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Liebe heißt Chaos

Roman

©2016 146 Seiten

Zusammenfassung

Erwachsen werden ist nicht schwer – erwachsen sein dagegen sehr: „Liebe heißt Chaos“ von Susanne Oswald jetzt als eBook bei jumpbooks.

Hach, Chris! Süßer, süßer Chris! Franzi ist fast 16 und schon lange in den großen Bruder ihrer besten Freundin verliebt … Nun, endlich, sind sie ein Paar! Aber wer hätte gedacht, dass jetzt nichts einfacher, sondern alles noch viel komplizierter wird? Denn Franzi muss nicht nur mit ihrem eigenen Liebesleben klarkommen, sondern auch noch mit dem ihrer anhänglichen Single-Mutter. Die ist nämlich gerade selbst bis über beide Ohren verknallt – will sich das aber nicht so richtig eingestehen. Franzi muss es irgendwie schaffen, ihre Mutter an den Mann zu bringen! Doch um die nächste Ecke wartet schon ein weiteres Liebeschaos …

Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Liebe heißt Chaos“ von Susanne Oswald. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Hach, Chris! Süßer, süßer Chris! Franzi ist fast 16 und schon lange in den großen Bruder ihrer besten Freundin verliebt … Nun, endlich, sind sie ein Paar! Aber wer hätte gedacht, dass jetzt nichts einfacher, sondern alles noch viel komplizierter wird? Denn Franzi muss nicht nur mit ihrem eigenen Liebesleben klarkommen, sondern auch noch mit dem ihrer anhänglichen Single-Mutter. Die ist nämlich gerade selbst bis über beide Ohren verknallt – will sich das aber nicht so richtig eingestehen. Franzi muss es irgendwie schaffen, ihre Mutter an den Mann zu bringen! Doch um die nächste Ecke wartet schon ein weiteres Liebeschaos …

Über die Autorin:

Susanne Oswald, Jahrgang 1964, lebt mit Mann und Mops in Neuried, zwischen Elsass und Schwarzwald. Hier schreibt sie und erlebt in ihrer Fantasie so manches Abenteuer. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie eine Senfmanufaktur, die Senferia. Sie träumt von fünf Ziegen und zwei Alpakas, erntet gerne selbst gesäte Tomaten und findet zwischen Steinen und Pflanzen immer wieder neue Geschichten, die erzählt werden wollen. Sobald ihr ein Fundstück in die Hände fällt, setzt sie sich an ein ruhiges Plätzchen und fängt an zu tippen.

Die Autorin im Internet: www.susanneoswald.de und www.facebook.com/AutorinSusanneOswald

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eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright © der Originalausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Titelbildmotiv: Thinkstockphoto/Hemera/istock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-076-3

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Susanne Oswald

Liebe heißt Chaos

Roman

jumpbooks

1. Kapitel
Panik vom Feinsten

Chris. Oh, mein süßer Chris. Es fühlte sich so gut an, in seinen Armen zu liegen. Was für ein Glück, dass ausgerechnet meine beste Freundin Lotte so einen schnuckeligen Bruder hat! Genüsslich kuschelte ich mich an seine Brust. Genau so hatte ich es mir vorgestellt: unser erstes Mal! Alles war perfekt. Beinahe hätte ich wie ein zufriedenes Kätzchen geschnurrt.

Seine Hände waren so zärtlich. Sanft berührte er meine Wange und beugte sich zu mir herunter. Ich konnte seinen Atem spüren. Leise flüsterte er mir Koseworte ins Ohr, knabberte an meinem Ohrläppchen und ließ mich wohlig erschauern.

»Franzi, aufwachen. Ich muss mit dir sprechen!«

Meine Hirnwindungen waren zäh wie Kaugummi, und Moms Stimme drang nur langsam in mein Bewusstsein. Ich brummte und drehte den Kopf weg. Nicht stören! Ich kuschle gerade.

Schon rüttelte sie an meiner Schulter.

»Franzi, los jetzt, wach auf! Es ist wichtig!«

Hätte mir eigentlich klar sein müssen, dass Ignorieren nichts bringen würde.

Okay.

Okay, okay, okay.

Eine kluge Tochter weiß, wann sie verloren hat, und mein wunderbarer Traumchris hatte sich ohnehin inzwischen verabschiedet. Zu schade! Aber gleich nachher würde ich den echten Chris küssen, da konnte ein Traum sowieso nicht mithalten. Ich würde mit den Fingern die Konturen seines Gesichts nachfahren, zärtlich in die Tiefe seiner Wangengrübchen stupsen und meine Hände über seinen Hals ganz langsam …

»Franzi, hey!« Wieder ein Schulterrüttler. Weit entfernt von der Sanftheit, von der ich gerade träumte.

Ich seufzte.

Jetzt war Eva, meine Mom, gerade mal zwei Tage aus London zurück, und schon war es um meinen Schlaf schlecht bestellt. Also wirklich. Was konnte es so Wichtiges geben, dass es den Verlust meiner jugendlichen Schönheit wert war? Ich sage nur: Frühaufstehallergie.

Damit war nicht zu spaßen. Wenn es dumm lief, bekam ich Trillionen Pickel und sah in kürzester Zeit aus wie ein Streuselkuchen. Als ob ich das meinem Chris zumuten könnte. Das wäre nicht mal ein vegetarischer Leckerbissen – immerhin bin ich aus Fleisch und Blut. Und Chris ist Vegetarier durch und durch.

Genau wie ich.

Also fast – irgendwie.

Ursprünglich hatte ich geplant, die Zeit zu nutzen, in der meine Mutter in England weilte, um eingefleischte – hihi, ich muss immer noch über den doofen Wortwitz lachen – Vegetarierin zu werden. Eine bessere Gelegenheit hätte ich mir nicht wünschen können.

Mom ließ mich nämlich nie allein – bis auf dieses eine Mal. Volle zwei Wochen! Ich wurde wirklich erwachsen. Cool. Echt.

Okay, okay, im Laufe der momfreien Tage dann doch nicht komplett cool, und so erstrebenswert war es in Wirklichkeit gar nicht, erwachsen zu sein. Fast erwachsen genügte vollkommen. Das gab mir die Möglichkeit, die nervigen Seiten des Erwachsenseins nicht alle tragen zu müssen. Doof darfst du sein, du musst dir nur zu helfen wissen. Jetzt, nachdem die Wogen, die ich in der momfreien Zeit ausgelöst hatte, sich wieder als sanftes Alltagsplätschern präsentierten – Eva hatte den Haushalt wieder im Griff, und alles war im Lot –, könnte ich mir durchaus auch vorstellen, demnächst wieder ein bisschen Freiheit zu genießen.

