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Hotel 13 - Band 3: Wettlauf gegen die Zeit

Der Roman zur TV-Serie

©2016 180 Seiten

Zusammenfassung

„Ein gefährliches Funken trat in die Augen von Mister X.
Paul lief ein Schauer über den Rücken.“

Tom und Livs Lage wird immer dramatischer: Professor Magellan ist in der Vergangenheit gestrandet, Anna bleibt immer noch spurlos verschwunden. Rettung könnten nur Magellans Bauanleitungsheft oder der Zeitregler versprechen, dem Anna zuletzt auf der Spur war. Doch der Unfall im Jahre 1927 hat alles verändert: Anna weiß nicht mehr, wie sie heißt, und scheint den gemeinen Plänen von Paul Leopold und Mister X hilflos ausgeliefert zu sein. Kann Tom seine Freundin Anna und den Professor vor ihrem Schicksal bewahren und damit seine Zukunft und seine Liebe zu Anna retten? Oder werden am Ende die hinterlistigen Leopolds die Oberhand behalten? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt!

Der Roman zur TV-Serie – mehr Informationen im Internet: www.hotel-13.com

Jetzt als eBook: „Wettlauf gegen die Zeit“, der Roman zur Serie „Hotel 13“. jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Tom und Livs Lage wird immer dramatischer: Professor Magellan ist in der Vergangenheit gestrandet, Anna bleibt immer noch spurlos verschwunden. Rettung könnten nur Magellans Bauanleitungsheft oder der Zeitregler versprechen, dem Anna zuletzt auf der Spur war. Doch der Unfall im Jahre 1927 hat alles verändert: Anna weiß nicht mehr, wie sie heißt, und scheint den gemeinen Plänen von Paul Leopold und Mister X hilflos ausgeliefert zu sein. Kann Tom seine Freundin Anna und den Professor vor ihrem Schicksal bewahren und damit seine Zukunft und seine Liebe zu Anna retten? Oder werden am Ende die hinterlistigen Leopolds die Oberhand behalten? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt!

Bei jumpbooks sind bereits die drei folgenden Romane zur TV-Serie HOTEL 13 erschienen:
HOTEL 13: Das Abenteuer beginnt
HOTEL 13: Das Rätsel der Zeitmaschine
HOTEL 13: Wettlauf gegen die Zeit

***

eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright der Originalausgabe © 2013 Studio 100 Media GmbH

TM Studio 100

Die Druckausgabe wurde herausgegeben von der Panini Verlags GmbH, Stuttgart. Text: Claudia Weber, basierend auf den Drehbüchern zur TV-Serie »Hotel 13« von Dennis Bots, Anja Van Mensel, Jasper Beerthuis, Elke De Gezelle, Bjorn Van den Eynde, Catherine Baeyens, Hans Bourlon und Gert Verhulst.

www.studio100.de

Copyright © der eBook-Ausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Lektorat: Ray Bookmiller

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © 2013 Studio 100 Media GmbH

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-056-5

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Hotel 13

Wettlauf gegen die Zeit

Der Roman zur TV-Serie

jumpbooks

1. IN DER ZEITFALLE

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr aus der Zukunft kommt«, sagte Diederich. Er saß auf dem Stuhl in Zimmer 5 und blickte kopfschüttelnd von Liv zu Tom.

Zugegeben, die beiden sahen schon ein bisschen anders. aus als die Menschen, die sich im Jahr 1927 nach der neusten Mode kleideten. Mit Knickerbockerhosen und Schiebermütze, zum Beispiel. So wie Diederich selbst. Oder mit Leinenanzug und Strohhut. Und die elegante Damenwelt bevorzugte schmal geschnittene Kleider, lange Perlenketten und tief in die Stirn gezogene Hüte.

Doch auch wenn man die Kleidung außer Acht ließ, waren Toms dunkle Haare deutlich länger als es in den Zwanzigerjahren üblich war. Jedenfalls bei fünfzehnjährigen Jungs. Und seine Brille mit dem dicken, schwarzen Gestell war ein richtiges Unikum. Sonst trug man gemeinhin Brillengestelle aus. dünnem Draht.

Und Liv … Dass sie aus dem Rahmen fiel, war offenkundig. Mit ihren wilden Frisuren und ungewöhnlichen Ausdrücken hätte Diederich eigentlich sofort merken müssen, dass sie anders war als alle anderen Mädchen. Vermutlich hatte er sich gerade darum Hals über Kopf in sie verliebt – in die verrückte Liv, die ständig »cool« sagte, auch wenn ihr gar nicht kalt war.

Wenn man verliebt ist, kann man einfach nicht mehr klar denken, dachte Diederich und lächelte Liv an.

Tom räusperte sich und schaute verlegen in die Luft.

Wahrscheinlich denkt er jetzt an Anna, überlegte Diederich.

Er wollte seinen Freund nicht unnötig quälen und versuchte, etwas Unverfängliches zu sagen. »Meine Gegenwart ist eure Vergangenheit. Das ist doch verrückt! Ich meine, dass ihr durch die Zeit reisen könnt, ist einfach unbeschreiblich!«

»Aber hallo«, erwiderte Liv. »Wir können sogar zum Mond fliegen!«

»Was? Zum Mond?« Diederich machte große Augen.

»Nicht mit unserer Zeitmaschine«, stellte Tom klar. »Und wir schon gar nicht.«

»Sondern?«, fragte Diederich. Er war fasziniert von den Geschichten, die Liv ihm aus der Zukunft erzählte.

»Na ja«, meinte Tom. »Es stimmt zwar, dass im Sommer 1969 die ersten Menschen auf dem Mond gelandet sind –aber Reisen durchs Weltall sind nur etwas für speziell ausgebildete Astronauten.«

Liv verdrehte die Augen. Das war mal wieder typisch Tom. Er war ein wandelndes Lexikon. Mit einer verhängnisvollen Vorliebe für Naturwissenschaften. Liv musste grinsen, als sie daran dachte, wie Tom ihrer besten Freundin eine Liebeserklärung gemacht hatte. Erst hatte er Anna zu einem romantischen Picknick an den Strand eingeladen, und dann war ihm nichts Besseres eingefallen, als ihr von Kationen und Anionen zu erzählen. Von elektrisch geladenen Teilchen, die sich gegenseitig anziehen … Ausgerechnet! Aber – hey! – am Ende hatte es doch geklappt. Anna und Tom waren inzwischen ein Paar. Besser gesagt könnten die beiden ein Paar sein, wenn Anna bei einem Solotrip in die Vergangenheit nicht spurlos verschwunden wäre.

»Wir müssen Anna finden«, murmelte Tom.

»Hey, kannst du meine Gedanken lesen?«, rief Liv und wandte sich Diederich zu. »Tom wird mir langsam unheimlich. Erst Bastler, dann Erfinder – und nun auch noch Hellseher!«

Schon als kleines Kind hatte Tom ständig an irgendetwas herumgeschraubt. Und im Laufe der Jahre hatte er seine Familie und Freunde mit immer schrägeren Erfindungen gequält. Beispielsweise mit einem selbst entwickelten Navigationssystem für das Auto seiner Mutter. Oder mit einem sehr speziellen Wecker, der einem mit einer Spritzpistole kaltes Wasser ins Gesicht sprühte, wenn man ihn nicht rasch genug ausschaltete.

Seine größte Erfindung war jedoch die Zeitmaschine – eine imposante Metallkapsel, mit der Tom, Anna und Liv aus dem Jahr 2012 ins Jahr 1927 gereist waren. Und zwar, um Professor Magellan zu retten. Der war – wie sich herausgestellt hatte –niemand anders als Tom selbst. Doktor Tom Kepler als alter Mann mit wirren grauen Haaren, um genauer zu sein. Tom alias Magellan war nämlich irgendwann in der Zukunft zurück in die Zwanzigerjahre gereist. Und 1927 hatte ihn Robert Leopold, der heimtückische Besitzer des Hotels 13, mit der Zeitmaschine noch weiter in die Vergangenheit befördert. Von dort hatte der Professor eine Postkarte an Tom geschickt. Eine Postkarte, die Tom als Kind im Garten seiner Eltern gefunden hatte.

