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Neles Welt - Band 2: Das Oma-Projekt

©2016 216 Seiten

Zusammenfassung

Eine Oma für Nele!

Nele ist stolz auf sich. Sie hat einen neuen Mann für ihre Mama gefunden. Aber etwas fehlt ihr noch zum Glück: eine Oma, eine richtig liebe Oma, die Kinder gern hat. Doch wo findet man die nur? Die besten Omas sind alle irgendwie schon vergeben! Zu blöd, dass Nele außerdem noch Ärger in der Schule und Krach mit ihrer Freundin Sara hat. Aber so schnell gibt Nele nicht auf!

Erfrischend frech und herrlich komisch: Die pfiffige Nele schmiedet wieder Pläne!

Jetzt als eBook: „Das Oma-Projekt“ von Sabine Neuffer. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Nele ist stolz auf sich. Sie hat einen neuen Mann für ihre Mama gefunden. Aber etwas fehlt ihr noch zum Glück: eine Oma, eine richtig liebe Oma, die Kinder gern hat. Doch wo findet man die nur? Die besten Omas sind alle irgendwie schon vergeben! Zu blöd, dass Nele außerdem noch Ärger in der Schule und Krach mit ihrer Freundin Sara hat. Aber so schnell gibt Nele nicht auf!

Erfrischend frech und herrlich komisch: Die pfiffige Nele schmiedet wieder Pläne!

Über die Autorin:

Sabine Neuffer wurde 1953 in Hannover geboren. Nach dem Studium arbeitete sie unter anderem für eine PR-Agentur, bevor sie ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte. Heute lebt sie in Wolfenbüttel und arbeitet an einer Realschule in Braunschweig.

Sabine Neuffer veröffentlichte bei jumpbooks bereits die Kinderbücher:
Das Papa-Projekt
Das Geschwister-Projekt

***

eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright © der Originalausgabe 2007 Cecilie Dressler Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung und Titelbildabbildung: Tanja Winkler, Weichs

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-073-2

***

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Sabine Neuffer

Das Oma-Projekt

jumpbooks

1. Kapitel

»Nele, das Essen ist fertig!«

Nele warf noch eben das Deutschbuch in ihren Rucksack, dann rannte sie die Treppe hinunter. »Wie gemütlich«, stellte sie zufrieden fest, als sie sich an den schön gedeckten Tisch setzte. Sogar Kerzen hatte ihre Mutter angezündet. Draußen wurde es schon dämmrig.

Neles Mutter stellte die Schüsseln mit Bandnudeln und Sauce auf den Tisch. »Ich fürchte, der Sommer ist langsam wirklich vorbei«, sagte sie.

Das war Nele im Moment ganz egal. Sie bediente sich gierig. Ihre Mutter schaute ihr lächelnd zu. »Man sollte meinen, du bekämest nur alle drei Tage etwas zu essen, du armes Kind«, stellte sie belustigt fest.

»So was Gutes bekomme ich ja nicht mal alle drei Tage«, erwiderte Nele und nahm sich noch einen Löffel von der Sauce. »Reinleg-Sauce« nannten sie die, seit Nele einmal gesagt hatte, sie könnte sich da glatt reinlegen, so gut sei sie. Und zurzeit waren Nudeln mit Reinleg-Sauce ihr absolutes Lieblingsessen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie schon zum Frühstück eine Portion davon gegessen. Aber Mama stellte sich immer furchtbar an, wenn es um vitaminfreie Kost ging, und bei der Reinleg-Sauce – gebratenem Hackfleisch und Schmant pur – blinkten bei ihr sämtliche Alarmlämpchen.

Doch am letzten Ferientag durfte Nele sich immer wünschen, was es zu essen geben sollte. »Genieß die letzten Ferienminuten«, pflegte ihre Mutter zu sagen, aber Nele fand, dass das gar nicht so einfach war. Man musste ja doch an den nächsten Tag denken, an das frühe Aufstehen und an die Schmalbach.

»Nele, du musst morgen nach der Schule Timmi vom Kindergarten abholen und am Nachmittag auf ihn aufpassen«, sagte ihre Mutter nun. »Ron hat vorhin angerufen, Frau Werner ist krank und er selbst ist den ganzen Tag in Frankfurt.«

Nele rollte mit den Augen. »Och; Mami, muss das sein? Und wann soll ich meine Hausaufgaben machen? Wenn du nach Hause kommst? Dann ist ja der ganze Nachmittag futsch!«

»Schätzchen, es tut mir leid, aber es geht nicht anders. Ich kann morgen unmöglich früher Schluss machen. Bitte, sei so lieb, Ron hat extra darum gebeten.«

Nele stopfte sich einen Löffel Nudeln in den Mund. Die Sauce tropfte von ihrem Kinn. »Na ja, gut«, sagte sie mit vollem Mund, aber deutlich besänftigt. Wenn Ron extra darum gebeten hatte.

Ron würde Neles neuer Papa werden, Nele hatte ihn selbst ausgesucht. Es war gar nicht so einfach gewesen, ihre Mutter und ihn zusammenzubringen, aber nun war die Sache ziemlich perfekt. Und wenn alles gut ging, dann würden sie spätestens Weihnachten eine richtige Familie sein. Jedenfalls stellte Nele sich das so vor.

»Warum heiratet ihr nicht endlich?«, fragte sie und wischte sich das Kinn mit dem Handrücken ab. »Ron verdient doch bestimmt genug Geld, dann brauchst du nicht mehr in der Gärtnerei zu arbeiten. Ihr könnt Frau Werner entlassen und du kümmerst dich um Timmi.«

Timmi war Rons Sohn, er war gerade fünf geworden. Frau Werner war seine Kinderfrau. Sie versorgte auch Rons Haushalt, aber eigentlich war sie eine Hexe, da war Nele sich ganz sicher. Und seit Ron und Neles Mutter endlich ein Paar geworden waren, benahm sie sich wie eine beleidigte Hexe. Sie wurde immer häufiger krank. »Ich hab's nun mal im Rücken«, sagte sie regelmäßig und drückte sich mit Leidensmiene die Hand ins Kreuz.

Neles Mutter, die nicht gerade viel gegessen hatte, legte ihre Gabel auf den Teller. »Nele, ich möchte gar nicht aufhören zu arbeiten. Es macht mir Spaß, es geht nicht nur ums Geld.«

»Nein, nein, ich weiß schon.« Nele blickte ihre Mutter nachsichtig an. »Es geht um Emanzi... Emanzo... na ja ... um deine Ehre eben. Ich versteh das ja auch irgendwie, aber wenn die blöde Werner andauernd krank wird, hab ich die ganze Doppelbelastung am Hals.«

»Schätzchen, es geht um ein paar Stunden! Übermorgen arbeitet Ron wieder zu Hause, dann kann er sich um Timmi kümmern. Außerdem – du wolltest doch immer ein Brüderchen haben, da kannst du auch mal ein kleines Opfer bringen.«

»Mal ja«, sagte Nele. »Aber in letzter Zeit passiert das ganz schön oft. Ihr seid ja fast jedes Wochenende auf Achse!«

»Ich dachte, das hätten wir geklärt, Nele«, sagte ihre Mutter und schob ihren Teller von sich. »Du weißt doch, dass Ron und ich Zeit füreinander brauchen. Und dann sind da noch alle seine Freunde, die ich kennenlernen möchte, und meine, die er treffen soll ...«

»Ja, ja, ich weiß«, unterbrach Nele ungeduldig. »Aber das dauert ja alles ewig! Könnt ihr nicht endlich heiraten?«

Neles Mutter antwortete nicht. Sie spielte mit ihrem Serviettenring.

»Oder dann heiratet eben nicht, das ist ja auch egal«, meinte Nele. »Aber wir könnten doch wenigstens schon mal in Rons Haus ziehen. Dann wärt ihr jeden Abend zusammen, und wenn ihr eure Freunde sehen wollt, ladet ihr sie ein. Das wär doch viel einfacher.«

»Nele«, sagte ihre Mutter, »so schnell geht das nicht. Ist dir klar, was ich hier alles aufgebe? Das Haus, den Garten ...«

»Rons Garten ist viel größer. Und so viel, wie du da im Sommer rumgepusselt hast, ist das doch sowieso schon fast deiner. Ach, Mama, jetzt gib dir doch einfach mal einen Ruck!«

Neles Mutter lächelte gequält. »Nele, in meinem Alter trifft man solche Entscheidungen nicht einfach mal so. Das braucht Zeit. Ich will doch auch wirklich sicher sein, dass ich das Richtige tue. Das Richtige für ein ganzes Leben.«

Nele verdrehte die Augen. »Aber du liebst ihn doch, das hast du selbst gesagt. Und Timmi hast du auch lieb. Wo ist dann noch das Problem?«

Neles Mutter seufzte. »Ich weiß es nicht, Nele. Es ist alles so schnell gegangen, das macht mir ein bisschen Angst. Sieh mal, wir kennen die beiden erst seit einem halben Jahr, das ist nicht lange.«

»Für mich ist das eine Ewigkeit«, sagte Nele und tauchte ihre Gabel direkt in die Saucenschüssel.

Ihre Mutter langte über den Tisch und streichelte Neles Wange. »Mäuschen, hör auf zu drängeln, bitte. Irgendwann kommt schon der Punkt, an dem ich sicher bin, okay?«

Nele gab sich geschlagen. »Okay«, sagte sie und kratzte die Saucenschüssel aus. »Ist ja auch egal. Wenn du jetzt sagen würdest, dass du Ron heiratest, müsste ich Timmi morgen auch vom Kindergarten abholen, stimmt's?«

Ihre Mutter lachte. »Stimmt!« Sie zog Nele die Saucenschüssel weg. »Es gibt noch Nachtisch. Hast du überhaupt noch Platz dafür?«

»Wofür?«

»Für Eis mit heißen Himbeeren.«

Nele legte eine Hand auf den Magen und tat so, als müsste sie überlegen. Dann grinste sie ihre Mutter an. »Na ja, wenn du es mir so aufdrängst.«

Sie kuschelten sich mit dem Eis aufs Sofa und guckten zusammen ein Video, Pünktchen und Anton.

