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Lieben verboten

©2016 175 Seiten

Zusammenfassung

Turbulente Ferien und die große Liebe: Der Jugendroman „Lieben verboten“ von Erfolgsautorin Sissi Flegel jetzt als eBook bei jumpbooks.

Mathe pauken oder mit der coolen Tante Urlaub am Mittelmeer machen? Isa weiß sofort, wie sie ihre Ferien lieber verbringen möchte. Da gibt es nur einen Haken: ausgerechnet jetzt plagt ihre Tante ziemlich großer Liebeskummer und sie braucht eine Menge Aufmerksamkeit. Schon bald lernen sie Walter kennen – und Isa wäre nicht Isa, wenn sie nicht sofort Verkupplungsversuche starten würde – zumal Walter auch noch einen süßen Sohn hat …

Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Jugendroman „Lieben verboten“ von Erfolgsautorin Sissi Flegel. Freche Mädchenbücher ab 12 Jahren. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Mathe pauken oder mit der coolen Tante Urlaub am Mittelmeer machen? Isa weiß sofort, wie sie ihre Ferien lieber verbringen möchte. Da gibt es nur einen Haken: ausgerechnet jetzt plagt ihre Tante ziemlich großer Liebeskummer und sie braucht eine Menge Aufmerksamkeit. Schon bald lernen sie Walter kennen – und Isa wäre nicht Isa, wenn sie nicht sofort Verkupplungsversuche starten würde – zumal Walter auch noch einen ziemlich süßen Sohn hat …

Über die Autorin:

Sissi Flegel, Jahrgang 1944, hat neben ihren Romanen für erwachsene Leser sehr erfolgreich zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, die in 14 Sprachen erschienen sind und mehrfach preisgekrönt wurden. Die Autorin ist verheiratet und lebt in der Nähe von Stuttgart.

Bei jumpbooks erschienen Sissi Flegels Jugendbuch-Trilogie Internat Sternenfels mit den Einzelbänden Wilde Hummeln, Die Superhexen und Die Vollmondparty sowie folgende Kinderbücher:

Gruselnacht im Klassenzimmer

Bühne frei für Klasse Drei

Wir sind die Klasse Vier

Klassensprecher der Spitzenklasse

Klassensprecher auf heißer Spur

Klassensprecher für alle Fälle

Wir sind die Klasse Fünf

Klasse Fünf und die Liebe

Mutprobe im Morgengrauen

Weitere Jugendromane von Sissi Flegel sind in Vorbereitung.

Die Website der Autorin: www.sissi-flegel.de

***

eBook-Neuausgabe Mai 2016

Copyright © der Originalausgabe 1998 by Thienemann Verlag (Thienemann Verlag GmbH), Stuttgart/Wien

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Rohappy (Mädchen), Anna Fraijlova (Zeichnungen)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-96053-128-9

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Sissi Flegel

Lieben verboten

jumpbooks

Isa

In der Englischstunde lief an diesem Donnerstag überhaupt nichts.

Isa hatte das neue Bravo-Girl mitgebracht, um es heimlich ihrer Freundin Nadja zu zeigen, doch Nadja kam, sah und quietschte. Die anderen drängten sich sofort um ihren Tisch.

»Was ist? Zeigt her! Lasst sehen, was ihr habt!«

Yvonne bekam eine Ecke des Heftes zu fassen, zog und quietschte ebenfalls. Dann brüllte sie: »Das bist ja du!«

Und damit war die Katze aus dem Sack.

»Wie hast du das gemacht?«

»Hat man dich richtig entdeckt?«

»Woher hast du die Klamotten?«

»Wer hat dich geschminkt?«

»Mein Gott, das Bravo-Girl! Liest du das noch? Dazu bist du doch viel zu alt! Wie bist du denn da reingekommen?«

»Seid ihr neugierig!«, rief Isa zwischen Lachen und Empörung.

»Nun erzähl schon, wir wollen alles wissen. Das sind nämlich tolle Bilder, stimmt’s?«, sagte Nadja.

Das fanden die anderen auch.

»Es war Zufall«, sagte Isa. »Jemand aus meinem Reitclub kennt jemanden im ›Bravo-Girl-Team‹ und hat sich für Aufnahmen bereit erklärt. Als dann die Leute mit den Klamotten kamen, um die Bilder zu machen, stellte sich heraus, dass ihr kein Pulli, keine Hose, überhaupt kein Fummel passte. Aber ich hatte die richtige Größe, und so –«

»– haben sie die Aufnahmen mit dir gemacht. Toll, einfach super«, sagte Nadja begeistert, aber auch mit etwas Neid in der Stimme.

»Wie haben sie nur deine Haare so glatt bekommen?«

Die Haare waren Isas großer Kummer. Die waren nicht glatt, nicht wellig, nicht lockig. Die waren einfach nur kraus und ließen sich kaum bändigen.

Alles hatte sie schon versucht, jede Haarlänge von kurz bis lang, aber kein Ergebnis hatte sie zufrieden gestellt. Nun ließ sie sie gerade wieder wachsen, aber sie standen ihr oft nahezu waagrecht vom Kopf ab.

»Meine Haare sehen toll aus«, meinte Isa mit großer Begeisterung. »Die haben die nass gemacht und beim Föhnen dermaßen glatt gezogen, dass ich dachte, sie würden mir noch den Skalp vom Kopf reißen. Zu Hause klappt das nie so gut …«

»Es sieht super aus, aber es macht dich so fremd«, stellte Nadja kritisch fest.

»Und dann haben sie dich nach der Schule gefragt, nach deiner Familie, deinen Hobbys und so?«, wollte Julia wissen.

»Ja, aber da hab ich aufgepasst und ihnen eine Menge Schrott erzählt. Ich meine, schließlich geht das niemanden was an, wie gut oder wie schlecht ich in Mathe und Englisch oder Bio bin, stimmt’s? Und ob ich meinen Bruder öde finde, ist auch nur meine Angelegenheit.«

Die anderen nickten. »Aber das, was du übers Reiten gesagt hast, das war doch dein Ernst?«, fragte Julia nach. »Und dass du Redakteurin unserer Schulzeitung bist, hast du auch gesagt.«

Isa nickte. »Ein Interview ist ’ne megatückische Sache. Du willst ja keinen Totalflop landen, so nach dem Motto: ’ne neue Zicke braucht das Land! Zu viel von dir willst du aber auch nicht verraten, also was tust du? Du fährst Slalom. Das, was ich übers Reiten gesagt habe, stimmt, was ich über die Schule und die Familie gesagt hab, stimmt nur so ’n bisschen, ist aber nicht richtig doll gelogen.« Isa hob die Schultern. »Jedenfalls – hinterher kommst du dir vor wie Falschgeld.«

»Kann ich verstehen.« Nadja trommelt mit den Fingerspitzen aufs Papier. »Trotzdem ist das eine super Sache. Was sagen eigentlich deine Eltern dazu?«

Isa hob die Schultern. »Keine Ahnung. Sie wissen noch nichts davon.«

Das bereitete ihr Kummer. In ihrer Familie gab es eine feste Regel: keine Heimlichkeiten. Der Grund dafür war, dass ihre Eltern sich selbst und ihre Kinder, Isa und Paul, respektierten und als gleichwertige Partner behandelten. Das kann man nur, erklärten sie immer, wenn man sich vertraut. Heimlichkeiten fanden sie unwürdig und kleinkariert. Außerdem kommen sie sowieso irgendwann unweigerlich ans Tageslicht – und was dann? Dann war das Vertrauen dahin, oder doch nachhaltig gestört. Isa und ihr Bruder hatten schon früh begriffen, dass der Preis dafür zu hoch sein würde und sich strikt an die Regel gehalten.

Isa wuschelte sich durchs Haar. Als sie damals gefragt worden war, ob sie für die Fotos und die Reportage im Bravo-Girl herhalten würde, hatte sie gar keine Zeit gehabt ihre Eltern zu informieren.

