eine Ungerechtigkeit, so kurz vor dem Ziel zu scheitern?

»Du findest also auch, dass die Kinder regelmäßig kommen sollten, damit wir ordentliche Gruppenarbeit mit ihnen machen können?«, fragte Rosalie mit ihrer merkwürdig heiseren Stimme.

»Ja, absolut, sind wir jetzt fertig?« Luzie drückte sich selbst die Daumen.

Rosalie warf ihr einen genervten Blick zu. »Fertig? Luzie, wir fangen doch gerade erst an. Interessiert dich das denn gar nicht?«

Luzie versuchte, ihren Zorn herunterzuschlucken, schließlich konnte Rosalie wirklich nichts dafür. Sie musterte ihre Chefin und überlegte, ob sie ihr nicht einfach die Wahrheit sagen sollte. Rosalie war Ende zwanzig und hatte sich sehr darauf gefreut, mit ihr zusammen »was richtig Tolles« aufzuziehen.

»Ich finde deine Ideen wirklich wundervoll, aber ich habe heute Abend etwas Lebenswichtiges zu erledigen. Daran muss ich immer denken, und deshalb kann ich dir nur schlecht zuhören. Wie wäre es, wenn wir morgen Früh weiterreden?«

Rosalie zuckte mit ihren schmächtigen Hängeschultern. »Morgen Früh haben wir die ganze Rasselbande hier, du weißt doch, dass die in Melbourne nicht von Bord gehen können und der Miniclub deshalb auf ist?«

Luzie nickte. »Ja, ja, das weiß ich, aber wie wäre es damit: Wir sehen uns dann eben, bevor der Club aufmacht, und frühstücken zusammen, Arbeitsfrühstück in der Messe? Wie fändest du das?«

Rosalie steckte eine Haarsträhne hinter dem Ohr fest. »Hmm. Na ja, wenn es so wichtig für dich ist ...«

Luzie sprang auf. »Du bist ein Schatz, das werde ich dir nie vergessen, und du wirst sehen, wir werden hier großartige konzeptionelle Sachen entwickeln. Bis morgen Früh um sieben, okay?«

Rosalie schüttelte den Kopf. »Na gut. Geh ruhig schon, ich räume noch auf.«

Luzie betrachtete mit schlechtem Gewissen die überall verstreuten Legosteine und Bauklötze, sagte sich dann aber, dass sie das am nächsten Tag bestimmt wieder gutmachen würde, und rannte alle Treppen zu ihrer Kabine in Rekordzeit hinunter.

Dort warf sie sofort ihr verschwitztes T-Shirt aufs Bett, zog die Schuhe aus, stellte die Dusche an und quetschte sich darunter.

Danach konnte sie sich nicht entscheiden, was sie anziehen sollte. Während das Wasser aus ihren nassen Haaren den Rücken herunterlief und wohltuende Kühle verbreitete, schwankte sie zwischen einem hautengen schwarzen T-Shirtkleid, das ihre Mutter ihr geschenkt hatte, für den Fall, dass es mal ein bisschen festlicher sein müsste, oder einem hellblauen Glitzertop zu Jeans. Ja, das war's, dachte sie, das wirkte nicht so fein gemacht.

Sie fönte ihre Locken trocken und malte ihre Lippen sorgfältig mit knallrotem Lippenstift an. Das hatte Mark besonders gern gehabt. »You sexy thing«, hatte er dann immer gesungen, danach »sex bomb, sex bomb« hinzugefügt und nach »I want your sex« hatte er sie dann endlos lange auf den Mund geküsst.

Allein der Gedanke daran ließ einen wohligen Schauer über ihren Rücken laufen.

Ein letzter Blick in den Spiegel überzeugte sie davon, dass sie wirklich gut aussah. Na gut, die Jeans saßen etwas knapp, aber dafür zeigte das glitzernde Top ein bisschen von ihrem schönen Bauch. Ja, das war okay.

Sie stieg die Treppen zur Tahiti Bar hoch. Obwohl sie nicht rannte, war sie plötzlich außer Atem. Was, wenn er heute nicht da war? Nein, nein. Er war bestimmt da, außerdem war es sinnlos, darüber nachzudenken, denn sie würde es sowieso gleich wissen. Zwischen dem vierten und dem fünften Deck begegnete sie Robert Fenwick, dem Hotelmanager. Der grauhaarige, breitschultrige Mann, der in seiner blauen Uniform unglaublich gut aussah, blieb vor ihr stehen und musterte sie. Luzie wurde unsicher. War es vielleicht doch nicht erlaubt, dass die Angestellten nach der Arbeit in die Bar der Passagiere gingen?

