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Der kunterbunte Waldenhof: Bühne frei für unsere Ponys - Band 3

©2019 0 Seiten
Reihe: Der kunterbunte Waldenhof, Band 3

Zusammenfassung

Eine lustige Familiengeschichte für Kinder ab 8: »Der kunterbunte Waldenhof – Bühne frei für unsere Ponys« von Heide John als eBook bei jumpbooks.

Das darf ja wohl nicht wahr sein: Plötzlich taucht ein Fremder auf dem Waldenhof auf und behauptet, er wäre der rechtmäßige Besitzer von Hera, der sanftmütigen Stute! Die zehnjährige Rieke ist entsetzt – und nicht bereit, auf ihre vierbeinige Freundin zu verzichten. Noch dazu lernt Nachbarsjunge Tjorven gerade Reiten auf Hera … und Rieke merkt, dass sie den sonst sehr verschlossenen Jungen gar nicht soooo schlimm findet wie ihre Freundinnen. Natürlich nur, weil noch ein guter Reiter fehlt für das Wild-West-Stück, das ihre Schulklasse bald auf die Bühne bringen will. Aber muss sie sich vorher wirklich von Hera verabschieden?

Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Bühne frei für unsere Ponys« von Heide John ist der abschließende Band der dreiteiligen Serie »Der kunterbunte Waldenhof« – ein großer Lesespaß für alle, die Pferde, Ponys und ungewöhnliche Freundschaftsgeschichten lieben. Wer liest, hat mehr vom Leben! jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Das darf ja wohl nicht wahr sein: Plötzlich taucht ein Fremder auf dem Waldenhof auf und behauptet, er wäre der rechtmäßige Besitzer von Hera, der sanftmütigen Stute! Die zehnjährige Rieke ist entsetzt – und nicht bereit, auf ihre vierbeinige Freundin zu verzichten. Noch dazu lernt Nachbarsjunge Tjorven gerade Reiten auf Hera … und Rieke merkt, dass sie den sonst sehr verschlossenen Jungen gar nicht soooo schlimm findet wie ihre Freundinnen. Natürlich nur, weil noch ein guter Reiter fehlt für das Wild-West-Stück, das ihre Schulklasse bald auf die Bühne bringen will. Aber muss sie sich vorher wirklich von Hera verabschieden?

Über die Autorin:

Heide John wurde in Köln geboren und lebt inzwischen auch wieder in der Rheinmetropole. Sie studierte Germanistik und Politikwissenschaften und arbeitet heute als Lektorin, freie Journalistin und schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene.

Die Autorin im Internet: http://www.facebook.com/heide.john.5

Bei jumpbooks veröffentlichte Heide John bereits die beiden Kinderkrimis »4D – Tatort Hofgarten« und »4D – Tatort Düsseldorf« sowie die Serie rund um Rieke, den Waldenhof und viele vierbeinige Freunde: »Der kunterbunte Waldenhof: Ponychaos hoch 7«, »Der kunterbunte Waldenhof: Zwillinge kommen selten allein« und »Der kunterbunte Waldenhof: Bühne frei für unsere Ponys«.

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eBook-Neuausgabe Juni 2019

Copyright © der Originalausgabe 2011 Arena Verlag GmbH, Würzburg

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Copyright © der vorliegenden Ausgabe 2019 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Sveta Lagutina, M. Aurelius, Ladelena, Davilo Sanino, Anastasia Makasova, Dusan Pavic, Kay Jung

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96053-245-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Du Dich für dieses eBook entschieden hast. Bitte beachte, dass Du damit ausschließlich ein Leserecht erworben hast: Du darfst dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem man sich strafbar macht und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügt. Bei Fragen kannst Du Dich jederzeit direkt an uns wenden: info@jumpbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des jumpbooks-Verlags

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www.jumpbooks.de

Heide John

DER KUNTERBUNTE WALDENHOF:
Bühne frei für unsere Ponys

jumpbooks

1. Kapitel,
in dem ein seltsamer Gast auftaucht

»Nein, Baldi, das geht jetzt nicht!«

Balduin wieherte. Es klang ein wenig empört. Kurz entschlossen griff Rieke Walden in die mondhelle Mähne ihres Haflingers und kraulte seine Lieblingsstelle direkt unter dem Mähnenkamm. Sofort wurde er ruhiger.

»Ich würde auch viel lieber mit dir ans Meer reiten«, flüsterte sie. »Aber ich habe Opa versprochen, mich heute um die Koppel zu kümmern.«

Balduin beobachtete Rieke aufmerksam aus seinen treuen braunen Augen. »Irgendjemand muss eure Pferdeäpfel ja einsammeln«, erklärte sie. »Und die Disteln am Gatter müssen auch mal wieder ausgerissen werden.«

Für einen Moment genoss Rieke die Nähe zu ihrem Liebling. Dann beugte Rieke sich nach unten, um die Schaufel aufzuheben, die neben einem großen schwarzen Eimer auf der Koppel lag. »So, Baldi, jetzt muss ich weitermachen. Sonst werde ich nie fertig.«

Balduin schien nur auf diese Gelegenheit gewartet zu haben. Genau in dem Moment, als Rieke sich bückte, stupste er sie an.