»Lieber Tom!«, war auf dem Schriftstück zu lesen. »Diese Nachricht ist meine letzte Hoffnung. Nur eine Person auf der Welt kann mir noch helfen – du! Sprich mit niemandem darüber. Schon gar nicht mit Richard. Es geht um Leben und Tod! Mach dich in acht Jahren auf den Weg zum Hotel 13. Suche die Kiste. Finde Zimmer 13.«

Tom hatte die geheimnisvolle Postkarte acht Jahre lang gehütet wie einen Schatz. Bis die Zeit gekommen war, den Auftrag zu erfüllen. Dann hatte er sich auf den Weg gemacht und als Ferienjobber im Hotel 13 angeheuert. Genau wie Anna. Und Liv. Die war ein paar Tage später ebenfalls dazugestoßen. Zum Glück – denn die drei Freunde waren das ideale Team. Sie ergänzten sich perfekt, und es gelang ihnen tatsächlich, Magellans Geheimnis Schritt für Schritt zu lüften.

»Du musst Diederich unbedingt Magellans Brief zeigen«, sagte Liv zu Tom.

»Ein Brief?«, fragte Diederich und schob seine Mütze aus der Stirn. »Von Magellan?«

»Ja, ein Brief, der aus dem Jahr 1850 stammt«, rief Liv aufgeregt. »Mit einem Foto von Tom, das 2012 aufgenommen wurde. Das ist doch voll der Hammer, oder?«

»Allerdings«, meinte Diederich und beobachtete gespannt, wie Tom einen braunen Umschlag aus seiner Jacke holte.

Tom zog ein vergilbtes Blatt Papier heraus und faltete es vorsichtig auseinander. »Lieber Tom«, las er vor. »Wenn du das hier liest, dann bin ich – und somit auch du – in der Maschine gelandet, und wir sitzen im Jahr 1850 fest. Ich weiß nicht, was mit Anna passiert ist, aber ich hoffe, es geht ihr gut. Reise mir nicht nach! Hier kommt man nämlich nie wieder weg. Ich bin krank, und mein Körper wird zusehends schwächer. Die Ärzte in dieser Zeit können nicht mehr viel für mich tun. Zusammen mit diesem Brief erhältst du auch ein Heft. Baue den Zeitregler in die Maschine, so wie ich es darin beschrieben habe. Dann reise zu dem Zeitpunkt, kurz bevor ich in die Kapsel gestoßen werde, und lasse es nicht zu. Nur so können wir verhindern, dass ich – und somit also auch du – im Jahr 1850 gefangen bin. Grüße … Doktor Tom Kepler alias Magellan.«

Diederich war erst einmal sprachlos. »Wie seid ihr zu diesem Brief gekommen?«, fragte er schließlich.

»Das ist eine längere Geschichte«, erklärte Tom. »Magellan hat einen Notar beauftragt, mir den Brief zu geben.«

»Und der war so nett, Zimmer 5 für uns zu mieten«, ergänzte Liv. »Damit wir ein sicheres Plätzchen im Hotel 13 haben.«

»Hmmm«, machte Diederich und dachte über den Brief des Professors nach. »Magellan steckt also im Jahr 1850 fest … Ohne den Zeitregler ist er verloren … Und wo der Zeitregler ist, das weiß nur Anna.«

»Ganz genau«, nickte Tom und atmete tief durch.

Diederich erinnerte sich an den Brief, den Anna beim Empfangschef von Hotel 13 hinterlassen hatte. Darin teilte sie ihren Freunden mit, dass Robert Leopold, der heimtückische Hotelbesitzer, Magellan mit der Zeitmaschine in die Vergangenheit befördert hatte. »Herr Leopold hat den Zeitregler an sich genommen, und Anna ist ihm gefolgt«, murmelte Diederich. »In der gleichen Nacht hat es den Unfall gegeben, bei dem Herr Leopold von der Kutsche überfahren wurde. Und Anna wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht …«

»Wo Paul Leopold sie kurz darauf abholte«, fuhr Tom verbittert fort.

»Direkt vor unserer Nase hat er sie weggeschnappt«, rief Liv.

Tom ballte die Faust, als er daran dachte, wie knapp sie Anna verpasst hatten.

»Dieser Paul ist ganz schön gerissen«, brummte er. »Ich meine, Anna als Familienmitglied auszugeben, war ein genialer Schachzug von ihm.«

»Ich verstehe nur nicht, warum Anna einfach so mit ihm gegangen ist«, warf Liv ein.

»Vielleicht, weil sie ihm auf den Fersen bleiben will«, schlug Diederich vor.

»Vielleicht«, brummte Tom. »Aber ich hätte es lieber gesehen, sie wäre zu uns zurückgekommen. Dann könnten wir nämlich gemeinsam nach dem Zeitregler suchen. Jetzt müssen wir erst mal herauskriegen, wo Paul sie versteckt.«

»Ich glaube nicht, dass er sie schon weggebracht hat«, meinte Liv. »Sie muss noch irgendwo hier im Hotel sein.«

»Ja«, nickte Tom und lachte bitter. »Unter dem Namen Amalia Hennings. Und wenn wir sie nicht rechtzeitig finden, wird sie für den Rest ihres Lebens in diesem verfluchten Hotel eingesperrt sein.«

Liv musste unwillkürlich an die alte Frau Hennings aus der Gegenwart denken. Diese verwirrte Greisin mit den langen weißen Haaren war niemand anders als Anna, die fünfundachtzig Jahre lang als Gefangene der Leopolds im Hotel 13 lebte. An den Rollstuhl gefesselt. Ohne einen blassen Schimmer, wer sie wirklich war.

»Wir werden Anna befreien«, sagte Liv entschlossen. »Wenn sie im Hotel ist, dann finden wir sie auch. Hey, Leute, so groß ist der Laden hier nun wirklich nicht!«

»Das wird allerdings nicht so leicht«, warf Diederich ein und dachte an den neuen Hotelchef. »Paul Leopold nimmt seine Aufgaben nämlich ziemlich ernst.«

»Fast so ernst wie sein Vater«, pflichtete Liv ihm bei.

»Und sein Spürhund fletscht bereits die Zähne«, meinte Tom, dem es beim bloßen Gedanken an Mister X einen Schauer über den Rücken jagte. »Vergesst nicht, dass Mister X ein kaltblütiger Killer ist!« Tom sprach in klarem und deutlichem Ton und blickte Liv und Diederich eindringlich an. »Nehmt euch in Acht vor ihm!«

Liv nickte wortlos.

»Zum Glück kommt heute mein Vater zurück«, murmelte Diederich. »Vielleicht kann er uns helfen …«

»Auf gar keinen Fall!«, unterbrach ihn Tom. Seine Augen funkelten. »Niemand außer uns darf von dem Geheimnis erfahren. Auch dein Vater nicht!«

Diederich schluckte. »Einverstanden«, antwortete er und schaute seine Freunde ernst an. »Ich gebe euch mein Wort.«

Tom saß auf dem Bett in Diederichs Hotelzimmer und blätterte in Magellans geheimen Bauplänen für die Zeitmaschine.

»Hier«, sagte Diederich und warf Tom eine Umhängetasche zu. »Damit du die Zeichnungen nicht so offensichtlich mit dir herumträgst.«

»Danke«, antwortete Tom und wollte die Pläne gerade in der Tasche verstauen, als jemand an die Tür klopfte.

»Das muss mein Vater sein«, rief Diederich und eilte zur Tür.

Tom sprang sofort vom Bett auf und strich sich das Haar zurecht. Liv duckte sich hinter Diederichs Rücken. Sie war ziemlich aufgeregt und wollte einen guten Eindruck bei Diederichs Vater machen. Als Diederich die Tür öffnete, hielt sie die Luft an. Doch auf dem Flur stand nur ein voll beladener Wagen mit Gepäck.

»Cool, dein Vater ist 'n Kofferwagen«, lachte sie und atmete erleichtert auf. »Zum Glück siehst du ihm nicht ähnlich.«

Diederich grinste. »Er kommt gleich hoch«, erklärte er. »Dann könnt ihr ihn kennenlernen.«

»Oh … äh … ich glaube, die Begegnung mit dem Kofferwagen war echt schon intensiv genug«, stammelte Liv. »Ich muss mich erst mal ausruhen … und spazieren gehen … und zu mir finden … und dann kann ich viell...«

»Ganz ruhig, Liv«, sagte Diederich und legte seine Hände auf ihre Schultern. »Er ist wirklich nett.«

Liv kam nicht dazu, sich zu beruhigen, denn in diesem Augenblick ertönte eine kräftige Männerstimme mit einem starken amerikanischen Akzent. »Na, ihr habt's ja hier gemütlich«, rief Diederichs Vater und betrat das Zimmer.