»Zu zweit ist's auch ganz schön«, meinte Nele. »Du hast schon recht, Mama, manchmal braucht man keine Männer.«

»Na, hast du auch so viel Lust?«, fragte Nele missmutig, als sie Sara wie jeden Morgen vor dem Kiosk traf. Es war der erste Schultag nach den Herbstferien, und die Aussicht auf eine Doppelstunde Deutsch bei der Schmalbach hatte Nele gründlich die Laune verdorben.

Sara hatte anscheinend schon länger gewartet und inzwischen eingekauft. Sie hielt ihrer Freundin eine Schaumwaffel hin. »Hier, ganz frisch! Und süß, das ist gut für die Nerven.«

»Danke.« Nele biss in die Waffel. »Aber das macht den Tag auch nicht besser«, sagte sie undankbar. Dabei machte sie so ein unglückliches Gesicht, dass Sara lachen musste.

»Ach komm, Nele, so schlimm wird's schon nicht werden. Aber wir sollten uns mal etwas sputen. Wenn wir gleich am ersten Tag zu spät kommen, wird die Schmalbach bestimmt ungemütlich.«

»Das ist sie doch sowieso«, brummte Nele. »Wetten, sie fängt gleich wieder mit ihren langweiligen Rechtschreibübungen an? Ich kann dir gar nicht sagen, wie mir das zum Hals raushängt!«

Doch an diesem Morgen hielt die Schmalbach erst einmal eine ganz andere Überraschung bereit: Sie brachte eine neue Schülerin mit, baute sich mit ihr vor der Klasse auf und legte dem Mädchen eine Hand auf die Schulter.

Sara stieß Nele an und kicherte, doch die reagierte gar nicht. Sie starrte die neue Mitschülerin staunend an. Das konnte doch nicht wahr sein! Wie lief die denn rum? Die sah ja aus wie eine viel zu klein geratene Erwachsene aus den uralten Spielfilmen, die Neles Mutter so gern sah. Sie trug einen Pulli mit einer passenden Strickjacke darüber, Twinset hatte ihre Mutter diese merkwürdige Kombination mal genannt, dazu einen rosa Faltenrock, hautfarbene Strumpfhosen und spitze, weiße Schuhe mit ziemlich hohen Absätzen. Neles ungläubiger Blick wanderte wieder nach oben. War das etwa eine echte Perlenkette, die die Neue um den Hals trug? Mann, das war doch was für alte Omas! Und dann die Frisur! Nele hätte glatt den gesamten Inhalt ihres Sparschweins darauf verwettet, dass das eine Dauerwelle war, was dem Mädchen da kastanienbraun um den Kopf pappte.

»Guck dir das an! Und wie die geschminkt ist«, flüsterte Sara.

»Das ist Babette Obermann«, erklärte die Schmalbach, »eure neue Klassenkameradin.«

»Barbie!«, krähte Sven von hinten, und die ganze Klasse lachte.

Nele mochte Sven zwar nicht besonders, aber jetzt musste sie mitlachen. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, dieses Mädchen sah wirklich aus wie eine Barbiepuppe – perfekt verkleidet für die Rolle »Barbie geht zum Kaffeekränzchen«.

»Ruhe!«, donnerte die Schmalbach. »Ich erwarte, dass ihr Babette ohne Sperenzien in die Klassengemeinschaft aufnehmt!« Etwas freundlicher wandte sie sich an das Mädchen: »Du kannst dich hier vorn zu Nadine setzen, sie wird sich sicher gern ein bisschen um dich kümmern.«

Barbie stakste zum angewiesenen Platz. Nadine drehte sich zur Klasse um und zog eine Grimasse.

»Guckt euch das an!«, rief Leon von hinten. »Die kann in den Dingern sogar laufen!«

»Laufen nennst du das?«, höhnte Sven. »Die geht doch wie 'n Storch auf Eiern!«

Wieder lachten alle. Alle, außer der Schmalbach. »Leon, Sven, ihr holt euch nach der Stunde eine Sonderaufgabe ab! Und nun schlagt die Sprachbücher auf, Seite 113.«

Nele stöhnte. Sie hatte es geahnt – Rechtschreibung. Ab Seite 100 gab es in dem Buch nur noch Rechtschreibübungen. Und heute hatte sich die Schmalbach ein ganz gemeines Kapitel ausgesucht, die Schreibweise von Straßennamen. Wen interessierte das schon?

Nele war nicht die Einzige, die nicht so recht bei der Sache war. Alle warfen immer wieder verstohlene Blicke zu der neuen Schülerin, die kerzengerade an ihrem Platz saß, die Augen starr auf ihr Buch gerichtet.

Als es nach zwei Stunden endlich zur großen Pause klingelte und alle wie erlöst ihre Hefte zuklappten, flüsterte Sara: »Komm, beeil dich! Die gucken wir uns mal näher an.«

Auf diesen Gedanken war sie nicht allein gekommen. Auf dem Schulhof bildete sich schnell eine Traube von Schülern um Barbie.

»Wo kommst du denn her? Aus Vornehmhausen?«, fragte Leon albern. »Laufen da alle so rum?«

»Quatsch, die ist direkt aus 'nem Modekatalog gefallen«, meinte Sven.

»Genau!«, rief Björn. »Aus den Oma-Seiten!«

Patrick pirschte sich von hinten an Barbie heran und zog sie kräftig an den Haaren. Das Mädchen schrie auf und zog den Kopf ein. »Die sind ja doch echt!«, wunderte sich Patrick. »Ich hätte gedacht, das wär 'ne Perücke.«

»So hässliche Perücken gibt's gar nicht«, sagte Julia und grinste. »So was würde doch kein Mensch kaufen.«

»Auch wahr«, meinte Patrick. »Aber vielleicht ist sie ja gar kein Mensch. Sie sieht aus wie ein Alien!«

Sven tanzte wild vor Barbie herum. »Hurra, wir haben eine Außerirdische in der Klasse! Barbie Obermann ...«, er begann zu singen, »... kam auf der Erde an, von einem andren Stern, der liegt so fern. Sie ist so chic, da kommt hier keiner mit ...«

»Toller Reim!« Nele schob ihn zur Seite. Dann betrachtete sie Barbie neugierig. »Sag mal, im Ernst jetzt, warum hast du denn so komische Klamotten an? Trägst du die immer?«

Barbie musterte Nele von oben bis unten. Schließlich blieb ihr Blick an Neles schmuddeligen Turnschuhen hängen, die unter der Jeans hervorlugten. »Ja, meinst du, ich will so herumlaufen wie du?«, entfuhr es ihr. Sie sah Nele aus grünen Augen an. Dann legte sie ihr hastig die Hand auf den Arm. »Entschuldige, das hätte ich nicht sagen sollen. Du kannst ja nichts dafür, dass deine Eltern arm sind. Meine Mutter sagt immer, ich darf mir nichts darauf einbilden, dass wir so viel Geld haben.«

Sara, die bemerkte, dass es Nele die Sprache verschlagen hatte, sprang in die Bresche: »Ach, dein Vater ist wohl Millionär, was?«

Barbie warf hochmütig den Kopf zurück. »Ich glaube, ja. Jedenfalls hat er die Villa im Eichenweg gekauft, und die hat fast eine Million gekostet.«

»Wie? Das Haus am Eichenweg 21?«, fragte Nele wie elektrisiert. »Jessicas Haus?«

Barbie zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Keine Ahnung, wer da vorher gewohnt hat. Irgend so ein Neureicher, der sich übernommen hat. Hochmut kommt vor dem Fall, hat mein Vater gesagt.« Sie lächelte zufrieden.

»Na, dann pass mal hübsch auf, dass du nicht eines Tages gewaltig auf die Fresse fällst«, sagte Nele eisig und machte auf ihren abgelatschten Turnschuhhacken kehrt.

Sara folgte ihr und legte Nele den Arm um die Schultern. »So eine Zicke!«, stieß sie empört hervor. »Von mir aus kann Sven Hackfleisch aus ihr machen!«

»Aus der?« Nele musste lachen. »Aus der kannst du höchstens Granulat machen! Die ist doch aus Stein, nicht aus Fleisch und Blut!«

Sara kicherte. »Stimmt! Und eklig hochnäsig ist sie!«

Nele nickte grimmig. Erst hatte es ihr ja nicht so richtig gefallen, wie die Jungen über Barbie hergefallen waren, doch jetzt gönnte sie es ihr von Herzen. Was bildete die sich eigentlich ein? Bloß weil Nele normal angezogen war, glaubte sie, ihre Mutter sei arm? Phh! Selbst wenn Mama hundert Millionen hätte, so affig wie dieses aufgedonnerte Schaufensterpüppchen würde Nele nie herumlaufen, das war ja wohl das Letzte!

Plötzlich blieb Sara stehen. »Du, das dürfen wir Jessica auf keinen Fall erzählen, was für eine Vollkatastrophe da jetzt in ihrem Haus wohnt. Wenn sie das hört, dann wird sie wieder ganz unglücklich.«

«Oder auch nicht«, meinte Nele nachdenklich. »Guck mal, wenn da ein nettes Mädchen eingezogen wäre, mit dem wir uns angefreundet hätten, wäre das für Jessi bestimmt viel schlimmer. Aber ... na ja, vielleicht hast du recht. Am besten erzählen wir ihr gar nichts. Wir wissen ja nicht so genau, wie traurig sie noch ist.«

»Ich glaube, sie ist noch sehr traurig. Aber Jessi war schon immer Weltmeisterin im Tapfersein. Die lässt sich nichts anmerken«, sagte Sara.