Wäre Rieke nicht so gelenkig gewesen, hätte sie im nächsten Moment bestimmt neben dem Eimer gesessen. »Balduin«, schimpfte sie. »Was machst du denn da? Fast wäre ich in einen eurer Haufen gefallen!«

Dem hübschen Haflinger schien das völlig egal zu sein: Er liebte solche Spielchen! Rieke richtete sich auf, um nach seinem Halfter zu greifen. Da machte Balduin einen kleinen Sprung zur Seite. »Tss«, murmelte Rieke. »Wie soll ich hier sauber machen, wenn du mich ständig störst!«

Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, da standen auch schon die Friesenstute Hera und das Shetlandfohlen Fietje neben ihnen. »Also, euch kann ich hier jetzt überhaupt nicht gebrauchen«, teilte Rieke unmissverständlich mit. »Geht bitte ans andere Ende der Weide.«

Ob sie Rieke nicht verstanden hatten oder einfach nicht verstehen wollten? Jedenfalls bewegte sich keines der drei Pferde auch nur einen Millimeter. Rieke gab auf: »Na gut. Dann gehe ich eben ans andere Ende und mache zuerst dort sauber.«

Bewaffnet mit Eimer und Schaufel wanderte sie zum oberen Ende der Koppel. Balduin, Hera und Fietje blieben ihr dicht auf den Fersen. Sogar der mickrige Haflinger Krümel hatte sich inzwischen zu der Gruppe gesellt. Rieke gab sich die allergrößte Mühe, die Tiere zu ignorieren. Doch eines der Pferde stand ihr immer im Weg. Und Balduin wartete nur darauf, dass sie sich nach den Pferdeäpfeln bückte, um sie erneut anzustupsen.

Fietje hatte seinem großen Freund zugeschaut und probierte nun ebenfalls aus, was passierte, wenn er Rieke mit seinem kleinen Maul knuffte.

»Lass das, Fietje!«, mahnte Rieke lachend.

Ebenso wie Balduin liebte Rieke solche Spielereien mit all den Tieren, die auf dem Waldenhof lebten. Aber wenn sie in diesem Tempo weiterarbeitete, würde sie nie und nimmer vor der Dämmerung fertig. Plötzlich hörte Rieke ein seltsames Geräusch: Sofort glitt ihr Blick zum anderen Ende der Koppel. Aber es war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Nur die alte Stute Lady stand dort und genoss die letzten Sonnenstrahlen des Herbsttages. Ihr gegenüber im Schatten graste Goliath. Der scheue Schimmelwallach blieb wie immer am liebsten in der Nähe des Unterstandes.

Auch dort musste Rieke gleich noch haufenweise Pferdeäpfel aufsammeln. Solange die Ponys ihr so dicht auf der Pelle blieben, war daran jedoch nicht zu denken. Der schreckhafte Goliath mochte es ganz und gar nicht, wenn ihm jemand zu nahe kam. Rieke überlegte, ob sie die Arbeit besser auf den nächsten Tag verschieben sollte. Während sie noch grübelte, ließ sie erneut die Blicke schweifen – und entdeckte Tjorven, der über den Koppelzaun kletterte.

Tjorven Schumacher ging nicht nur in dieselbe Klasse wie Rieke, er wohnte auch direkt neben dem Waldenhof. In der 5a des Augusta-Gymnasiums war Tjorven nicht besonders beliebt. Wenn man ihn etwas fragte, grummelte er meistens nur oder starrte vor sich hin. Doch Rieke kannte Tjorven auch von einer anderen Seite. Vor ein paar Wochen hatte er ihr bei einem Referat ziemlich aus der Patsche geholfen. Als Dankeschön dafür hatte sie ihm Reitunterricht angeboten. Denn im Gegensatz zu Menschen liebte Tjorven Pferde – und vor allem ein bestimmtes Pferd lag ihm ganz besonders am Herzen: Goliath. An manchen Tagen konnte man beobachten, wie Tjorven Stunde um Stunde auf der Koppel stand und beruhigend auf den großen Schimmelwallach einredete, der sonst keinen Menschen an sich heranließ.

Rieke hob die Hand und winkte dem Jungen mit den kurzen dunklen Haaren zu. Er winkte zwar nicht zurück, steuerte aber auf Rieke und die vier Pferde zu. Das war ungewöhnlich. Normalerweise interessierte Tjorven sich kein bisschen für Rieke und ging direkt zu Goliath.

»Hi«, grüßte Rieke erstaunt, aber freundlich.

Tjorven brummelte etwas, das vermutlich »Hallo« heißen sollte. »Was machst du da?«, fragte er.

Es hätte nicht viel gefehlt und Rieke hätte sich von Tjorvens Unfreundlichkeit anstecken lassen. Statt eines patzigen »Das-sieht-man-doch« zeigte sie auf den Eimer. »Ich mache die Koppel sauber.«

»Keine schöne Arbeit«, meinte Tjorven.

Das fand Rieke auch. Gleichzeitig schoss ihr durch den Kopf, dass sie mit Tjorvens Hilfe garantiert schneller fertig werden würde. »Sag mal, Tjorven, hast du nicht Lust, mir zu helfen?«

»Eher nicht ...«

Rieke blieb hartnäckig. »Du könntest Goliaths Äpfel aufheben. Dann bleibt er bestimmt ruhig. Die vier hier rennen mir nämlich die ganze Zeit hinterher und machen Goliath ganz nervös.«

Tjorven wusste genau, wie sehr Goliath Unruhe und Trubel hasste. Deshalb überlegte er nicht länger.

»Okay«, antwortete er. »Dann gib mir auch mal Eimer und Schaufel.«

»Es gibt nur einen Eimer und eine Schaufel«, erklärte Rieke. »Was hältst du davon, wenn du zuerst hier aufsammelst, dann lenke ich die Ponys ab.«

»Oder umgekehrt.«

Rieke verdrehte kurz die Augen. Warum war Tjorven bloß immer so kompliziert? Aber Tjorven klopfte bereits Balduins Flanke und griff nach seinem Halfter, um ihn wegzuführen. »Fietje, Krümel, Hera, ihr kommt auch mit!«, ordnete er an. Und tatsächlich: Nicht nur Balduin, sondern auch die anderen Pferde folgten dem Jungen. Rieke schüttelte verwundert den Kopf. Tjorven hatte wirklich ein Händchen für Pferde. Und wenn Tiere jemanden mochten, konnte er kein schlechter Mensch sein. Das behauptete zumindest Riekes Opa, Peter Walden, immer.