»Das ist mein Vater«, verkündete Diederich stolz. »Winston von Burghart.«

Tom stockte der Atem, als er den Mann im dunkelbraunen Nadelstreifenanzug sah. Mit seinem teuren Westernhut und den schmal geflochtenen Lederbändchen, die er als Cowboykrawatte um den Hemdkragen trug, sah er aus wie ein texanischer Ölbaron. Doch Tom wusste, wer sich hinter der freundlichen Fassade verbarg – ein gerissener Geschäftsmann, der nur an einem interessiert war: Magellans Zeitmaschine. Tom hatte mit eigenen Augen gesehen, wie der Amerikaner sich mit Robert Leopold getroffen hatte. Er war den beiden heimlich gefolgt und hatte ihr Gespräch belauscht. Dabei hatte er erfahren, dass Winston von Burghart dem Hoteldirektor schon eine riesige Menge Geld gegeben hatte. Als Anzahlung für Magellans bahnbrechende Erfindung. Und nun wartete der Amerikaner ungeduldig auf die Fertigstellung dieser Erfindung. Tom war fest davon überzeugt: Die Zeitmaschine war der eigentliche Grund dafür, dass Diederichs Vater sich im Hotel 13 aufhielt. Und falls es ihm gelingen würde, die Zeitmaschine in seinen Besitz zu bringen, bevor Tom und Liv Anna gefunden hatten, würden die drei Freunde es nicht mehr schaffen, in die Gegenwart zurückzukehren. Dann wären sie im Jahr 1927 gefangen. Und Professor Magellan würde sterben.

Tom schluckte. Er musste unbedingt Liv warnen. So schnell wie möglich. Sie durfte sich auf gar keinen Fall verplappern. Und vor allem durfte sie Diederich nicht mehr vertrauen … Womöglich steckte er mit seinem Vater unter einer Decke!

2. VERSUCHE, DICH ZU ERINNERN!

»Mein Sohn«, rief Winston von Burghart. »Stell mir deine Freunde doch mal vor!«

»Wie unhöflich von mir«, lachte Diederich und rieb sich nervös die Hände. »Also, das ist Liv.«

Gespannt beobachtete er, wie sein Vater auf das Mädchen reagieren würde, dem Diederichs Herz gehörte.

»Guten Tag«, sagte Winston von Burghart freundlich und streckte Liv die Hand entgegen.

Doch Liv war so aufgeregt, dass sie Diederichs Vater mit einem Hip-Hop-Handshake begrüßte.

»Yo, Herr von Burghart, was geht?«, meinte sie flapsig. »Wir … äh … chillen … hier …«

Winston von Burghart blickte irritiert von Liv auf seine Hand. She’s a beautiful girl, dachte er. Aber Manieren hat sie nicht. Ein wohlerzogenes Mädchen hätte ihm zur Begrüßung anständig die Hand gegeben und einen Knicks gemacht.

»Und das ist Tom«, fuhr Diederich fort.

»Guten Tag, Tom«, meinte Herr von Burghart und reichte dem Freund seines Sohnes die Hand.

Tom schüttelte sie zögernd.

Wenigstens weiß der Junge, was sich gehört, dachte Herr von Burghart. »Angenehm.«

Er lächelte Tom freundlich an. Dann fiel sein Blick auf die Baupläne, die hinter Tom auf dem Hotelbett lagen.

»Aha«, meinte er und ergriff Magellans Zeichnungen. »Was haben wir denn da Interessantes?«

»Nichts«, widersprach Tom hastig und nahm Diederichs Vater die Baupläne wieder ab. »Das ist … nichts von Belang.«

»Da stehen wohl sehr wichtige Dinge drauf, hm?«, zwinkerte der Amerikaner.

»Ach, n-n-nein«, stotterte Tom, während er die Blätter in die Umhängetasche steckte, die Diederich ihm gegeben hatte. »Nur … Gedichte. Ich … bin nämlich ein Dichter …«

»Ein Dichter«, wiederholte Winston von Burghart und schaute Tom verwundert an. »Und was schreibst du für Gedichte?«

»Och, alles Mögliche«, wich Tom aus.

Aber der Amerikaner ließ nicht locker.

»Lies mir doch mal eins vor«, sagte er. »Ich bin ein großer Fan von Poesie. Diederichs Mutter – Gott hab sie selig – hat ebenfalls gerne Verse verfasst. Mit außerordentlichem Talent …«

»Ach, Vater«, mischte Diederich sich ein. »Lass gut sein. Tom trägt seine Gedichte nicht gerne vor.«

»Na gut«, meinte Herr von Burghart, und Tom atmete erleichtert auf. Doch plötzlich streckte ihm der Amerikaner fordernd die Hand entgegen und fuhr fort: »Vielleicht lässt er ja mich eins seiner Gedichte lesen.«

Tom wusste nicht, wie er aus dieser Nummer wieder herauskommen sollte.

»Nein … nein«, sagte er und drückte die Tasche mit den Bauplänen fest an sich. »Das … wäre mir noch unangenehmer.«

Herr von Burghart zog seine Hand allerdings nicht zurück. Wenn er etwas wollte, dann bekam er es auch.

»Also gut«, murmelte Tom nach kurzem Zögern. »Eins lese ich Ihnen vor.«

Liv schaute erschrocken zu Diederich. Der konnte jedoch auch nichts machen und zuckte nur hilflos mit den Achseln. Gespannt beobachteten die beiden, wie Tom die Baupläne hervorkramte. Dabei achtete er sorgfältig darauf, dass Herr von Burghart keinen Blick darauf werfen konnte. Dann holte Tom tief Luft und tat so, als würde er vom obersten Blatt ablesen

»Alle meine Entchen … schwimmen auf dem See«, begann er, »dann … äh … schwimmt da noch ein Lama … und ein kleines Reh.«

Diederich hatte Mühe, nicht laut loszubrüllen, während Liv sich auf die Lippen biss und verhalten Beifall klatschte.

Herr von Burghart war sprachlos. Was hatte Diederich sich da für schräge Vögel angelacht? Eigentlich war Winston immer froh, wenn sein Sohn Freundschaften schloss und sich amüsierte. Er hatte lange genug unter dem Tod seiner Mutter gelitten. Und seit Diederichs Schwester in einem Schweizer Internat war, zog er mit seinem Vater von Ort zu Ort. Immer zwischen Amerika und Europa hin und her. Je nachdem, wo Winstons Geschäfte die beiden von Burgharts hinführten. Durch das ständige Reisen war es für Diederich schwierig, sich einen Freundeskreis aufzubauen. Umso mehr freute es Herrn von Burghart, dass sein Sohn sich im Hotel 13 so wohl fühlte. Aber bitte nicht mit diesen beiden Verrückten!

»Tja … so weit, so gut«, meinte Tom und wollte die Baupläne wieder in seiner Tasche verstauen.

Dabei rutsche ihm allerdings ein Papier durch die Finger und landete direkt vor Winston von Burgharts Füßen. Liv bückte sich sofort, um das Papier an sich zu nehmen. Doch Diederichs Vater war schneller.

»Hm«, machte der Amerikaner, als er sah, dass das Blatt mit mathematischen Berechnungen und technischen Konstruktionszeichnungen übersät war. »Das sieht eher nach höherer Mathematik als nach Gedichten aus.«

Diederich hielt die Luft an. Er schaute zu Liv, und sein Blick sagte: Bitte, bitte, mach was! Schnell!

»Äh … Stimmt«, stammelte Liv. »Tom ist richtig gut in Mathe … Und ein genialer Erfinder …«

Tom schaute sie erschrocken an. Sie würde doch nicht etwa das Geheimnis der Zeitmaschine verraten?

»Darum hat Tom einen neuen Kunststil erfunden«, fuhr Liv fort. »Er versucht, Mathematik mit Gedichten zu verbinden.«

»Genau«, pflichtete Tom ihr bei. »Eine ganz neue Stilrichtung … Ich bin sozusagen ein Vorkämpfer dieser Kunstform.«

»Interessant«, brummte Herr von Burghart. »Und wie heißt diese … Kunstform?«

»M-Mathema... L-Lyrik«, stotterte Tom. »Äh … ja … genau, Mathemalyrik.«

Diederich atmete auf. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt auf Toms Täuschungsmanöver hereinfallen, dachte er.