Unterm Strich war es so schlecht ja doch nicht gewesen.

Dann könnte ich auch einen neuen vegetarischen Anlauf nehmen. So richtig sattelfest war ich leider immer noch nicht, wenn es um fleischlose Ernährung ging. Besonders, wenn die Duftschwaden frisch gekochter Hühnersuppe unter der Tür hindurch in mein Zimmer schlüpften, verlor mein Verstand doch immer wieder gegen meine Fleischeslust. Für den Genuss eines Tellers Hühnersuppe nahm ich die Last auf mich, eine Hühnermörderin zu sein. Pfui! Ja, ich schämte mich dafür. Aber nicht genug, um es zu lassen. Echt ein Wunder, dass Chris mich trotzdem mochte.

Überhaupt war das mit Chris und mir ein Wunder. Ich hatte mich ihm von meiner allerschlechtesten Seite präsentiert, hatte mich bei jeder Gelegenheit zum Oberdeppen gemacht und ihm dann auch noch – als Höhepunkt aller Romantik – quasi vor die Füße gekotzt. Und er? Liebte mich. Einfach so. Mit allen Peinlichkeiten.

Leider hatten wir kaum Gelegenheit gehabt, unsere Liebe auch auszuleben. Kaum waren wir zusammen, da war Moms Londonaufenthalt auch schon vorbei gewesen, und es war Schluss mit Freiraum.

Vielleicht konnte ich mit Gustav sprechen, damit er Mom wieder auf Geschäftsreise schickte? Immerhin hatte ich nach ein paar kleineren Anlaufschwierigkeiten das Leben als Hausherrin eigentlich ganz gut gewuppt. Ich meine, hey, für das Chaos konnte ich doch echt nichts. Immerhin hatten Trude und Erwin, unsere Goldfische, überlebt. Kater Paul auch. So what?

Vermutlich hatte ich bei Gustav aber schlechte Karten. Er war zwar Moms Chef, aber wenn es um sie ging, tanzten Herzchen in seinen Augen. Vermutlich würde er alles dransetzen, damit sie ganz und gar in seiner Nähe blieb.

Und ich wusste was, was Mom nicht wusste.

Ich war inzwischen hinter ihrem Rücken Gustavs Vertraute geworden. Wir hatten uns während ihrer Dienstreise angefreundet. Er hatte sogar bei mir um ihre Hand angehalten. Als großzügige Tochter musste ich ihm selbstverständlich die Erlaubnis erteilen. Schließlich durfte ich mich dem Glück meiner Mutter nicht in den Weg stellen. Ja, ich gebe es zu, ganz uneigennützig war meine Zustimmung nicht. Wenn Mom mit Gustav beschäftigt wäre, hätte sie nicht so viel Zeit, sich in mein Liebesleben einzumischen. Dass ich demnächst ein eigenes und höchst feines Liebesleben haben würde, stand außer Frage. Es sei denn, die Pickel durch die Frühaufstehallergie würden es verhindern. Und wieso? Nur weil Mom eine Panikattacke nach der anderen hatte.

Trotz früher Morgenstunde fuhr ein Blitz in meine müden Hirnwindungen.

Vielleicht wäre Gustav die Zweisamkeit ja was wert? So eine eigene kleine Franzi-Wohnung zum Beispiel?

Aber ob dafür fast erwachsen reichen würde? Von komplett erwachsen hatte ich die nächste Zeit die Nase voll.

Es war schon cool, dass ich mich seit Moms Heimkehr nicht mehr mit Müllabfuhrterminen und Katzenfutter rumplagen musste. Ich geb es zu, das Leben mit Mom, die mir notfalls den Hintern hinterhertrug, hatte durchaus auch Vorteile – zumindest, wenn eben diese Mom mir nicht gerade den Schlaf raubte.

Ich schickte den Ideenblitz wieder dorthin, wo er hergekommen war, und grub meine Nase tiefer ins Kissen.

»Fraaanziiii! Jetzt wach endlich auf!«

Mom rüttelte an meinem Arm.

Ächz! Beinahe wäre ich wieder weggeschlummert, aber gegen meine hysterische Mutter war kein Kraut gewachsen.

Träge hob ich den Kopf ein bisschen aus dem Kissen.

»Was denn? Können wir nicht später reden?« Ich blinzelte, kniff die Augen aber sofort wieder zu. Mom hatte für Festbeleuchtung gesorgt.

»Nein«, kam prompt ihre Antwort. »Jetzt. Wir müssen jetzt reden. Später bin ich vielleicht tot.«

Ihre Stimme zitterte.

Tot. Soso.

Seit Gustav ihr am Sonntag von der Ballonfahrt erzählt hatte, drehte Mom am Rad. »Ach du meine Güte« und »Gustav ist doch völlig verrückt« hatte ich in den letzten knapp zwei Tagen ungefähr eine Trillion Mal gehört. Von daher ließ mich die Ankündigung von Moms baldigem Ableben erst mal kalt.

»Kein Problem. Ich spreche auch mit dir, wenn du das Sterben hinter dir hast. Hauptsache, du lässt mich weiterschlafen.«

»Franzi!«

Ups. So klang echte Empörung. Zeit aufzugeben. Ich drehte mich mit einem Ruck um und setzte mich hin. Das grelle Licht der Deckenlampe stach mir in die Augen und zerstörte garantiert sämtliche Sehzellen. Nach 5,8 Sekunden ließ der Schmerz etwas nach.

»Also gut«, sagte ich und gähnte. »Ich bin wach. Was gibt es denn so Dringendes?«

Moms Blick flackerte.

»Franziska, du weißt, dass ich dich sehr, sehr liebe.« Sie nahm mein Gesicht in beide Hände und kam ganz nah an mich ran. Beinahe Nase an Nase. »Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben.«

Jaja, schon recht. Ich sagte nur: Gustav! Das heißt, nein, genau das sagte ich nicht, weil Mom ja keine Ahnung hatte, dass ich eine Ahnung hatte … also schwieg ich. Mom hingegen redete weiter.

Dabei wusste ich schon seit Monaten, dass ihre Gefühlsschmetterlinge Walzer tanzten. Inzwischen übten sie sogar den Hochzeitswalzer, nur Mom schnallte einfach null und nichts.

Sie saß da neben mir auf der Bettkante wie ein zusammengefallenes Soufflé.

»Wenn du darauf bestehst, dann sage ich selbstverständlich diese Ballonfahrt ab.« Sie knibbelte ihre Finger, und zwischen den Worten tanzte verzweifelte Hoffnung. Jetzt nahm sie mein Gesicht in ihre Hände und starrte mich an. Flehend.