»Sie sehen sehr hübsch aus. Wohin gehen Sie denn?«, fragte er.

»In die Tahiti Bar«, antwortete Luzie und hielt die Luft an. Bitte jetzt nicht noch ein Hindernis, das halte ich nicht aus, dachte sie.

»Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß!« Er lächelte ihr zu und setzte sich wieder in Bewegung.

Da war sie, die Tahiti Bar. Auf der Suche nach Mark registrierte Luzie flüchtig, wie schmale rote Clubledersessel winzige Tischchen umrahmten, die überladen mit Getränkekarten, Blumenvasen und Aschenbechern waren.

Dort hinter der Bar stand er. Sie hatte nicht erwartet, dass es sie derart umhauen würde, ihn wieder zu sehen. Doch sie fühlte sich, als wäre sie gerade kopfüber mit einem Bungee-Seil von einer Brücke gesprungen. Sie bekam keine Luft mehr und wollte gleichzeitig begeistert schreien, und dabei verschwamm vor ihren Augen alles bis auf einen einzigen Fixpunkt: Mark.

Er sah fast genauso aus wie in ihren Träumen. Die orangenfarbene Brille, seine strubbeligen schwarzen Haare, die breiten Schultern und die schmale Taille. Neu war nur ein winziges Ziegenkinnbärtchen, das Luzie an anderen Typen scheußlich fand, das ihr aber in seinem markanten Gesicht wundervoll erschien. Lässig.

Da, er lachte über etwas, das sein Kollege Lars gesagt hatte. Luzie konnte sich kaum satt sehen. Sie ging über den beigen Teppichboden und kletterte wie eine Schlafwandlerin auf einen freien roten Bar-Samthocker.

Da, endlich, er bemerkte sie.

Sie hielt die Luft an, drückte sich die Daumen, ohne es zu merken, und strahlte ihn an.

Er stutzte kurz, lächelte dann, sagte »Hallo!« und fragte sie nach einer kurzen Pause, was sie trinken wollte.

Luzie hielt sich am Hocker fest.

Sie musste sich verhört haben. Er hatte »Hallo« gesagt? Nichts weiter? Er war bestimmt einfach überwältigt. Garantiert!

Luzie bestellte den Drink des Tages, einen Wave Breaker, weil ihr sonst keiner einfiel, so verdattert war sie über sein Verhalten. Dann überlegte sie, was sie sagen könnte, um es ihm leichter zu machen, endlich seine Freude über ihr Auftauchen zu zeigen.

Er mixte den Drink mit gekonnten Schüttelbewegungen, krönte ihn mit einer Cocktailkirsche und stellte ihn dann schwungvoll vor sie hin.

»Na, Löckchen, was hat dich denn an Bord verschlagen?«

Luzie nippte an ihrem Drink und fand ihn bitter wie Gift. »Soll das ein Witz sein? Ich bin einzig und allein wegen dir hier.«

Mark riss die Augen auf. »Wie, wegen mir?«

Luzie zwang sich, ruhig zu atmen, sie musste sich räuspern, um etwas aus ihrer zugeschnürten Kehle zu quetschen. »Du hast gesagt du liebst mich, in Hamburg ...«

Mark blieb stocksteif stehen, drehte sich dann zu Lars um, flüsterte mit ihm und kam wieder zu Luzie zurück.

»Komm mit.« Er zog sie zu einem kleinen Seitentischchen am Aussichtsfenster, von dem aus man jetzt nur das dunkle Meer sehen konnte.

Luzies Magen hatte sich in eine Höhle aus Eiszapfen verwandelt und ihren Körper vorübergehend völlig erstarrt. Was ging hier vor?

»Luzie, um Gottes willen, jetzt erklär mir mal bitte, wos wirklich los ist! Du hast doch ned etwa eine Kreuzfahrt gebucht, wegen mir?«, murmelte er und legte seine Hand auf ihre. Von dort kroch Wärme den Arm entlang.