Sein Vater dagegen sah nicht so überzeugt aus. Er zog die Brauen hoch und schaute skeptisch von Tom zu Liv. Dann wandte er sich wieder seinem Sohn zu. »Begleitest du deinen Vater zum Essen?«, schlug er vor. »Deine Freundin und … dieser Dichter da … sind eingeladen.«

Liv nickte eifrig. Sie war erleichtert, dass alles so gut gelaufen war. Und Diederichs Vater fand sie eigentlich richtig nett. Umso weniger konnte sie verstehen, warum Tom die Einladung ablehnte.

»Das ist wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen«, sagte er, »es ist nur so: Ich habe leider keine Zeit.«

»Ich bestehe darauf«, erwiderte Herr von Burghart.

Aber Tom stürzte bereits aus dem Zimmer.

»Bin gleich wieder da«, murmelte Liv, warf Diederich einen entschuldigenden Blick zu und folgte Tom. »Sag mal, warum bist du denn so unhöflich?«, zischte sie, als sie Tom auf dem Flur einholte. »Das ist der Vater von Diederich! Was soll er von uns denken?«

»Weißt du denn überhaupt, mit wem wir es zu tun haben?«, herrschte Tom sie an.

Doch leider hatte er keine Gelegenheit mehr, es Liv zu erklären. Denn Winston von Burghart kam gerade aus Diederichs Zimmer.

»Seid ihr so weit?«, fragte der Amerikaner, während sein Sohn die Zimmertür hinter sich schloss.

Liv blickte Tom beschwörend an. »Bitte«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Tu's für mich!« Tom beschloss, ihr den Gefallen zu tun.

»Also gut«, brummte er.

So konnte er wenigstens kontrollieren, dass sie nichts Falsches sagte.

Paul Leopold saß auf einem Stuhl neben dem Bett und blickte auf das geheimnisvolle Mädchen, das sein Gedächtnis verloren hatte.

»Wer bist du?«, murmelte er. »Was hast du mit meinem Vater zu schaffen gehabt?«

Doch er bekam keine Antwort. Die Unbekannte schlief. Paul wusste nur, dass sie in den Unfall verstrickt war, bei dem sein Vater ums Leben gekommen war. War sie vielleicht sogar für seinen Tod verantwortlich? Hatte sie Robert Leopold womöglich vor die Pferdekutsche gestoßen? Damit er seinem Sohn nicht mehr über das Geheimnis von Zimmer 13 verraten konnte?

Paul stand auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab.

»Ach, Vater«, jammerte er. »Warum hast du mich hier alleine zurückgelassen? Mit einem Hotel, für dessen Leitung mir die Erfahrung fehlt, und mit einem Berg Schulden! Wie soll ich das nur schaffen?«

Paul trat ans Fenster und blickte über die Dünen. Der Wind strich über die Gräser im Sand, und am Himmel zogen ein paar Wolken auf, die die Badegäste bald vom Strand ins Hotel treiben würden. Das war gut fürs Geschäft. Aber es reichte nicht, um aus den roten Zahlen zu kommen.

»Wenn ich nur wüsste, was du vorgehabt hast, Vater«, murmelte Paul.

Er dachte an den Augenblick, in dem er seinen Vater zum letzten Mal gesprochen hatte. Es war in der Hotelhalle gewesen. Robert Leopold hatte ein Bündel aus grobem Leinenstoff unter dem Arm gehabt.

Es ist so weit, mein Sohn, hatte er zu Paul gesagt. Wir werden reich!

Paul hatte wissen wollen, was sein Vater damit meinte. Doch der hatte es so eilig gehabt, dass er nur so viel gesagt hatte: Das Geheimnis von Zimmer 13 gehört nun uns. Uns ganz allein. Und mit einem Blick auf das Bündel unter seinem Arm hatte er hinzugefügt: Später werde ich dir mehr erzählen. Jetzt muss ich allerdings erst mal das hier in Sicherheit bringen.

»Später«, wiederholte Paul und lachte bitter. »Leider hat es nie ein Später gegeben. Du hast das Geheimnis mit dir ins Grab genommen. Und die einzige Möglichkeit, wie ich an unseren Reichtum kommen kann, ist sie.«

Paul drehte sich um und blickte auf das schlafende Mädchen. Das Mädchen, das durch den Unfall sein Gedächtnis verloren hatte. Das Mädchen, dem Mister X den Namen Amalia Hennings gegeben hatte.

»Wach endlich auf«, murmelte Paul. »Ich habe nicht ewig Zeit …«

Er öffnete das Fenster und ließ ein wenig frische Seeluft herein. Die Möwen kreischten, und in der Ferne war das Rauschen des Meeres zu hören. Paul wusste nicht, wie lange er einfach so dastand. Irgendwann bemerkte er, wie das Mädchen sich bewegte. Sofort schloss er das Fenster und setzte sich ans Bett.

»Wie geht es dir, Amalia?«, fragte er mit gespielt sanfter Stimme.

Das Mädchen hatte Mühe, die Augen offen zu halten.

»Mach dir keine Sorgen«, erklärte er. »Du bist in Sicherheit. Bei mir. Im Hotel 13.«

»Mein … Kopf«, stöhnte das Mädchen und fasste sich an die Stirn.

»Du hattest einen Unfall«, erklärte Paul. »Kannst du dich daran erinnern?«

Aber die Unbekannte antwortete ihm nicht. Sie schien wieder in die Bewusstlosigkeit abzudriften.

»Versuche, dich zu erinnern!«, sagte Paul, diesmal in energischerem Ton. Er wollte verhindern, dass sie wieder einschlief. »Du warst hinter einem Mann her«, fuhr er fort und zog ein Foto aus der Tasche, das seinen Vater zeigte. »Hinter diesem Mann. Was weißt du über ihn?«

Die geheimnisvolle Fremde blickte eine Weile auf das Bild von Robert Leopold. »Er … sieht aus … wie ein Reptil«, murmelte sie schließlich.

Paul wäre am liebsten vor Zorn aufgesprungen. Doch er musste Ruhe bewahren, sonst würde er gar nichts erreichen. »Schau dir das Foto ganz genau an«, forderte er das Mädchen auf. »Wer ist das?«

Das Mädchen runzelte die Stirn.

Denkt sie nun nach? Oder dämmert sie bereits wieder weg?, überlegte Paul.

»Tom?«, meinte das Mädchen schließlich.

Das ist ja nicht zum Aushalten, dachte Paul. »Nein, das ist Herr Leopold«, herrschte er das Mädchen an. »Und er hatte ein Bündel bei sich, das seit dem Unfall verschwunden ist. Hat er es irgendwo versteckt? Oder du vielleicht?«

»Ich … weiß … es wirklich nicht«, stammelte das Mädchen. »Wer ist Tom?«, fragte es mit letzter Kraft. Dann verlor es wieder das Bewusstsein.

»Das weiß ich doch nicht«, antwortete Paul genervt. »Mich interessiert, was mit dem Bündel ist!«

Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf die nächste Gelegenheit zu warten. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und seufzte. »Irgendwann wirst du dich hoffentlich erinnern …«

Es dämmerte bereits, als jemand an die Tür klopfte.

»Ich bin's«, raunte eine Männerstimme.

Paul schreckte hoch und ging zur Tür, um dem Mann zu öffnen, der ihm dabei helfen sollte, das Geheimnis seines Vaters zu lüften. Und lästige Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

»Hat Sie jemand gesehen?«, fragte Paul, als Mister X das Zimmer betrat.

»Sehe ich etwa aus wie ein Amateur?«, gab der hagere Mann mit der blassen Gesichtsfarbe zurück. Er trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd. Sein schütteres graues Haar klebte streng zurückgekämmt am Schädel. Er kniff die Augen zusammen und ließ seinen prüfenden Blick von dem schlafenden Mädchen zu Paul wandern. »Und? Hat sie schon was erzählt?«, wollte er wissen.

»Nein«, erwiderte Paul. »Nichts Sinnvolles, jedenfalls.«

»Früher oder später müssen wir sie wegschaffen«, meinte Mister X. »Es ist zu riskant hier. Gerade habe ich Winston von Burghart gesehen. Er saß mit seinem Sohn im Restaurant. Der dunkelhaarige Junge und das vorlaute Mädchen waren auch dabei. Ich wette, die hecken einen Plan aus, wie sie unsere Unbekannte hier befreien können.«

3. ZWEI FLIEGEN MIT EINER KLAPPE

»Wenn sie Amalia finden, können wir das Geheimnis meines Vaters vergessen«, meinte Paul und blickte besorgt von der mysteriösen Fremden, die bewusstlos im Bett von Zimmer 20 lag, zu seinem skrupellosen Verbündeten.