Hallo? Wie bitte? Absagen? Gustavs und meinen wunderbaren Plan über den Haufen werfen?

Wir hatten Moms Geschäftsreise genutzt, um endlich mal Tacheles zu reden und die Liebe der beiden in die richtige Spur zu bringen. Es war nämlich so, dass Mom dachte, dass ich dachte, sie dürfe sich nicht mehr verlieben. Was für ein Quatsch.

In Mom hatte sich die Überzeugung festgesetzt, dass ich keinen Mann in ihrem Leben dulden würde. Echt jetzt. Erwachsene sind so unflexibel.

Eine verliebte Mutter war genau das Richtige für mich. Gerade jetzt, wo ich endlich meinen Traumtypen eingefangen hatte. Das war harte Arbeit, und ich gedachte, den Erfolg bis in den großen Zeh hinein auszukosten. Eine Mutter, die ihre Nase in mein Liebesleben steckte, konnte ich jetzt überhaupt nicht brauchen.

Gustav kam also genau richtig. Dann wäre sie mit eigenem Kram beschäftigt, und ich könnte in aller Ruhe an meinem Chris knabbern – oder wonach auch immer uns der Sinn stand. Nur weil ich den Typen, den sie vor Jahren angeschleppt hatte, ein bisschen aufs Korn genommen hatte, hieß das doch nicht, dass es bis in die Ewigkeit so bliebe. Hey, erstens bin ich eine Frau und zweitens ein Teenager, niemand auf der ganzen Welt hat also mehr Recht als ich, seine Meinung zu ändern. Die Welt ändert sich nun mal. Alle 0,12 Sekunden gibt es eine Veränderung. Und bei weiblichen Teenies öfter. Sehr oft. Über meine Anti-Mamas-Liebesleben-Phase war ich längst hinaus. Aber nichts da. Mom gab mir überhaupt keine Chance, ihr das klarzumachen. Nur weil der Typ damals so viel Humor hatte wie ein eingefrorener Hummer und sich nach meinem Einsatz (ich sage nur: Spinat fliegt prima, und Zahnpasta ist gut für Schuhe) aus unserem Leben gebeamt hatte, war das Thema Liebe für Mom tabu. Sie glaubte wirklich, ich sei blind. Mütter!

Genau deshalb hatte ich mit Gustav gemeinsam den Plan der Pläne geschmiedet, und mit etwas Glück käme Mom innerhalb kürzester Zeit unter die Haube. Gustav war nämlich total okay. Ein Chef zum Verlieben sozusagen. Verliebt war Mom sowieso schon lange – ihr fehlte es nur an Mumm, mir gegenüber diese Liebe einzugestehen.

Jetzt drehte meine heimlich total verknallte Mom komplett durch.

Ich schob meine Müdigkeit zur Seite.

»Mom, jetzt hör aber auf. Du bist ja hysterisch. Ich will, dass du in diesen Ballon steigst und dich köstlich amüsierst. Capito? Darf ich dich daran erinnern, dass du schon seit einer Ewigkeit oder sogar noch länger, genau davon träumst?«

»Aber …« Mom atmete tief durch und entließ mein Gesicht endlich wieder in die Freiheit. »Ach, Franzi. Träumen ist doch etwas komplett anderes. Im Traum kann man sich alles vorstellen. Ich habe im Leben nie damit gerechnet, dass dieser verrückte Traum Realität werden könnte. Was ist, wenn der Ballon abstürzt? Wenn er Feuer fängt oder es Probleme bei der Landung gibt? Da kann so viel passieren, erst neulich habe ich …«

»Halt!«, rief ich, packte meine durchgedrehte Mutter sanft an den Schultern und schüttelte sie leicht durch. »Erde an Eva, Erde an Eva, jemand zu Hause?« Ich wartete ein paar Sekunden. »Mom, jetzt komm mal wieder runter. Ballon fahren ist sicherer als Auto oder Fahrrad fahren. Selbst Fußgänger leben gefährlicher. Es gibt sogar Statistiken, die das belegen. Vergiss jetzt mal alle Was und Wenn und sieh zu, dass du fertig wirst. Gustav ist bestimmt jeden Moment da, um dich abzuholen.«

Mom schniefte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

»Vielleicht hast du recht. Aber, Kind, hör zu. Falls doch etwas passiert: Ich habe gestern Abend mein Testament geschrieben. Von Hand, mit Datum und Unterschrift, so dass es auch gültig ist. Wenn mir etwas geschieht, soll es dir an nichts fehlen. Natürlich hast du Omama, aber bei ihr kannst du nicht bleiben, ich glaube, das wäre nicht gut für euch beide. Sie ist ja nicht mehr die Jüngste, vermutlich wäre sie mit der Verantwortung für einen 15-jährigen Teenie überfordert.«

Ich schnaubte empört. Als ob ich schwierig wäre. Außerdem war ich fast 16 und konnte sehr gut auf mich selbst aufpassen. Immerhin hatte ich das gerade erst zwei Wochen lang bewiesen, während Mom in London ihren Stars hinterhergejagt war. Okay, also mehr oder weniger gut. Ich dachte an die Scherben, das fliegende Popcorn und die etwas aus dem Ruder gelaufene Party. Aber Mom ließ sich durch das Schnaufen und meinen empörten Gesichtsausdruck ohnehin nicht aus der Bahn werfen. Sie redete weiter. »Deshalb habe ich gestern mit Conni telefoniert. Sie wäre bereit, dich als Pflegetochter anzunehmen. Du könntest zu Lotte ziehen. Unser Haus würde vermietet werden und damit die Kosten …«

Es klingelte. Was für ein Glück! Mir schwirrte der Kopf, und ich brauchte Schlaf. Dringend.

»Prima. Du hast also mein komplettes Leben geregelt und dafür gesorgt, dass es mir in den nächsten hundertfünfzig Jahren an nichts fehlt. Das ist doch eine klare Ansage. Dann steht deinem Vergnügen ja jetzt nichts mehr im Weg. Wie wäre es, wenn du endlich schaust, dass du fertig wirst. Gustav wartet!«

Mom seufzte, schniefte, knutschte mein Gesicht ab und zögerte immer noch.

»Raus jetzt! Hab Spaß und lass mich schlafen«, fauchte ich sie extra forsch an. Ich warf mich auf mein Kissen zurück und zog mir die Decke über den Kopf.

Kurz darauf hörte ich das leise Klacken der Tür und Moms Schritte, wie sie die Treppe runterging. Herrje, was für ein Theater.