»Ich habe gedacht«, presste sie hervor, »du würdest dich freuen, mich zu sehen. Deshalb habe ich mir einen Job auf dem Schiff besorgt.«

Mark lächelte ein bisschen schief. »Wenn i mir jetzt ned so gemein vorkommen würd, dann könnt i mi sogar gschmeichelt fühlen. So etwas hat noch keine Frau für mich getan.« Er zupfte an seinem winzigen Kinnbart. »Aber schau her, Luzie, es tut mir Leid, i bin net der Typ für so a feste Beziehung. I brauch meine Freiheit. I bin gerade mal zwanzig!«

Die Eiszapfen in ihrem Bauch wuchsen schnell und durchbohrten mit ihren Spitzen Luzies Herz.

Hilflos starrte er sie an. »Luzie, hörst du mir überhaupt zu?«

Luzie nickte.

»Bitte Luzie, was i damals zu dir gsagt hab, war in dem Augenblick wirkli wahr. Da habe i di scho geliebt. Aber i hab dir doch keine Versprechungen gemacht. Und jetzt kommst nach drei Monaten mit so was ... Ehrlich Luzie, du bist so hübsch, i hab dacht, die Jungs stehen Schlange bei dir!«

Er hielt inne, so als ob er nicht genau wüsste, ob er lachen dürfte. Schließlich entschied er sich für ein herzliches Grinsen. »Du weißt schon, wia beim Arbeitsamt, wo man eine Nummer ziehen und warten muss, bis man drankommt ...«

Jetzt lachte er sein fröhliches wildes Lachen, das jedoch dieses Mal alle Eiszapfen in Luzies Körper mit einem Knall zerplatzen ließ und sie von innen zerlöcherte, gefror, tötete.

Er hielt kurz inne und legte dann wieder seine Hand auf ihren Arm. Sie wollte den Arm wegziehen, aber sie schaffte es nicht. Ihre Muskeln waren tot. Sie sah durch das Fenster in die Dunkelheit.

»Hey, Luzie, bitte, sei nicht traurig, das ist wirklich nicht nötig. Ehrlich. Wenn i gwusst hätt, dass du wegen mir an Bord gehen willst, hätte i dir gsagt, dass das an völliger Käs ist. Aber jetzt bist du da, gut, also machen wir das Beste daraus, okay, Freunde?«

Luzie stand auf und wiederholte das Wort voller Verachtung, dann verließ sie die Bar.

Sie brauchte Luft. Nein, sie brauchte keine Luft, sie brauchte einen Sarg, um sich hineinzulegen.

Trotzdem suchten ihre Füße den Weg zum Sunstardeck. Ja, sie könnte sich vom Schiff ins Meer stürzen, und das Meer würde ihr Sarg sein. Das dachte Luzie, aber irgendwie fühlte sie nichts dabei. So, als ob ihr Gehirn immer noch nutzlos funktionieren würde, obwohl ihr Herz doch längst gestorben war.

Nein, du bist aber nicht tot, produzierte ihr Gehirn schon wieder einen Satz, spürst du nicht, wie dein Herz klopft? Du atmest doch.

Aber genau das war ja das Entsetzliche. Wie konnte man weiterfunktionieren, wenn einem so elend war?

Luzie taumelte zur Reling und starrte auf das dunkle Meer.

»Hallo« hatte er zur Begrüßung gesagt und »Freunde« zum Schluss. Hallo, Freunde!

War sie blind? War sie denn völlig krank im Hirn, dass ihr nicht aufgefallen war, wie wenig sie ihm bedeutet hatte? Luzie wollte weinen, doch sie konnte nicht.

Ihr war, als müsste sie die Hände an den Mund legen und schreien, einfach laut schreien, all ihre Träume wegschreien. Lächerliche Träume von sich und Mark, Träume mit nichts zwischen ihren nackten Körpern als dem Salz des Pazifischen Ozeans. Träume, in denen Mark ihren Kopf näher zu sich zieht, um sie voller Leidenschaft zu küssen, und der pulvrige Sand durch seine Hände rieselt wie Goldstaub.

Luzie legte die Hände an den Mund. Sie musste schreien, um diesen Würgereiz loszuwerden. Doch es kam nichts aus ihrer Kehle, nur ein leises Röcheln. Wütend stampfte sie auf, nicht mal schreien konnte sie noch, und dieser Gedanke brachte sie endlich dazu, in haltloses Schluchzen auszubrechen. Sie bekam gar keine Luft mehr, so sehr schüttelte es ihre Schultern, den Bauch, den ganzen Körper. Wie sollte sie jetzt weiterleben?