Anschließend hätte sie ihnen natürlich alles berichten können, aber was wäre gewesen, wenn sie Nein gesagt hätten? Und außerdem, hatte sie damals gedacht, wenn nichts von ihr veröffentlicht würde, wären Fragen und eventuelle Proteste völlig unnötig gewesen und hätten den Frieden ebenfalls gestört. Also hatte sie erst mal geschwiegen. Aber nun hatte sie den Salat, nun hatte sie ein mieses Gewissen und musste beides beichten, die Reportage und ihre mangelnde Offenheit, Mist aber auch! Die halbe Freude ist dahin, dachte sie und verzog das Gesicht. Wenn die Sache nur nicht so plötzlich über sie hereingebrochen wäre und wenn sie nur nicht so spontan gehandelt hätte … Aber nun war nichts mehr zu ändern, nun half nur noch schonungslose Offenheit. Sie straffte die Schultern und nahm sich vor, den Stier mutig bei den Hörnern zu packen.

Als sie zum Mittagessen nach Hause kam, legte sie das Heft auf den Esstisch. »Mama!«, rief sie. »Kannst du gleich kommen? Ich muss dir unbedingt etwas furchtbar Wichtiges zeigen!«

»Später«, bat ihre Mutter. »Ich hatte einen aufregenden Vormittag.«

»Ist was passiert?«, fragte Isa, dankbar für den Aufschub.

Ihre Mutter tappte auf bloßen Füßen aus der Küche und erklärte, dass sie am heutigen Vormittag wegen eines verzweifelten Anrufes ihrer Schwester Florentine und eines Blitz-Rettungsbesuches bei ihr nicht zum gewohnten Kochen gekommen sei und es infolgedessen etwas »aus der Stadt« gebe – was in ihrer Sprache panierte Schnitzel, kalt, und Kartoffelsalat, eiskalt, bedeutete und von niemandem mit Appetit gegessen wurde, am allerwenigsten von ihr selbst.

»’ne Pizza wäre mir lieber gewesen«, murrte Paul, Isas jüngerer Bruder. »Oder etwas von Mac Ente, findste nicht auch, Isa?«

Isa nickte und fischte ein großes Zwiebelstück aus dem kalten Glitschsalat. Sie schob es an den Tellerrand und fragte: »Warum musstest du Florentine retten? Und wovor?«

»Ich wette, das hat etwas mit ihrem Freund zu tun. Hat er sein Auto zu Schrott gefahren? Das fänd ich nicht gut, er hat mir nämlich versprochen mich mal von der Schule abzuholen, und das hat er noch nicht gemacht. So ein Taxiservice würde mein Image ziemlich aufpeppen …« Paul kaute. »Also was ist? Ist das Auto noch ganz?«

Seine Mutter nickte. »Das Auto ist noch ganz. Aber sonst sieht’s ziemlich düster aus. Sie hat Arger mit ihrem Bert-Wolfram.«

Paul zuckte die Schultern, schob den Teller beiseite und stand auf. »Kaputte Teile aus ’ner morschen Beziehungskiste interessieren mich null. Ich geh mal in mein Zimmer, okay?«

»Warum hat sie dich denn angerufen?«, wollte Isa wissen. »Normalerweise kommt sie doch ganz gut allein zurecht.«

Isa mochte ihre Tante. Sie war die jüngere Schwester ihrer Mutter, knappe dreißig Jahre war sie erst alt, sie war fröhlich, temperamentvoll, unternehmungslustig, sah gut aus und war immer total cool. Isa wollte gerne genauso super aussehen, sich genauso kleiden, nämlich meist in Schwarz, wollte später mal garantiert genauso erfolgreich sein und so viel Power haben – nur wollte sie nicht Innenarchitektin, sondern Journalistin werden.

»Dieses Mal scheint es eine ernste Krise zu sein«, sagte Isas Mutter. »Sie hatte schon seit einiger Zeit ein merkwürdiges Gefühl, vieles war nicht mehr so wie früher und nun hat sie heute Morgen erfahren – definitiv erfahren, dass er eine Freundin hat. Das allein ist schon scheußlich genug. Aber nun kommt noch dazu, dass sie ihn immer wieder danach gefragt hatte, doch der Feigling leugnete, was das Zeug hielt. Das ist es, was Florentine nicht versteht – sie meint, wenn sich die Verhältnisse ändern, ist es nur fair, davon informiert zu werden.«

Isa nickte und dachte an das Bravo-Heft. »Manchmal«, sagte sie, »kommt man nicht gleich dazu, etwas zu sagen. Und dann vergisst man’s, und wenn man sich wieder dran erinnert, sieht alles ganz anders aus und man kann es wieder nicht sagen.«

»Das kann schon mal zutreffen, aber in Florentines Fall hätte ihr Freund Zeit und Gelegenheit genug gehabt ihr eine klare Antwort auf ihre Fragen zu geben. Du weißt doch: ›Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu‹.«

Isa hatte Florentines Freund immer ganz gern gehabt. Er hatte nie die üblichen öden Erwachsenenfragen gefragt: Was macht die Schule? Magst du deine Lehrer? Schreibst du gute Noten? Welches sind deine Lieblingsfächer? Wenn er schon mal mit Florentine zu ihnen kam, erkundigte er sich höchstens nach ihrem neuesten Artikel in der Schülerzeitung und nach ihrem Sport – Himmel! Isa schaute auf die Uhr.

»Ich muss gehen, Mami! Astra und Felix warten. Wenn ich jetzt nicht flitze, komm ich ewig zu spät!«

Wenige Minuten später schob sie das Rad aus der Garage und sauste die Straße hinunter.

Bis zur Pferdekoppel war es ein ganzes Stück, mindestens eine Viertelstunde würde sie brauchen, aber sie war noch nie zu spät gekommen und mit ein bisschen Glück würde sie es auch heute schaffen.

Sie schaffte es.

Der Reiterhof bestand aus dem Wohnhaus der Familie Langer, aus dem Pferdestall und zwei neuen kleineren Nebengebäuden für Futter, Geräte und dem gesammelten Kram, der für einen Reiterhofbetrieb benötigt wurde. Schon seit fünf Jahren ritt Isa dreimal in der Woche; das Reiten und die Stunden auf dem Hof waren ihr wichtig. Nicht nur, aber natürlich auch wegen Felix, siebzehn Jahre alt und ihr Freund.

Er wartete bereits auf sie und wie gewohnt nahm er ihr Fahrrad entgegen und lehnte es an die Hauswand.

Als ihr kleiner Bruder sie einmal begleitet und gesehen hatte, wie Felix Langer seiner Schwester behilflich war, hatte er ihn mit offenem Mund und kugelrunden Augen angestarrt und schließlich, als er sich gefasst hatte, gefragt: »Die Isa kann das selbst. Warum machst du das?«

Felix war ein kleines bisschen rot geworden, aber er hatte dann doch ganz gefasst geantwortet: »Das gehört sich so. Weißt du das nicht?«

Das hatte Paul den Rest gegeben. Reiten und alles, was damit zusammenhing, war von diesem Zeitpunkt an für ihn komplett und total out.

Isa fand Felix’ Betragen auch reichlich altertümlich und überzogen, aber trotzdem machte sie jedes Mal dieselbe Vollbremsung, sprang ab und stieß das Rad mit einem kleinen Schubs in seine Richtung.

»Alles in Ordnung?«, fragte Isa und gab Felix einen Kuss. »Was macht Astra?«

Astra war »ihr« Pferd. Es war kapriziös, hatte Launen und einen eigenen Kopf und Isa musste ihm immer von neuem beweisen, wer von beiden das Sagen hatte. Sie mochte das, ein langweiliges Pferd hätte ihr längst nicht so viel Spaß gemacht.

»Alles in Ordnung«, bestätigte Felix und legte den Arm um sie.

Gemeinsam gingen sie zum Stall hinüber.

Astra hob den Kopf, schaute ihnen entgegen und wieherte.

»Heute ist sie gut gelaunt«, stellte Isa fest und führte das Pferd ins Freie. Felix folgte mit Joringel. Sie banden die Tiere an und begannen mit dem Putzen.