Ich versuchte, wieder einzuschlafen. Vielleicht konnte ich ja mit dem Traum da weitermachen, wo ich unterbrochen worden war? Aber Mom hatte ganze Arbeit geleistet. Ich war wach.

Dienstag, 1. Mai

6.02 Uhr – ich fass es nicht!

Meine Güte, sind Erwachsene albern. Jetzt hat Mom es tatsächlich geschafft, mich um meinen Schönheitsschlaf zu bringen. Prima. Sie ist auf dem Weg zum ultimativen Vergnügen mit ihrem Chef und künftigen Mann, und ich sitze hier: mitten in der Nacht und hellwach! Das ist einfach unfair. Was mach ich jetzt?

2. Kapitel
Denn erstens kommt es anders …

Missmutig schlurfte ich in die Küche, wo Kater Paul mir von der Eckbank verschlafen zublinzelte. Wie in Trance kippte ich Wasser in die Maschine und löffelte Kaffeepulver in den Filter. Während der Kaffee in die Kanne blubberte, quetschte ich mich neben den dicken Kater, stützte den Kopf auf die Hände und überlegte.

Vielleicht sollte ich Lotte anrufen und zu einem quasi nächtlichen Frühstück überreden? Immerhin schuldete sie mir noch ein paar Antworten. Seit zwei Tagen leuchtete sie wie eine Christbaumkugel von innen – eine Christbaumkugel mit knallrotem Knubbelohr – und druckste herum.

Ihr armes Ohr! Echt eine gefährliche Angewohnheit, diese Ohrknubbelei. Irgendwann würde sie zur einohrigen Lotte werden, wenn sie so weitermachte. Vielleicht könnte sie dann bei Til Schweiger anheuern und »Einohrlotte« mit ihm auf die Leinwand bringen. Ich kicherte ein bisschen in mich hinein.

Mit einem letzten Sprutzen und Keuchen meldete die Maschine: Dienst verrichtet! Ich schlurfte hin, schenkte ein und schleppte mich müde auf die Eckbank zurück. Die Kaffeeschwaden umwaberten meine Riechzellen und weckten zumindest einen kleinen Teil meiner Lebensgeister. Paul beobachtete mich misstrauisch – er hatte wohl Bedenken, dass ich ihm den Kaffee über das Fell kippen würde –, und meine Gedanken spazierten wieder zu Lotte.

War ja klar, was sie so zum Leuchten brachte. Dazu musste man kein Hellseher sein. So verliebt, wie sie und Benni durch die Welt schwebten. Bennis Mutter war oft unterwegs – das hieß: sturmfrei! Deshalb ging ich fest davon aus, dass Lotte inzwischen … aber natürlich wollte ich es hören. Und zwar mit Einzelheiten.

Chris und ich würden auch, da war ich sicher. Leider hatten wir einfach nie unsere Ruhe. Hier bei mir gluckte ständig Mom herum. Seit ihrer Londonreise war sie eine regelrechte Klette geworden. Voll das schlechte Gewissen. Sie wollte jetzt viel Zeit mit mir verbringen. Mir zeigen, wie wichtig ich ihr war. Sie tat so, als sei ich durch die zwei Wochen ohne sie traumatisiert. Himmel und Hölle, wenn ich ein Trauma hatte, dann vermutlich, weil meine Mutter mir nicht von der Pelle rückte. Höchste Eisenbahn, dass Gustav die Sache in die Hand nahm. Ich sah auf die Uhr. Ob sie wohl schon im Ballon den Himmel unsicher machten? War sie freiwillig eingestiegen, oder hatte Gustav ihr vorher K.-o.-Tropfen einflößen müssen? Aber nein, so etwas würde Gustav natürlich nie machen! Vermutlich würde er sie eher einfach so lange küssen, bis sie in seinen Armen völlig willenlos wurde. Hach! Ich dachte an Chris. An seine Lippen. Seine Hände. Die Grübchen, in die ich mich stürzen wollte, und an seine Gletscheraugen, die ich aber natürlich nicht sehen konnte, wenn wir uns küssten – da hatten wir die Augen geschlossen. Ich jedenfalls. Ob Chris mit offenen Augen küsste? Hm. Beim nächsten Knutschen musste ich zwischendurch unbedingt mal blinzeln, um das rauszufinden. Wenn wenigstens Lotte jetzt hier wäre, dann könnten wir die Sache erörtern. Vielleicht gab es ja wichtige Gründe, die Augen offen zu lassen? Fühlte sich ein Kuss dann anders an? Jetzt küsste ich schon zwei Wochen mit nur kurzen Unterbrechungen und hatte noch keinerlei Forschung betrieben. Sobald unsere Lippen andockten, versagte mein Denkvermögen. Ob es Mom auch so ging? In ihrem Alter? Konnte man mit beinahe 40 noch so verliebt sein? Ich meine, ja, verliebt waren die beiden, das stand außer Frage. Aber wie war das mit Sex? Neulich lief erst eine Talkshow: Sex im Alter. Wie lange konnten Männer überhaupt? Wuä. Schnell schob ich den Gedanken beiseite. Mir meine Mutter und Gustav beim Sex vorzustellen, war nicht gerade das, was ich morgens um sechs brauchte. Weder um sechs noch zu sonst einer Zeit.

Schnell nahm ich einen Schluck Kaffee und konzentrierte mich wieder auf andere Dinge.

Natürlich hatte ich versucht, Moms Gewissensbisse für mich zu nutzen, aber dummerweise versagten ihre Schuldgefühle, wenn es um neue Klamotten für mich ging. Mom war soo uncool. Echt. Sie hatte null Plan, was ein Mädchen heutzutage alles brauchte. Immer hielt sie mir vor, was ich schon alles bekommen hätte. Dabei war das ein Tropfen in heißem Wüstensand. Ich konnte doch nicht jede Woche die gleichen Outfits präsentieren. Wenn ich ständig meine Taschengeldreserven angreifen musste, wovon sollte ich mir dann Schminkzeug holen? Wenn ich Lotte nicht hätte und ihr umwerfendes Nähtalent, ich wäre verloren! Der Gedanke an Lotte brachte mich wieder zum Thema zurück.

Ich konnte nicht fassen, dass sie »es« getan hatte und es mir nicht erzählte. Mir – ihrer allerallerbesten Freundin. Dachte ich zumindest. Aber wo die Liebe hinfällt, hört die Freundschaft wohl auf. Wer eine solche Freundin hat …

Wobei – wenn es das war, was ich vermutete, wieso knubbelte sie dann immer noch wie wild? Irgendetwas stimmte da nicht.

Ich stand auf, goss mir einen zweiten Kaffee ein und setzte mich wieder zu Paul. Mein Handy piepte. Nanu?