Weil Rieke nun ungestört aufsammeln konnte, war sie in kürzester Zeit mit der Arbeit fertig.

Tjorven saß auf dem Gatter, das direkt an der Zufahrt zum Waldenhof lag. Balduin, Fietje, Hera und Krümel standen friedlich grasend in seiner Nähe. Sie schienen längst vergessen zu haben, wie viel Spaß es ihnen noch vor wenigen Augenblicken gemacht hatte, Rieke zu ärgern.

Rieke schnappte sich Eimer und Schaufel, ging in Richtung Gatter und reichte Tjorven den mittlerweile fast vollen Eimer.

»Wenn du willst, kannst du jetzt anfangen. Ich muss noch die Disteln ausreißen.«

»Warum?«, fragte Tjorven.

»Weil sie spitze Stacheln haben, an denen die Tiere sich verletzen könnten«, erklärte Rieke bereitwillig.

Während sie die Disteln ausriss, begrüßte Tjorven sein Lieblingspferd. Anschließend machte auch er sich an die Arbeit.

Beinahe gleichzeitig wurden sie fertig. Wortlos hob Tjorven die stachligen Disteln auf, die Rieke aufeinandergestapelt hatte, und packte sie oben auf den Eimer.

Als sie gerade dabei waren, den schweren Kübel auf den Weg zu hieven, hörte Rieke erneut ein Geräusch. Irritiert blickte sie auf – und dieses Mal glitt ihr Blick in die richtige Richtung. Vor der Einfahrt parkte ein großes schwarzes Auto. Direkt neben der Fahrertür stand ein hochgewachsener, vornehm wirkender Mann mit silbergrauen Schläfen. Ob Rieke vor einer Weile das bremsende Auto gehört hatte und ob der Mann vielleicht seitdem dort stand und sie beobachtete? Rieke wusste es nicht. Aber irgendwie löste der Mann ein ungutes Gefühl bei ihr aus.

»Besuch für euch?«, fragte Tjorven.

Rieke zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht. Vielleicht will er nach dem Weg fragen. Komm, wir gehen hin.«

Der Mann starrte gebannt auf die Koppel. Dann glitt sein Blick zu Rieke und Tjorven. »Wohnt ihr hier?«, fragte er knapp.

Rieke nickte und wunderte sich, dass der Mann nicht einmal Guten Tag gesagt hatte, obwohl er so vornehm aussah. Sollten vornehme Menschen nicht auch gute Manieren haben?

Der Mann wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Pferde. »Woher stammt die Friesenstute, die dort grast?«

»Sie gehört uns«, erwiderte Rieke.

Der Mann zögerte keine Sekunde. »Davon bin ich nicht überzeugt!«, sagte er schroff. »Nennt mir den Namen.«

Bevor Rieke den Mund öffnen konnte, ergriff Tjorven das Wort. »Die Stute heißt Hera und gehört hundertprozentig den Waldens.«

»Gewiss ist Hera nicht der Name dieses Pferdes«, behauptete der Mann siegessicher. »Dennoch ist es gut, in Erfahrung gebracht zu haben, dass euer Nachname Walden lautet.« Er reckte den Kopf und wirkte dadurch noch hochmütiger. »Jetzt muss ich mich um andere Angelegenheiten kümmern. Sobald als möglich werde ich mich jedoch mit euren Eltern in Verbindung setzen.«

»Und wie heißen Sie?«, fragte Rieke, der es in diesem Augenblick völlig egal war, ob der Mann ihre Frage frech oder vorlaut fand.

Der Mann stieg bereits wieder in seinen Wagen. Seine barsche Antwort klang ein bisschen wie »Schornstein«.

Verblüfft schauten Rieke und Tjorven der Limousine und ihrem Fahrer hinterher.

»Was wollte der hier? Und was meint er damit, Hera heißt nicht Hera?« Rieke war ganz aufgeregt.

»Keine Ahnung«, erwiderte Tjorven gewohnt unfreundlich.

»Er hat uns bestimmt für Geschwister gehalten, weil er ›eure Eltern‹ gesagt hat«, überlegte Rieke laut. »Ich fand ihn total komisch. Du auch?«

Tjorven hob die Schultern. »Weiß nicht. Ich muss jetzt weg«, knurrte er plötzlich und ließ sie einfach mit dem schweren Kübel auf dem Weg stehen.

»Typisch Tjorven«, dachte Rieke. Aber sie regte sich nicht wirklich auf. In diesem Moment konnte sie ohnehin an nichts anderes denken, als ihrer Familie von dieser seltsamen Begegnung zu berichten.

2. Kapitel,
in dem Thiess etwas herausfindet

Als Rieke zur Tür hereinstürzte, standen bereits zwei riesige Schüsseln auf dem runden Esstisch der Waldens: eine mit Matjesheringen und eine mit dampfenden Pellkartoffeln. Normalerweise hätte sie begeistert: »Oh! Gibt es Matjesheringe?«, gerufen. In Quark-Joghurt-Sahne eingelegte Heringe mit Gurken und Apfelstückchen gehörten nämlich zu Riekes Lieblingsspeisen. Sie kamen direkt nach Spaghetti bolognese und selbst gemachten Cheeseburgern. Aber jetzt bemerkte sie es nicht einmal, weil ihr etwas Wichtiges auf der Seele brannte.

Bis auf Riekes zweitältesten Bruder Lennart saßen bereits alle Mitglieder der Waldenfamilie am Tisch. Vater Claas hatte Mattis, einen der beiden drei Monate alten Zwillinge, auf dem Schoß. Die kleine Mia schlummerte in Renas Arm. Der 14-jährige Thiess spielte angestrengt mit seinem Handy. Nur manchmal blickte er verstohlen auf, so als ob er nur darauf warten würde, jeden Moment von seiner Mutter oder seinem Vater ermahnt zu werden. Sein um ein Jahr jüngerer Bruder Finn starrte versonnen vor sich hin – anscheinend grübelte er über irgendetwas nach.