Isa zupfte ein paar Pferdehaare aus der Bürste. »Ich hab ein Problem«, sagte sie.

»Ja? Miese Noten?«, fragte Felix. »Schlimm kann’s nicht sein, sonst würdest du nicht so vergnügt aussehen.«

Isa lachte. »Auch wenn man mir meine Sorgen nicht ansieht, sie sind trotzdem da.«

Felix legte die Bürste beiseite und nahm Isa in den Arm. »Lass hören, vielleicht kann ich dir helfen.«

Isa drückte sich einen Moment an ihn, dann machte sie sich los, holte das Bravo-Heft aus ihrem Rucksack, schlug die »Kummer«–Seiten auf und hielt sie Felix vors Gesicht.

Der warf einen raschen Blick auf das Titelblatt und meinte: »Ich dachte immer, du würdest höhere Ansprüche an deinen Lesestoff stellen. Als angehende Journalistin solltest du immerhin –« Dann pfiff er durch die Zähne. »Ja, da schau her, das seh ich jetzt erst, das bist ja du!«

Er las den Text aufmerksam und konzentriert, schaute die Fotos kritisch an, dann schlug er das Heft zu und legte es auf Isas Rucksack.

»Die Fotos sind gut und die Reportage ist sehr freundlich«, meinte er schließlich. »Mich würde nur interessieren, wieso ausgerechnet du in dieses Heft gekommen bist.«

Isa berichtete und sagte abschließend: »Du siehst, eigentlich konnte ich gar nichts dafür. Ich hab die ganze Sache nicht ernst genommen, deshalb hab ich zu Hause auch nichts gesagt. Nun steh ich blöd da …«

Felix nickte. »Kann ich verstehen. Aber da musst du durch, da hilft kein Kneifen, kein Leugnen, kein Beschönigen.« Er legte den Kopf schief und zwinkerte ihr zu. »Was ich an dir besonders mag, ist dein Mut.«

Isa blickte ihn an. Felix war immer sehr korrekt gekleidet, er trug keine ausgefallenen Klamotten, er peppte sein Image nicht mit einem besonderen Haarschnitt auf und trotzdem kam niemand auf die Idee, in ihm einen angepassten Loser zu sehen. Sie atmete auf. »Ich bin mutig«, sagte sie entschieden.

»Eben. Und mit den Fotos musst du auch nicht hausieren gehen.«

»Felix!«, rief Isa empört. »Wofür hältst du mich?«

Er lachte. »Beeil dich, wir wollen ausreiten oder hat das Fotomodell heute keine Lust dazu?«

Am liebsten hätte Isa ihm die Pferdebürste ins Gesicht geworfen. Aber sie streckte ihm nur die Zunge raus und meinte: »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Du bist fies, findest du nicht auch?«

Eine gute halbe Stunde später waren sie fertig mit dem Putzen. Sie sattelten die Pferde und ritten langsam aus dem Hof. Die Sonne schien.

Florentines sauberer Lover

Das Haus war wie ausgestorben.

Isa hüpfte unter die Dusche, zog dann einen langen schwarzen Rock an, den ihr Florentine einmal geschenkt hatte, suchte ein ganz bestimmtes T-Shirt mit schrillen orange-pinkfarbenen Ringeln, schaute im Schrank und allen Schubladen nach, konnte es nirgends finden, entdeckte es schließlich im Trockner, zog es über und klimperte mit dem silbernen Ringchen an ihrem Bauchnabel. Anstatt Mathe zu lernen, was in Bezug auf eine bevorstehende Arbeit dringend nötig gewesen wäre, wählte sie zwei Fläschchen Nagellack aus und setzte sich damit an ihren Schreibtisch. Mit äußerster Sorgfalt lackierte sie ihre Nägel halb orange, halb pink, jedoch so, dass die Trennungslinie schräg verlief. Mit den Farben drückte sie ihre Stimmung aus, das fand sie ganz vergnüglich, außerdem hatte sie Spaß am Experimentieren.

Sie hörte, wie ihre Mutter mit Paul zurückkam. »Sie muss da sein«, schrie Paul durchs Haus. »Hier liegt ihre Reitkappe!«

Schon wurde die Tür aufgerissen und Paul stürmte herein.

Isa streckte die Arme hoch, wedelte den Lack trocken und fuhr ihren Bruder an: »Pass auf, halt Abstand!«

»He, warum hast du uns nichts gesagt?« Er knallte das Bravo-Heft auf ihren Tisch.

»Ja, warum hast du auf einmal Heimlichkeiten vor uns?«, wollte ihre Mutter wissen. »Ich denke, es war ausgemacht, dass wir Heimlichkeiten nicht nötig haben, oder?«

»Stimmt«, antwortete Isa ziemlich kleinlaut. »Ich wollte es euch gleich nach der Schule sagen, aber dein Florentine-Rettungsbesuch war dir wichtiger als das Schicksal deiner Tochter.« Isa guckte vorwurfsvoll.

Das Telefon klingelte.

Paul rannte los, nahm den Hörer ab und rief: »Isa, für dich! Es ist der mit den großen Ohren, Nadjas Bruder!«

Isa nahm ihm den Hörer aus der Hand und sagte atemlos: »’tschuldigung, mein Bruder ist unmöglich. Ich kann nichts dafür!«

»Mensch Isa, ich hab gerade das Bravo-Heft von meiner Schwester bekommen. Toll siehst du aus, echt cool, super, gratuliere!«

Isa lachte geschmeichelt.

»Halb so wild«, sagte sie. »Halt an dich. Das Ganze war ein Zufall, nichts weiter, ehrlich.«

»Hast du nachher Zeit, mit in die Kneipe zu kommen? Alle sind da, ich wette, jeder hat die Bilder von dir gesehen. Also kommst du?«

Isa sagte zu. Die Mathearbeit hatte sie völlig vergessen.

Ihre Mutter blätterte durchs Heft, schüttelte mehrmals den Kopf und zog Isa, als sie den Hörer aufgelegt hatte, neben sich aufs Sofa.

»Wie bist du in dieses Blatt geraten? Und warum hast du uns nichts davon gesagt? Ich kann dich nicht verstehen, so etwas lässt sich doch nicht verheimlichen!«

Wieder schilderte Isa den Hergang und meinte abschließend: »Ich war wirklich nicht vorgesehen. Wenn ich nicht zufällig anwesend gewesen wäre und wenn ich nicht zufällig die richtige Kleidergröße gehabt hätte, hätte niemand etwas von mir wissen wollen. So wurde ich einfach hineingezogen und als dann eins zum andern kam, konnte ich nicht mehr Nein sagen. Es ging so schnell, wirklich, Mama, versteh das doch.«

»Das verstehe ich. Trotzdem erklärt das nicht, weshalb du nicht anschließend sofort zu uns –«

Die Haustürglocke schrillte.

Es war Florentine. Sie stürmte zur Tür herein, schleuderte ihre Handtasche in eine Ecke, warf die Autoschlüssel auf den kleinen Tisch im Flur und ließ sich in den nächstbesten Sessel fallen.

»Ich halt’s nicht mehr aus«, sagte sie wild. »Ich halt’s nicht mehr aus, ganz bestimmt halt ich den Jammer nicht mehr aus. Der Kerl bringt mich noch ins Irrenhaus! Dieser Blödmann, dieser verdammte Profilneurotiker im Endstadium, den schieß ich endgültig auf den Mond!«

»Tu das«, sagte Isas Mutter. »Zuerst kommst du aber mit in die Küche, ich koche uns Tee.«

»Was ist los?«, fragte Paul neugierig. »Nervt dich dein Lover, der mit dem Wahnsinnsnamen, der Bert-Wolfram?«

Florentine schüttelte energisch den Kopf. »Er hat mich genervt, der Hohlkörper nervt mich nicht mehr. Aus! Aus ist’s mit ihm. Endgültig aus! Wie kann man nur so blind sein, so dumm, so vernagelt!«

»Wer ist dumm, blind und vernagelt? Du oder dein Bert-Wolfram?«, wollte Isa wissen.