Nele kickte gedankenverloren eine leere Kakaotüte aus dem Weg. »Findest du das eigentlich gut? Ich meine, irgendwie ist es zwar cool, dass sie so tut, als sei alles in Butter, aber andererseits ...«

Weiter kam sie nicht. Es klingelte zur Stunde. »Die Pausen werden auch immer kürzer«, maulte Sara. »Na, wenigstens haben wir jetzt Textil. Da kann man sich ein bisschen ausruhen.«

»Ja, du!«, sagte Nele voller Neid. »Deine Oma hat dir wahrscheinlich schon zwanzig Zentimeter gestrickt. Aber was soll ich sagen? Mein Schal wird bestimmt erst fertig, wenn ich selbst Oma bin.«

Sara gluckste. »Glaub ich nicht. Aber bis dahin ist er dann vielleicht wenigstens so lang, dass deine Enkelin damit in den Textilstunden auflaufen kann, ohne sich für ihre Faulheit schämen zu müssen.«

»Ha ha!« Nele fand das gar nicht komisch. Sara war schließlich genauso faul im Stricken wie sie. Ohne ihre Oma wäre ihr Schal bestimmt auch erst fünf Zentimeter lang, da sollte sie mal nicht so überlegen tun! Und Neles war schon sechs – wenn man ihn ein bisschen zog.

Sosehr Nele die Textilstunden hasste, ein Gutes hatten sie: Man konnte in Ruhe nachdenken. Frau Sager, die neue Handarbeitslehrerin, war ein richtiger Drachen, sie verlangte absolute Ruhe. Im letzten Schuljahr, bei der gutmütigen Frau Blumenfeld, hatten sie geschwatzt, was das Zeug hielt, und Nele war mit der blöden Schürze, die sie hatten nähen müssen, nie fertig geworden, weil sie mehr gequatscht als gearbeitet hatte.

Mit dem Schal würde sie auch nie fertig werden, weil ihr seltsamerweise immer die Maschen von der Nadel rutschten, aber sie genoss die Stille. Es war eine wunderbare Zeit zum Träumen. Zum Beispiel von den Sommerferien, als Jessica da gewesen war. Das war schön gewesen! Fast so, als sei ihre Freundin nie weggezogen. Sara, Jessi und Nele hatten die Tage im Freibad verbracht, lachend und tobend, und abends hatten Jessi und Nele in Neles Bett noch stundenlang geredet. Jessi hatte von Wiesbaden und ihrer neuen Schule erzählt. Aber eigentlich, dachte Nele jetzt, hatte Sara recht. Wie es Jessica wirklich ging, hatten sie selbst damals nicht herausgekriegt. Ihr Vater, der andere Leute irgendwie um Geld betrogen hatte, arbeitete jetzt als Versicherungsvertreter und musste vielleicht doch nicht ins Gefängnis. Und Jessicas Mutter hatte nun auch zu arbeiten begonnen. Sie war Verkäuferin in einem Laden für gebrauchte Designer-Klamotten. Es gab also sogar Dinge, für die so ein Luxusweibchen wie Jessicas Mutter taugte. Das war alles ziemlich okay fürs Erste. Jessica hatte zwar noch keine neue beste Freundin, aber wenn Nele ehrlich war, fand sie es auch ganz schön, dass Jessi sie und Sara vermisste. Natürlich sollte sie neue Freundinnen finden, aber die konnten ruhig die zweitbesten sein. Beste Freundinnen, die blieben doch ein Leben lang, oder?

Nele schielte zu Sara hinüber, die gekrümmt über ihrem Strickzeug saß und nicht sonderlich glücklich aussah. Nele stieß sie an und blinzelte ihr zu. Einfach so, weil sie sich freute, dass sie da war.

»Kommst du mit zu mir?«, fragte Sara, als auch die sechste Stunde – Mathe – endlich überstanden war. »Meine Oma macht heute Bratwürstchen mit Kartoffelbrei, und sie hat gesagt, ich darf dich mitbringen. Wir können dann zusammen Hausaufgaben machen.« Saras Mutter und ihr Freund Carsten waren für ein paar Tage verreist, und wenn Saras Oma das Regiment übernahm, war viel mehr erlaubt als sonst, sogar Besuch in der Mittagszeit.

»Ich würde ja gern«, seufzte Nele. »Aber ich muss Timmi vom Kindergarten abholen und den ganzen Nachmittag babysitten. Frau Werner hat's mal wieder im Rücken.«

Sara kicherte. »Ich glaube, die hat's eher im Kopf. Wetten, die ist sauer, weil Ron deine Mutter heiratet? Vielleicht hat sie sich ausgemalt, dass sie ihn kriegt.«

»Iiihh, nee!« Nele schüttelte sich. »Stell dir mal vor, die zu küssen! Da piken einen ja die Hexenhaare am Kinn!«

Sara lachte. »Weißt du was? Bring Timmi doch einfach mit zu uns! Meine Oma hat bestimmt nichts dagegen, die findet ihn doch so süß.«

»Meinst du?« Nele war unschlüssig. Sie hatte ihrer Mutter versprochen, dass sie auf Timmi aufpassen würde, da konnte sie ihn doch jetzt nicht einfach bei Saras Oma abladen. Oder doch? Schließlich war sie selbst ja auch dabei, und Mama hatte nicht gesagt, dass sie die ganze Zeit zu Hause bleiben müssten.

Ach, komm!«, bettelte Sara. »Wenn wir die Hausaufgaben zusammen machen, geht's viel schneller. Und meine Oma freut sich bestimmt, wenn ihr kommt. Sie kann doch gar nicht genug Kinder um sich haben!«

Na gut.« Nele begrub ihre Zweifel. Ein Nachmittag mit Saras Oma war immer schön.

Dann lauf eben zum Kindergarten«, schlug Sara vor. »Ich sage meiner Oma schon mal, dass sie zwei Würstchen mehr braten soll. Oder drei!«

Timmi war von der Aussicht auf einen Nachmittag bei der Sara-Oma auch sehr angetan. »Die kann gute Würstchen«, sagte er zufrieden. »Und gute Spiele.«

Nele lächelte. Genauso war es. Die Würstchen schmeckten prima, und als Sara und Nele dann an ihren Hausaufgaben saßen, spielte Saras Oma mit Timmi Memory. Das fand Nele sehr heldenhaft, denn in Memory war Timmi unschlagbar. Er gewann immer.

Später spielten sie zu viert Das verrückte Labyrinth. Eigentlich war das Spiel noch zu schwer für Timmi, deshalb mogelte Nele ein bisschen und guckte heimlich in Timmis Karten, um ihm einen guten Weg zu seinen Schätzen zu bauen. Saras Oma merkte das natürlich. Sie zwinkerte Nele zu und lächelte verschmitzt.

»Das war schön«, sagte Timmi, als sie Hand in Hand nach Hause wanderten. »Ich hab ganz dolle oft gewonnen.«

»Ja«, sagte Nele, »du bist ein richtig schlauer kleiner Junge.« Sie blickte stolz auf ihn hinab.

»Ich will auch so eine Oma wie die Sara-Oma«, sagte Timmi. Und, nach ein paar weiteren Schritten: »Meine ist so krank, die kann nicht mehr spielen. Warum hast du keine?«

»Ich hab eine«, sagte Nele. »Aber die spielt nicht mit Kindern.« Ihre Oma, Mamas Mutter, lebte weit weg in München, aber meistens war sie auf Reisen. Sie war eine »junge Alte«, hatte Neles Mutter einmal gesagt. Nele fand, sie war eine »doofe Alte«. Sie dachte nämlich immer nur an ihr eigenes Vergnügen, und für Nele und Timmi interessierte sie sich gar nicht richtig. Nee, eine echte Oma war die nicht!

Leider. Nele hätte auch zu gern eine Oma wie Sara gehabt. Eine, die Würstchen briet und Schals strickte und manchmal alle blöden Regeln entschärfte. Und – noch besser! – eine, die mit Timmi spielte, damit Nele auch einmal Zeit für sich hatte.

Mann, ja! Wenn sie so eine Oma hätte, dann wäre es auch egal, wenn Mama weiterarbeitete und Ron wegfuhr. Dann hätte Nele keine Doppelbelastung mehr. Und Ron könnte vielleicht sogar Frau Werner entlassen. »Weißt du was?« Nele drückte entschlossen Timmis Hand. »Ich suche uns eine!«

»Eine was?«

»Eine Oma. Eine richtig liebe, die Kinder gern hat.«

»Wo?«

Tja, das war die Hunderttausend-Euro-Frage. »Mal sehen«, sagte Nele vage. »Mir fällt schon was ein.«

Timmi trabte nachdenklich neben ihr her. »Warum nehmen wir nicht einfach die Park-Oma? Die mit den Kamelbonbons. Die war doch lieb.«

Ja, und wie! Timmi und Nele hatten sie vor einem halben Jahr im Park kennengelernt, wo sie nachmittags immer mit ihrem Hündchen Fussel spazieren gegangen war. Sie hieß Anneliese Fink und hatte immer Karamellbonbons für Timmi in der Tasche gehabt. »Aber sie ist doch weg, Timmi«, sagte Nele. »Wir haben sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Außerdem – sie hat schon fünf Enkel, da kann sie uns nicht auch noch gebrauchen.«

Timmi schwieg, bis sie vor Neles Haustür angelangt waren. »Fünf ist nicht viel«, sagte er dann plötzlich. »Ich hab zwanzig kleine Autos. Und ich wünsch mir noch ganz viele.«

Nele lachte. »Kleine Autos ist etwas anderes als kleine Enkel. Kleine Autos kann man in eine Kiste packen, wenn man keine Lust mehr hat, mit ihnen zu spielen. Aber Enkel? – Möchtest du in eine Kiste gepackt werden?«

Timmi überlegte. »Nee. Dann such uns doch lieber 'ne andere Oma. Aber 'ne gute. Mit Kamelbonbons.«

Seufzend schloss Nele die Haustür auf. Das würde bestimmt nicht leicht werden.

»Ich will Kakao«, erklärte Timmi und steuerte die Küche an. Nele seufzte noch einmal. Sie wollte endlich in ihrem Buch weiterlesen. Gestern hatte Mama, gerade als sie an der spannendsten Stelle gewesen war, das Licht ausgeknipst. Doch solange Timmi da war, konnte sie das Weiterlesen natürlich vergessen. Nein, wirklich, hier musste unbedingt eine Oma her! Und zwar eine supergute!

