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Das Geheimnis des Falkengottes

Ein Kriminalroman aus dem alten Ägypten

©2018 128 Seiten

Zusammenfassung

Eine Verschwörung im antiken Ägypten: Der Abenteuerroman „Das Geheimnis des Falkengottes“ von Berndt Schulz jetzt als eBook bei jumpbooks.

Die drei Straßenkinder Nekti, Tiyi und Tamit haben kein leichtes Leben im alten Ägypten. Durch Zufall gerät ihnen ein geheimer Papyrus in die Hände. Doch noch bevor sie die Hieroglyphen darauf entziffern können, wird er ihnen geraubt. Das können sie nicht so einfach auf sich sitzen lassen! Sie verfolgen die Räuber und kommen einer Verschwörung auf die Schliche: Prinzessin Haré ist in Gefahr – und nur die drei Freunde können sie noch retten! Unerwartet kommt ihnen Ahmose zur Hilfe, der Sohn des mächtigen Hohepriesters. Gemeinsam stürzen sie sich in das größte Abenteuer ihres Lebens …

Jetzt als eBook kaufen und genießen: der spannende Kriminalroman „Das Geheimnis des Falkengottes“ von Berndt Schulz. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Die drei Straßenkinder Nekti, Tiyi und Tamit haben kein leichtes Leben im alten Ägypten. Durch Zufall gerät ihnen ein geheimer Papyrus in die Hände. Doch noch bevor sie die Hieroglyphen darauf entziffern können, wird er ihnen geraubt. Das können sie nicht so einfach auf sich sitzen lassen! Sie verfolgen die Räuber und kommen einer Verschwörung auf die Schliche: Prinzessin Haré ist in Gefahr – und nur die drei Freunde können sie noch retten! Unerwartet kommt ihnen Ahmose zur Hilfe, der Sohn des mächtigen Hohepriesters. Gemeinsam stürzen sie sich in das größte Abenteuer ihres Lebens …

Über den Autor:

Berndt Schulz wurde 1942 in Berlin geboren. Er veröffentlichte zahlreiche Kriminalromane und Sachbücher. Außerdem ist Schulz unter dem Pseudonym Mattias Gerwald als Autor historischer Romane erfolgreich. Er lebt in Nordhessen und Frankfurt am Main.

Bei dotbooks erscheint Berndt Schulz’ Krimi-Reihe rund um Kriminalkommissar Martin Velsmann, die folgende Bände umfasst:

Novembermord. Martin Velsmann ermittelt – Der erste Fall
Engelmord. Martin Velsmann ermittelt – Der zweite Fall
Regenmord. Martin Velsmann ermittelt – Der dritte Fall
Frühjahrsmord. Martin Velsmann ermittelt – Der vierte Fall

Außerdem erscheinen bei dotbooks Berndt Schulz’ Kriminalromane Wildwuchs und Moderholz und der Roman Eine Liebe im Krieg.

Ebenfalls bei dotbooks veröffentlicht Berndt Schulz unter dem Pseudonym Mattias Gerwald folgende Bände der Tempelritter-Saga:

Die Suche nach Vineta, Das Grabtuch Christi. Der Kreuzzug der Kinder, Das neue Evangelium, Die Stunde der Gerechten, Die sieben Säulen Salomons

Und die historischen Romane:

Die Geliebte des Propheten, Das Geheimnis des Ketzers, Die Entdecker, Die Sternenburg, Die Gottkönigin und Die Gesandten des Kaisers.

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eBook-Neuausgabe Februar 2018

Copyright © der Originalausgabe 2007 Arena Verlag GmbH, Würzburg

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2018 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Fotokostic (Anubis), Vuk Kostic (Anubis)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96053-224-8

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Berndt Schulz

Das Geheimnis des Falkengottes

Ein Kriminalroman aus dem alten Ägypten

Für Kinder ab 10 Jahren

jumpbooks

Die Hauptpersonen:

Nekti – Sohn von Fellachen (Ackerbauern). Der Dreizehnjährige ist mutig und stark. Er will Soldat werden, um dem Land Gerechtigkeit zu bringen.
Tiyi – Tochter von Beduinen (Nomaden) aus der Wüste. Die Elfjährige ist zierlich und hellhäutig und trägt eine ungewöhnliche Mähne kupferroter Haare. Sie ist neugierig und verträumt.
Tamit – Tochter von Nubiern (Schwarzafrikanern) aus dem Süden. Die Zwölfjährige ist tatkräftig und mutig. Ihr Kopf ist bis auf einen lang herabfallenden schwarzen Zopf kahl rasiert und ihre Haut glänzt wie Milchschokolade. Sie ist von altem nubischem Adel.