»Ich natürlich!«, antwortete Florentine und schnaubte in ein Papiertaschentuch. »Da lebt man seit Jahren zusammen, man arbeitet zusammen, man hat gemeinsame Bekannte und Freunde und was weiß ich noch alles und plötzlich geschieht dir das, was du nur aus den bunten Blättern kennst, die beim Friseur herumliegen: eine Blondine –«

»Fährt sie Manta?«, fragte Paul neugierig.

»Nee, wieso?«

»Weil sie doch blond ist«, erklärte Paul ungeduldig. »Weißt du, was passiert, wenn sich eine Blondine gegen ’ne Mauer lehnt?«

»Die gibt der Dummheit nach und fällt ein«, antwortete Florentine automatisch und wuschelte durch ihr rabenschwarzes Haar. »Eigentlich hab ich gerade keinen Sinn für Witze, weil nämlich Bert-Wolfram mir versichert hat, er könne mich und meine Aufregung und meinen Protest überhaupt nicht verstehen, das Ganze sei eine vorübergehende Affäre und hätte null Komma nichts mit unserer Beziehung zu tun. Ich frage euch, in welchem Jahrhundert lebt dieser Mensch? Hat der schon mal was von Gleichberechtigung gehört?«

»Der ist ein echter, fieser Macho«, stellte Paul fest. »Der sieht in ’ner Frau nur ein Lustobjekt.«

»Paul!«, rief seine Mutter alarmiert. »Woher hast du diesen Ausdruck?«

»Von Papa, von wem sonst?«

»Mit dem muss ich ein ernstes Wort reden«, sagte seine Mutter. »Gleich wenn er heimkommt!«

»Vielleicht hat er’s nicht so ernst gemeint«, sagte Isa.

»Wer? Papa?«

»Nein, Bert-Wolfram. Ich meine, vielleicht hat er sie nur ein paar Mal gesehen, vielleicht hat er sich nur mit ihr unterhalten und Kaffee getrunken –«

Florentine jaulte auf. »Kaffee getrunken! Dass ich nicht lache! Ein Doppelleben hat er geführt, der Elende, und gehofft, ich würde nichts davon erfahren.«

»Und nun? Nun hast du’s erfahren. Was machst du nun?«, fragte Isa.

»Ich…« Florentine schluckte und schnäuzte sich energisch. »Nachdem ich’s wusste und nachdem er es immer wieder abstritt, gab’s nur noch eins: entweder ein Schrecken ohne Ende oder ein Ende mit Schrecken.« Jetzt weinte Florentine.

Paul schaute sie mitleidig an, dann hielt er ihr das Bravo-Heft vor die Nase. »Schau mal, da ist Isa drin.«

Florentine warf einen tränenblinden Blick auf die bunten Seiten, dann quietschte sie los: »Himmel, das ist ja die Isa! Da schau her! Gut siehst du aus, gratuliere!«

»Es war ein Zufall«, schwächte Isas Mutter ab. »Verdreh ihr nicht den Kopf, ja? Der Tee ist fertig. Müsst ihr nicht eure Hausaufgaben machen?«

Paul nickte und sagte: »Isa, die wollen ein Gespräch von Frau zu Frau führen, da sind Kinder unerwünscht.« Er griff rasch in die Keksdose. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Ich find’s ja gut, dass du den Macho los bist und dich nach einem neuen Lover umsehen kannst. Aber euer Timing ist schlecht. Konntest du nicht warten, bis er mich ein einziges Mal mit seinem tollen Schlitten von der Schule abgeholt hat?«

»Daran hab ich in der Hektik einfach nicht mehr gedacht«, antwortete Florentine. »Später, wenn du älter bist, kannst du das vielleicht mal verstehen.«

»Das kapier ich jetzt schon«, meinte Paul. »Es gibt Dinge, die darf man nicht aufschieben.«

»So ist es«, sagte Florentine und heulte schon wieder.

Isa hätte ihre Tante am liebsten in den Arm genommen. Aber Paul zog sie heftig am Ärmel und schleppte sie nach draußen. An der Tür rief sie: »Ich geh jetzt. Johannes und die ganze Clique warten auf mich.«

»Wann kommst du wieder?«, fragte ihre Mutter, während sie Florentine Tee einschenkte. »Neun Uhr? Vergiss nicht, morgen ist Schule. Hast du eigentlich deine Hausaufgaben gemacht?«

»Alles o. k.«, sagte Isa schnell. »Kein Grund zur Aufregung.«

Weg war sie.

Mit der Mathearbeit landete Isa einen Totalflop, mit der folgenden Englischarbeit auch, und wenn sie an Physik und Chemie dachte, wurde ihr schlecht. Die Aussichten in der Schule waren düster. Es gab nur zwei Möglichkeiten: entweder ununterbrochen lernen, oder gar nichts mehr tun, angesichts der vielen Lücken, die sich eh nicht so rasch schließen ließen. Isa entschied sich für die zweite Möglichkeit, war ständig mit ihren Freundinnen unterwegs, verbrachte viel Zeit mit Felix auf dem Reiterhof, ritt, so viel sie konnte und ging ihren Eltern so gut wie möglich aus dem Weg. Außerdem bastelte sie an einem zweiseitigen Artikel über das Thema »Alltag auf dem Reiterhof – Pferdepflege und Ausreiten« und musste dazu einige Bücher lesen, um fundiertes Hintergrundwissen zu sammeln.

Da ihre Eltern jedoch getreu der familiären Abmachung – es gibt keine Heimlichkeiten! – von ihren Flops unterrichtet waren, machten sie sich naturgemäß um die schulische Laufbahn ihrer Tochter große und immer größere Sorgen.

Mit ihrer Erklärung zukünftig an drei Abenden an einem Selbstverteidigungskurs für Mädchen teilzunehmen, da sie nach dem Artikel über »Alltag auf dem Reiterhof« einen über dieses Thema schreiben und dafür eigene Erfahrungen sammeln wollte, überschritt sie deren Toleranzmarke: Es kam zu einer entschiedenen Stellungnahme ihrer Eltern.

»Und was ist, wenn ich einen miesen Artikel schreibe? Wollt ihr das wirklich? Außerdem – wenn ich lerne, mich im Notfall zu wehren, ist der Kurs keine verlorene Zeit. So gesehen ist er sogar zweimal nützlich, stimmt’s? Ihr wollt doch gewiss nicht, dass ich ein Opfer dreister Gewalt werde, oder?«

»Sei nicht dumm«, fuhr sie ihr Vater an. »Kein Mensch will das, am allerwenigsten wir. Aber wir wollen auch nicht, dass du eine Ehrenrunde in der Schule drehst. Also – worauf können wir uns einigen?«

Isa zog die Nase kraus. »Das Reiten kann ich nicht aufgeben, Felix nicht und meine Freunde auch nicht, ich meine, jeder Mensch braucht Freunde, und ohne Kontaktpflege läuft da gar nichts, das müsst ihr verstehen. Außerdem bin ich noch Redakteurin … Ich hab keine Ahnung, wie ich alles unter einen Hut bringen soll.«

»Da triffst du den Nagel auf den Kopf«, stellte ihre Mutter fest. »Für deine Freizeitaktivitäten tust du zu viel, für die Schule zu wenig. Wenn du den Kopf eines Genie hättest, wäre …«

»Eben«, unterbrach Isa erleichtert. »Hättet ihr mir bessere Erbanlagen mitgegeben, müssten wir uns jetzt nicht streiten. Im Grunde genommen ist alles eure Schuld. Was kann ich für meinen Kopf?«

»Für deine Faulheit bist du verantwortlich, das müssen wir schonungslos klarstellen. In zwei Wochen sind Pfingstferien, stimmt’s?« Ihr Vater blätterte im Kalender. »Zwei Wochen Ferien. In diesen zwei Wochen lernst du. Ich werde schauen, dass ich jemanden auftreiben kann, der dir dabei hilft.«

»Das kannst du mir nicht antun!«, rief Isa. »Ich lerne selbst! Aber in den Ferien will ich Ferien machen. Die Schule ist anstrengend genug, da braucht man ein bisschen Abstand zu der ganzen Paukerei. Ferien sind schließlich eine sinnvolle Einrichtung –«

»Zum Wiederholen, zum Lückenschließen, zum Nachlernen, was man in der Schulzeit versäumt hat«, fiel ihr Vater ihr ins Wort. »Wenn du jetzt keinen Nachhilfeunterricht bekommst, wirst du das Schuljahr wiederholen müssen. Das ist viel schlimmer, als in den Ferien zu lernen. Ich schau, dass ich rasch jemanden finde.«

»Wenn es sein muss«, antwortete Isa widerstrebend, dachte eine Sekunde nach und fragte dann hoffnungsvoll: »Suchst du einen netten Studenten?«

Sie lächelte ihren Vater an, streichelte ihn mit der einen Hand, mit der anderen Hand drehte sie an ihrem Nabelring.