Weit unter ihr lag das Meer, dunkel und wellig, nur dort, wo der Bug der Pacific Blue Princess das Wasser durchschnitt, kräuselte es sich silbrig.

Hallo, Freunde ... Was für eine lächerliche Person ich bin, dachte Luzie, Katja hat Recht gehabt. Aber ich will nicht, dass sie Recht hat. Vielleicht gab es ja doch noch eine Chance, Mark zurückzugewinnen? Vielleicht musste sie ihm zeigen, dass nur sie die einzig wahre Frau für ihn war? Und wo bleibt dein Stolz, fragte eine kleine Stimme, die aber von Luzie sofort wieder erstickt wurde. Stolz? Was nützte ihr Stolz, wenn sie so unglücklich war. Ach nein, das war alles sinnlos. So sinnlos.

Wie es sich wohl anfühlen würde, ins Meer zu springen, was es für eine Erleichterung sein musste, wenn das Meer einen verschlang. Nichts mehr zu spüren ...

»Ich finde auch, dass das Meer manchmal nach Trübsinn riecht ...«, stellte eine Stimme neben ihr treffend fest.

Luzie wollte allein sein, deshalb sagte sie nichts. Sollte die Stimme doch wieder verschwinden!

»Ich nehme nicht an, dass du weinst, weil es hier in der Brasstrasse am 14. Mai 1835 ein schreckliches Unglück gegeben hat und 155 weibliche Gefangene und 55 Kinder ertrunken sind.«

Luzie war das wirklich reichlich egal. Die Glücklichen waren wenigstens schon tot.

»Nein, ich glaube, es ist eher das eigene Unglück, das mit jeder Welle schaumig vor uns hertanzt und sich über uns lustig macht«, sinnierte die Stimme weiter.

Wider Willen hatte Luzie zugehört. Obwohl sie genau wusste, dass kein Mensch auf der Welt je so unglücklich war wie sie in diesem Augenblick, fühlte sie sich verstanden.

Aber das ließ sie gleichzeitig noch trauriger werden, und neue Tränen liefen ihr die Wange herunter.

Neben ihr ertönte eine kleine Melodie. Hatte sie jetzt auch Halluzinationen?

Sie hörte ein Pieps und dann genervt die Stimme, die eben noch so warm geklungen hatte. »Nicht schon wieder, Mutter! Na gut, ich komme!« Der Mensch, der zu der Stimme gehörte, entfernte sich mit schnellen Schritten.

Gut, dachte Luzie, dann kann ich in aller Ruhe weiterheulen.

Aber jetzt konnte sie nicht mehr weinen, nur noch auf das dunkle Meer starren und hoffen, dass dieses finster-schwarze Loch, in das sich ihr Körper verwandelt hatte, irgendwann wieder leben würde.

Wie sollte sie die nächsten vier Wochen an Bord nur überstehen?

3.
Hobart, Tasmanien

Blue News
Donnerstag, den 7. April
Sonnenaufgang: 6:33 Sonnenuntergang: 17:51
Cocktail des Tages: Swimming Pool (Wodka, Rum,
Cream of Coconut, Blue Cuaraçao, Ananassaft, Sahne)
Bekleidungsempfehlung: leger
»Nicht weinen, dass es vorbei, sondern glücklich,
dass es gewesen. « Horaz

Dreimal 24 Stunden, also gerade mal 72 von 672 Stunden auf diesem elenden Schiff hatte sie erst herumgebracht. Das bedeutete noch 600 weitere trostlose Stunden.

Jeden Morgen, wenn Luzie in ihrer winzigen Kabine ohne Fenster aufwachte, fragte sie sich, wie sie diesen Tag überleben sollte. Allein aus dem Bett aufzustehen, erschien ihr als mindestens so große Anstrengung wie die Besteigung des Mount Everest.