Nektis, Tiyis und Tamits Väter wurden vor Jahren von ägyptischen Soldaten verschleppt und zur Zwangsarbeit in den Steinbrüchen gezwungen, die das Baumaterial für die Pyramiden von Giseh liefern. Ihre Mütter starben an einer Seuche. Seither leben Nekti, Tiyi und Tamit auf der Straße.

Weitere wichtige Personen:
Ahmose
– zwanzigjähriger Sohn des Hohepriesters Ramos. Er rebelliert gegen seinen Vater, verschmäht den Luxus seines Standes und will auf der Straße leben wie die Ärmsten. Aber er hat die besten Kontakte in der Welt der Mächtigen und Reichen.
Katze Ku, Esel Ephren, Falke Fulkos – die »Haustiere« der Straßenkinder.
Prinzessin Haré – auserwählte Jungfrau des Apis-Kultes und Opfer einer Verschwörung.
Kalkos – höchster Beamter des Wesirs Rechmeire, skrupelloser Steuereintreiber und Haupt der Verschwörung gegen Prinzessin Haré.
Menem – Stadtfürstin von Memphis und Vertraute von Prinzessin Haré.
Ramos – Hohepriester im Tempel des Stieres Apis und strenger Vater von Ahmose.
Rechmeire – Wesir im Tempel des Königs, oberster Staatsbeamter und Richter Unter- und Oberägyptens.

Im Hintergrund:

Horus – königlicher Gott in Gestalt eines Falken

Pharao Chephren – gottgleicher König der Vierten Dynastie.

Und: Straßenkinder, Priester, Diebe, Staatsbeamte, Schreiber, Soldaten, Sklaven.

Zeit: das Jahr 2494 vor Christus

Orte: die prächtige Hauptstadt Memphis, das Niltal, die Gräberstadt Sakkara, der Pyramidenplatz von Giseh.

1. Ein Morgen bricht an

»He, ihr Schlafmützen!« Unsanft wurden Nekti, Tiyi und Tamit geweckt. Noch schlaftrunken fuhren sie hoch und erkannten die stämmige Silhouette des starken Huy, der sich, die Hände in die Hüften gestemmt, vor ihrem Nachtlager aufgebaut hatte.

»Verschwindet von hier! Heute kommen meine Freunde aus Sakkara zu Besuch. Sie brauchen eure Schlafplätze.« Verblüfft blickten die drei den grinsenden Straßenjungen an. Mit Huy war nicht zu spaßen. Auf seinem kahl rasierten Kopf prangte ein rotes Stirnband und sein Körper war mit Narben übersät, Andenken an unzählige Kämpfe, die ihn als geübten Schläger auszeichneten. Er war ebenso muskulös wie Nekti, war aber immerhin schon fünfzehn und damit dem zwei Jahre Jüngeren deutlich überlegen.

Trotzdem sprang Nekti auf und stellte sich mutig vor Huy. »Du hast hier nicht zu bestimmen. Wir waren als Erste auf diesem Platz. also haben wir ein Recht darauf.«

»Recht? Du hast Rechte? Ich zeig dir gleich mal meine Rechte, die hier!« Huy ballte die Faust, seine Muskeln spielten.

»Das ist mir zu blöd«, sagte Nekti. »Ich sage dem Aufpasser Bescheid. Er soll sich mit dir beschäftigen.«

Huy lachte laut auf. »Der Aufpasser, der alte Knacker? Den rauche ich in der Wasserpfeife! Nehmt eure Matten und dann ab mit euch! Hier habt ihr keinen Platz mehr!«

Nekti bückte sich, als wollte er tatsächlich die Matten aufheben. Aber dann sprang er nach vorn, rammte Huy den Kopf in den Bauch und stellte ihm ein Bein. Der Angegriffene taumelte überrascht nach hinten und fiel auf den Rücken. Nekti setzte sich auf seinen Bauch, bevor Huy sich wehren konnte, und drückte ihm die Arme über den Kopf auf den Boden.