»Es wird der älteste, scheußlichste Knacker sein, der mir über den Weg läuft«, antwortete ihr Vater grob. »So einer, den nicht die Löcher in deinem Bauch, sondern die Löcher in deinem Wissen interessieren.«

»Den möcht ich kennen lernen«, sagte Isa. Plötzlich fiel ihr noch etwas ein: »Heißt das, dass ihr Ferien ohne mich macht? Darf ich nicht mit euch in die Toskana fahren?«

»Du wirst hier bleiben und lernen«, sagte ihr Vater so entschieden, dass Isa auf jeden weiteren Protest verzichtete.

Enttäuscht und frustriert verzog Isa sich in ihr Zimmer.

Wegen Florentine kam aber alles ganz anders.

Sie machte Ernst mit ihrer Drohung ihren Lover ohne Rückflugkarte hinter den Mond zu schießen. Sie war so wütend, dass sie sogar einen Möbelwagen orderte, die Besitztümer ihres ehemaligen Lebensabschnittsgefährten einladen ließ und dem Fahrer nur die Adresse des Architekturbüros, dessen Besitzer der Elende war, in die Hand drückte.

Anschließend fuhr sie zu ihrer Schwester, Isas Mutter, und erklärte, diese Maßnahme habe sie um hundert Jahre verjüngt. Das müsse gefeiert werden, deshalb lade sie die ganze Familie zu einem Essen beim besten Italiener der Stadt ein.

»War das nicht eure Lieblingskneipe?«, fragte Isas Mutter. »Wenn wir dorthin gehen, weckt das Erinnerungen. Erträgst du die?«

»Klar. Jetzt steh ich über der Sache«, erklärte Florentine und fügte hinzu: »Jedenfalls hoffe ich das.«

Als sie dort saßen, die Gläser mit Rotwein oder Apfelsaft hoben und Florentine Glück und Erfolg für die Zukunft wünschten, trat plötzlich ein Mann an den Tisch: Es war der Blödmann, der Profilneurotiker im Endstadium, der Hohlkörper.

Mit einer theatralischen Geste verkündete er: »Mein Abschiedsgeschenk«, ließ einen braunen Umschlag auf den Tisch flattern und verschwand.

Die Flamme der Kerze flackerte, die kleine Vase mit der einsamen roten Nelke schwankte.

Florentine griff hastig nach dem Abschiedsgeschenk und fragte laut: »Was soll das? Was hat er sich nun noch ausgedacht?«, und riss den Umschlag auf. »Du lieber Himmel!«, rief sie. »Daran hab ich im Traum nicht mehr gedacht!«

Sie schaute in die Runde und breitete dramatisch zwei Flugtickets auf dem Tisch aus. »Was soll ich damit anfangen?«

»Was hast du denn da?«, fragte Paul neugierig. »Nun sag schon, du weißt doch, bei uns gibt es keine Heimlichkeiten.«

»Das ist keine Heimlichkeit; das da ist ein Problem«, sagte Florentine hilflos und schluckte. »Es ist so: Wir wollten eine Woche auf ’ne Insel. Cluburlaub, Sport, Sonne, Strand und Wasser … Die verrückte Idee kam uns in der Silvesternacht, nachdem nämlich Bert-Wolframs Sekretärin ihm von dieser malerischen Insel in der Ägäis vorgeschwärmt hatte. Jedenfalls gingen wir gleich nach Neujahr ins Reisebüro und buchten Flug und Aufenthalt. Die Reise hab ich in meiner Empörung und Wut völlig vergessen, wahrscheinlich, weil sie mir nicht mehr wichtig war.«

»Was machst du nun?«, fragte Paul sachlich. »Gehst du alleine?«

»Ich geh natürlich nicht!«, sagte Florentine entschieden.

»Schau mal, ob ihr bereits bezahlt habt«, sagte Isas Vater.

Florentine blätterte die Unterlagen durch, studierte einen Zettel genauer und stellte wütend fest: »Das Ekel hat gestern die fehlende Summe überwiesen. Das hat er nur getan, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen.«

»Er wollte dir was Gutes tun«, meinte Isa.

Florentine schnaubte.

Der Kellner stellte eine Platte mit gemischten Vorspeisen in die Mitte des Tisches.

Paul spießte eine bleiche Babykrakenleiche auf seine Gabel, schaute interessiert die schwach lilafarbenen Saugnäpfe an und meinte beiläufig: »Ich würde dich ja begleiten, ehrlich, aber ich geh auf eine Freizeit mit ein paar Typen aus meiner Klasse.«

»Danke für das Angebot«, sagte Florentine. »Wollt ihr die Karten? Es ist alles bezahlt, Flug, Aufenthalt, alles. Wäre das nichts für euch?« Sie reichte den Umschlag ihrer Schwester.

Die schüttelte den Kopf. »Wir fahren über Pfingsten in die Toskana. Weißt du das nicht mehr?«

»Stimmt.« Florentine schob den Umschlag unter ihren Teller. »Daran hab ich nicht mehr gedacht.«

»Geh doch alleine«, schlug Isa vor. »In so einem Club gibt es bestimmt jede Menge Männer. Da kannst du dir locker einen Neuen aussuchen.«

»Männer!« Florentine putzte sich die Nase. »Mit denen bin ich fertig.«

»O. k., reg dich nicht auf«, meinte Isa. »Die andere Hälfte der Menschheit sind Frauen wie wir.«

Florentine schaute ihre Nichte an. »Willst du gehen? Vielleicht mit einer Freundin?«

»Isa muss lernen«, sagte ihr Vater schnell und entschieden. »Sie hat keine Zeit.«

»Sie kann doch eine Woche lernen und eine Woche Urlaub machen. Warum soll das nicht gehen?«, fragte Florentine.

»Willst du sie für ihre Faulheit auch noch belohnen?« Isas Vater schüttelte den Kopf.

»Würdest du denn gerne auf die Insel?«, fragte Florentine ihre Nichte. »Sie schwimmt irgendwo im Mittelmeer, ganz in der Nähe der türkischen Küste.«

»Hat der Club auch Pferde?« Isa tunkte das Olivenöl auf ihrem Teller mit einem Brotstückchen auf.

Florentine schüttelte den Kopf. »Soviel ich weiß, kann man dort nur Wassersport und Gymnastik machen.«

»Dann ist das nichts für mich«, sagte Isa entschieden. »Außerdem muss ich lernen.«

Florentine nickte. »Ich werde morgen mal herumtelefonieren. Vielleicht finde ich jemanden, der Zeit hat … Typisch, dass der Kerl mir zum Schluss noch ein Kuckucksei ins Nest legen muss!«

Alle lachten.

Der Kellner brachte die Hauptspeisen, füllte die Gläser nach, wünschte allen einen guten Appetit, ging, und kam mit einem kleinen Päckchen wieder.

»Das wurde soeben von einem Herrn für ›Florentine‹ abgegeben. Die Dame soll an diesem Tisch sitzen …«

Florentine stöhnte. Sie griff nach dem Päckchen, riss das Papier auf, entfernte ungeduldig das Geschenkpapier, das darunter zum Vorschein kam – und starrte fassungslos auf einen winzigen schwarzen Bikini, dessen einziger Schmuck drei goldene Sternchen an gut sichtbaren Stellen waren.