Eine SMS. »Liebling, bitte vergiss nicht: Conni ist für dich da. Ich hab dich lieb, mein Schatz. Denk immer dran! In fünf Minuten starten wir. Kuss, Mama«

Oh-oh. Es schien, als würde Moms Angst sich auf die Nachricht übertragen. Beinahe glaubte ich, die Buchstaben zittern zu sehen. Bestimmt würde Mom in den nächsten Minuten vor Freude jauchzen – wenn sie erst mal die Panik überwunden hätte und in Gustavs Armen läge. Falls sie bis dahin noch lebte und nicht vorher einen Herzinfarkt bekommen hatte. Ich hätte ihr eine Papiertüte mitgeben sollen, für den Fall, dass sie hyperventilierte. Das sah man doch immer in den Filmen. Wann er sie wohl fragen würde? Gleich nach dem Start? Oder erst kurz vor der Landung? Hoffentlich hatte er an alles gedacht: Sekt und die Ringe. Bestimmt würde Mom der Ring gefallen. Immerhin hatten Lotte und ich bei der Auswahl geholfen. Ich grinste und freute mich jetzt schon unbändig auf den Bericht, den Mom und Gustav mir liefern würden. Vielleicht sollte ich sie getrennt voneinander vernehmen? Dann bekäme ich die gleiche Situation aus zwei Perspektiven und könnte mir ein umfassendes Bild machen. Fast bedauerte ich, dass ich Gustavs Einladung abgelehnt hatte. Aber nein. Der Moment gehörte den Turteltäubchen ganz allein.

Wer konnte schon ahnen, wie es weitergehen würde? Vielleicht gefiel Mom die Ballonfahrt so gut, dass sie ein Ballonfahrt-Junkie wurde. Dann könnte ich später immer noch mitfahren. Oder ich würde mir meinen Heiratsantrag auch in einem Ballon machen lassen.

Heiratsantrag! Wow! Da mussten aber noch ein paar Jährchen vergehen – so schnell hatte ich dann doch nicht geplant, meine Freiheit aufzugeben. Spaß haben konnte man schließlich auch ohne Hochzeit.

Da ich nicht vorhatte, bis zur Hochzeitsnacht eine eiserne Jungfrau zu bleiben, zog ich meine Kladde zu mir und studierte die angefangene Liste.

Wichtig für den Moment der Momente:

Kondome

Kerzen

Musik

frische Bettwäsche

saubere Füße

Handy aus

Hm. So weit war alles klar. Für Kondome hatte Omama gesorgt. Ich hatte die coolste Omama auf der ganzen Welt. Auch wenn das mit den Kondomen für mich reichlich peinlich gewesen war. Uff. Da wurde ich rot, wenn ich nur dran dachte. Was mussten mir die Mistdinger auch aus der Hosentasche rutschen? Und wieso hatte nicht – wenn es schon so sein musste – wenigstens Lotte die Dinger finden können. Aber nein. Das wäre nicht franzilike gewesen. Wenn schon Fettnapf, dann bitte mit Anlauf und beiden Füßen gleichzeitig. Deshalb hatte also Chris die Kondome gefunden und mir wiedergegeben. Und ich war gestorben. Echt. Vermutlich saß ich gar nicht in Wirklichkeit hier am Küchentisch, sondern mein Geist. Ich war gestorben an der Peinlichkeit des Augenblicks und hatte mich einfach nur geweigert, das Haus zu verlassen. Genau wie der kleine Professor in Hogwarts.

Bevor ich weiter an diesen fatalen Abend denken musste, konzentrierte ich mich lieber wieder auf die wichtigen Fakten im Hier und Jetzt. Was gab die Liste noch her? Kerzen und Musik waren sowieso Standard, die waren auch für ausgiebige Knutschzeiten unerlässlich. Nächster Punkt. Mein Bett könnte einen neuen Bezug vertragen, da feierten Kekskrümel mit Colaflecken eine Party. Das würde ich nachher gleich erledigen.

Füße. Meine Füße waren geschrubbt und hatten ein Peeling bekommen. Zart wie ein Babypopo und bereit, geküsst zu werden. Seit ich in einem Liebesfilm gesehen hatte, wie der Typ seiner Liebsten am Zeh knabberte, wollte ich unbedingt wissen, wie sich das anfühlt.

Natürlich hatte ich es schon selbst ausprobiert. Aber verdammt, die Füße sind so weit unten. Ich kam zwar damit an mein Gesicht, dafür hatte ich aber einen Knoten in den Beinen und eine ausgerenkte Kniescheibe. Insgesamt nicht empfehlenswert.

Dann hab ich Lotte gefragt. Wozu hat man schließlich eine beste Freundin? Aber die hat nur gequietscht, ist rot angelaufen und hat sich strikt geweigert.

Also half alles nichts: Da musste Chris ran. Außerdem war ich mir sicher, dass er das genauso gern ausprobieren würde. Zumindest hoffte ich es. Hoffentlich hatte er keine Fußallergie. Ich schüttelte den Kopf bei dem Gedanken. Ach was, wenn die Lust – das Wort Fleischeslust verkniff ich mir, das war viel zu unvegetarisch – ihn übermannte, würde er sich auf meine Füße und den Rest von mir stürzen, da war ich mir sicher.

Wieso ist unsere Sprache eigentlich so verdammt fleischlastig? Fleisch- und männerlastig, um genau zu sein. Wieso konnte einen die Lust nicht überfrauen? Und wieso sagte man »man« und nicht »frau«? Meistens zumindest. Manchmal tauschte ich diese Wörtchen bereits aus. Gelebte Emanzipation! Und ich hatte für meine Götter einen weiblichen Namen gefunden, auch wenn der sich mehr aus Zufall ergeben hatte. GABi. Das war einer meiner echt hellen Momente gewesen, als ich die Idee hatte. Ich war jetzt noch stolz auf mich. GABi. Da muss frau erst mal drauf kommen! Dabei war es komplett logisch. Franzi-logisch auf jeden Fall. Gott – Allah – Buddha – und das mathematische i für den ganzen unbekannten Rest der Götter, die da vielleicht im Orbit herumschwirrten. Ich wollte mich einfach nicht festlegen. So konnte ich wenigstens niemanden beleidigen, weil ich ihn (oder sie) versehentlich in der Aufzählung vergessen hatte. Lotte zeigte mir immer einen Vogel, wenn ich mit solchen Überlegungen kam, aber das beeindruckte mich nicht.

Andererseits – wenn wir die Sprache jetzt komplett verfraulichen würden, dann ginge es sicher nicht lange, und die ersten Männer würden protestieren – von wegen Diskriminierung und so. Männergruppen würden sich bilden. Komitees zur Erhaltung der Rechte der Männer. Gab es nicht schon die ersten Männerhäuser?