»Du Nichtsnutz! Immer suchst du nur Streit. Hier haben alle Straßenkinder Platz, verstanden? Wenn du nicht aufhörst, dauernd Ärger zu machen, dann wirst du es sein, der von hier verschwindet! Wenn deine blöden Besucher kommen, dann schlaft gefälligst übereinander! So nehmt ihr wenigstens keinem Platz weg.«

Huys braunes Gesicht war wachsbleich geworden. Er funkelte Nekti aus seinen dunklen Augen böse an. »Eines Tages töte ich dich, Nekti! Für den Moment hast du gewonnen. Aber nimm dich in Acht! Irgendwann schläfst du tief und fest und dann ...!«

»Und dann was, du Mist am Huf eines Kamels?«

»Dann ...! Ach, egal.«

Nekti ließ den kräftigen Jungen aufstehen, behielt ihn aber im Auge. Huy war zu jeder Gemeinheit in der Lage und es verwunderte Nekti, dass er so schnell nachgab. Huy klopfte sich die nackten Glieder und den Lendenschurz ab. Er bedachte Nekti und die beiden Mädchen, die in der Nähe abwarteten, mit einem gehässigen Seitenblick. Dann trollte er sich.

»Den sind wir fürs Erste los«, sagte Tamit und begann, ihre Schlafmatte einzurollen.

Auch die anderen Kinder waren von dem Lärm aufgewacht. Einige hatten den Streit neugierig verfolgt. Andere räkelten sich noch schlaftrunken auf ihren Bastmatten, als wäre nichts geschehen. Schließlich fanden solche Revierkämpfe täglich statt. Jedes von ihnen besaß nicht mehr als einen abgesteckten Platz im Sand zwischen den Büschen. Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, befand sich die große Tempelanlage des Falkengottes Horus. Bedrohlich baute sich davor die riesige Statue des Königs Menes, des Stadtgründers von Memphis, auf. Wer sich davon nicht abschrecken ließ, dem verweigerten bewaffnete Soldaten den Zutritt zum Gelände.

Auf den Stufen des Tempels saß wie jeden Tag ein junger Ägypter, der zu den Straßenkindern herüberschaute. Nekti, Tiyi und Tamit fühlten sich beobachtet, aber es war ihnen nicht unangenehm. Im Gegenteil: Jeden Morgen nach dem Aufwachen schielten sie zur Tempelanlage, um sich zu vergewissern, ob er da war.

Er trug einen bunten Halsschmuck, weiße Armschienen und einen Lendenschurz. Schwarzes Haar fiel auf seine braunen Schultern. Die Kinder schätzten ihn ein paar Jahre älter, als sie selbst waren. Aber wer war er? Und warum durfte er im heiligen Bereich sitzen? Tiyi wollte gern zu ihm hinübergehen, um ihn zu fragen, aber er wusste, dass die Soldaten ihn davonjagen würden.

Nekti, Tiyi und Tamit verstauten ihr Bündel bis zur folgenden Nacht in den Büschen und gaben dem Aufpasser zu verstehen, dass sie gehen wollten. Der zahnlose Alte, ein ehemaliger Schreibgehilfe von den Kornspeichern, sprach wenig, war aber zuverlässig. Er warnte die Kinder vor Feinden und sorgte dafür, dass sie wenigstens ein paar Stunden Schlaf bekamen. Denn die kurze, kalte Dunkelheit im Niltal war voller Gefahren. Es gab Kinderjäger, die in jedem Moment zuschlagen konnten. Vom verbotenen Tempelbezirk her, aber auch aus der Tiefe des mit Unterholz und Büschen begrenzten Parks schlichen sie sich an, um die Kinder zu verschleppen und als Sklaven zu verkaufen.