2. Kapitel

Als Sara und Nele am nächsten Morgen in die Klasse kamen, war der Teufel los. Sven stand auf einem Tisch und ließ über seinem Kopf ein Handtäschchen am ausgestreckten Finger kreisen. »Hey, Patrick!«, rief er übermütig, und das Täschchen segelte durch die Luft, direkt in Patricks Arme. Der schleuderte es zu Leon hinüber. Leon fing es am Henkel, ließ es zwischen spitzen Fingern baumeln und stolzierte hüftwackelnd durch die Klasse, die Nase in der Luft.

Die Klasse johlte.

Barbie rannte auf Leon zu und entriss ihm das Täschchen. »Lass das, du blöder Kerl! Du hast wohl gar keine Manieren!«, kreischte sie, aber ihre Stimme zitterte dabei hörbar.

Das Gejohle steigerte sich zu unbändigem, lärmendem Gelächter.

»Hast du das gehört, Leon?«, japste Lisa. »Du hast keine Manieren! Schäm dich!«

Julia stemmte mit gespieltem Entsetzen die Hände in die Hüften. »Na, na, na, Barbie! So reden wir hier aber nicht! – Blöder Kerl! Wo hast du denn solche Kraftausdrücke gelernt?«

Sven, der inzwischen vom Tisch geklettert war, umkreiste Barbie mit einem hämischen Grinsen und zupfte an ihrer weißen Bluse. »Pass bloß auf, dass du dich nicht schmutzig machst, wenn du solche Wörter in den Mund nimmst, du kleine Scheißzicke!«

Barbie fuhr herum und wollte sich mit ihren langen Fingernägeln auf Sven stürzen. Doch der wich geschickt aus, und Barbie stolperte über einen Stuhl. Sie landete auf allen vieren, ihr Faltenrock bauschte sich und gab den Blick auf rosa geblümte Unterhosen frei.

Patrick stieß einen Pfiff aus. »Ganz schön sexy, Barbie!«

Die anderen umringten Barbie, die mit hochrotem Kopf auf dem Fußboden hockte, ihren Rock über die Beine zerrte und die Laufmasche untersuchte, die sie sich in ihre Strumpfhose gerissen hatte. »Den Schaden musst du mir bezahlen«, schrie sie Sven an, »du ... du ... du Rowdy!«

Wieder brachen alle in ohrenbetäubendes Gelächter aus, das jedoch sofort verstummte, als Mathe-Meiers Stimme durch das Chaos dröhnte: »Was ist denn hier los? Bin ich im Kindergarten gelandet?«

Blitzschnell wuselten alle auf ihre Plätze.

»Hausaufgabenvergleich, aber ein bisschen plötzlich!«, dröhnte es weiter, noch bevor der Letzte saß. »Nele, du fängst an!«

Nele blätterte nervös in ihrem Heft, bis sie die richtige Seite fand. Neununddreißig!«, rief sie dann erleichtert.

»Neununddreißig was? Zirkusaffen?« Mathe-Meier wippte böse auf den Zehenspitzen.

»Neununddreißig Euro. Ein Zentner Kies kostet neununddreißig Euro«, sagte Nele.

»Hm.« Mathe-Meier hörte auf zu wippen und guckte etwas wohlwollender. »Julia, die nächste Aufgabe.«

Nele lehnte sich zurück. Wenn Mathe-Meier nicht gerade seinen ganz fiesen Tag hatte, würde er sie erst einmal in Ruhe lassen. Verstohlen blickte sie zu Barbie hinüber. Die saß, Dauerwelle intakt, das Röckchen adrett um die Knie gebauscht, an ihrem Tisch. Vor ihr stand das Täschchen, das inzwischen ein bisschen zerschrammt aussah. Was sie da wohl drinhatte? Puderdose und Lippenstift?

Nele schüttelte angewidert den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Matheaufgaben. Sara und sie hatten alles richtig, und das beflügelte Nele so, dass sie sich in der Stunde ganz oft meldete und sogar freiwillig an die Tafel ging, um vorzurechnen. So handfeste Rechenaufgaben, fand sie, waren eigentlich etwas richtig Gutes. Es gab nur Falsch oder Richtig, und das gefiel ihr.

In der großen Pause ging das Theater um Barbie gleich weiter. Sven hatte sich inzwischen etwas Neues einfallen lassen. Als Barbie, ihr Handtäschchen am Arm, die Treppe hinabstöckelte, marschierte er, die Brust herausgedrückt, neben ihr her wie ein Bodyguard. »Platz!«, trompetete er mit tiefer Stimme. »Platz für die Prinzessin! Hier kommt Prinzessin Barbie von Polynesien! Platz für die Prinzessin!«

Ein paar ältere Schüler blieben stehen und lachten.

Barbie stakste die Treppe hinunter, ohne rechts und links zu blicken, und verschwand schnell in der Mädchen-Toilette.

Sven blickte sich suchend um. »Hey, Julia!«, rief er dann. »Geh mal nachgucken, was sie macht! Nicht, dass sie sich mit ihrem Lippenstift aus Versehen die Augen aussticht!«

Julia und ein paar andere Mädchen stießen kichernd die Klotür auf.

Nele zog Sara mit sich. »So 'ne Attraktion ist die nun auch nicht! Komm, ich muss mit dir reden, ich hab ein Problem.«

Sie hockten sich auf eine der neuen Bänke, die in den Ferien aufgestellt worden waren. Zu nah an den ebenfalls neuen Tischtennisplatten, ganz ruhig war es hier auch nicht. Aber immerhin hatten sich die Lehrer mal etwas einfallen lassen, nachdem sie entdeckt hatten, dass sich immer mehr Schüler auf den Lehrerparkplatz verkrümelt hatten, um ein bisschen Ruhe zu haben. Jetzt schoben sie da draußen ständig Wache, da war es besser, man blieb im erlaubten Gelände.

»Was hast du denn für ein Problem?«, fragte Sara. »Haben deine Mutter und Ron sich gestritten? Wegen dieser Emanzo...?«

Emanzipation«, sagte Nele ungeduldig. »Nee, das haben sie, glaube ich, abgehakt. Jedenfalls reden sie darüber nicht mehr so oft. Überhaupt, die beiden sind ein Herz und eine Seele. Das ist ja mein Problem.«

»Bitte?« Sara sah Nele aus großen Augen an. »Genau das wolltest du doch immer.«

»Ja, aber ...«, Nele klemmte die Hände unter ihre Oberschenkel, »... aber jetzt turteln sie ja nur noch rum, das ist echt heftig. Stell dir mal vor, gestern, als ich mit Timmi gerade zu Hause war, kam Mama auch bald, aber sie hatte gar keine Zeit für uns. Sie ist sofort unter der Dusche verschwunden, hat sich fein gemacht und ist zum Bahnhof gedüst, um Ron abzuholen. Und dann hat sie angerufen, dass sie später kämen, wir sollten uns einfach Pizza bestellen.«

Echt?« Sara konnte es kaum glauben. »Das hat deine Mutter gesagt? Die Fast-Food-Hasserin?«

Nele nickte niedergeschlagen. »Und Timmi sollte bei uns schlafen, also habe ich ihm den ganzen Abend vorlesen müssen. Das kleine Gespenst, das kann ich inzwischen rückwärts!«

»Du Ärmste!« Sara seufzte mitfühlend. »So ein kleiner Bruder ist auch 'ne Plage, was?«

»Nee«, sagte Nele und guckte auf ihre baumelnden Beine. »Er ist ja süß. Aber ich habe überhaupt keine Zeit mehr für mich. Darum brauche ich eine Oma.«

»Eine Oma?«, wiederholte Sara verdattert.

»Ja, eine Oma! Und jetzt such ich uns eine, das kann ja nicht so schwer sein. Omas gibt es doch wie Sand am Meer, überall laufen welche rum! Brauchst bloß mal nachmittags ins Café Reupke zu gucken, da sitzen Hunderte von Omas!«

»Wie? Und da willst du von Tisch zu Tisch gehen und sie fragen: Wollen Sie meine Oma werden? Zeigen Sie mir mal Ihre Zeugnisse!«

Nele lachte. »Das wär gut, wenn es Oma-Zeugnisse gäbe! Bratwurst-Braten: eins. Kleine-Jungs-Beschäftigen: eins. Schal-Stricken: eins.«

Sara griff den Faden auf: »Gegen-Klavierunterricht-Sein: eins.«

Nele rutschte ein wenig näher an ihre Freundin heran. »Mann, ja, das wär klasse. Aber so einfach ist das wohl nicht. Darum hab ich mir überlegt, dass ich einen Oma-Test erfinden muss. Und dabei musst du mir helfen!«

Sara starrte sie an. »Und wie soll der aussehen?«

»Na ja, ich weiß noch nicht genau, irgendwie hatte ich gedacht ...«

»Hallo, ihr zwei!« Barbie ließ sich neben Sara auf die Bank fallen. »Eure Klassenkameraden sind sehr kindisch, nicht wahr? Darum wollt ihr auch nichts mit ihnen zu tun haben, nehme ich an. Ich habe beschlossen, dass ihr meine Freundinnen werden dürft, ihr seid nicht so albern.«

»Oho!« Nele beugte sich vor und sah Barbie aus weit aufgerissenen Augen an. »Wir dürfen deine Freundinnen werden?«

»Ja«, erklärte Barbie hoheitsvoll. »Obwohl ihr arm seid. Ich habe mit meinen Eltern darüber gesprochen, und meine Mutter hat gesagt, dass ich euch sogar ein paar von meinen Kleidern geben darf, aus denen ich herausgewachsen bin. Ihr seid ja ziemlich klein.«

Nele hatte längst aufgehört, mit den Beinen zu baumeln.