»Vor dem Tor war ein komischer Mann«, platzte es aus Rieke heraus, noch bevor sie sich an den Tisch gesetzt hatte.

Rena war sofort in Alarmbereitschaft. »Was für ein Mann?«

»Er wollte wissen, wem Hera gehört ...«

Thiess legte das Handy unaufgefordert zur Seite. »Na, wem wohl? Uns natürlich!«

»War er zu Fuß und hat dich einfach so angesprochen?«, fragte Rena immer noch besorgt.

»Er hat ein großes schwarzes Auto, stand vor der Einfahrt und hat rübergerufen.«

»Du bist hoffentlich nicht zu nahe an das Auto herangegangen«, meinte Claas, der seinen Kindern immer wieder predigte, dass man fremden Leuten nicht blind vertrauen sollte.

»Bin ich nicht«, berichtete Rieke. »Außerdem war Tjorven bei mir.«

»Der schon wieder«, murrte Finn. Er konnte den Nachbarsjungen überhaupt nicht leiden. Für seinen Geschmack verbrachte Tjorven viel zu viel Zeit auf dem Waldenhof.

»Was hat er genau gesagt?«, hakte Rena erneut nach.

»Dass Hera nicht Hera heißt. Und so was wie, er sei nicht davon überzeugt, dass sie uns gehört. Und ...« Rieke zögerte kurz. »Und dass er später anruft.«

»Sehr mysteriös«, sagte Claas. Weil Rieke immer noch vor dem Tisch stand und aufgeregt von einem Fuß auf den anderen trat, fügte er hinzu: »Was hältst du davon, wenn du dich jetzt erst mal hinsetzt, Liebchen?«

Gehorsam ließ Rieke sich auf ihren Stuhl plumpsen.

»Hat er seinen Namen gesagt?«, fragte der 18-jährige Lasse.

»Ich habe ihn gefragt, wie er heißt«, erklärte Rieke ein bisschen stolz. »Aber seinen Namen hab ich nicht genau verstanden. Es hörte sich an wie Schornstein oder so ähnlich.«

»Vielleicht war das einer von Heras früheren Besitzern«, warf Thiess ein, der ein Weltmeister im Kombinieren war.

»Glaubst du, dass er herausgefunden hat, wo Hera lebt, und sie wiederhaben will?« Rieke starrte entsetzt in die Runde.

»Könnte sein ...«, meinte Thiess.

Rena legte ihre freie Hand auf den Arm ihrer großen Tochter. »Jetzt beruhige dich erst mal, Riekchen. Wenn er wirklich heute anruft, wissen wir mehr. Außerdem sollten wir jetzt endlich essen, sonst werden die Kartoffeln kalt.«

»Sind sie schon«, tat Lennart kund.

Beinahe gleichzeitig griffen Thiess, Finn und Lasse nach der großen Gabel, die in der Pellkartoffelschüssel steckte.

Während der vernünftige Lasse seine Hand automatisch wieder zurückzog, entbrannte ein kurzes Wortduell zwischen Finn und Thiess. »Ich war schneller!«, behauptete Thiess.

»Nein, ich«, zischte Finn lautstark. Seine Schweigsamkeit war mit einem Mal wie weggeblasen. Rena warf erst Thiess und danach Finn einen mahnenden Blick zu. »Müsst ihr euch jeden Abend streiten, wer sich zuerst etwas nehmen darf? Es ist genug für alle da.«

»Wenn Thiess nicht immer so drängeln würde, müssten wir das nicht«, beschuldigte Finn seinen Bruder.

»Boah, du drängelst doch und willst immer der Erste sein.«

»Ich bin ja auch älter«, rechtfertigte sich Finn ungerührt.

»Pah, das eine Jahr ...«

»Schluss jetzt!« Claas sprach ein Machtwort. »Heute nimmt sich Finn zuerst, morgen Abend machen wir es umgekehrt.«

»Und übermorgen packen wir in jede Schüssel mindestens zwei Löffel«, schlug Rena vor und brachte damit alle zum Lachen.

Kurz darauf waren sämtliche Teller gefüllt. Die kleine Mia war inzwischen längst wieder wach und strampelte ungeduldig herum. Rena legte sie von ihrem linken in den rechten Arm und wieder zurück. »Ich bin heilfroh, wenn Mia und Mattis ihr Sitzdiplom haben«, seufzte sie. »Dann können die beiden in ihren Kinderstühlchen am Tisch sitzen und Papa und ich endlich wieder in Ruhe essen.«

»Und mit Messer und Gabel«, ergänzte Claas, der genau wie seine Frau nur eine Hand zum Essen frei hatte.

»So lange kann es ja nicht mehr dauern, bis sie sitzen können – oder?«, fragte Lasse. Er konnte sich dunkel daran erinnern, wie es gewesen war, als seine anderen Geschwister sitzen und laufen gelernt hatten.

Claas wiegte den Kopf. »Genau weiß man das nie. Bei manchen geht es schnell, andere brauchen etwas länger.«

»Also ich konnte schon mit sieben Monaten sitzen«, prahlte Thiess.

»Mit acht Monaten, mein Sohn«, korrigierte Rena. »Am frühesten sitzen und am ehesten laufen konnte Rieke.«

Rieke lächelte stolz. Ihre Eltern erzählten diese Geschichte häufig und behaupteten, dass die meisten Mädchen das Sitzen schneller lernten als die Jungs. Ob das stimmte, war bei den Waldens bislang nur schwer zu beweisen gewesen. Denn bis zur Geburt der Zwillinge war Rieke das einzige Mädchen in der Familie gewesen. Ein Mädchen mit vier älteren Brüdern. Nun gab es eine Babyschwester – und in wenigen Monaten würde man wissen, wer eher sitzen, krabbeln und laufen konnte: Mia oder Mattis.