Nekti warf dem Alten vor, dass er sie nicht vor Huy gewarnt hatte.

»Dieser Kerl hat mich geschlagen«, entschuldigte sich der Alte. »Ich kann nichts gegen ihn tun.«

Nekti klopfte dem Alten auf die Schulter. Dann machte er sich zusammen mit Tiyi und Tamit auf den Weg in die Stadt. Die Sonne brannte auf die Dächer aus Schilf und Lehm. Schatten spendende Bäume gab es in diesem Viertel nicht, nur Sand, braune Steine, Häuser aus rohen Ziegelsteinen und lehmige Straßen.

Die Kinder zwängten sich zwischen den Fuhrwerken und Lasttieren der Händler hindurch, die Richtung Markt strömten. Es roch nach Staub, Kamelmist und verfaulten Essensresten. So begann ein neuer, aufregender Tag über ihrer schönen Heimatstadt, der glänzenden Metropole Memphis.

2. Memphis

Die Kinder wussten, dass sie in der Innenstadt nicht willkommen waren. Denn sie brauchten Essen und das mussten sie stehlen. Tiyi fürchtete sich am meisten vor dem Gedränge der lauten, unfreundlichen Menschen. Nekti nahm sie an die Hand, während Tamit tapfer voranging. Sie kamen an den niedrigen Häusern der einfachen Leute vorbei. Sie waren schmutzig und ärmlich, aber es waren Häuser mit einem Dach aus Schilf und kleinen Fensterhöhlen. Geschrei drang auf die Straße, hin und wieder Gesang oder der Klang eines Instruments. In einem Hinterhof blökten zwei Kamele um die Wette. Streunende Hunde machten sich über Abfallhaufen her. Tiyi blieb einmal stehen und hörte zu, wie eine der fremden Sklavinnen mit sehnsüchtiger Stimme hinter den Fensterhöhlen sang.

»Komm doch weiter!«, drängte Nekti.

»So ein Lied hat mir meine Mutter auch immer gesungen«, sagte Tiyi.

»Denk doch nicht an die Eltern, Tiyi!«, sagte Nekti. »Sie sind tot. Es macht dich nur traurig.«

»Ich vermisse sie so sehr!«

»Eben. Denk nicht mehr an sie.«

»Aber ich muss! Jede Nacht träume ich von ihnen!«

»Kommt weiter!«, quengelte Nekti. »Sonst nehmen uns die anderen alles weg. Nur wenn wir rechtzeitig am Markt sind, fällt was für uns ab.«

Vor den Schenken befanden sich Brettspielplätze, auf denen schon am frühen Morgen gespielt wurde. Schankmädchen brachten den Spielern Tee. Der Strom der Menschen wurde immer dichter und alle schwitzten, obwohl eine leichte Brise vom Nil herüberkam.

Hinter dem Palast des Stadtgottes von Memphis, Ptah, der gleichzeitig der Erfinder der Künste und Schutzgott der Handwerker war, luden Sklaven Ebenholz, Elfenbein und Harzbrocken von Weihrauch aus. Aufseher trieben sie mit Peitschen zur Eile an.

In der Nähe des Marktes waren einige neu erbaute, niedrige Häuser eingestürzt. Menschen drängten sich davor.

»Was ist hier passiert?«, fragte Nekti einen der Schaulustigen.

»Sie haben die Hütten über Abfallgruben errichtet«, erklärte der Mann. »Der Müll senkte sich und die Hausmauern stürzten ein.«

»Sie hätten den Abfall vorher verbrennen sollen, dann wäre das nicht passiert!«, behauptete Nekti.

»Du bist ja ein schlauer Geselle!«, sagte der Mann. »Aber – du hast gar nicht so unrecht. Man müsste den Müll verbrennen, dann wird daraus eine feste Masse. Ich werde das den Bauleuten sagen.«

»Was bekomme ich für meinen Rat?«, wollte Nekti wissen.

»Einen Tritt!«, rief der Mann und holte mit dem rechten Bein aus.