»Und was ist«, fragte Sara merkwürdig gepresst, »wenn wir gar nicht deine Freundinnen sein wollen?«

»Dann wärt ihr schön blöd«, sagte Barbie entschieden. »Wir haben einen Pool im Keller, da können wir schwimmen. Der ist so groß, so was habt ihr noch nicht gesehen! Und ich würde euch auch an meinem Computer spielen lassen. Es ist das neueste Modell, unheimlich schnell. Mein Vater kauft für mich nämlich immer nur das Allerbeste, weil er mich so liebt. Und ...«

Nele erhob sich. »Vielen Dank, Barbie«, sagte sie und ihre Stimme klang, als sei ihre Zunge eingefroren, »aber das lassen wir lieber. Auf so eine Freundschaft legen wir keinen Wert.«

Auch Sara war aufgestanden. Ihre Augen blitzten. »Wir Armen bleiben lieber unter uns, weißt du«, erklärte sie und zog Nele mit sich.

Erst auf dem Nachhauseweg kamen sie dazu, sich in Ruhe über Barbies unmögliches Angebot zu unterhalten. »Die hat doch nicht alle Nadeln auf der Tanne!«, sagte Nele. »Was glaubt die denn? Dass man Freundinnen kaufen kann?«

»Und ihre ollen Kleider wollte sie uns andrehen!« Sara rollte mit den Augen. »Bevor ich so was anziehe, laufe ich lieber nackt herum!«

Nele musste plötzlich grinsen. »Wer weiß, vielleicht musst du das eines Tages sogar. Weil wir ja so arm sind!«

Sara konnte nicht darüber lachen. »Wenn ich das meiner Mutter erzähle, die geht glatt los und bringt diese blöde Ziege um!«

Nele kicherte immer noch. »Dann erzähl's ihr lieber nicht. Wär doch schade, wenn deine Mutter ins Kittchen wandern müsste, nur weil sie sich über diese Angeberzicke aufgeregt hat. Das ist die doch gar nicht wert.«

»Auch wieder wahr. Aber jedenfalls, was Sven und die anderen mit ihr machen, das gönne ich der doofen Kuh!« Sara war wirklich böse. »Und eins sag ich dir: Wenn die mir noch einmal blöd kommt, dann lasse ich mir auch etwas einfallen! Dann mache ich die so fertig, dass sie nicht mehr weiß, wo ihr Scheißpool steht!«

Nele lachte laut auf. »Mensch, Sara, nun bleib mal locker!« Sie legte den Arm um ihre Freundin. »Alles, was diese Barbiepuppe erzählt, ist doch Mist hoch drei. Nimm das doch nicht so ernst! Hier rein ...«, sie zeigte auf ihr rechtes Ohr, dann auf das linke, »... da raus, und zwar auf der Turbo-Durchzugsstrecke! Es lohnt sich doch gar nicht, darüber nachzudenken!«

Sara verzog das Gesicht. »Vielleicht hast du recht. Aber mich regt's trotzdem auf!«

»Ach, komm, nun vergiss das! Sag mir lieber, was wir heute Nachmittag machen«, sagte Nele aufmunternd.

Aber Sara war nicht aufzumuntern. Im Gegenteil, ihre Miene verfinsterte sich jetzt noch mehr. »Na, was schon? Schularbeiten, Klavierstunde, Kieferorthopäde. Wetten, der drückt mir jetzt doch Brackets auf?«

»Ach, du Ärmste«, sagte Nele bestürzt. »Kein Wunder, dass du so schlechte Laune hast.« Sie waren an der Ecke angelangt, an der sie sich trennen mussten. »Ruf mich auf jeden Fall heute Abend an. Ob du echt Brackets kriegst.«

Sara nickte düster, und Nele sah ihr traurig nach, als sie mit gesenktem Kopf davontrottete. Diese bescheuerten Klavierstunden, dass sie die auch immer wieder vergaß! Sie war ganz fest davon ausgegangen, dass Sara und sie heute Nachmittag zusammen etwas unternehmen würden. Und über den Oma-Test hatte sie auch noch mit ihr reden wollen.

Nele überlegte einen Moment, dann beschloss sie, Frau Meyerlink einen Besuch abzustatten. Die hatte so was, das heiterte einen immer auf.

So auch heute. Breit, rosig und strahlend stand sie inmitten der Obst- und Gemüseauslagen vor ihrem Laden und verschlang eine Jumbo-Laugenbrezel. »Nele«, rief sie erfreut, »wie schön, dich zu sehen! Du warst lange nicht mehr hier.«

Das stimmte. Neles Kochlust war in den letzten Wochen etwas eingeschlafen. Meistens aßen Mama und sie jetzt bei Ron und Timmi zu Abend. Man konnte gegen Frau Werner zwar eine ganze Menge sagen, aber kochen konnte sie. Sie buk das beste Brot, das Nele je gegessen hatte, und ihre Salate und Aufläufe waren auch nicht zu verachten. Aber heute, hatte Mama gesagt, würden sie zu Hause essen, nur Nele und sie. Und danach durfte Nele so lange lesen, bis ihr die Augen von selbst zufielen, das hatte ihre Mutter ihr versprochen. Allerdings glaubte Nele, dass sie das bloß gesagt hatte, weil ihr schlechtes Gewissen sie übermannt hatte, als Nele sich über gestern Abend beklagt hatte.

»Ich möchte was richtig Schönes kochen, Frau Meyerlink«, sagte Nele. »Für meine Mutter und mich.«

Frau Meyerlink hob augenzwinkernd den dicken, kurzen Zeigefinger. »Hast du etwas ausgefressen?«, fragte sie. »Brauchst du ein Gute-Stimmung-Essen?«

»Nein«, erwiderte Nele lachend. »Es ist bloß so: Wir wollen ein Frauen-Essen machen, wenn Sie wissen, was ich meine.«

Frau Meyerlink nickte. »Mutter und Tochter, das gefällt mir. Männer, sag ich immer, sind ja gut und schön, aber ständig braucht man sie auch nicht.« Sie wusste natürlich längst, dass Mama und Ron ein Paar waren, das wusste inzwischen jeder hier. Schließlich lebten sie nicht in New York. »Na «, Frau Meyerlink stopfte die Reste ihrer Laugenbrezel in den Mund und stapfte um die Apfelkisten, »dann wollen wir mal sehen. Kohl willst du wohl nicht, oder?«

Nele verzog das Gesicht.

»Also nicht. Aber sieh mal, die Champignons sind ganz frisch. Die könntest du mit Speck braten ...«

»Speck?« Nele sah schon Mamas alarmierten Gesichtsausdruck vor sich. »Geht auch was anderes?«

»Tja, Putenschnitzel vielleicht«, sagte Frau Meyerlink enttäuscht. Doch dann hellte sich ihr Gesicht wieder auf. »Genau! Die schneidest du in feine Streifen, brätst sie in Butter, die Pilze auch, und dann gibst du ganz viel Petersilie dazu. Und Zwiebelwürfel. Und Sahne! Das schmeckt zu allem, Nudeln, Reis, Kartoffeln, was du willst.«

Nele nickte. »Ja, das ist gut. Geben Sie mir Champignons und Petersilie. Zwiebeln haben wir noch.« Statt Butter würde sie Olivenöl nehmen und saure Sahne tat's auch, wenn man aufpasste, dass sie nicht kochte. So viel hatte sie inzwischen gelernt, und sie wollte ja, dass Mama das Essen ohne Alarmlämpchenalarm genießen konnte.

Während Nele zuschaute, wie Frau Meyerlink die kleinsten, feinsten Champignons in eine Tüte sammelte, fragte sie: »Wissen Sie eigentlich, wo Frau Fink abgeblieben ist? Die mit dem Hündchen? Ich hab sie lange nicht mehr gesehen.«

Frau Meyerlink schüttelte den Kopf. »Ich auch nicht. Aber sie ist oft lange weg, das kenne ich schon. Bestimmt ist sie verreist und besucht ihre Kinder. Sie hat eine große Familie, weißt du?«

»Ja«, sagte Nele betrübt, »ich weiß. Fünf Enkel. Wissen Sie, wo die leben?«

Wieder schüttelte Frau Meyerlink den Kopf. »Nee, Frau Fink ist nicht so eine, die viel redet. Die bindet einem nicht gleich ihre ganze Lebensgeschichte auf die Nase, wenn sie bloß ein paar Möhren kauft. Andere dagegen ...« Frau Meyerlink legte die Tüte mit den Pilzen behutsam auf die Waage. »Also, da könnte ich dir Geschichten erzählen ...« Sie wackelte bedeutungsvoll mit dem Kopf.

Und?, hätte Nele am liebsten gefragt. Sind da auch Omas dabei, die Enkel suchen? Aber natürlich fragte sie das nicht. Sonst wüsste morgen gleich der ganze Ort, dass Nele eine Oma suchte. Frau Meyerlink nämlich war eine, die jede Menge Geschichten erzählte, wenn jemand bloß ein paar Möhren kaufte. »Können Sie's bitte anschreiben?«, fragte sie stattdessen.

»Aber gern, Herzchen! Und komm mal wieder öfter vorbei!« Frau Meyerlink griff in ihre Schürzentasche und zog eine Laugenkastanie hervor. »Für den Heimweg.« Sie schob sich selbst auch eine in den Mund und winkte Nele fröhlich hinterher.

Der Metzger schrieb auch an, er kannte Nele und ihre Mutter schon lange. Reis und Nudeln hatten sie noch. Trotzdem ging Nele beim Supermarkt vorbei. Da gab es ein Schwarzes Brett, auf dem alles Mögliche angeboten wurde: gebrauchte Kinderwagen, Nachhilfestunden, zu klein gewordene Inlineskater, ein Zwergkaninchen, fast neue Winterreifen.