Isa sah eine weiße Karte und las vor: »Viel Erfolg damit!« Sie sah auf: »Ich muss sagen, der Typ ist wirklich ein Ekel!«

Florentine nickte. »Liebe Isa, ich schenk dir eine Lebensweisheit aus meinem Erfahrungsschatz: Hohlkörper lassen sich nicht lieben. Sie sind ein Nichts und wo nichts ist, kann man auch nichts lieben. Klar? Sei vorsichtig und pass genau auf, in wen du dich verliebst. Du bist meine Nichte und ich fühle mich verantwortlich für dein Glück.«

Ein saftiger Mix

Am nächsten Tag trieb Isas Vater tatsächlich einen pensionierten Lehrer auf, der sich bereit erklärte mit viel Energie und Zielstrebigkeit Isas Lücken in den wichtigsten Fächern zu füllen. Da Isa schulisch gesehen einen Ernstfall darstellte und der ehemalige Lehrer über viel freie Zeit verfügte, war er bereit gleich am nächsten Tag mit dem Nachhilfeunterricht zu beginnen.

Isa war wütend. »So schnell hätt’s ja nun wirklich nicht sein müssen. Ein paar Tage geistige Vorbereitungszeit hättet ihr mir schon geben müssen!«

Ihr Vater knurrte nur und schaute sie unfreundlich an.

Von Florentine hörten sie zunächst nichts mehr.

Aber dann, eine Woche später, kam sie spätabends vorbei.

»Ich kann die Karten nicht loswerden«, meinte sie. »Aber den Bikini hab ich anprobiert. Er sieht sagenhaft aus, es wäre eine Sünde, den nicht zu tragen!«

»Dann gehst du also?«, wollte ihre Schwester wissen.

Florentine nickte. »Wenn es alleine nur nicht so öde wäre … Kann Isa nicht doch mitkommen? Ich meine, jetzt, wo sie doch lernt wie eine Verrückte, müssten ein paar Ferientage schließlich drin sein!«

Sie redete und redete und redete und am Schluss hatte sie ihre Schwester und ihren Schwager unter den Tisch geredet. Widerstrebend gaben sie ihre Einwilligung: Isa durfte eine Woche lang mit ihrer Tante auf die Insel. Isa lag schon im Bett, als Florentine in ihr Zimmer kam und ihr die frohe Botschaft brachte.

»Aber ich will doch gar nicht mit!«, rief sie entsetzt. »Über Pfingsten bin ich ganz allein im Haus, ich hab schon jede Menge Pläne, was ich da alles tun kann! Mensch, ich hab tausend Leute zu ’ner Party eingeladen! Die kann ich nicht mehr ausladen, das musst du verstehen, Florentine!«

Aber Florentine ließ sich nicht beirren. »Natürlich kannst du die wieder ausladen! Du kannst die Party später machen, ich stell dir meine Wohnung zur Verfügung und ich helfe dir auch bei den Vorbereitungen. Das ist doch was, oder? So schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe. Und vergiss nicht, im Club kannst du rund um die Uhr Sport treiben, da wird’s dir bestimmt nicht langweilig. Du wirst eine Menge neuer Leute kennen lernen und völlig neue Eindrücke sammeln … Was glaubst du, was für einen tollen Artikel du für deine Zeitung darüber schreiben kannst! Eine solche Chance bietet sich dir kein zweites Mal, ehrlich, Isa! Wir gehen gemeinsam zum Essen, sonst kannst du tun und lassen was du willst.«

Das Ende vom Lied war, dass Isa zustimmte – auch im Hinblick auf einen möglichen Artikel und weil doch eine Woche Lernen ausfallen würde.

Die nächsten Tage waren eine einzige Hektik: Schule, Nachhilfe, Reiten, Einkäufen … Am allerwichtigsten waren Isa ein kleiner runder Filzhut mit Krempe, um sich von der Masse der üblichen Touristen abzuheben, sowie ein paar Schreibblocks und Bleistifte. Ihre Beobachtungen, Erfahrungen und Eindrücke wollte sie sofort, umgehend und absolut frisch notieren können. Sie sah sich schon im Liegestuhl am Strand sitzen, Leute beobachten und mit Genuss scharfsinnige Studien niederschreiben …

Inga, Florentines Freundin, hatte sich erboten, die beiden Urlauberinnen zum Flughafen zu fahren. Am Samstag vor Pfingsten war es endlich so weit. Inga hupte, Florentine und Isa luden ihre Koffer ins Auto, sie fuhren auf die Autobahn, gerieten in einen grandiosen Stau, starrten auf die Fahrzeugschlange, deren Anfang nicht auszumachen war, hörten den Verkehrsfunk ab, nagten an den Fingernägeln, schauten unentwegt auf die Uhr und rechneten schließlich nicht mehr damit, den Flieger zu erreichen.

Doch sie hatten Glück: Die Zeit reichte gerade noch. Inga wünschte ihnen tolle Erlebnisse. Mit hängender Zunge und außer Atem checkten sie ein, fanden ihr Flugzeug und ihren Platz – und stellten erleichtert fest, dass sie noch nicht mal die Letzten waren: Gerade hatten sie ihre Jacken in der Gepäckklappe verstaut, die Rucksäcke unter die Sitze geschoben und sich gesetzt, da trat der allerletzte Passagier in Erscheinung – nein, er inszenierte seinen Auftritt!

»Wow!«, sagte Isa. »So jemanden hab ich ja noch nie gesehen!«

»Ich auch nicht …« Florentine, die sich keineswegs bieder kleidete und einen ausgeprägten Mut zu Farben – was Haare, Lippenstift und Nagellack betraf – hatte, selbst Florentine war beeindruckt von der Dame, die neben der Stewardess stand und ihre Wirkung genoss.

Sie war schlank, sehr groß, sie hatte lange honigblonde Haare mit ebenmäßigen kleinen Locken wie ein Burgfräulein und sie trug ein schwarzes Top und eine knallenge Lederhose mit quietschgrünen breiten Trägern. Nachdem sie sich ausgiebig hatte bewundern lassen, ließ sie sich von der Stewardess an ihren Platz geleiten.

»Was ist das denn für eine?«, rätselte Florentine. »Warum fliegt die nicht erste Klasse? Mit der stimmt was nicht?«

»Wahrscheinlich war die erste Klasse ausgebucht«, meinte Isa versonnen. »Oder vielleicht gibt es bei Charterflügen überhaupt keine erste Klasse.«

»Ist ja auch egal. Wir werden sie wahrscheinlich nie mehr sehen. Sag, freust du dich auf die Inseltage?«, fragte Florentine.

Isa überlegte. »Nööö, noch nicht«, sagte sie ehrlich. »Aber das kann sich ja ändern.«

Florentine nickte. »Mir geht es genauso.«

Sie schwiegen.

Das Flugzeug setzte sich in Bewegung, die Stewardessen stellten sich an verschiedenen Stellen auf und zeigten, wie die Schwimmwesten im Falle eines Absturzes angelegt werden sollten, wo die Notausgänge zu finden seien und sonst noch allerlei Nützliches, was bei Katastrophen kaltblütig und in rasender Schnelligkeit zu bedenken wäre, und dann, als sie endlich in der Luft waren, gab’s etwas zu essen und zu trinken.

Florentine bestellte einen Gin Tonic. Sie bestellte einen zweiten und einen dritten, trank und ließ das Pärchen, das auf der anderen Seite vom Gang saß, nicht aus den Augen.

»Ist was?«, fragte Isa schließlich.

Florentine erschrak. Sie angelte ihren schicken kleinen Rucksack unterm Sitz vor und fischte eine Packung Papiertaschentücher heraus.

»Nö … nichts ist«, antwortete Florentine und putzte sich die Nase.

Isa schaute auf die Uhr. Was ihre Eltern wohl gerade taten? Mit dem Packen waren sie wahrscheinlich fertig; nun luden sie das Gepäck ins Auto. Isa grinste. Bei dieser Tätigkeit bekam ihr Vater regelmäßig einen Wutanfall, weil er nie begreifen wollte, wie viel Kleider, Wäsche und Kleinkram ein Mensch für wenige Tage benötigte.