Eigentlich ging die Lauf- und Sitzgeschichte der Waldens hier noch weiter. Denn Finn musste jedes Mal ergänzen, dass er laut seinen Eltern der schnellste Krabbler des Universums gewesen war. Erstaunlicherweise schwieg er jetzt.

»Fehlt dir was, Finn?«, fragte Rena leicht besorgt. Sie hatte ein sehr gutes Gespür für ihre Kinder, vor allem wenn denen etwas auf der Seele lag.

Finn blickte kurz auf, schaute seiner Mutter aber nicht in die Augen. »Nö, wieso?«, fragte er, klang dabei aber weniger cool als sonst.

Rena musterte ihren drittjüngsten Sohn und hätte wohl genauer nachgefragt, wenn Rieke nicht wieder auf Hera und den seltsamen Besucher zu sprechen gekommen wäre. »Was machen wir, wenn der Mann anruft?«

»Das überlegen wir uns dann, Schätzchen. Es nützt ja nichts, sich den Kopf über etwas zu zerbrechen, wovon man noch nichts weiß.«

Das sah Rieke ein. Es stimmte, viel wussten sie wirklich nicht. Weder über diesen Herrn Schornstein noch über Hera. Die wunderschöne Friesenstute mit dem lackschwarzen Fell war erst vor ein paar Monaten auf den Hof gekommen. Opa Waldens Freund Horst hatte sie gemeinsam mit Goliath und dem Fohlen Fietje vor ihrem alten Besitzer gerettet, der sie so vernachlässigt hatte, dass sie fast verhungert wären. Aber keiner der Waldens hatte auch nur die geringste Ahnung, woher die drei Pferde ursprünglich stammten.

Thiess, dem Hera sehr ans Herz gewachsen war, hatte schon oft vermutet, dass sie ein ganz besonderes Pferd sei – und garantiert so etwas wie adlige Eltern haben musste.

»Wir können ja mal im Internet nachschauen, ob wir etwas über Hera und ihre früheren Besitzer herausfinden«, schlug er jetzt vor.

Claas gefiel die Idee: »Wenn ihr wollt, dürft ihr meinen Laptop benutzen.«

Gleich nach dem Essen saßen Rieke, Thiess und Finn dicht aneinandergedrängt auf dem Sofa. Lennart stand links von ihnen und versuchte auch ab und an, einen Blick auf die vielversprechendsten Internetseiten zu erhaschen.

Es gab unzählige Bilder von Friesenstuten und allein in Deutschland mindestens hundert Gestüte, die Friesenpferde züchteten.

»Überleg noch mal, Rieke«, sagte Thiess. »Hat er wirklich ›Schornstein‹ gesagt?«

Rieke runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. »Ich weiß es nicht genau. Vielleicht auch Sponstein oder Schlonstein.«

Während Thiess verschiedene Namen eintippte, fiel Rieke etwas ein. »Ich könnte Tjorven anrufen. Vielleicht hat er den Namen richtig verstanden.«

»Der doch nicht«, grummelte Finn abschätzig. »Der weiß ja nicht mal seinen eigenen.«

»Jetzt sei nicht so gemein.« Rieke boxte ihren Bruder leicht in die Seite.

»Hey«, unterbrach Thiess den kleinen Streit, noch bevor er richtig losgehen konnte. »Guckt mal hier.«

Augenblicklich war Tjorven vergessen – gebannt blickten die Geschwister auf den Laptop.

»Gestüt Schlohenstein«, las Thiess vor. »Spezialisiert auf die Zucht von erstklassigen Friesenpferden.«

Neben einem großen Herrenhaus waren jede Menge Stallgebäude zu sehen. Auf einer Koppel standen viele elegante Friesenpferde, die ebenso wie Hera lackschwarzes Fell, schwarze Mähnen und Kötenbehänge hatten.

»Die sehen unserer Hera aber ziemlich ähnlich«, meinte Thiess und klickte eine Seite weiter. »Mal sehen, vielleicht finden wir auch noch ein Bild des Besitzers.«

Wenige Klicks später entdeckte Thiess tatsächlich ein Foto. »Ist das der Mann, Rieke?«

Rieke beugte sich noch ein wenig weiter vor. Sie erkannte ihn sofort an seinem unfreundlichen Blick: »Ja, das ist er!«, rief sie.

Auf dem Foto trug der Mann eine weiße Reithose und ein Jackett mit einem knallroten Einstecktuch. Darunter stand sein Name: »Adalbert Freiherr von Schlohenstein.«

»Sieht ganz schön affig aus, der Typ«, meinte Finn.

»Irgendwie eingebildet«, stimmte Thiess zu. »Guckt mal, hier ist auch eine Zuchtliste. Die beiden bedeutendsten Zuchtpferde des Gestüts sind der Hengst Marsvogel und die Stute Kassiopeia von Schlohenstein. Marsvogel war ein berühmtes Turnierpferd und Kassiopeia hat auch fast fünfzig Turniere gewonnen.«

Rieke winkte ihre Mutter zu sich, die noch immer am Tisch saß. »Komm mal her, Mama. Hier sind zwei Friesenpferde, die aussehen wie Hera.«

Rena stand sofort auf und beugte sich ebenfalls über den Laptop. »Tja, das könnte stimmen! Vor allem die Stute hat große Ähnlichkeit mit Hera.« Sie zögerte kurz. »Steht auf der Webseite auch eine Telefonnummer?«

»Wieso?«, fragte Rieke.

»Weil wir dann nicht auf einen Anruf warten müssen, sondern selbst bei den von Schlohensteins anrufen können.«

»Bloß nicht«, rief Thiess entsetzt.

Für einen Moment war es still.

»Wenn wir uns melden, wissen wir wenigstens, was er von uns will«, erklärte Rena ihre Absicht.

»Vielleicht vergisst er es ja auch ...«, murmelte Rieke hoffnungsvoll. Sie hatte ziemlich große Angst, dass dieser von Schlohenstein tatsächlich Heras ehemaliger Besitzer war.