Nele allerdings achtete nur auf Zettel, auf denen Gesuche standen. Und sie hatte Glück: Ältere Dame sucht Putzhilfe war zu lesen. Und: Wer kauft für eine ältere, gehbehinderte Frau ein? Nele schrieb sich beide Telefonnummern auf. Gehbehindert, fand sie, war nicht schlimm. Schließlich suchte sie keine Oma, die mit Timmi Fußball spielen sollte. Das konnte Nele selber tun. – Oh, da entdeckte sie noch etwas: Gesellschafterin für ältere Dame gesucht. Stundenweise, gerne nachmittags, gute Bezahlung. Das war gut! Die war einsam, die hatte nachmittags Zeit, und Geld für Timmis Kamelbonbons hatte sie bestimmt genug.

Nele lief schnell nach Hause, verstaute ihre Einkäufe im Kühlschrank und machte sich in Windeseile an die Hausaufgaben. Um halb vier war sie fertig. Perfekt! Das war genau die richtige Zeit, um fremde Omas anzurufen.

Nele probierte es zuerst bei der einsamen Dame. Aber die war nicht zu Hause. Vielleicht, dachte Nele, ging sie nachmittags immer ins Café Reupke, solange sie noch keine Gesellschaft hatte. Leisten konnte sie es sich bestimmt.

Danach wählte sie die Nummer der Putzhilfensuchoma. Die meldete sich gleich nach dem ersten Klingeln: »Berger?«

»Guten Tag, Frau Berger.« Neles Mund war plötzlich ganz trocken. »Sie suchen eine Putzhilfe?«

Pause am anderen Ende. »Ja, aber ...«, kam es schließlich, »bist du nicht noch ein Kind? Wie alt bist du denn?«

»Dreizehn«, log Nele. Die zwei Jahre! Schließlich gab es verflixt kleine Dreizehnjährige.

»So, aha.« Die Oma schluckte. »Und du willst bei mir putzen? Was sagen denn deine Eltern dazu?«

Oje, auf solche Fragen war sie ja gar nicht vorbereitet! Am Ende wollte die Frau noch mit Mama sprechen! »Die finden das gut«, sagte Nele schnell. »Meine Mutter putzt auch, von morgens bis abends. Wir brauchen das Geld, wissen Sie.« Nele schickte in Gedanken einen flüchtigen Gruß an Barbie. Auf die Idee wäre sie ohne die nie gekommen.

»Ach Gott, ach Gott«, sagte die Stimme am anderen Ende. »Geht es euch so schlecht, dass deine Eltern dich zum Arbeiten schicken müssen?«

»Ja«, sagte Nele kläglich. »Seit mein Vater arbeitslos ist ...« Lügen hin oder her, erst einmal musste sie schließlich an diese Oma herankommen, dann konnte sie ihr immer noch die Wahrheit sagen. Und dann würde die sich bestimmt freuen, dass Nele gar nicht so arm war.

»Ach Gott, Kindchen, das tut mir so leid ...« Frau Berger klang wirklich mitleidig. »Dann komm mal vorbei, vielleicht hab ich etwas für dich. Wie wär's denn übermorgen, sagen wir so gegen drei?«

Übermorgen? Nele hatte sich vorgestellt, dass sie sofort vorbeikommen konnte. »Ja, gern, danke«, sagte sie enttäuscht. Und dann fiel ihr noch etwas ein: »Wo wohnen Sie denn?«

Die Frau nannte ihr die Adresse. Holunderweg 14. Das war ganz in der Nähe von Rons Haus am Ginsterweg, in der Gegend standen nur so alte Villen. Bei dem Gedanken, in so einem Riesenhaus putzen zu müssen, wurde es Nele ganz schlecht. Aber es war ja nicht für immer, fiel ihr dann ein. Sie waren ja gar nicht arm, sondern sie suchte nur eine Oma.

Weil der Nachmittag immer noch so lang und leer vor ihr lag, versuchte sie es gleich danach bei der gehbehinderten Oma. Auch die meldete sich sofort. Michalski hieß sie, und sie klang richtig nett. »Dein Anruf kommt wie gerufen! Hast du heute noch Zeit?«

»Klar! Wenn Sie wollen, komme ich sofort!« Nele war begeistert.

Frau Michalski wohnte in der oberen Etage in einem Zweifamilienhaus im Zimmermannsweg. Es dauerte eine Weile, bis sie die Tür öffnete. Sie war klein und zierlich und stützte sich auf einen Stock.

Nele mochte sie auf Anhieb. Sie sah genau aus wie eine richtige Oma: blauer Pulli, weißer Kragen, Bügelfaltenhose. Graue Dauerwelle. Und ein ganz liebes Lächeln.

Und sie hörte sich auch an wie eine richtige Oma: »Ach, Schätzchen, das ist ja reizend, dass du so schnell gekommen bist! Du bist ja noch ganz aus der Puste! Komm erst mal herein. Möchtest du ein Glas Apfelsaft?«

Nele folgte ihr in eine blitzsaubere Küche.

»Weißt du«, sagte die alte Dame, als sie sich am Küchentisch gegenübersaßen und Nele den Saft trank, »dies ist ein kleiner Notfall. Meine Tochter und ihr Mann sind im Urlaub. Sie wohnen unten. Normalerweise kaufen sie für mich ein. Aber jetzt hat sich meine andere Tochter mit ihren Kindern für morgen angesagt, und da habe ich nichts Rechtes im Haus. Darum habe ich meine Nachbarin heute Morgen gebeten, den Zettel auszuhängen, so auf gut Glück. Zur Not hätte ich mir die Sachen ja auch vom Supermarkt liefern lassen können, aber da ist das Fleisch nicht so gut und das Gemüse ist auch nie so frisch wie bei Frau Meyerlink.«

Nele ahnte es schon: Diese Frau hatte zig Enkel. Und einsam war sie auch nicht. Sie brauchte wirklich nur jemanden, der für sie einkaufte. Aber nun konnte Nele nicht mehr Nein sagen. Frau Meyerlink und der Metzger wunderten sich ein wenig, sie heute zum zweiten Mal zu sehen. »Kleiner Nebenjob«, sagte Nele verlegen und schleppte Tonnen an Obst, Fleisch und Gemüse in Frau Michalskis Küche.

»Du bist ein Schatz, Kleine«, sagte die strahlend und drückte ihr fünf Euro in die Hand. »Lässt du mir deine Telefonnummer hier, falls ich dich noch einmal brauche?«

Nele lächelte lieb. »Lieber nicht«, sagte sie. »Meine Mama erlaubt das eigentlich nicht. Ich brauchte nur dringend Geld für ... für einen Schulausflug. Wir ... wir sind nämlich ein bisschen arm, wissen Sie.«

Frau Michalski steckte Nele, ehe die sich's versah, noch einmal zwei Euro zu. »Na, dann wünsche ich dir einen ganz schönen Ausflug«, sagte sie lächelnd. Nele sah das Mitleid in ihren Augen und hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen.

Zu Hause stopfte sie die sieben Euro ganz schnell in ihr Sparschwein. Irgendwie kam es ihr vor, als hätte sie das Geld geklaut, obwohl sie dafür ganz schön geschuftet hatte. Egal. Am besten war es, einfach nicht mehr daran zu denken.

Gerade als sie den Reis in das sprudelnd kochende Wasser gekippt hatte, klingelte das Telefon. Sara. Sie klang richtig glücklich. »Er will noch warten! Ich soll in einem halben Jahr wiederkommen! Ist das nicht super?«

Nele freute sich mit. Ein halbes Jahr, das war eine Ewigkeit!

»Und weißt du, wen ich im Wartezimmer getroffen habe?« Saras Stimme kiekste vor Begeisterung. »Barbie! Sie hat die ganze Fresse voller Brackets!«

»Echt?« Jetzt freute Nele sich noch mehr.

«Ja, aber pass auf, jetzt kommt's!« Saras Stimme überschlug sich vor Begeisterung. »Die hat sich Strasssteinchen draufkleben lassen! Hat sie mir gezeigt! Sie war superstolz, dabei sieht es oberblöd aus!« Sara kriegte sich kaum noch ein vor Gekicher.

»Na, deine Laune hat sich ja anscheinend mächtig gebessert«, bemerkte Nele.

»Ja, klar!« Sara gluckste immer noch. »Und was hast du heute gemacht?«

»Och, nichts Besonderes«, sagte Nele. Wenn sie Sara jetzt von ihrer missglückten Oma-Suche erzählte, würde die sich bloß schlapp lachen.

In der Küche zischte es. »Verdammt, mein Reis!« Nele verabschiedete sich schnell von Sara und rannte in die Küche.

3. Kapitel

Natürlich war Barbie mit ihren Strasssteinchen-Brackets der Hit in der Schule. Sogar Schüler aus den Nachbarklassen kamen in der Pause, um sie anzugucken – wie ein Zirkuspferd, dachte Nele. Ihr wäre es grottenpeinlich gewesen, wenn man um sie so viel Aufhebens gemacht hätte.

Barbie aber genoss die Aufmerksamkeit. Sie merkte anscheinend gar nicht, dass alle hinter vorgehaltener Hand über sie lachten, und als Julia »Glimmerfresse« zu ihr sagte, lächelte sie nur. »Du bist ja bloß neidisch«, sagte sie und warf den Kopf zurück.

Der Name blieb hängen. Niemand sagte mehr Barbie zu ihr, alle nannten sie nur noch Glimmerfresse. »Guck mal, da kommt Glimmerfresse!«, brüllte Sven auf dem Schulhof und kickte seinen Fußball mit voller Kraft in eine Pfütze, sodass Barbies hellblauer Rock lauter schmutzige Sprenkel abkriegte.

Barbie sprang zur Seite. »Meine Mutter schickt dir die Rechnung für die Reinigung! Sie hat gesagt, wenn du mich noch einmal ärgerst, geht sie zu deiner Mutter! Und zu Frau Schmalbach!« Sie klang wütend, Nele aber sah, dass sie am liebsten geheult hätte.

Sven hielt einen Moment inne und sah sich unbehaglich nach seinen Freunden um. Er hatte ständig Ärger, neuen konnte er wirklich nicht gebrauchen.