Und Paul? Der war gewiss in seinem Element, baute das Zelt auf, richtete die Kochstelle ein und spielte mit seinen Freunden Forscher und Abenteurer.

Ob Felix sich um Astra kümmerte? Felix und Astra. Bei diesem Gedanken bekam Isa fast ein wenig Heimweh; nein, nicht Heimweh, dachte sie kritisch, eher Sehnsucht. Was für ein Wort – Sehnsucht! Na ja, diese Woche würde sie überstehen, mit Florentine verstand sie sich sehr gut, auf viele neue Bekanntschaften freute sie sich, der Rest würde sich von alleine ergeben.

Isa holte eine bunte Illustrierte aus ihrem Rucksack und vertiefte sich in das bewegende Schicksal eines nicht mehr sehr jungen Entertainers.

Nach einiger Zeit lachte sie und sagte: »Hör mal, Florentine, was die da über den Typ schreiben: ›Er ist wie ein Croissant – man kann ihn mit beinahe allem füllen und doch ist er fast nur heiße Luft. Wie findest du das? Ist das nicht genial?«

Florentine sagte nichts.

Isa schaute auf und erschrak. »Ist dir schlecht?«

Florentine heulte.

»Was ist denn los? Was hast du denn? Tut dir was weh?«

Florentine schüttelte den Kopf und heulte weiter.

»Nun sag schon …« Isa zupfte ein frisches Taschentuch aus der Packung und reichte es ihrer Tante. »Man heult doch nicht ohne Grund! Also, was ist?«

»Schau doch mal – da drüben …«, schluchzte Florentine und deutete mit dem Kinn auf das Pärchen, das sich mit unermüdlicher Ausdauer küsste.

»Stört dich die Küsserei?«, fragte Isa verständnislos. »Du siehst doch sonst die Sache nicht so eng.«

»Ich seh sie ja nicht eng, ich denk nur … ich denk eben manchmal noch an …, du weißt schon und wenn ich dann solche Leute sehe, überkommt’s mich und ich …« Florentine schluchzte.

»Wegen deinem alten Typen legst du dieses Feuchtbiotop an?«, fragte Isa und zeigte auf die nassen Papiertaschentücher. »Dafür fehlt mir jegliches Verständnis. Sei froh, dass du ihn los bist.«

»Ich bin ja froh …«

»Na dann …«

»Ich hätte noch gerne einen Gin Tonic. Was meinst du, könntest du die Stewardess rufen?«

»Drei reichen«, entschied Isa. »Ich hab noch einen Schluck Cola, wie wär’s damit?«

»Auch gut«, sagte Florentine und wischte sich das Gesicht trocken.

Isa hatte genug vom Schicksal des Entertainers. Sie klemmte die Zeitschrift ins Netz des Sitzes vor ihr und schaute aus dem Fenster. Außer Wolken war nichts zu sehen, doch die hatten so faszinierende Formen, dass sie diese eine ganze Weile lang beobachtete und dabei immer wieder zu Florentine hinüberschielte.

Liebeskummer, dachte sie, so also sieht es aus, wenn man darunter litt. Der machte einen ganz schön instabil: Neulich, vor dem Besuch beim Italiener, hatte Florentine erklärt, sie stehe bereits über der Sache; aber man sah ja, wie sehr sie sich verschätzt hatte, ein einziges küssendes Pärchen brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht. Hoffentlich, dachte Isa weiter, konnte die Tante im Club so viel unternehmen, dass sie gar nicht mehr zum Schauen und Nachdenken kam und sich nach einer turbulenten Woche nur noch mit Mühe an ihren alten Lover Bert-Wolfram erinnerte. Und vielleicht, das wäre natürlich das Allerbeste, lernte sie einen netten anderen Mann kennen. Wie lang dauert eigentlich so ein Kummer, fragte sich Isa. Eine Woche, einen Monat, ein Jahr – oder noch länger? Das kam wohl auf die kaputtgegangene Beziehung an. Isa seufzte, schaute wieder zu Florentine hinüber und stellte erleichtert fest, dass sie eingeschlafen war.

Isa nahm die Spucktüte aus dem Netz und füllte sie mit den gebrauchten Taschentüchern.

Wie kann man nur froh sein und trotzdem heulen … also ich weiß nicht, dachte sie. Wahrscheinlich hat ihr der Alkohol nicht gut getan. Ich werd auf meine Tante aufpassen müssen.

Isa musste lachen.

Der Club auf der Insel

Als Isa aus dem Flugzeug stieg, stellte sie erstaunt fest, dass es auf dieser Mittelmeerinsel kaum wärmer war als zu Hause. Zwar knallte die Sonne vom wolkenlos blauen Himmel, doch der Wind blies erbarmungslos durch ihr dünnes T-Shirt.

Sie eilten in die Halle, nahmen ihr Gepäck vom Förderband, gingen zum Ausgang und stellten fest, dass sie bereits erwartet wurden. Auf einer Art Fahne stand in schwungvollen Buchstaben: »Willkommen im Club!«

»Das gilt uns«, sagte Florentine. »Hallo … Ich glaube, bei Ihnen sind wir richtig!«

»Willkommen im Club!«, sagte eine junge Frau, die mit einem strahlenden Lächeln neben der Fahne stand.

»Der ist die Zahnpasta-Werbung nicht gut bekommen«, flüsterte Isa ihrer Tante ins Ohr. »Pass auf, gleich funkeln Sternchen auf ihren Beißerchen!«

»Pst, mach dich doch nicht gleich unbeliebt!« Florentine schubste ihren Koffer etwas zur Seite. »Haben Sie auf uns gewartet?«

»Auf Sie und auf die anderen Gäste«, antwortete die Strahlefrau. »Ich heiße Bridgette, wir im Club duzen uns alle. Wer also bist du?«

»Florentine«, antwortete Florentine widerstrebend.

Bridgette überflog eine Liste, schaute Isa an, kontrollierte die Namen auf ihrer Liste ein zweites Mal – und dimmte ihr Strahlen beträchtlich herunter. Sie blickte Isa an: »Jemand muss einen Fehler gemacht haben. Du bist eindeutig nicht Bert-Wolfram, oder?«

Die Frage ist überhaupt nicht gut für Florentine, dachte Isa alarmiert und legte den Arm schützend um ihre Tante.

Florentine schluckte. »Bei ›Bert-Wolfram‹ handelt es sich zweifellos um ein elendes Missverständnis, das ich nicht erklären möchte. Das ist Isa. Sie ist meine Nichte.«

»Willkommen im Club, Isa«, sagte Bridgette und strahlte aufs Neue.

Erst jetzt sahen Isa und Florentine, dass sie längst nicht die einzigen Gäste waren. Das knutschende Pärchen war da, ein paar Leute, die sie auch im Flieger gesehen hatten, standen herum – und die grünen Lederhosenträger waren auch nicht zu übersehen.

»Was hab ich dir versprochen?«, flüsterte Florentine. »Du wirst einen fabelhaften Artikel schreiben können …«

Endlich stimmten die Namen auf Bridgettes Liste mit den Personen um sie herum überein.

»Wir können gehen!«, meinte sie dann, schwenkte die Clubfahne und ging zu einem Bus.

Der Bus war kein ordinäres Personenbeförderungsvehikel. Das war ein Fahrzeug, das mit peppigen Farben die Welt bunt und leuchtend machte. Die Fahrgäste, die darin saßen, sahen auch mehr oder weniger happy aus …

Na ja, dachte Isa, einige waren doch von der müderen Sorte, die trugen karierte Hosen, farblich passende Polohemden und graue Gesichter … Aber weiter hinten saßen ein paar, die waren ungefähr so alt wie sie, die lachten und hatten ihren Spaß. Zu denen hätte sie sich am liebsten gleich dazugesetzt, aber das ging jetzt nicht, das wäre Florentine gegenüber ziemlich unfair gewesen.