Thiess schien es ähnlich zu gehen. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe. »Aber was tun wir, wenn Hera ihm wirklich gehört?«, fragte er nach einer Weile. Seine Stimme klang traurig.

»Wenn das tatsächlich so sein sollte, müssen wir sie zurückgeben«, antwortete Rena schließlich. »Man darf nichts behalten, was einem nicht gehört.«

Als sie die entsetzten Gesichter ihrer Kinder sah, fügte sie jedoch hinzu: »Na gut, wir warten erst mal ab ...«

3. Kapitel,
in dem abgestimmt wird

An diesem Abend rief Adalbert von Schlohenstein nicht mehr an.

Rieke konnte erst ziemlich spät einschlafen. Sie hatte immerzu die Ohren gespitzt, um zu hören, ob im Erdgeschoss das Telefon klingelte. Deshalb war sie am nächsten Morgen ziemlich müde.

»Du sagst ihm aber, dass Hera unser Pferd ist, ja!«, betonte sie beim Frühstück zum hundertsten Mal.

»Mach ich, Rieke, keine Sorge«, versicherte ihr Rena. Ebenfalls zum gefühlt hundertsten Mal.

»Ich hoffe, er ruft gar nicht erst an!«, sagte Rieke, während sie ihre Jacke überstreifte.

Rena beugte sich zu ihrer Tochter herunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Mach dir keine Sorgen, Liebchen. Alles wird gut!«

Für den Moment war Rieke ein klein wenig beruhigt. Bevor sie sich auf ihr Fahrrad schwang, gähnte sie noch einmal herzhaft. Dann trat sie mit voller Kraft in die Pedale.

Gerade hatte sie ihr Fahrrad auf dem Schulhof abgestellt, als Tjorven eintraf und sein Rad in den Ständer neben ihrem beförderte.

»Stell dir vor, Tjorven«, berichtete sie atemlos. »Dem Mann, der gestern am Tor war, gehört ein Gestüt. Das haben wir im Internet herausgefunden.«

»Weiß ich schon«, erwiderte Tjorven.

»Woher?« Rieke war völlig perplex. Von einem ihrer Brüder konnte Tjorven diese Informationen garantiert nicht haben. War es möglich, dass Rena gestern noch mit Tjorvens Mutter Elise telefoniert und ihr alles erzählt hatte? Doch Rieke brauchte nicht länger zu grübeln.

»Wir haben auch einen Computer«, erklärte Tjorven knapp.

»Hast du seinen Namen etwa richtig verstanden?«, fragte Rieke ein wenig verärgert.

»Verstanden habe ich Schornstein. Aber wenn man ein bisschen sucht, findet man die richtige Lösung. Der Mann heißt Adalbert von Schlohenstein.«

»Ha! Das wusste ich schon.« Anders als Tjorven lächelte Rieke beim Sprechen.

»Ich gehe jetzt rein«, sagte Tjorven und lief mit schnellen Schritten in Richtung Schultor. Im gleichen Moment tauchte Riekes Freundin Leonie auf. Sie konnte Tjorven fast genauso wenig leiden wie Finn. »Was wollte der von dir?«, fragte sie.

Rieke ignorierte ihre Frage, zuallererst wollte sie erzählen, was gestern geschehen war.

Ihre Geschichte hatte die gewünschte Wirkung, jedoch nur für einen kurzen Moment. Leonie riss zwar die Augen auf, aber dann fragte sie: »Meinst du, er war ein richtiger Adliger?«

Anders als Rieke interessierte sich Leonie kein bisschen für Pferde. Stattdessen liebte sie Klamotten und blätterte leidenschaftlich gerne in Illustrierten nach angesagten Modetrends. Mit ihrer Mutter ging sie oft shoppen. Auch an diesem Tag trug sie eine neue rote Hose und eine schicke Jacke. Auf ihrem langen braunen Haar glitzerte eine rote Spange, die farblich perfekt auf ihre Hose abgestimmt war.

Rieke schüttelte unwillkürlich den Kopf. Das war mal wieder typisch Leonie. Statt sich Sorgen zu machen, dass der Mann den Waldens Hera wegnehmen könnte, interessierte sie nur, ob er adlig war.

»Im Internet steht, er ist ein Freiherr. Aber das ist mir piepsegal.« Sie schluckte. »Ich will wissen, was wir machen können, wenn Hera wirklich ihm gehört.«

Leonie legte den Arm um Riekes Schulter. »Tut mir leid. Die Frage war blöd. Natürlich ist viel wichtiger, was er von euch will.«

Auch das war typisch für Leonie – und genau deshalb war sie Riekes Freundin: Sie hatte ein riesengroßes Herz und war immer für ihre Freundinnen da. Die Voraussetzung war allerdings, dass man ihr erklärte, was einem wirklich wichtig war.

Jetzt blieb keine Zeit mehr für weitere Erklärungen. Rieke platzte zwar fast, so gerne hätte sie noch ausführlicher von Hera und diesem Schlohenstein berichtet. Aber das musste bis zur Pause warten. Dann würde Rieke auch ihrer anderen Freundin Jette von den Neuigkeiten erzählen. »Wir reden später weiter«, versprach sie, während sie die letzten Meter bis zum Klassenzimmer rannten. Es war höchste Zeit.

Als sie in den Raum huschten, stand Frau Sommer bereits an der Tafel. »Nun aber ab auf eure Plätze, Mädchen«, sagte sie. »Wir wollen abstimmen.«

Rieke und Leonie wussten bereits, worum es ging. In den nächsten vier Wochen wollte die Klasse 5a des Augusta-Gymnasiums in jeder Deutschstunde ein Theaterstück einstudieren. Dafür musste ein Bühnenbild entworfen, Hintergrundmusik ausgewählt, Texte auswendig gelernt und Rollen einstudiert werden. Anschließend würde eine große Aufführung in der Schule stattfinden, zu der alle Eltern und Verwandten der Kinder eingeladen waren.