Mister X strich sich mit der Hand übers Kinn. »Schmeiß die drei einfach raus. Es ist dein Hotel. Und wenn sie nicht mehr reindürfen, dann können sie Amalia auch nicht mitnehmen.«

»Aber Diederich kann ich kein Hausverbot erteilen«, wandte Paul ein. »Er ist Winston von Burgharts Sohn.«

»Ja«, murmelte Mister X und überlegte. Plötzlich trat ein gefährliches Funkeln in seine Augen. »Herr von Burghart will bestimmt nicht, dass seinem Sohn etwas passiert. Das ist sein wunder Punkt.«

Paul lief ein Schauer über den Rücken. Er wagte eigentlich gar nicht zu fragen, was der finstere Mister X mit Diederich vorhatte. Doch er hatte keine Wahl. »Haben Sie eine Idee, wie wir ihn loswerden können?«

»Entführen«, grinste der Ganove. »Zwei Fliegen mit einer Klappe.«

»Ich verstehe nicht«, meinte Paul.

»Ganz einfach«, sagte Mister X. »Einfach und genial zugleich. Eine Entführung würde uns nämlich zwei Vorteile verschaffen: Zum einen gäbe es einen weniger, der das Mädchen sucht – und zum anderen hätten wir endlich etwas gegen Winston von Burghart in der Hand. Etwas, was ihn eine Weile ablenkt.«

»Gar keine schlechte Idee«, murmelte der junge Hoteldirektor.

Er dachte an den Amerikaner, der ein Geschäftspartner von Pauls Vater gewesen war. Winston von Burghart hatte Robert Leopold bereits so viel Geld gegeben, dass er das Hotel 13 gleich zweimal hätte kaufen können. Und als Gegenleistung hatte Robert Leopold versprochen, dem Amerikaner ein wichtiges Objekt zu besorgen. Etwas Kostbares, was sich in Zimmer 13 befand.

Du hast vier Tage Zeit, hatte Winston zu Paul gesagt. Wenn du mir das Objekt bis dahin nicht aushändigst, werde ich Hotel 13 übernehmen und dich auf die Straße setzen!

Das war nun zwei Tage her. Die Zeit wurde knapp. Und Paul hatte keine Ahnung, worum es sich bei dem Objekt handelte. Er wusste ja nicht einmal, wo sich dieses geheimnisvolle Zimmer 13 befand. Allerdings hatte er eine Vermutung. Er nahm an, dass das Objekt, auf das der Amerikaner so erpicht war, sich in dem Leinentuch befand – dem Bündel, das sein Vater kurz vor seinem tödlichen Unfall an einem geheimen Ort versteckt hatte. Und solange Paul nicht wusste, wo dieses Bündel versteckt war, riskierte er, sein Hotel an diesen Cowboy zu verlieren.

»Sie meinen, wenn wir Diederich von Burghart entführen, gewinnen wir wenigstens ein bisschen Zeit?«, fragte Paul und blickte Mister X hoffnungsvoll an. »Weil dieser charakterlose Schleimbeutel mit dem Westernhut so lange mit etwas anderem beschäftigt ist?«

Mister X nickte. »Zudem könnten wir ihm einen Batzen Lösegeld abpressen«, fügte er hinzu.

Paul dämmerte, was das bedeutete. »Dann bezahlen wir unseren Geschäftspartner mit seinem eigenen Geld«, lachte er und rieb sich die Hände.

»Wie ich schon sagte«, meinte Mister X. »Ich bin kein Amateur.« Er ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. »So, wenn du mich jetzt entschuldigen würdest – ich habe alle Hände voll zu tun. Es sollen sich nämlich ein paar junge Leute ins Hotel eingeschlichen haben, die hier für Unruhe sorgen …«

Paul sperrte die Tür hinter seinem Komplizen ab und setzte sich wieder an das Bett seiner Gefangenen.

»Was wolltest du von meinem Vater?«, fragte er, als sie wieder zu sich kam. »Warum warst du bei dem Unfall dabei? Hm?«

Doch die geheimnisvolle Unbekannte blickte ihn nur verwirrt an. »Ich … Unfall?  … Ich weiß nicht …«, stammelte sie, bevor ihr erneut die Augen zufielen.

»Früher oder später wird dein Gedächtnis zurückkommen«, brummte Paul vor sich hin. »Und dann wirst du mir sagen, was ich wissen will.«

»Wo ist Diederich?«, fragte Tom.

»Er wird gleich kommen«, antwortete ihm Liv. »Mann, Tom, jetzt entspann dich mal.«

»Liv«, murmelte Tom. »Ich weiß nicht, ob wir Diederich vertrauen können.«

»Was?«, rief Liv und schaute Tom fassungslos an.

»Was?«, ertönte im gleichen Moment Diederichs Stimme.

Tom fuhr herum. Hinter ihm stand der Junge, der Tom und Liv die ganze Zeit über geholfen hatte. Der Junge, der ihr Freund geworden war. Und dem Tom auf einmal nicht mehr über den Weg traute, weil sein Vater Winston von Burghart war – der Mann, der die Zeitmaschine in seinen Besitz bringen wollte. Das war jedenfalls Toms Überzeugung.

»Du glaubst, dass du mir nicht vertrauen kannst?«, wiederholte Diederich.

Tom wurde rot. »Ähm … ich meine … ich weiß nicht, ob wir deinem Vater vertr... äh … egal!«

Diederich stand da wie vom Blitz getroffen.

»Komm«, sagte Tom und zog Liv an der Hand hinter sich her. »Wir müssen los! Wir müssen …«

»Warte!«, rief Diederich und hielt Tom zurück. »Ich weiß, dass du meinem Vater nicht vertraust. Obwohl ich keine Ahnung habe, warum nicht. Gut, er ist vielleicht ein knallharter Geschäftsmann – aber das macht doch keinen schlechten Menschen aus ihm!«

»Und was macht ein knallharter Geschäftsmann, wenn er mitkriegt, dass es 'ne Zeitmaschine gibt?«, konterte Tom.

»Was soll er denn machen, wenn er von nichts weiß?«, erwiderte Diederich.

Tom wich dem Blick seines Freundes aus und schwieg.

»Ich habe ihm nichts gesagt, Tom«, fuhr Diederich fort. »Ehrenwort!«

Liv wusste, dass Diederich die Wahrheit sagte. Ihr Herz wusste es. Darum konnte sie absolut nicht verstehen, warum Tom plötzlich hinter allem eine Verschwörung sah. Lagen seine Nerven so blank?

»Ich weiß nicht, wie das in eurer Zeit ist«, sagte Diederich gekränkt. »Aber hier hält man sich an seine Versprechen.«

Tom hob den Blick und schaute seinem Freund in die Augen. »Okay, ich glaube dir«, murmelte er. »Danke, dass du nichts gesagt hast. Ich wollte deinen Vater nicht beleidigen. Ich bin einfach ein bisschen nervös … wegen Anna …«

»Verstehe ich«, antwortete Diederich und streckte Tom versöhnlich die Hand entgegen.

Tom schlug ein und drückte Diederichs Hand.

»Halleluja«, seufzte Liv, erleichtert darüber, dass die beiden sich wieder vertrugen. »Können wir jetzt endlich Anna suchen?«

»Von mir aus schon lange«, antwortete Diederich. »Und ich habe auch schon eine Idee, wie wir ungestört das Hotel durchsuchen können …«

Wenig später ging ein neues Zimmermädchen durch die Flure von Hotel 13. Ein Zimmermädchen, das seine wilden Locken unter einem weißen Spitzenhäubchen verbarg.

Schwarz steht mir einfach nicht, dachte Liv und schaute an sich hinunter. Sie trug ein schwarzes Kleid mit weißem Kragen und eine weiße Schürze. So wie die anderen Zimmermädchen im Hotel 13. Ein Glück, dass die Uniformen des Hotelpersonals in der Gegenwart rot sind!