Der Bus rumpelte los.

Eine Stunde dauerte die Fahrt über Land, dann bog der Fahrer von der Hauptstraße ab, kurvte enge Serpentinen hinunter, gab mächtig Gas, hupte, bremste dann scharf und hielt vor einem großen Portal. Rechts und links davon standen einige Leute in Badehosen und Bikinis, die lachten so, wie auch Bridgette lachte, klatschten und riefen: »Herzlich willkommen!«

»Gilt das uns?«, fragte eine füllige Dame.

»Wahrscheinlich«, sagte der Mann an ihrer Seite und drängelte an Isa vorbei ins Freie.

»He!«, rief Isa empört. »Sind Sie immer so unhöflich?«

Der Mann nahm keine Notiz von ihr. Er hielt den Fotoapparat vors Auge und knipste das Empfangskomitee.

»Das ist einer von den Zukurzgekommenen«, erklärte Florentine mit lauter Stimme. »Wenn so einer einen netten Bikini sieht, rastet er aus. Isa, das ist wieder was fürs Poesiealbum: Hüte dich vor Bikinifans!«

»Du machst uns unmöglich«, meinte Isa genau so laut und knipste ihrerseits den Mann. Sie war froh, dass sich Florentines Laune gebessert hatte. Vielleicht wird’s doch eine lustige Woche, dachte sie hoffnungsvoll.

»Leute gibt’s …«, sagte die füllige Frau empört.

Endlich ließ das Klatschen nach.

In der Halle bekamen alle Ankömmlinge rosafarbene Drinks.

»Ist da Alkohol drin?«, wollte jemand wissen.

»Hoffentlich«, sagte der Mann der fülligen Frau.

Die Drinks bestanden aber nur aus pappsüßem Saft; nach dem ersten Schluck verzog Isa das Gesicht und stellte das Glas ab.

Jemand erklärte dann, was für tolle Gäste sie seien, dass sie bestimmt eine bombastisch schöne Zeit im Club erleben würden und nun könnten sie ihre Schlüssel in Empfang nehmen; das Gepäck stünde bereits vor den jeweiligen Türen. »Das Abendessen hat schon begonnen«, fügte er noch hinzu. »Sie können sich aber Zeit lassen.«

»Wie lange?«, erkundigte sich das Pärchen zwischen zwei Küssen.

»Bis zehn Uhr.«

»Das reicht …«

Besorgt schaute Isa nach Florentine. Die nahm gerade die Zimmerschlüssel in Empfang und schien zum Glück nichts gehört zu haben. »Wir bewohnen einen Bungalow mit Meerblick. ›Red Rose‹ heißt er«, sagte sie, schaute dem Pärchen nach, bis es um eine Ecke gebogen und verschwunden war, schluckte mehrmals und blies heftig in ein Taschentuch.

»Heul bitte nicht wieder. Komm, lass uns unser Feriendomizil begutachten«, sagte Isa energisch.

Sie machten sich auf den Weg.

Es war schon ein wenig dämmrig, es ging rechts herum und links herum, geradeaus, dann wieder scharf nach rechts … der Weg schien ein endloses Labyrinth zu sein. Zweimal landeten sie in einer Sackgasse, schimpften, lachten, schimpften wieder. Aber schließlich standen sie doch vor dem Bungalow »Red Rose 13«.

»Warte mal«, sagte Florentine. »Wo sind denn unsere Koffer?«

»Die werden bestimmt noch gebracht«, meinte Isa ungeduldig. »Gib mir den Schlüssel.«

Sie steckte ihn ins Schloss, drehte – und hatte den Eindruck, als wäre die Tür nicht richtig verschlossen, sondern nur leicht angelehnt gewesen. Isa zuckte die Schultern, stieß die Tür auf und machte eine einladende Handbewegung. »Nach dir, bitte!«

Isa trat zur Seite, sodass Florentine an ihr vorbei ins Zimmer gehen konnte, und folgte ihr.

Sie standen in einem kleinen Vorraum. Der Fußboden war mit weißen Fliesen ausgelegt. Links stand eine Tür etwas auf, sodass man ins Bad sehen konnte, rechts befanden sich die Einbauschränke und ein raumhoher Spiegel. Wenige Stufen führten zum Hauptraum. Dort stand ein kleines Sofa mit zwei Sesseln und einem Tisch, den schmückte eine Vase mit roten Rosen, zwei Weingläsern und einer Flasche.

Eine Kerze brannte.

»Ist das nicht ein netter Willkommensgruß?«, sagte Isa.

»Wein, Blumen und eine brennende –«

»Kerze«, hatte sie sagen wollen, aber das Wort blieb ihr in der Kehle stecken.

Ein Mann kam um die Ecke und stand nun im Dämmerlicht vor ihnen. Er war genau so verdutzt wie sie und Florentine. Und – er war nackt.

Er war splitterfasernackt.

Einige Augenblicke verharrten sie regungslos, nur die Kerze flackerte ein wenig.

»Was zum Teufel –«, sagte der Mann.

Florentine schrie auf, drängte zur Tür.

»’tschuldigung!«, stammelte Isa und stolperte ihr nach.

Die Tür schlug zu. Sie standen im Freien. Sie fassten sich an den Händen, sahen sich an und schwiegen.

Plötzlich schlug Florentine die Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos.

Mist!, dachte Isa und fragte: »Was ist denn nun schon wieder los?«

»Das war nicht … du weißt schon«, heulte Florentine. »Er war es nicht. Aber wenn er’s gewesen wäre …« Sie schluchzte.

»Du warst es doch, die ihn hinter den Mond geschossen hat«, stellte Isa entgeistert fest. »Und du hast ihm die Rückfahrkarte verweigert. Also was willst du eigentlich?«

»Das stimmt ja alles«, weinte Florentine. »Trotzdem … Wenn er nicht so ein Fiesling gewesen wäre, hätte ich ihn nicht auf den Mond schießen müssen. Dann wär er jetzt hier, und –«

»Und ich müsste zu Hause Mathe pauken«, ergänzte Isa kaltherzig.

»Ich sag doch nichts gegen dich«, versicherte Florentine, schniefte und fischte in ihrem Rucksack nach einem Taschentuch.

Isa schaute sich um. Kein Mensch war zu sehen, wahrscheinlich waren alle beim Abendessen – alle bis auf den Nackten. Sie kicherte. Das war etwas für ihren Artikel, dachte sie, so ein Anblick wurde einem nicht alle Tage geboten, wenn sie das ihren Freundinnen erzählte, oder Felix – die würden meinen, sie hätte die Story erfunden.

Florentine schniefte. »Warum lachst du? Lachst du mich aus?«

»Das war doch zu komisch«, kicherte Isa. »Wie der da um die Ecke bog und wie die Kerze flackerte …« Sie musste lachen – und Florentine? Florentine lachte mit.

In der Rezeption klärte sich alles auf. Am Nachmittag war der Computer abgestürzt, ein heilloses Durcheinander war das Ergebnis. Ihr Bungalow war »Red Rose 31« und dort warteten auch ihre Koffer.

Sie zogen sich um, kämmten die Haare und machten sich endlich auf den Weg zum Essen, Isa mit vor Hunger knurrendem Magen und voll Hoffnung auf einen vergnüglichen Abend.

Es ging durch ein Labyrinth von kleinen Gässchen zu einem Platz. Dort sahen sie ein großes, hell erleuchtetes Gebäude, Musik war zu hören, Tellerklappern, das Klirren von Gläsern und die Stimmen vieler Menschen. Kinder rannten herum, spielten Fangen und Verstecken oder sprangen kreischend und lachend in einen Pool. Das ist Ferienstimmung, dachte Isa erfreut, so stelle ich mir das Leben hier vor. Da geht bestimmt die Post ab!

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2016
ISBN (eBook)
9783960531289
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Mai)
Schlagworte
eBooks ab 12 Jahren fuer Maedchen Liebe Freundschaft Abenteuer Urlaub Ferien Mittelmeer frech
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Titel: Lieben verboten
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