Mein Chris hatte so etwas jedenfalls sicher nicht nötig. Wir waren komplett gleichberechtigt. Also eben abgesehen von der Sprache. Aber viele Worte brauchten wir eh nicht, wir wussten mit unseren Lippen Besseres anzustellen, als Buchstaben zu formen.

Meine Gedanken hüpften wieder zurück zu meinen Füßen und was ihnen wohl so alles bevorstand.

6.21 Uhr

Immer noch mitten in der Nacht, und meine Gedanken kommen einfach nicht über meine Füße hinweg – also fast nicht. Die gesellschaftspolitischen Denkansätze sind noch ziemlich holprig. Was aber eigentlich logisch ist. Franzi-logisch zumindest. Welcher normale Mensch kann um diese Zeit denn politisch denken? Eben. Vielleicht sollte ich doch noch mal ins Bett gehen.

Natürlich hatte ich versucht, Lotte auszuquetschen. Aber mein schüchternes Schäfchen wollte mir nicht verraten, ob Benni schon mal an ihrem großen Onkel genascht hatte.

Mein Blick fiel auf den vorläufig letzten Punkt der Liste: Handy aus.

Na, das war ja wohl logisch. Logisch-logisch, nicht Franzi-logisch. Wer wollte sich schon mitten bei der schönsten Sache der Welt – ich ging zumindest davon aus, dass es die schönste Sache der Welt war – von einem nervenden Anruf stören lassen? Womöglich war dann am anderen Ende der Leitung irgendein Callcenter-Typ, der wegen einer Umfrage zum Welthunger und der politischen Lage in Hintertupfingen Fragen stellen wollte. Oder eine Oma krächzte: Wer ist da? Ist da nicht Hempel? Aber ich wollte doch Hempel anrufen. Hallo? Haaaallooo? Junges Fräulein, können Sie mich bitte mit Hempel verbinden?

Nein danke! Keine omalichen Fehlanrufe, bitte. Und auch sonst keine Störungen. Sollten die Hintertupfinger ihre politische Lage mal schön selbst analysieren und mich in Ruhe knutschen lassen.

Wie auf Kommando meldete sich mein Handy. Vor Schreck zuckte ich so heftig zusammen, dass mir der Kaffee über die Finger schwappte. Mist.

Wieder eine SMS. »Ich muss reden. Mist. Franzi, bitte sei wach! Egal. Wach oder nicht. Ich bin gleich bei dir.«

Lotte? Ach du liebe GABi! War ihr etwa der Himmel auf den Kopf gefallen? Meine Lotte, an einem Feiertag vor dem Wachwerden? Mein Puls nahm Anlauf. Ich schnappte mein Tagebuch, das musste ich für die Nachwelt festhalten.

6.58 Uhr

Ach du liebe GABi, ich glaube, Lotte ist der Himmel auf den Kopf gefallen. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Lotte und früh aufstehen. Das ist salziger Zucker. Gibt es nicht? Eben. Sag ich doch! Das geht nicht! Himmel!

Da lag Ärger in der Luft, ich konnte es riechen. Automatisch schnupperte ich. Igitt! Was ich da roch, war kein Ärger, sondern ein Katzenpups.

»Mensch, Paul, pfui Teufel!«

Ich wedelte wild durch die Luft, während Paul sich nicht stören ließ. Klar, die eigenen Pupse hauen einen nicht aus den Socken, und Katzen haben sowieso ein anderes Verhältnis zu Gestank. Wenn ich nur an das stinkende Futter dachte. Wuä! Jetzt lagen also Katzenpups und Ärger in der Luft.

Ich sah noch mal auf das Handy. Inzwischen war es kurz nach sieben, was mich wieder zu der Frage brachte, was für eine Katastrophe Lotte um diese Zeit aus dem Bett brachte. Dass es eine Katastrophe sein musste, war klar.

Es klingelte Sturm.

»Ja! Ja, doch! Ich bin doch nicht taub!« Mit ein paar großen Sätzen war ich an der Tür. »Mensch, Lotte, spinnst du? Was, wenn Mom noch schlafen würde?«

Lotte zog ihre Stirn kraus.

»Eva ist auf großer Fahrt, schon vergessen?«

»Vergessen? Haha. Was glaubst du wohl, wieso ich um diese Zeit schon wach bin? Mom war völlig durchgedreht vor lauter Schiss!«

»Na also«, konterte Lotte und zog die Nase hoch. Ihre Augen schimmerten rot umrändert. »Dann ist doch alles in Ordnung.« Sie schob mich zur Seite und steuerte auf die Küche zu. Dort ließ sie sich so stürmisch auf die Eckbank fallen, dass Paul fauchend die Flucht ergriff. Mit gesträubtem Fell und erhobenem Schwanz stolzierte er in den Flur. Lotte merkte es nicht mal.

Sie legte ihr Gesicht auf den Tisch. »So ein Mist, Franzi, so ein verdammter Mist«, jammerte sie. Und dann heulte sie los.

3. Kapitel
… und zweitens, als man denkt

Also doch Benni. Ich konnte mir nichts anderes vorstellen, was meine Lotte so dermaßen aus der Fassung bringen würde. Verdammt! Das hätte ich nie erwartet. Ich meine, hey klar, Jungs sind unberechenbar, und die Chance, eine Niete zu erwischen, ist ungefähr so groß, wie beim Lotto keinen Sechser zu kriegen. Also durchaus nennenswert.

Aber ausgerechnet Benni?

Der Benni mit den Augen wie geschmolzene Zartbitterschokolade? Der Benni, der vor lauter Liebeswahn wie ein rotes Schaf durch die Gegend lief? (Also so, wie ich mir ein rotes Schaf vorstellte.) Der Benni, der vor Aufregung kaum ein gerades Wort reden konnte, wenn Lotte in seiner Nähe war? Der Benni? Und jetzt?

Er hatte Schluss gemacht. Ganz klar. Da musste ich nur Lotte und Heulen zusammenzählen.

Schuss und Schluss sozusagen.

Einer der Schufte, die nur das eine wollten und das Mädchen dann fallenließen wie zusammengeknülltes Dönerpapier. Ach du liebe GABi. Hatte er sie echt nur benutzt? Womöglich noch eine Wette auf seinen Freischuss abgeschlossen? Der schreckliche Gedanke schoss in mich hinein, bevor ich ihn aufhalten konnte. In 0,15 Sekunden hatte er sich festgesetzt. So fest, dass es mir den Hals zuschnürte und Tränen in meine Augen stiegen.