Zimmermädchen Liv schob einen Korbwagen mit Vorrichtungen für Staubwedel, Putzlappen und Poliertuch. Weiß emaillierte Dosen verkündeten in verschnörkelter schwarzer Schrift, was für Reinigungsmittel sich in ihnen befanden: Sand, Seife und Soda.

»Der Allzweckreiniger muss offenbar erst noch erfunden werden«, murmelte Liv und schob den Wagen über den Flur des ersten Obergeschosses.

Als sie um die Ecke bog, sah sie Mister X, der gerade die Treppe heraufkam. Liv duckte sich hinter ihren Korbwagen und hielt die Luft an. Auch wenn er sie auf die Entfernung nicht unbedingt gleich erkennen würde, wollte sie kein Risiko eingehen. Immerhin hatte Robert Leopold den Mann als Auftragskiller engagiert, der Professor Magellan aus dem Weg räumen sollte. Mister X war zu allem fähig. Darum beschloss Liv, so zu tun, als ob sie schmutzige Handtücher im Korb verstauen würde, falls der Killer an ihr vorbeiging. Doch Mister X ging die Treppe zum zweiten Obergeschoss hinauf.

Liv beschloss, ihm zu folgen. In sicherem Abstand, versteht sich. Sie schob ihren Putzwagen zum Lift und fuhr ein Stockwerk nach oben. Als die Gittertür des Lifts sich öffnete, sah Liv gerade noch, wie Mister X in einem der Gästezimmer verschwand. Mit dem Staubwedel in der Hand schob Zimmermädchen Liv den Wagen den Flur entlang und näherte sich der betreffenden Tür. Sie tat so, als ob sie die Bilderrahmen abstauben würde, und schob den Korbwagen Meter um Meter vorwärts, bis sie die Nummer des Zimmers erkennen konnte, in dem der Killer verschwunden war: Es war Zimmer 20. Schwaches Stimmengemurmel hinter der Tür verriet, dass Mister X sich mit jemandem unterhielt. Aber eigentlich hörte Liv nur eine einzige Stimme. Die Stimme des Killers.

Entweder er führt Selbstgespräche oder er hat seinen Gesprächspartner gerade umgebracht, schoss es Liv durch den Kopf.

In diesem Moment ging die Tür auf und Mister X trat auf den Flur. Liv hatte es gerade noch geschafft, sich hinter ihrem Wagen zu verstecken. Sie drehte den Kopf zur Seite und hielt die Luft an. Zum einen, weil sie Angst davor hatte, entdeckt zu werden – zum anderen, weil sie gerade eine unglaubliche Entdeckung gemacht hatte: Im Bett von Zimmer 20 lag Anna. Sie hatte die Augen geschlossen.

Schläft sie? Oder hat er ihr was angetan? Nein, bestimmt schläft sie nur. Von der Erschöpfung. Durch den Unfall …

Liv versuchte sich zu beruhigen. Sie musste zu Anna. Sie musste ihre Freundin da rausholen. Doch sie wagte nicht, sich zu rühren. Nicht, solange Mister X in der Nähe war. In diesem Moment spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter.

Liv erstarrte.

»Was machst du da?«, herrschte eine Männerstimme sie in ernstem Ton an.

Oh nein, dachte Liv und biss die Zähne zusammen. Nun hat Mister X mich erwischt. Mein letztes Stündchen hat geschlagen. So kurz vor dem Ziel …

Langsam drehte sie den Kopf und schaute den Mann an, dessen eiserner Griff sich gerade etwas lockerte. Liv fiel ein Stein vom Herzen, als sie sah, dass es nicht Mister X war, sondern Paul.

»Sag schon, was machst du da?«, wollte der junge Hoteldirektor wissen. »Oder hast du deine Zunge verschluckt?«

»Ich … äh … habe abgestaubt«, stammelte Liv und schaute sich auf dem Flur um. Mister X war nicht mehr zu sehen. Offenbar war er wieder nach unten gegangen. Vielleicht, weil Paul als Ablösung gekommen war.

Ein Glück, dachte Liv. Mit Paul werde ich noch eher fertig.

Dann kam sie langsam in Fahrt und plapperte wild drauflos. »Ja, ich habe abgestaubt. Die Bilder. Mit den Schiffen. Und den Wellen. Und dem Strand. Und dem Sand. Und den Dünen. Irre, wie diese Maler das gemacht haben. Man könnte glatt glauben, dass es Fotokopien sind.«

»Fotoko-was?« Paul Leopold zog die Brauen zusammen und schaute das Zimmermädchen prüfend an. Sein Vater hätte gewusst, wie es heißt. Er hatte das Personal schließlich auch eingestellt. Doch Paul musste sich erst noch an seinen neuen Job gewöhnen.

Liv nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass Diederich am Ende des Flurs erschien. Sie musste alles tun, um Paul abzulenken. Er durfte Diederich auf keinen Fall hier entdecken.

»Fotokopien«, wiederholte sie und wedelte mit dem Staubwedel durch die Gegend.

»Wir habe keine Kopien hier«, stellte Paul klar. »Die Bilder sind alle Originale. Ohne Ausnahme! Aber was versteht ein einfaches Zimmermädchen schon von Malerei?«

Liv fuchtelte wie verrückt mit dem Staubwedel vor seiner Nase herum.

»Du verteilst den Staub ja mehr, als ihn zu entfernen«, tadelte der Hotelchef. »Schluss damit!«

Energisch nahm er ihr den Staubwedel aus der Hand und legte ihn auf den Wagen. Liv sah gerade noch, wie Diederich sich hinter dem Korb versteckte.

»Ab in mein Büro«, brummte Paul Leopold und zog das unfähige Zimmermädchen Richtung Treppe.

Liv folgte ihm widerstandslos. So konnte wenigstens Diederich unbemerkt entkommen. Anna ist in Zimmer 20 eingesperrt, versuchte Liv noch, ihm im Gehen mitzuteilen. Doch sie konnte es ihm nicht sagen, ohne dass Paul es mitbekam. Und Diederich verstand nicht, was Liv ihm mit ihrem wilden Gefuchtel mitteilen wollte. Er vermutete, Liv hatte ihn um Hilfe gebeten. Darum beschloss er, Tom zu informieren, der sich in Zimmer 5 versteckt hielt.

Diederich ging zum Lift und fuhr hinunter ins Erdgeschoss. Dort durchquerte er die Empfangshalle, ging an der Bar vorbei und schlug den Weg zu Toms Zimmer ein.

»Tom, Paul hat Liv erwischt«, rief Diederich atemlos.

»Was?« Tom sprang entsetzt vom Bett auf. »Woher weißt du das?«

»Ich hab's gesehen«, meinte Diederich. »Ich war dabei.«

Tom blies die Backen auf. »Und du hast ihr nicht geholfen?«

»Ich wollte«, erklärte Diederich. »Aber es ging nicht. Sonst hätte Paul mich entdeckt.«

»Wo ist Liv jetzt?«, wollte Tom wissen.

»Paul hat sie in sein Büro gebracht«, berichtete Diederich.

»Dann hole ich sie da wieder raus«, beschloss Tom und wollte zur Tür gehen.

Doch Diederich hielt ihn zurück. »Warte. Du bist ein Hotelgast«, sagte er. Und als Tom ihn fragend anschaute, fügt er hinzu: »Du kannst nicht einfach in den Personalbereich spazieren. Das fällt auf!«

Tom zuckte die Schultern. »Dann besorge ich mir eben so 'ne Personaluniform.«

»Moment«, beharrte Diederich und hielt seinen Freund am Arm fest. »Was ist, wenn sie dich erwischen? Es ist besser, wenn ich gehe. Mir wagen sie nichts zu tun. Wegen meines Vaters.«

Aber Tom blieb stur. Er konnte nicht tatenlos in Zimmer 5 herumsitzen, während Liv und Anna in der Gewalt von Paul Leopold und Mister X waren. Er musste raus hier und etwas tun!

»Ich mach das lieber allein«, brummte er.

Diederich verdrehte genervt die Augen. »Tom!«, rief er. »Warum vertraust du mir nicht?«

Doch Tom war bereits verschwunden.

4. DIE GEFANGENE VON ZIMMER 20

Anna stand am Fenster und lauschte der Brandung. Es war eine helle Nacht. der Mond tauchte die Dünen in ein sanftes, blasses Licht. Der Vorhang bewegte sich in der leichten Brise, und sie fröstelte ein wenig. Der dünne Stoff des ärmellosen Nachthemds lag kalt auf ihrer Haut. Trotzdem blieb sie am Fenster stehen. Es war ihre einzige Verbindung nach draußen.