Doch Leon war sofort zur Stelle: »Was hat er dir denn getan, Glimmerfresse? Ich habe nichts gesehen.«

»Ich auch nicht«, behauptete Patrick und schlunzte den Ball noch einmal durch die Pfütze. Barbies Rock sah jetzt wirklich erbarmungswürdig aus.

Sara kicherte schadenfroh. »Geschieht ihr recht!«, bemerkte sie zufrieden.

Nele wandte sich ab. »Ich hol mir mal 'ne Waffel, kommst du mit?«, fragte sie Sara. Sie verstand die ganze Aufregung nicht. Klar, Barbie war saublöd, aber um blöde Leute machte man am besten einfach einen großen Bogen. Alles andere kostete bloß Nerven. »Hast du heute Nachmittag Zeit?«, fragte sie, als Sara und sie in der Kiosk-Schlange standen.

»Ja. Komm doch nach der Schule gleich mit zu mir, heute geht das noch mal. Abends kommen meine Mutter und Carsten zurück, dann ist das feine Leben erst mal wieder vorbei.«

»Schade.« Nele seufzte tief. Also, eins war mal klar: Sie würde sich eine Oma aussuchen, die immer in Reichweite war. So eine reine Besuchsoma war auch nicht das Wahre.

Am Nachmittag kuschelten Sara und Nele sich auf Saras Bett. Saras Oma hatte ihnen Kakao gekocht und selbst gebackene Kekse hingestellt, Cookies mit riesigen Stücken Schokolade drin. »Also«, sagte Nele mit vollem Mund und wischte sich die Krümel vom Kinn, »in Kekse-Backen kriegt deine Oma auch eine Eins.«

»Hast du dir schon was überlegt für deinen Oma-Test?«, fragte Sara.

Nele schüttelte den Kopf. »Mir fällt einfach nichts ein. Ich meine, ich kann ja so einer Test-Oma nicht einfach meinen blöden Sechs-Zentimeter-Schal in die Hand drücken und sagen: ›Nun zeigen Sie mal, was Sie können.‹ Und wenn sie drei Reihen gestrickt hat, reiße ich ihr das Teil wieder aus der Hand und sage: ›So, und nun Kekse backen!‹«

Sara lachte. Aber sie wurde schnell wieder ernst. »Weißt du, ich glaube, es ist gar nicht so wichtig, was eine Oma kann, sondern mehr, wie sie ist. Das ist genau wie bei Männern.«

»Bei Männern?« Nele sah verblüfft auf. »Seit wann kennst du dich mit Männern aus?«

»Ich meine das mehr so theoretisch«, erklärte Sara. »Neulich habe ich gehört, wie meine Mama sich mit ihrer Freundin Inge unterhalten hat. Weißt du, das ist die mit den langen blonden Haaren, die einen Mann sucht.«

Nele wusste sofort, wen Sara meinte. Diese Inge suchte schon ewig einen Mann, solange Nele denken konnte. Komisch eigentlich, sie war nämlich ganz hübsch. Aber Carsten hatte mal gesagt, dass sie nie einen finden würde, gerade weil sie so verzweifelt suchte. Er hatte gemeint, so was merken Männer zehn Kilometer gegen den Wind und dann drehen sie ganz schnell ab. Weil eine Frau, die ihnen wie ein reifer Apfel in die Arme fällt, ihren Jagdinstinkt nicht reizt.

»Also, pass auf«, sagte Sara, »diese Inge hat jetzt eine Kontaktanzeige aufgegeben, da haben ihr massenweise Männer geschrieben. Und jetzt weiß sie nicht, wie sie den richtigen aussuchen soll. Mama hat gesagt, sie soll sie sich auf jeden Fall ganz genau angucken und nach versteckten Macken suchen. Manchmal, hat sie gesagt, sind es erst nur Kleinigkeiten, aber die können einem nach einer gewissen Zeit mächtig auf die Nerven gehen. Darum muss man sich bei allem, was der andere sagt und tut, immer fragen, ob man das in ein paar Jahren auch noch ertragen kann. Und«, sie wickelte eine von Neles dicken, braunen Haarsträhnen um den Finger, »ich glaube, so musst du das bei deiner Oma-Suche auch machen.«

»Was?« Nele fuhr herum, dass ihre Haare ziepten. »Eine Kontaktanzeige aufgeben?«

»Quatsch! Das lohnt nicht. Omas lesen keine Kontaktanzeigen.«

»Doch! Wenn sie einen Opa suchen.«

»Ja, aber nicht, wenn sie Enkel suchen«, sagte Sara. »Auf so eine Schnapsidee kommt doch kein Mensch. Und selbst wenn. Erstens ist so eine Anzeige viel zu teuer, und zweitens sind neunzig Prozent der Antworten sowieso Schrott, hat Inge gesagt. Aber darum geht's ja auch gar nicht. Was ich meinte, ist, dass du die Omas ganz genau unter die Lupe nehmen musst.«

»Du meinst nach versteckten Macken?«, fragte Nele.

»Genau. Stell dir mal vor, du findest eine und die ist eigentlich total nett und kann sogar super stricken, aber sie will immer, dass du das auch anziehst, was sie strickt. Bei so einer kannst du sicher sein, dass sie 'nen Herzanfall kriegt, wenn du dich später zum ersten Mal schminkst.«

Nele überlegte. »Weil sie einfach zu trutschig ist, meinst du?«

»Ja.« Sara spielte noch immer mit Neles Haaren. »Aber das war nur ein Beispiel. Es kann auch was anderes sein. Jedenfalls glaube ich, dass es mehr Omas mit Macken gibt als ohne. Egal, erst einmal musst du ja überhaupt eine finden, die du testen kannst. Hast du dir schon überlegt, wie du das machen willst?«

»Na, sicher!« Nele stellte ihren Kakaobecher ab und setzte sich auf. »Ich hab schon drei. Na ja, jetzt nur noch zwei. Eine ist gestern gleich wieder ausgeschieden.«

Sara machte große Augen. »Erzähl!«

»Siehst du«, sagte sie dann, als Nele geendet hatte, »es ist wirklich wie bei Männern. Die guten sind immer schon vergeben, hat Inge gesagt.«

Nele pulte ein Schokoladenstückchen aus einem Keks. »Das glaube ich nicht. Ron war ja auch nicht vergeben. Und der ist gut.« Sara schnappte sich den letzten Keks vom Teller. »Na, und jetzt? Schwups«, sie stopfte sich den ganzen Keks auf einmal in den Mund, »ist er weg! Schneller, als Frauen wie Inge gucken konnten.«

Nele lachte. Ja, da hatten Mama und sie wirklich Glück gehabt! Man musste bei den Guten einfach den richtigen Moment erwischen, das war das Geheimnis. »Morgen gucke ich mir mal diese Frau Berger in der Villa an«, sagte sie zuversichtlich. »Am Telefon klang sie nett.«

Und sie war auch nett. Aber ihr Haus, das sah Nele sofort, war zum Gruseln. Da konnten zehn Putzfrauen nichts mehr ausrichten. Was Frau Berger brauchte, waren hundert Müllmänner. Überall standen Schränke und Regale, vollgestopft mit Kisten und Kästen und Schachteln, alles säuberlich beschriftet: Fotos Amrum stand da und Stoffreste klein und Skisocken Carl-Albrecht und Küchenmaschine II. Es war stickig vor Staub.

Nele folgte Frau Berger zögernd in das Wohnzimmer, das die alte Dame Salon nannte. Hier standen zwar keine Kästen, dafür unzählige kleine Beistelltische voller Krimskrams: alte Kerzen, verblasste Seidenblumen, verstaubte Puppen.

Frau Berger bot Nele Kakao in einer altmodischen Porzellantasse an. Mit Haut.

Nele versuchte, die Haut unauffällig mit dem Finger zur Seite zu schieben, sodass sie am Tassenrand kleben blieb. Einen Schluck zumindest musste sie trinken, sonst war das zu unhöflich.

Und du willst wirklich hier putzen, Kindchen?«, fragte Frau Berger besorgt.

Nele druckste. »Eigentlich doch nicht«, sagte sie verlegen. »Ich hab noch mal mit meiner Mutter darüber gesprochen, und sie hat es sich anders überlegt. Sie hat gesagt, ich soll lieber babysitten oder so. Putzen wär noch zu schwer für mich. Davon kriegt man's nämlich im Rücken.«

Frau Berger trank von ihrem Kakao. Die Haut schlabberte sie einfach mit weg.

Nele würgte. Sie stellte ihre Tasse ab und stand auf. »Es tut mir leid, dass Sie jetzt ganz umsonst auf mich gewartet haben, aber ...« Sie wollte bloß noch hier raus.

Zum Abschied drückte ihr Frau Berger ein Fünfzigcentstück in die Hand. »Ich hoffe, dein Vater findet bald wieder Arbeit«, sagte sie.

Nele rannte, so schnell ihre Füße sie trugen, den Holunderweg entlang und stoppte erst, als sie endlich vor Frau Meyerlinks Laden stand. »Äpfel!«, keuchte sie. »Ich brauche unbedingt Äpfel.«

Sie bekam drei für ihre fünfzig Cent, sie waren nicht sehr groß, aber saftig und süß. Gierig biss sie in den ersten. Aber das eklige Kakaohaut-Gefühl in ihrem Hals ging erst weg, als sie den zweiten verputzt hatte. Nach dem dritten war alles wieder gut. Auch der Staubgeruch, der sich wie mit tausend Milbenkrallen in ihrer Nase festgesetzt hatte, war verschwunden.

Nele atmete tief durch und machte sich auf den Weg zu Sara, um ihr Bericht zu erstatten. »Mannomann«, stöhnte sie und ließ sich auf Saras Bett fallen, »die Oma hatte keine versteckten Macken, nur offene. Mit Schildern dran!«

Sara kugelte sich vor Lachen, als Nele erzählte. Und auf einmal fand Nele diesen Ausflug in unbekannte Oma-Welten auch ziemlich komisch. Allerdings – wiederholen wollte sie ihn nicht.