Meine arme Lotte!

Ich leckte über meine Lippen – wie immer, wenn ich sehr aufgeregt war – und schluckte heftig. Verdammt. Das durfte nicht wahr sein. Wir hatten so um diese Liebe gekämpft. Nicht nur Lotte, ich auch. Wir hatten uns Nächte um die Ohren geschlagen, hatten gegrübelt, geplant, der Gefahr von lebenslangem Hausarrest ins Auge geblickt und sogar unseren Hintern riskiert. Im wahrsten Sinne des Wortes – oder wie nennt man es sonst, wenn einem ein ausgewachsener Rottweiler mit gefletschten Zähnen am Allerwertesten klebt? Ein Rottweiler, der auf den Namen »Püppi« hört …

Eben. Das war nicht witzig. Und schweinekalt war es auch noch. Meine Zähne hatten sich nicht entscheiden können, ob sie aus Angst oder wegen der Kälte klappern wollten, während ich mich innerlich bereit machte, mich von wesentlichen Teilen meiner Pobacke zu verabschieden.

Lottes Schluchzen brachte mich wieder in die Gegenwart zurück. Ihr ganzer Körper bebte.

»Komm, Lotte, so schlimm wird es schon nicht sein.« Ich setzte mich neben sie und legte ihr den Arm um die bebenden Schultern. Meine eigenen Tränen drängte ich zurück. Brachte doch nichts. Dann würden zwei Mädels hier die Küche überschwemmen. Erst mal musste ich wissen, ob ich mit meiner Vermutung überhaupt richtiglag. Wenn ja, dann würde ich nicht mitheulen, sondern Lotte helfen, ihre Gefühle in Wut umzuleiten. So eine richtige, echte, eiskalte Wut. Und dann würden wir Benni in den Hintern treten. Mit Anlauf. Oh, wir würden uns die tollsten Sachen ausdenken, um ihm das Leben zur Hölle zu machen. Der würde sich wünschen, Lotte und mich nie kennengelernt zu haben. Natürlich nur, falls er echt so ein Mistkerl war. Ich bremste meine Rachegelüste, die bereit waren, von einer Idee zur nächsten zu galoppieren, und konzentrierte mich wieder auf Lotte. »Jetzt beruhig dich erst mal und sag mir, was eigentlich los ist.«

Lotte stellte meine Geduld auf eine harte Probe. Die nächsten 9,32 Minuten hörte ich nur ihre Schluchzer und ihr Schniefen. Sie war so durch den Wind, dass sie sogar das Ohrknubbeln vergaß.

Um mir die Zeit zu vertreiben, richtete ich den Frühstückstisch. Alles, was man brauchte, um so viel Aufregung heil zu überstehen: Neben das Riesenglas Nutella und Toastbrot stellte ich noch süße Cerealien und Milch – immerhin versprach die Werbung, das Zeug sei gesund. Mom behauptete, das sei ein Schwindel – mir war es piepegal. Hauptsache, lecker und vegetarisch! Das hatte ich recherchiert. Ein paar Milchschnitten – hoffentlich vegetarisch, das wusste ich jetzt gar nicht – und eine Flasche Cola rundeten die Tafelfreuden ab. Während ich zwischen Schrank und Tisch hin und her flitzte, redete ich mit Engelszungen auf Lotte ein. Aber ich kam nicht zu ihr durch. Sie reagierte einfach nicht. Frustriert setzte ich mich hin und schnappte mir das Nutellaglas. Genüsslich lutschte ich einen großen Löffel der braunen Sünde und zog mein Tagebuch zu mir rüber.

7.24 Uhr

Superklasse. Echt. 1. Mai. Schulfrei. Frisch verliebt und glücklich. Ich müsste dicke Knutschlippen haben. Von meinem Schnuckel träumen oder in seinen Armen liegen.

Und was mache ich?

Sitze mitten in der Nacht in unserer Küche. Eine halbe Tasse kalten Kaffee vor und eine heulende Lotte neben mir. Da hilft nicht mal die Schokosünde, um das erträglich zu machen. Ich will ins Bett! Ich will meinen Chris! Ich will wissen, was mit Lotte los ist! Jetzt! Aber sie redet nicht. Grmpf.

7.28 Uhr

Es muss echt was Ernstes sein. Ich hab ihr den Witz von den zwei Brünetten erzählt, die sich vor dem Kino den Hintern abgefroren haben, während sie auf mehr Leute warteten. Der Film war erst ab 18. Uhr

Sonst wirkt das immer. Besonders, wenn ich die Blondinen zu Brünetten mache. Dieses Mal: Nichts. Nada. Null Reaktion! Oder doch, sie hat reagiert: noch lauter geheult! Heilige GABi!

7.29 Uhr

Sie heult und heult, und wenn ich nichts unternehme, heult sie in einer Stunde bestimmt immer noch. Sie will unsere Küche fluten. Ich fass es nicht! Noch fünf Minuten und zehn Sekunden, dann greife ich ein.

Nach weiteren sechs Minuten und zweiundzwanzig Sekunden wurde es mir endgültig zu blöd.

»Okay, pass auf. Ich geh jetzt erst mal in aller Ruhe ins Bad, und wenn ich wiederkomme, hörst du mit dem Geheule auf und sagst mir endlich, was passiert ist.«

Kaum hatte ich zwei Schritte Richtung Tür gemacht, hörte Lotte auf zu schluchzen.

»Schon gut, bleib hier, ich rede ja.«

Laut trötend putzte sie sich die Nase und hickste.

»Aha, geht doch.« Zufrieden drehte ich mich um und grinste. Ich setzte mich wieder, in froher Erwartung. Wobei, froh war die Erwartung bei dem Tränenmeer auf keinen Fall. Aber irgendwie eben doch. Ich war froh, dass das Geflenne endlich ein Ende hatte. Aber so wie es aussah, hatte lediglich das Hicksen das Heulen abgelöst – Lotte redete immer noch nicht.

»Na …« Ich lächelte sie aufmunternd an. Sie zog erneut das Taschentuch aus der Tasche. Da konnte Benjamin Blümchen mit seinem Möchtegerngetröte einpacken. Töööööörrrrrrrrröööööööööööötttttt! 18,2 Sekunden lang. Wow! Das hatte sogar den Hickser in die Flucht geschlagen.

Nach ausgiebigem Naseputzen kroch Lotte in die Ecke der Bank. Sie zog ihre Füße hoch und schlang die Arme um die Knie.

»Wir haben … also, du weißt schon, ich meine …« Lotte knubbelte wie wild an ihrem rechten Ohr. Ihr Gesicht glühte. Ihr Ohr auch! Sie knubbelte wieder – was ich als gutes Zeichen nahm.