Dabei wusste sie nicht einmal, wo sie war. Geschweige denn, wer. Amalia Hennings – der Name klang so fremd. Und gleichzeitig vertraut. Es war zum Verrücktwerden. Als ob jemand auf die Pausetaste in ihrem Gehirn gedrückt hätte.

Anna fasste sich an den Kopf und tastete vorsichtig mit den Fingern über die Wunde an ihrer Stirn. Zum Glück war sie den Verband los. Er hatte ihr ein Gefühl gegeben, als ob ihr Schädel eingeschnürt wäre. So eng, dass sie nicht mehr in der Lage war, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.

Seltsam, dachte sie. Ich kann mich an nichts erinnern. Und trotzdem habe ich das Gefühl, nicht hierher zu gehören.

Während Anna beobachtete, wie das Licht des Leuchtturms die Dunkelheit durchbrach, kam ihr ein Gedanke: Morgen frage ich Paul, ob ich einen Spaziergang zur Küste machen darf. Ich verstehe nicht, warum er mich hier einsperrt. Ich komme mir vor wie eine Gefangene …

Kurz darauf hörte sie, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Sie sah, dass der Mann ins Zimmer kam, der ihr im Krankenhaus als ihr Onkel vorgestellt worden war.

»Weg vom Fenster«, herrschte er Anna an. »Sofort!«

»Darf ich nicht mal mehr nach draußen sehen?«, verteidigte sie sich.

»Nein!«, erwiderte Mister X barsch.

Anna setzte sich aufs Bett und beobachtete. wie er die Vorhänge zuzog.

Dieser Mann ist mir unheimlich, dachte sie. Auch wenn er mein Onkel sein soll.

Mister X ging auf seine Gefangene zu und fragte in wenig freundlichem Ton: »Ist dir noch was eingefallen? Über den Unfall? Oder Herrn Leopold?«

Anna wich unwillkürlich zurück. Und je weiter sie zurückwich, desto weiter beugte Mister X sich vor.

»Denk nach!«, rief er ungeduldig. »Was weißt du über die Sache, die er bei sich hatte? Na?«

Anna hielt die Luft an und schwieg. Die kalten Augen des Mannes jagten ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Sein Blick ließ ihr beinahe das Blut in den Adern gefrieren. Seine eisige Ausstrahlung füllte den ganzen Raum aus. Wenigstens hatte Paul noch ein gewisses Maß an Mitgefühl.

»Kann Paul nicht kommen?«, flüsterte sie. »Ich würde lieber mit ihm reden.«

Mister X presste die Lippen zusammen und ging wortlos zur Tür.

Anna atmete erleichtert auf, als er die Tür wieder von außen abschloss.

»Ich hab doch angeordnet, dass Zimmer 20 nicht geputzt werden soll«, rief Paul Leopold und ging zornig in seinem Büro auf und ab. »Ausdrücklich!«

»Ich habe ja auch nur die Bilder auf dem Flur abgestaubt«, verteidigte sich Liv. Dann fügte sie kleinlaut hinzu: »Es tut mir leid …«

»Wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen«, herrschte er sie an. Er musste dem Personal klarmachen, dass er der neue Chef im Hause war. Und das schaffte er am ehesten, wenn er seine Macht demonstrierte. Sonst würden sie ihm bald alle auf der Nase herumtanzen. »Ich muss dich entlassen«, sagte er barsch. »Gib deine Uniform an der Rezeption ab, bevor du gehst.«

»Was? Nein! Nein, nein!«, rief Liv in gespielter Verzweiflung. »Das können Sie einem armen Zimmermädchen doch nicht antun! Bitte geben Sie mir wenigstens noch eine Chance!«

Liv spielte ihre Rolle so überzeugend, dass Paul ihr tatsächlich glaubte. Es schmeichelte ihm zu sehen, welch großen Respekt sie vor ihm hatte.

»Kannst du mit einer Schreibmaschine umgehen?«, fragte er gnädig.

Liv nickte eifrig. »Tastaturen sind mein Spezialgebiet«, versicherte sie ihm. »Echt jetzt!«

Paul schaute sie stirnrunzelnd an. Irgendwie wurde er nicht schlau aus ihr. Aber ein Blick auf die Papierberge auf dem Schreibtisch fegte seine Zweifel beiseite.

»Umso besser«, sagte er energisch und legte ihr einen großen Stapel Rechnungen vor die Nase. »Die müssen alle abgetippt werden.«

Liv setzte sich an die Schreibmaschine und tastete an der Seite entlang. »Oh«, stellte sie verwundert fest. »Da ist ja gar keine Maus …«

»Natürlich nicht!«, empörte sich der junge Hoteldirektor. »Das ist ein Büro– und kein Zoo! Papier findest du im Schrank. Und Farbband auch.«

»Fahrband?«, echote Liv. »Ich will doch gar nicht verreisen …«

Aber Paul hatte das Direktionsbüro bereits verlassen.

»Bingo!«, murmelte Liv. Etwas Besseres hatte ihr gar nicht passieren können. In Paul Leopolds Büro saß sie sozusagen in der Schaltzentrale des Hotels. So würde sie einiges mitbekommen, was nicht für fremde Augen und Ohren bestimmt war. Um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen, ging sie zum Schrank und holte sich einen Stapel Schreibpapier. Nachdem sie vergeblich nach dem Papierfach gesucht hatte, in das sie gleich hundert Blatt einlegen wollte, wurde ihr klar, dass sie hier keinen Laserdrucker vor sich hatte, sondern eine mechanische Schreibmaschine. Ohne Maus und ohne Bildschirm. Allerdings mit einer Tastatur.

»Immerhin«, murmelte Liv und versuchte, einen einzelnen Bogen Papier in den Schlitz hinter der Walze einzuspannen. Und das war eine echte Herausforderung. In Gedanken pries Liv die segensreiche Erfindung des automatischen Papiereinzugs. Doch nach mehreren missglückten Versuchen war es endlich so weit: Sie konnte ihre erste Rechnung in die Tasten hauen.

»Mann, ist das anstrengend«, stöhnte sie. »Die Tasten gehen so schwer, dass ich beim Tippen gleichzeitig Krafttraining mache!«

Kurz darauf hörte sie Stimmen auf dem Flur, die rasch näher kamen. Dann ging die Tür auf und Mister X betrat mit Paul Leopold das Büro. Liv beugte sich sofort tiefer über ihre Schreibmaschine und zog sich das Spitzenhäubchen tiefer ins Gesicht, damit der Killer sie nicht gleich erkennen würde. Doch der schien sich gar nicht für das Personal zu interessieren.

»Das Mädchen stand am Fenster«, sagte er in gedämpfter Stimme zu Paul. »Was, wenn jemand etwas bemerkt?«

Liv wusste sofort: Es ging um Anna. Sie spitzte die Ohren, um mehr zu hören.

»Es wird langsam zu gefährlich hier«, raunte Mister X.

Der junge Hoteldirektor nickte. »Sie haben recht«, murmelte er. »Wir müssen eine andere Lösung finden. Bleiben Sie bei dem Mädchen. Ich sorge dafür, dass hier alles problemlos weiterläuft.«

Mister X nickte und machte auf dem Absatz kehrt.

Ich muss verhindern, dass er Anna woanders hinbringt, schoss es Liv durch den Kopf.

Sie sprang auf und wollte ihm nachgehen. Doch erst musste sie Paul eine Ausrede auftischen.

»Ähm … die F-F-Farbpatrone ist alle«, stotterte sie. »Ich kann nicht mehr weitertippen. Ich … gehe wieder Zimmer putzen.«

»Du bleibst hier und schreibst die Rechnungen«, schnauzte Paul sie an. »Farbbänder habe ich mehr als genug.«

Er ging zum Schrank und holte eine Rolle Farbband heraus. Die drückte er Liv in die Hand und verließ das Büro.

Liv hörte, wie er die Tür abschloss.

»Na toll«, fluchte sie. »Jetzt sitze ich hier fest. Mit diesem deprimierenden schwarzen Kleid, dem bescheuerten Spitzenhäubchen – und diesem verflixten Fahrband.«

Sie betrachtete die schwarze Rolle so entsetzt, als ob Paul Leopold ihr einen Mistkäfer auf die Hand gesetzt hätte. Dann zog sie mit spitzen Fingern an dem schwarzen Stoffstreifen, der aus der Rolle heraushing und länger und länger wurde.