Zur Wahl standen ein Märchenspiel, in dem eine böse Hexe, neun Zwerge und ein junges Mädchen vorkamen, und eine Westerngeschichte mit Cowboys, Cowgirls, Indianern, Goldgräbern und Ponys.

Riekes Meinung stand schon lange fest. Als größte Pferdenärrin der Klasse war sie natürlich hundertprozentig für die Westernaufführung. Hunderttausendprozentig sogar – wenn das möglich gewesen wäre.

»So, es geht los!«, ordnete Frau Sommer an.

In der 5a gab es 31 Kinder: Neun von ihnen hoben die Hand, als Frau Sommer nach Stimmen für das Märchenstück fragte. 22 stimmten für den Western. Das war eindeutig die Mehrheit.

»Super!«, jubelte Rieke und sprang vor lauter Freude von ihrem Platz auf. Auch die anderen Westernfans klatschten begeistert in die Hände und grölten so laut, dass man fast denken konnte, man wäre in einem Saloon.

Frau Sommer gönnte ihren Schülern eine kurze Weile Ausgelassenheit, bevor sie den Zeigefinger an die Lippen legte. Sobald Ruhe eingekehrt war, kündigte sie an: »In den nächsten vier Wochen begeben wir uns also in den Wilden Westen.« Sie räusperte sich und fuhr fort: »Sind die Märchenfreunde unter euch jetzt sehr traurig?«

»Nö«, riefen die einen; »doch« die anderen. »Total traurig«, schniefte Isabelle, die mit ihren veilchenblauen Augen und den blonden Locken selbst ein bisschen aussah wie eine Fee.

Schlussendlich war Isabelle aber die Einzige, die gar keine Lust auf Cowboys und Indianer hatte. Alle anderen Märchenfans freuten sich, dass überhaupt ein Theaterstück eingeübt werden sollte.

»Für die nächste Stunde überlegt sich jeder von euch, ob er lieber Cowboy, Cowgirl, Indianer oder Goldgräber sein möchte. Und wer nicht als Schauspieler auf der Bühne stehen mag, kann sich aussuchen, ob er bei den Bühnenarbeiten, beim Ton oder anderen technischen Dingen mithilft.«

Frau Sommer legte die Kreide auf den Tisch. Im selben Augenblick läutete es zur zweiten Stunde.

»Bis morgen, meine Lieben«, verabschiedete sie sich. In der ersten großen Pause konnte Rieke ihren Freundinnen endlich in aller Ausführlichkeit von Adalbert von Schlohensteins Besuch erzählen. Als Leonie hörte, dass Tjorven dabei gewesen war, rümpfte sie die Nase. »Will der etwa dein Freund werden?«

Rieke warf Leonie einen erstaunten Blick zu. »Warum fragst du das?«

»Weil er so oft bei euch ist.« Leonie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Außerdem willst du ihm ja sogar Reitstunden geben ...«

Daran hatte Rieke schon eine ganze Weile nicht mehr gedacht und Tjorven hatte sie auch nicht mehr danach gefragt.

»Hmm«, sagte sie nun und erzählte dann, wie Tjorven ihr gestern beim Aufheben der Pferdeäpfel geholfen hatte. »Manchmal kann er richtig nett sein«, beendete sie ihren Bericht.

»Siehst du«, sagte Leonie. »Der mag dich! Sonst hätte er so eine fiese Arbeit bestimmt nicht freiwillig gemacht.«

Rieke war anderer Meinung. »Nicht mich. Tjorven mag Goliath«, stellte sie richtig. »Für ihn tut er alles.«

»Aber was ist jetzt mit dem Schornstein-Mann?«, hakte Jette ungeduldig nach. »Das ist doch viel wichtiger!«

Rieke stöhnte laut auf. »Stimmt! Vielleicht hat er schon angerufen. Ich wünschte, der Unterricht wäre schon vorbei.«

Leider musste Rieke sich noch vier lange Stunden gedulden.

Als es zum Ende der sechsten Stunde klingelte, verabschiedete sie sich von Jette und Leonie und radelte so schnell wie möglich zum Waldenhof.

Zu Hause angekommen stürmte sie wie ein geölter Blitz in die Küche und wäre fast mit Rena zusammengestoßen, die gerade ein Glas aus dem Schrank holte. »Hat er angerufen?«, platzte es aus ihr heraus.

»Hat er nicht.« Rena wusste sofort, wen ihre Tochter meinte.

»Dann gehe ich jetzt zu Balduin, ja?«, rief Rieke und wollte genauso schnell wieder aus der Küche verschwinden, wie sie hereingekommen war.

Rena nickte zustimmend. »Ausnahmsweise. Und nur kurz. Um Viertel nach zwei kommen Finn und Lennart, dann essen wir ein Butterbrot und danach ...«

Rieke ließ ihre Mutter nicht ausreden. »Ja, ja ich weiß«, sagte sie und rannte los.

»Seit gestern ist so viel passiert, das glaubst du gar nicht«, seufzte Rieke wenig später. Sie stand in Balduins Box und hatte ihre Arme um den kräftigen Hals ihres Haflingers geschlungen.

Balduin spitzte die Ohren und hielt mucksmäuschenstill. Zuallererst berichtete Rieke natürlich von Herrn von Schlohenstein, dann von der Theateraufführung. Als Rieke ihm alles – aber auch wirklich alles – erzählt hatte, stellte sie fest, dass Balduins Fell nicht so schön glänzte wie sonst.

»Du musst gestriegelt werden«, stellte sie fest. »Warte, ich hole Striegel und Kardätsche.«

Auf dem Rückweg von der Stallkammer begrüßte sie auch ihre anderen Lieblinge.