Beim Zähneputzen musste sie oft mittendrin aufhören, weil sie nach einem Blick in den Spiegel auf ihr bleiches, ungeliebtes Gesicht so derart weinen musste, dass sie keine Luft mehr bekam. Wenn sie sich dann einigermaßen beruhigt hatte, kam das nächste Hindernis: die Dusche. Immer wenn sie die Seife auf ihrer Haut aufschäumte, kamen bruchstückhafte Erinnerungen an Marks Brust, an seinen Rücken und an seine kräftigen Hände hoch, die zum nächsten Weinkrampf führten. Luzie sagte sich dabei dann, dass es völlig sinnlos war zu heulen, aber sie schaffte es trotzdem nicht, das Weinen abzustellen. Bis sie angezogen war, verging eine Ewigkeit. Und dann das Schlimmste: raus auf das Schiff, auf dem die Passagiere und Angestellten in einer Art Happynesskoma den ganzen Tag dauergrinsten. Überall klimperte man heitere Musik, dabei wünschte sich Luzie Totenstille.

Einzig und allein die kläglichen Überreste ihres Stolzes brachten sie dazu aufzustehen, sich zu duschen und zu ihrer Arbeit in den Miniclub zu gehen. Frühstücken war nicht nötig, denn sie brachte sowieso nichts hinunter.

Der pralle Sonnenschein auf dem Captains Deck, dem Deck Nummer 6, traf sie nach dem künstlichen Licht in ihrer unterirdischen Kabine wie ein Keulenschlag. Scheißsonne, wer hatte die bestellt? Ihr war nach Regen und Hagel zu Mute. Sie blinzelte, verfluchte sich, weil sie die Sonnenbrille schon wieder vergessen hatte, und beeilte sich dann, in den Miniclub zu kommen.

Rosalie war wie immer schon vor ihr da und studierte einige Bücher.

»Hallo Lu!«, begrüßte sie Luzie und winkte sie zu sich. »Was hältst du davon, wenn wir mit den Kindern eine Abenteuerrallye durch das Schiff machen?«

»Heute ist doch die Sicherheitsübung mit den Kindern, oder nicht?« Luzie stöhnte jetzt schon innerlich. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie diese Meute dazu bringen sollten, bei der Übung brav mitzumachen. Tobias und Leon hatten den ganzen Tag nur Unsinn im Kopf und hörten prinzipiell nie zu. Gestern waren Rosalie und Luzie mit den Kindern am Pool gewesen, und Tobias und Leon hatten sich einen Spaß daraus gemacht, fortwährend als »Arschbomben« ins Wasser zu springen und dabei möglichst viele ältere Damen auf ihren Liegestühlen nass zu spritzen.

Deshalb hatten sie leider auch nach einer halben Stunde schon wieder gehen müssen. Doch das hatte die beiden fünfjährigen Racker natürlich nicht daran gehindert, auf alle vorbeigehenden Gäste eine volle Ladung ihrer Wasserspritzpistolen abzufeuern. So lange, bis Rosalie sie den beiden abgenommen hatte.

Ihr großes Geheule wurde später nur noch von den Vorwürfen der Eltern übertroffen. Die fanden nämlich, dass Rosalie und Luzie die Kreativität ihrer Kinder eingeschränkt hätten.

Insgeheim mochte Lu die beiden Krawallkinder aber noch lieber als den dreijährigen Niklas, der sich fortwährend an sie klammerte. Luzie wollte im Augenblick nicht angefasst werden, von niemandem. Auch nicht von einem Kind.

Connor und Karim, zwei englischsprachige Jungen, waren völlig unkompliziert und hatten sofort Freundschaft miteinander geschlossen. Und dann waren da noch Lisa, Maria, Sophie und Linda, die erbittert darum kämpften, wer Luzies Haare kämmen durfte. Als Luzie die Mädchen gebeten hatte, sich doch auch mal auf Rosalies Haare zu stürzen, da hatten die vier nur kaltschnäuzig abgewinkt und ihr ernsthaft erklärt, dass Rosalie eben nicht wie eine Prinzessin aussehen würde.

Luzie hätte beinahe zum ersten Mal seit Tagen lächeln müssen, denn irgendwie tat es ihr gut, dass wenigstens die Kinder sie für etwas Besonderes hielten. Sie lächelte nur deshalb nicht, weil sie Rosalie nicht kränken wollte. Trotzdem wusste Luzie genau, was die Kinder meinten. Rosalie wirkte wie die blasse Kopie einer niederländischen Madonna. Alles an ihr war zart, erschien aber nicht elfenhaft, sondern schwächlich.