»Los, komm, jetzt ruf noch mal die einsame Dame an«, schlug Sara vor. »Die Luft ist rein. Meine Mama kauft ein, und Carsten ist noch bei der Arbeit.«

»Und Linda?«, erkundigte Nele sich misstrauisch. Linda war Saras große Schwester, neugierig und eine echte Petze.

Aber Sara winkte ab. »Seit die mit Marcel zusammen ist, seh ich sie kaum noch. Der Typ ist zwar ein Vollaffe, aber ich hab ihm echt was zu verdanken. Linda interessiert sich keinen Fatz mehr dafür, was ich so treibe.«

Nele kniete sich auf die Matratze und faltete die Hände. »Dann lass uns beten«, sagte sie feierlich, »dass er uns immer und immer erhalten bleibt. Amen.«

»Amen«, sagte Sara ebenso feierlich. Sie war ganz ernst geworden. »Meinst du, dass das klappt? Dass Gott uns hilft?«

Nele war immer noch in Kicherstimmung. »Glaub ich nicht. Vollaffe und Vollzicke – wie soll das gut gehen?«

»Oder gerade?« Sara wollte die Hoffnung nicht aufgeben.

»Ja, warum nicht? Vielleicht auch gerade.« Nele war aufgestanden und grub in den Tiefen ihrer Jeanstasche nach dem Zettel mit der Telefonnummer der einsamen Oma.

Diesmal hatten sie Glück. »Ja, bitte?«, meldete sich eine supervornehme Stimme.

»Äh ... ja ... hallo ... hier ist Nele Bach. Ich ... ich habe Ihren Zettel im Supermarkt gesehen, dass Sie Gesellschaft suchen ...« Nele blinzelte Sara hilflos an.

Aus dem Hörer kam ein schepperndes Lachen. »Wie alt bist du denn, Kleine?«

»Elf«, sagte Nele tapfer. »Aber ich kann vorlesen und Mau-Mau spielen und ...«

Weiter kam sie nicht. »Das soll wohl ein Scherz sein«, sagte die Stimme nun schneidend. Und bevor Nele sich's versah, hatte die Frau auch schon aufgelegt.

Sara, die über Lautsprecher mitgehört hatte, grinste über das ganze Gesicht. »Weißt du, wer das war? Die Oma von Glimmerfresse! Wetten?«

Nele legte das Telefon zurück. »Scheint so, ja«, sagte sie enttäuscht. Irgendwie, fand sie, war das mit dieser Oma-Suche ganz großer Mist. Drei Omas an drei Tagen und alle ein Flop.

Vielleicht, überlegte sie auf dem Nachhauseweg, war es wirklich nicht das Richtige, so besessen herumzusuchen. Vielleicht musste man auf einen Zufall warten. Oder, noch besser, gar nicht mehr daran denken und gar nicht warten.

So war das mit Timmi und Ron ja auch gewesen. Natürlich hatte Nele sich immer einen kleinen Bruder gewünscht und einen Papa auch. Aber sie hatte nie danach gesucht. Timmi war ihr eines Tages ganz zufällig und im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße gefallen, mitsamt seinem kleinen blauen Fahrrad. Und dann hatte sich einfach alles so ergeben. Na ja, so einfach nun auch wieder nicht. Mama und Ron hatten es ihr ganz schön schwer gemacht, und Nele kriegte heute noch Herzklopfen, wenn sie an den Abend dachte, an dem Sara und sie ihre Mutter und Ron mit einem Drei-Gänge-Menü überrumpelt hatten.

Aber die Aufregung hatte sich gelohnt, dachte Nele zum hundertsten Mal, als sie am Ginsterweg ankam. Timmi flog ihr um den Hals. »Wir fahren weg«, rief er, »ganz weit! Bis ans Meer!«

»Wer?«, fragte Nele verblüfft.

»Nun geh dir erst einmal die Hände waschen, wir essen gleich«, sagte ihre Mutter und lächelte geheimnisvoll.

Ron hatte den Tisch gedeckt, und Neles Mutter servierte den Auflauf, den Frau Werner in den Ofen gestellt hatte, bevor sie nach Hause gegangen war. Nudelauflauf mit Lachs und Tomaten.

»Sind da runde Tiere drin?«, fragte Timmi und zog das Näschen kraus. »Wenn da runde Tiere drin sind, ess ich das nicht.«

Neles Mutter fuhr ihm durch das Strubbelhaar. »Keine Sorge, Timmi, ich habe Frau Werner gesagt, dass du keine Krabben magst.«

»Guuut!« Timmi betrachtete den dampfenden Auflauf zufrieden und leckte sich die Lippen. »Dann will ich was. Wenn's nicht krabbelt.«

»Garantiert nicht«, sagte Ron und tat ihm auf.

»Schade«, meinte Nele. Sie aß Krabben für ihr Leben gern.

»Nun«, schmunzelte ihre Mutter, »vielleicht kommst du bald auf deine Kosten. Übernächstes Wochenende fahren wir an die Nordsee.«

»Ja«, sagte Ron, »wir machen einen richtigen Familienausflug. Eigentlich wären wir ja gern in den Herbstferien mit euch weggefahren, aber da hatte ich einfach zu viel zu tun. Da ist dies wenigstens eine kleine Entschädigung. Oder hast du keine Lust?«

Nele kriegte Kulleraugen. »Keine Lust? Spinnst du? Ich find's ganz toll!« Sie sprang auf, lief um den Tisch und drückte erst Ron, dann ihre Mutter. Ganz fest.

»Ich auch!« Timmi streckte ihr die Ärmchen entgegen und schmatzte einen innigen Sahnesaucenkuss auf Neles Wange. »Wir fahren mit 'ner Pferdekutsche! Im Wasser! Hat Papa versprochen.«

Und genau das taten sie dann auch. Nele saß zwischen Mama und Ron ganz vorn in der alten, hölzernen Kutsche, Timmi hatte sich auf Mamas Schoß gekuschelt, und Nele konnte alle drei auf einmal festhalten. Sie kniff die Augen zusammen, sodass sie nur noch das Glitzern des sonnenbeschienenen Wattenmeers sah, und ihr wurde ganz schwindelig vor Glück.

»Uuh, guck mal, das Wasser geht den Pferden bis an den Bauch!«, rief Timmi aufgeregt. »Ertrinken die jetzt?«

»Nein«, sagte Ron, »das ist nur ein Priel, so eine Art Fluss im Watt. Siehst du, jetzt wird es schon wieder flacher.«

»Hmhm.« Timmi war enttäuscht. »Aber wenn sie ertrunken wären, hättest du sie gerettet, Papa.«

Ron lachte. »Klar! Ich hätte sie auf die Kutsche gehoben, und dann hätte ich euch alle durch die Fluten an Land gezogen.« Er zwinkerte seinem Sohn zu. »Kleinigkeit!«

Timmi nickte. »Siehst du«, sagte er zu Nele.

Die grinste zurück. Timmi traute seinem Papa alles zu, das fand sie prima.

»Ron, hör auf«, sagte Neles Mutter. »Du weißt doch, Ironie versteht er noch nicht. Kinder in dem Alter ...«

Nele stöhnte. »Och, Mama, jetzt werd bloß nicht moralisch!«

Ihre Mutter sah sie einen Moment lang verdutzt an, dann lachte sie. »Du hast recht, Süße, der Tag ist viel zu schön. Aber«, fügte sie mit einem Blick zu Ron hinzu, »darüber müssen wir noch mal reden.«

Ron streckte die Beine von sich, legte seinen Arm hinter Nele auf die Lehne und wuschelte durch Mamas Haar. »Ja«, sagte er und hielt sein Gesicht in die Sonne, »von mir aus. Irgendwann.«

Nachmittags spielten sie Minigolf, Frauen gegen Männer. Nele und ihre Mutter, die darin richtig gut waren, ließen Ron und Timmi gewinnen. Timmi hüpfte vor Freude wild auf und ab. »Ich hab als Einziger in das gelbe Ding da getroffen! Und in das gekringelte!«

Nele und ihre Mutter zwinkerten einander zu. Ron legte die Arme um ihre Schultern. »Dafür lade ich euch jetzt superfein zum Essen ein. Ihr entscheidet, wo.«

»Wenn wir schon hier sind, müssen wir natürlich in ein richtiges Fischrestaurant gehen«, sagte Neles Mutter. »Da gibt es auch was für Timmi, panierten Seelachs oder so etwas haben sie bestimmt.«

»Riesenfischstäbchen«, übersetzte Nele und Timmi strahlte.

»Also gut«, sagte Ron unternehmungslustig und schwang Timmi auf seine Schultern. »Dann essen wir im Strandhotel. Macht euch fein!«

Nele sah an sich herab. Ihre Jeans waren fleckig vom Salzwasser. »Ich hab nichts mit, um mich fein zu machen, nur noch eine andere Jeans.«

Ron nickte aufmunternd. »Das reicht. Du bist immer hübsch.«

Aber Neles Mutter schüttelte den Kopf. »Geh du schon mal ins Hotel und steck Timmi in die Badewanne. Nele und ich kommen nach.«

»So«, sagte sie, als die beiden gegangen waren, »jetzt werden wir mal übermütig!«

In einer kleinen Boutique an der Hauptstraße fanden sie einen wunderschönen, bunten Pulli für Nele, mit Glitzergarn. »Probier den mal dazu«, sagte ihre Mutter und hielt ihr einen knallroten Blazer hin.

Nele drehte sich entzückt vor dem Spiegel. Mit ihrer hellen Jeans würde das toll aussehen.

Aber ihre Mutter runzelte die Stirn. »Hast du eigentlich noch andere Schuhe eingepackt?«

Nele guckte auf ihre Turnschuhe. Sie waren einmal weiß gewesen. »Nö, wieso? Ich hab keine anderen, die mir passen.«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960530732
Dateigröße
2.1 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Großmutter Humor Patchwork Geschwister Freundschaft Familie Kinderbuch ab 10 Jahre für Mädchen eBooks
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Titel: Neles Welt - Band  2: Das Oma-Projekt
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