»Ihr habt …«, versuchte ich, ihr auf die Sprünge zu helfen.

Knubbel. Knubbel. Knubbelknubbel.

» Wir … wir …«, stotterte meine süße Lotte. Ihre Gesichtsfarbe hatte den gleichen Ton wie die kleinen Kirschlutscher. Lecker. Ich musste unbedingt rausfinden, ob die vegetarisch waren. Nicht, dass ich wieder in die Falle tappte.

»Wir …«, setzte Lotte neu an und vergrub ihr Gesicht hinter ihren Händen.

Mir wurde es zu bunt. Wenn ich nicht eingriff, säßen wir heute Abend noch beim »wir«. Das war auch nicht besser als ihr Dauerheulen.

»Ja, ich weiß. Ihr habt miteinander geschlafen. Und dann? Das ist doch wohl kein Grund, so zu heulen?«

Zack. Das saß. Musste doch auch mal jemand die Wahrheit bei der blonden Seidenmähne packen.

»Wie?« Lotte nahm die Hände vom Gesicht und starrte mich an. Vor lauter Überraschung stand ihr Mund offen. Und sie knubbelte nicht. »Woher weißt du das?«

Süß, mein Lotte-Schäfchen.

»Jetzt mach mal halblang. Seit zwei Tagen schwebst du mit den Füßen eine Handbreit über dem Boden. Da musste ich nur Benni und Lotte zusammenzählen, und schon wusste ich, was es geschlagen hatte. Obwohl du bis jetzt noch keinen Piep dazu gesagt hast.« Ich fuchtelte mit dem Zeigefinger vor ihrer Nase herum. »Das ist nicht nett für eine beste Freundin. Ich möchte natürlich alles wissen. Jede nicht jugendfreie Einzelheit! Aber das machen wir später. Jetzt spuck erst mal aus, was für ein Monster dir auf die Heuldrüse gehüpft ist.« Heuldrüse? Hatte ich Heuldrüse gesagt? Gab es das überhaupt? Ich hatte das Wort noch nie gehört. Hey, vielleicht hatte ich gerade versehentlich eine sensationelle Entdeckung gemacht!

»Tut mir leid, aber …«, sagte Lotte und unterbrach meine Überlegungen. Sie knubbelte wieder. »Und was soll ich jetzt machen?«

Ähm? Irgendwie hatte ich den Anschluss verpasst. Vielleicht lag es an der frühen Stunde? Vielleicht sorgte meine eigene Verliebtheit aber auch zu einer gewissen Denkträgheit? Oder hatte ich etwas Wesentliches überhört, während ich über die von mir entdeckte Heuldrüse nachgedacht hatte?

»Wie, was sollst du jetzt machen?« Ich wiederholte ihre Frage wie ein Echo, aber mir fiel nichts Geistreicheres ein.

»Ich bin doch viel zu jung! Ich meine, wir sind zu jung. Wie soll das denn alles werden?«

Lottes Stimme hatte einen hysterischen Unterton bekommen.

Himmel und Hölle. Zu jung. Was sollte der Quatsch denn jetzt? Das fiel ihr reichlich spät ein. Überhaupt, wenn wir darüber gesprochen hatten, hatte Lotte nie derartige Bedenken geäußert.

»Hattet ihr Spaß?«, fragte ich und bekam prompt Lottes Quietschen zu hören. Sie versteckte ihr Gesicht wieder hinter den Händen.

»Ach komm, Lotte. Jetzt stell dich doch nicht so an. Sag mir einfach, wo das Problem ist. Ist Benni ein Mistkerl und will jetzt nichts mehr von dir wissen? Habt ihr euch gestritten?«

»Nein!« Die Empörung war stärker als Lottes Schüchternheit. Sie senkte ihre Hände und schickte Blitze in meine Richtung. »Spinnst du? Benni ist der süßeste und liebste Junge auf der ganzen Welt. Wenn du es genau wissen willst: Es war einfach unglaublich! Es war, es war …« Ihr Gesicht verschwand wieder. Ich musste an das Kuckuckspiel denken, das man mit kleinen Kindern spielte. Hände vors Gesicht: Wo ist die Lotte? Hände öffnen: Daaaa!

8.33 Uhr

Lotte macht mich wahnsinnig! Kein Mensch kann denken, bevor er richtig wach ist. Ich hab keine Ahnung, was genau ihr Problem ist. Also gut. Noch ein Versuch. Los, du Franzi-Hirn, tu deinen Dienst!

Ich legte das Kinn in meine Hände und versuchte, meine Hirnwindungen zu aktivieren. Um nachzuhelfen, schob ich mir eine Handvoll Cerealien in den Mund. Ohne Milch. Zu viel Kalzium.

Kauen fördert das Denkvermögen – das hatte ich mal irgendwo gelesen. Also kaute ich. Leider krachten und knirschten die Dinger beim Zerbeißen so laut, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte. Also spülte ich das Zeug mit einem Glas Cola runter und schob mein Kinn wieder in Denkstellung auf meine Hände.

In Ordnung. Benni ist lieb, die beiden hatten keinen Streit, der Sex war toll. Was konnte denn dann im Busch sein?

Ein entsetzlicher Gedanke raubte mir den Atem. Nein. Nein, nein, nein. So dumm war Lotte nicht. Nicht, nachdem wir monatelang immer wieder das Thema durchgekaut hatten. Nicht, nachdem wir trotz aller Peinlichkeit Bananen mit Kondomen bestückt hatten. Lotte hatte Dampfkesselchen gespielt, und zwischendurch machte ich mir echt Sorgen, sie könnte vielleicht platzen. Oder aus der Nase pfeifen, aus den Ohren qualmen oder vor innerer Hitze schmelzen. Aber sie hatte durchgehalten, und nach mehreren Anläufen schafften wir es beide, die Bananen perfekt zu schützen. Das konnte also nicht sein. Oder doch? Im Eifer der Hormone?

»Lotte, ihr habt doch ein Kondom benutzt? Habt ihr doch? Sag mir, dass ihr habt!« Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

Die Zeit stand still. 1,44 Sekunden lang.

»Ja«, kam es dann fast unhörbar zwischen Lottes Fingern durch.

Erleichtert pustete ich aus. Sie konnte einem aber auch einen Schreck einjagen. Die Welt durfte sich weiterdrehen. Tante Franzi – nee, das musste echt nicht sein.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960530763
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Mutprobe Humor Liebe Jugendbuch ab 12 Jahre Romantik Chaos Familie Gefühle für Mädchen eBooks
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Titel: Liebe heißt Chaos
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