»Hallo Fietje.« Als die kleine Stute ihren Kopf über die Boxentüre streckte, strich Rieke ihr zärtlich über die Nüstern. Genauso begrüßte sie auch den mickrigen Haflinger Krümel und Lady, die ganz alleine in ihrem Stall stand. Ihre Stallgenossin Frau Doktor lief gerade frei auf dem Hof herum. Danach machte sich Rieke an Balduins Box vorbei auf den Weg zu Hera.

Das gefiel Balduin ganz und gar nicht. Eifersüchtig wieherte er auf. »Ich komme ja gleich, Baldi«, versprach Rieke.

Die schöne schwarze Friesenstute stand mit gestrecktem Kopf in ihrer Box und äugte neugierig zu Rieke herüber. »Hallo, du Hübsche. Ich habe leider keine Zeit für dich. Aber Thiess kommt bestimmt heute noch zu dir und erzählt dir von deinen berühmten Eltern.« Sie räusperte sich. »Falls du eben nicht zugehört hast, als ich Baldi von ihnen erzählt habe.« Rieke war felsenfest davon überzeugt, dass ihr Haflinger fast jedes menschliche Wort verstand – und nicht nur er, sondern auch alle anderen Ponys, die auf dem Waldenhof lebten. Natürlich nicht ganz so gut wie Balduin, weil der hübsche Haflinger in Riekes Augen selbstverständlich das klügste Pferd der Welt war.

Als sie zurück in Balduins Box kam, scharrte der bereits ungeduldig mit dem Vorderhuf und schaute sie an, als wolle er sagen »na, das wurde aber auch Zeit!«.

Sein Protest verebbte aber sofort, als Rieke mit dem Striegeln anfing. Eine Viertelstunde später glänzte Balduins Fell wie feinste Seide. Dass sie eigentlich nur kurz im Stall bleiben sollte, hatte sie völlig vergessen.

Stolz begutachtete Rieke ihr Werk. »So, nun reiten wir ans Meer, mein Schatz!« Als sie aufblickte, sah sie plötzlich ihre Mutter an der Stalltür stehen.

»Sag mal, Rieke, hast du nicht gehört, dass ich dich gerufen habe?«, fragte Rena schmunzelnd.

»Nein«, antwortete Rieke und sagte dabei die volle Wahrheit. »Wieso? Hat Herr von Schlohenstein sich etwa endlich gemeldet?«

Rena schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht.«

»Warum hast du mich denn dann gerufen?« Rieke war wirklich etwas verwirrt.

»Weil du noch nichts gegessen und vor allem, weil du noch keine Hausaufgaben gemacht hast.«

Rieke schaute ihre Mutter enttäuscht an. »Ach Mama, ich wollte gerade ausreiten. Hunger habe ich nicht und die Hausaufgaben mache ich später, okay?«

Doch Rena schüttelte den Kopf. Diesbezüglich duldete sie keine Kompromisse. Die Hausaufgaben mussten nach dem Mittagessen erledigt werden.

»Bitte, Mama, ausnahmsweise! Ich habe auch nur ganz wenig auf. Außerdem« – sie suchte fieberhaft nach einem Grund – »außerdem habe ich es Balduin schon versprochen. Guck mal, wie er sich freut.«

Tatsächlich glitten die Ohren des Haflingers aufgeregt von vorne nach hinten, während er gleichzeitig schnaubte.

Rena blieb trotzdem hartnäckig. »Ich sehe es. Aber Balduin muss noch warten. Du kennst die Regeln.«

Rieke bemühte sich, genauso flehend zu gucken wie ihr Lieblingspferd; aber ihre Mutter ließ sich trotzdem nicht erweichen.

»Am besten kommst du gleich mit mir ins Haus«, ordnete Rena an. Und Rieke war klar, dass das ihr letztes Wort zu diesem Thema war.

Sie kraulte Balduins Mähnenkamm und versprach: »In spätestens einer Stunde bin ich wieder bei dir.«

Als sie sich zum Gehen wandte, wieherte Balduin laut. »Siehst du, jetzt ist er total traurig.«

Rena lächelte. »Dann gehst du ab morgen am besten erst nach den Hausaufgaben zu ihm.«

»Hmm«, grummelte Rieke. Diese Antwort hatte sie nicht hören wollen.

4. Kapitel,
in dem Frau Doktor ziegisch singt

Im Haus herrschte himmlische Ruhe. Mia und Mattis hielten ein Mittagsschläfchen, die Jungs saßen in ihren Zimmern und machten vermutlich ihre Schularbeiten.

»Kann ich hier unten bei dir arbeiten?«, fragte Rieke, weil sie keine Lust hatte, alleine in ihrem Zimmer zu lernen.

»Natürlich. Ich muss bügeln, aber du kannst mir gern Gesellschaft leisten.« Rena zögerte kurz und fuhr dann fort: »Eigentlich ist das sogar ganz praktisch, wenn du etwas nicht verstehst, kannst du mich sofort fragen.«

Eine gute halbe Stunde später war Rieke fertig – und hatte keine einzige Frage stellen müssen.

Rena nahm Riekes Englischbuch, legte es an den Rand des Bügeltisches und fragte ihre Tochter noch zwanzig Vokabeln ab. Danach war Rieke für diesen Tag fertig.

»Das hat doch super geklappt«, lobte Rena. »Von mir aus kannst du jetzt ans Meer reiten.« Sie grinste. »Du könntest natürlich auch mit Mia und Mattis spazieren gehen oder die Einfahrt fegen ...«

Rieke schaute ihre Mutter verschmitzt an. »Äh, lieber nicht. Aber danke für das Angebot.«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2019
ISBN (eBook)
9783960532453
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juni)
Schlagworte
Kinderbuch ab 8 Jahre Erstleser Bauernhoftiere Familiengeschichten Haferhorde Ponyhof Apfelblüte Die Heuhaufen-Halunken Neuausgabe eBooks
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Titel: Der kunterbunte Waldenhof: Bühne frei für unsere Ponys - Band 3