»Wenn ich wenigstens wüsste, was ich mit diesem Band machen soll«, jammerte sie. »Will er etwa, dass ich schwarze Schleifen um die Briefe binde, oder was?«

Während Liv sich mit dem Farbband für die Schreibmaschine abmühte, durchquerte Paul Leopold die Empfangshalle. An der Rezeption hatte er bereits nach dem Rechten gesehen – jetzt wollte er prüfen, ob im Restaurant alles in Ordnung war. Er durchquerte gerade die Hotellobby, als er seinem amerikanischen Geschäftspartner in die Arme lief.

»Paul Leopold!«, rief Winston von Burghart. »Endlich habe ich dich gefunden. Versteckst du dich etwa vor mir?«

»Ich? Nein, gar nicht.« Der junge Hoteldirektor versuchte, so gelassen wie möglich zu wirken. Dabei klopfte sein Herz so schnell, dass es sich fast überschlug. »Ich habe einfach viel zu tun. Ohne meinen Vater … Sie verstehen … Und jetzt habe ich ehrlich gesagt auch keine Zeit.«

Er wollte gleich weitergehen, doch der Amerikaner verstellte ihm den Weg.

»Dann musst du dir die Zeit wohl nehmen«, sagte Herr von Burghart und tippte seinem Gegenüber mit dem Zeigefinger drohend auf die Brust. Er senkte seine Stimme und raunte Paul ins Ohr: »Du besorgst mir jetzt die geheime Sache aus Zimmer 13!«

»Äh … die geheime Sache?«, wiederholte Paul und stellte sich dumm. »Könnten Sie sich ein wenig genauer ausdrücken?«

»Verkaufe mich nicht für blöd!«, zischte Winston von Burghart. »Ich habe eine Anzahlung geleistet, und jetzt will ich, was mir zusteht, verstanden? Du hast noch vierundzwanzig Stunden Zeit.«

»Was? Vierundzwanzig Stunden? Wie … wie soll ich das schaffen?«, stammelte Paul Leopold. »Ich … ich brauche mehr Zeit.«

Der Amerikaner verschränkte die Arme und betrachtete den jungen Mann, der noch ein halbes Kind war. Wie alt mochte Paul sein? Kaum älter als Diederich, vermutete Winston von Burghart.

»Na gut«, lenkte er schließlich ein. »Sagen wir achtundvierzig Stunden.«

Paul Leopold brauchte seine Verzweiflung nicht einmal zu spielen. »Bitte, Herr von Burghart«, flehte er. »Ich bin durch den plötzlichen Tod meines Vaters in diese Sache hineingeraten. Und nun muss ich auf einmal den ganzen Laden hier alleine schmeißen. Bestellungen, Personal, Reservierungen, Rechnungen – ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht …«

»Hör auf zu jammern«, erwiderte Herr von Burghart ungerührt. »Ich jammere auch nicht. In drei Tagen habe ich, was dein Vater mir versprochen hat. Oder du verlierst das Hotel. Klar?«

Tom hatte sich in den Personalbereich des Hotels geschlichen und war in eine Pagenuniform geschlüpft. Sie war dunkelrot und hatte ziemlich viele blank polierte Messingknöpfe. Mit der deckelförmigen Kopfbedeckung kam er sich vor wie ein Zirkusäffchen, das gleich seinen großen Auftritt in der Manege hat. Dabei wollte Tom so unauffällig wie möglich sein. Er ging auf Zehenspitzen den Gang zum Direktionsbüro entlang und lauschte. Hinter der Tür ertönte gerade Livs Stimme.

»Mann, Leute, könnt ihr keinen Computer erfinden? Das halt ich ja im Kopf nicht aus«, hörte er sie schimpfen.

Wenn sie so flucht, muss sie alleine sein, grinste Tom und klopfte vorsichtig an die Tür. »Liv?«, flüsterte er. »Ich bin's … Tom …«

Er drückte vorsichtig die Klinke hinunter, doch die Tür war verschlossen.

»Es ist abgesperrt«, flüsterte er. »Und der Schlüssel fehlt.«

»Verdammt«, fluchte Liv.

»Alles in Ordnung bei dir?«, wollte Tom wissen.

»Ja«, kam es zögerlich. »Wenn man mal von einer mittleren Schreibmaschinenkatastrophe absieht.«

»Hä?« Tom hatte keinen Schimmer, wovon sie sprach.

»Ach, vergiss es, schon gut, ich bin okay«, versicherte ihm Liv. »Hör zu, Tom, du musst, so schnell du kannst, in Zimmer 20. Sofort!«

»Wieso das?«, fragte Tom.

»Weil Anna dort eingesperrt ist«, erklärte ihm Liv. »Ich habe sie gesehen. Ihr geht's gut … Aber du musst zu ihr, okay?«

»Bin schon weg«, gab Tom zurück und machte sich umgehend auf den Weg.

Am Empfang schnappte er sich einen voll beladenen Kofferwagen, mit dem er sich unauffällig durchs Hotel bewegen konnte. Im Notfall würde er sich sogar hinter dem Ding verstecken können. Rasch schob er den Wagen zum Lift und drückte den obersten Knopf. Oben angekommen, schob er vorsichtig das Schutzgitter zur Seite und spähte in den Flur. Die Luft war rein. Tom atmete tief durch und schob den Kofferwagen über den Gang bis zur Tür von Zimmer 20. Dort presste er sein Ohr an das Holz und lauschte.

»Ich wette, die verheimlicht uns was!«, hörte er jemanden sagen. Die Stimme klang eiskalt. Und Tom wusste genau, wem diese Stimme gehörte – keinem anderen als Mister X.

»Wenn ihre Erinnerung nicht bald zurückkehrt, haben wir noch ein ganz anderes Problem«, sagte eine zweite Stimme, die unzweifelhaft nach Paul Leopold klang. »Winston von Burghart hat mir ein Ultimatum gesetzt. Drei Tage!«

»Bis dahin müssen wir sie so weit bringen, dass sie das Geheimnis ausspuckt«, gab Mister X zurück. »Wenn's sein muss, mit Gewalt.«

Toms Herz schaltete einen Gang hoch.

Halt durch, Anna, dachte er. Ich hole dich da raus.

5. ALLES ODER NICHTS

Tom brachte den Kofferwagen wieder zurück in die Lobby und ging zu Zimmer 5, wo Diederich die Stellung gehalten hatte.

»Und? Hast du etwas herausgefunden?«, fragte er ungeduldig, als er Tom sah.

»Die gute Nachricht ist: Anna ist in Zimmer 20«, berichtete Tom.

»Und die schlechte?«, wollte Diederich wissen.

»Sie wird von diesem Auftragskiller bewacht«, sagte Tom. »Und die ganz schlechte Nachricht ist, dass Liv jetzt in Herrn Leopolds Büro eingesperrt ist.«

»Was?«, rief Diederich und sprang wie elektrisiert vom Stuhl auf. »Wieso das denn?«

»Weil sie Rechnungen für ihn tippen musste«, erklang plötzlich Livs Stimme.

Tom und Diederich fuhren herum und sahen ihre Freundin, die fröhlich lachend in den Raum spaziert kam.

»Und als sie damit fertig war, durfte sie wieder gehen«, fügte Liv hinzu.

Sie trug immer noch ihre Zimmermädchenuniform. Allerdings hatte sie überall schwarze Flecken. Auf der Schürze, auf dem Häubchen – sogar im Gesicht und an den Armen.

»Du siehst eher aus, als ob du den Schornstein gefegt hättest«, lachte Diederich. Er war erleichtert. Liv war nichts passiert.

»Tja, das war ein unglückliches Zusammentreffen mit einer mechanischen Schreibmaschine«, erklärte Liv. »Leute, ich kann euch sagen … Ich bin froh, dass es Computer und Laserdrucker gibt.« Sie schaute sich suchend im Zimmer um.

»Äh … wo ist Anna?«

Details

Seiten
Erscheinungsform
eBook-Lizenz
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960530565
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
eBooks Kinderbuch ab 8 Jahre Jugendbuch TV-Serie Nikelodeon fuer Maedchen fuer Jungen Zeitreise Abenteuer Freundschaft Geheimnis Das Buch zur Serie
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Titel: Hotel 13 - Band 3: Wettlauf gegen die Zeit
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