»Wie geht es dir denn heute Morgen? Besser?«, fragte Rosalie und lächelte ihr aufmunternd zu. »Du hast wieder nichts gegessen, stimmts? Du wirst doch nicht wegen eines solchen Idioten zu einem Skelett abmagern wollen, oder?«

Luzie seufzte. Vielleicht hätte sie Rosalie doch besser nichts von Mark erzählen sollen. Jetzt wurde sie zwar freundlich, aber wie eine schwer Kranke behandelt, die sich unvernünftig benimmt. Dabei hatte sie gehofft, es würde ihr helfen, mit jemandem zu reden.

Katja war leider entsetzlich weit weg. Und das Telefonieren kostete unfassbare zehn Euro pro Minute und zwar schon ab dem Moment, in dem eine Verbindung hergestellt war. Von welchem Geld sollte sie solche Summen bezahlen?

Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, das Desaster mit Mark in dem rosa Reisetagebuch zu notieren. Aber bis heute hatte sie es nicht übers Herz gebracht, diese wunderschönen weißen Seiten mit den Schilderungen ihres Elends voll zu schreiben.

»Es geht mir blendend!« Luzie versuchte ein Lächeln.

»Man sieht's. Weißt du was, heute Abend gehen wir zusammen essen!« Rosalie zeigte auf einen niedrigen Kinderstuhl. »Los, setz dich! Lass uns über die Rallye durchs Schiff nachdenken, das gefällt den Kindern bestimmt und bringt dich sicher auch auf andere Gedanken.«

Doch schon wenige Minuten später wurden alle neun Kinder im Miniclub abgegeben, und die Eltern verschwanden auf ihren organisierten Landausflug nach Hobart, bei dem Kinder nicht zugelassen waren. Man besichtigte den farbenprächtigen Royal Botanical Garden, in dem über 6000 verschiedene Pflanzen und Blumenarten zu sehen waren. Aber das war in der Tat ziemlich langweilig für Fünfjährige.

Damit die Kinder trotzdem ein bisschen über Tasmanien lernten, hatten Luzie und Rosalie Bilder vom Talmanischen Teufel organisiert. Dieses nur 70 Zentimeter große Beuteltier war das einzige Raubtier Tasmaniens, und Raubtiere kamen bei den Kindern immer gut an.

Doch sofort nachdem die Passagiere von Bord waren, meldete sich Robert Fenwick bei ihnen. Und er kam nicht allein. In seiner Begleitung war ein sichtlich verschlafener Mark. Luzie fand, dass er neben dem perfekt gekleideten Fenwick besonders süß aussah. Sie wäre am liebsten zu ihm gerannt und hätte seine verstrubbelten Haare gestreichelt. Doch ihre Füße klebten wie angenagelt am Schiffsboden, so unverrückbar wie die Tische in der Princess Lounge. Luzie war überrascht, dass ihre Atmung funktionierte. Gleichzeitig grummelte es in ihrem Bauch, als müsste sie mal dringend aufs Klo, dabei hatte sie seit drei Tagen nichts gegessen.

Mark starrte sie an, das konnte sie fühlen, obwohl sie den Boden fixierte. Sie überlegte, ob sie es wagen konnte, den Blick zu heben. Würde sie es schaffen, ihm völlig gleichgültig zuzulächeln, so als wären sie wirklich Freunde? Das Wort blieb ihr nur beim Gedanken daran schon in der Kehle stecken und verursachte ihr Schmerzen, als wäre es mit Stacheldraht umwickelt.

Luzie hob ihren Blick bis zu seinen Füßen, die in weißen Turnschuhen steckten. Große Füße. Hässliche Füße. Vielleicht konnte sie sich einreden, dass er hässlich und widerlich war.

Langsam stieg so etwas wie Zorn in ihr hoch.

Wieso senkte sie den Kopf? Warum machte sie sich so klein? Nicht sie war hier die Blöde. Sie hatte etwas Großartiges getan, nur aus Liebe. Ja, er hatte hässliche Füße, die alles zertrampelten, was ihr wichtig gewesen war.

Sie sollte ihm ins Gesicht sehen, in sein hässliches Gesicht.

Sie hob den Kopf weiter und landete voll in seinen Augen, die sie hinter der orangefarbenen Brille Verständnis heischend anschauten.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2017
ISBN (eBook)
9783960531906
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (August)
Schlagworte
eBooks Liebe Romantik Erste Liebe Kreuzfahrt Australien Jugendroman Flirt Humor Chaos
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Titel: Korallenkuss