Nekti sprang zur Seite. »Du sollst im Jenseits schmoren!«, rief er erbost. »Und du sollst nichts zu trinken haben, bis deine Zunge blau wird und abfault.«

In diesem Moment senkte sich ein weiteres, roh verputztes Haus zur Seite und fiel dann unter lautem Krachen zusammen. Die Kinder liefen schnell weiter.

Endlich erreichten sie den Markt. Ein Strom von Käufern zog an Ständen und im Sand hockenden, schreienden Händlern entlang. Die Kinder sahen Goldschmiede bei der Arbeit, Metzger zerhackten Fleisch, Frauen boten Früchte, getrockneten Fisch, Gerstenbrote und Wasser in Schläuchen an, Schlangenbeschwörer bliesen auf Flöten, Bierhändler priesen ihr Getränk an. In Garküchen wurden auf offenen Feuerstellen Fleischstückchen mit Lotosknollen und Zwiebeln gebraten, junge Frauen melkten Ziegen und verkauften die Milch.

Den drei Kindern lief das Wasser im Mund zusammen. Aber all die Herrlichkeiten machten nicht satt, wenn man sie nur anstarren durfte. Sie besaßen nichts zum Eintauschen, kein Kupfer, kein Silber, keine Perlen, womit die anderen Käufer bezahlten.

Tamit probierte Ledersandalen an. Die Kinder liefen immer barfuß. Ihre Fußsohlen waren von einer Hornhaut überzogen und gegen den heißen Sand auf der Straße unempfindlich geworden. Aber Tamit hatte sich schon immer Sandalen gewünscht. Als es ans Bezahlen ging, schüttelte Tamit den Kopf.

»Ich besitze nichts! Ich könnte mit meiner Arbeitskraft bezahlen, ist das nicht der beste Tauschwert? Ich arbeite eine Weile für dich!«

Schimpfend jagte der Sandalenmacher sie davon. Argwöhnisch gingen San-pern durch die Menge, Polizisten der Stadtverwaltung. Es waren meistens Schwarze aus der südlichen Provinz Nubien mit mächtigem Brustkorb und dicken Oberarmen, an denen Metallringe saßen. Sie hielten vor allem nach Straßenkindern und Dieben Ausschau.

»Vorsicht, lasst sie vorbeigehen!«, riet Nekti und zog die beiden Mädchen in einen Hauseingang.

»Gehen wir zu Tante Kibi, vielleicht hat sie etwas für uns«, schlug Tamit vor.

Tante Kibi besaß eine mit Palmblättern abgedeckte Bude, die vor lauter Staub ganz grau war. Sogar die Palme vor dem Eingang war grau. Tante Kibi verkaufte merkwürdige Flüssigkeiten in Ampullen, die sie selbst herstellte. Angeblich halfen sie gegen alles. Nur nicht gegen Hunger.

Als die Kinder eintraten, winkte Tante Kibi ihnen zu. Sie war nicht mit ihnen verwandt, aber jeder nannte sie Tante. Sie trug wie immer einen schwarzen Umhang, der bis zu ihren nackten Füßen reichte. Große Ohrringe klimperten zu beiden Seiten ihres runden Gesichts. Erst jetzt fiel den Straßenkindern die Unordnung in der Bude auf. Überall lag Staub und die Regalbretter hingen schief.

»Was ist hier passiert?«, wollte Nekti wissen.

»Zwei Krokodile sind heute Nacht aus dem Nil heraufgestiegen«, erklärte Tante Kibi. »Sie sind hier eingedrungen. Der Geruch des frischen Weihrauchöls hat sie wohl angezogen. Eins hat die hintere Wand eingedrückt.«

»Wo sind die Krokodile?«, entfuhr es Tiyi, die sich ängstlich umschaute.

»Keine Angst, meine Süße, sie sind weg, wahrscheinlich zurück ins kühle Nass.«

»Kommen sie wieder?«, wollte Tiyi wissen.

»Wer soll sie daran hindern?«, fragte Tante Kibi und lachte. »Wollt ihr Datteln, meine Kleinen?«

Die Kinder griffen zu und verabschiedeten sich. Beim Gehen aßen sie Datteln, spuckten die abgekauten Kerne steil in die Luft und sprangen nach vorn, bevor sie ihnen auf den Kopf fallen konnten.

An einigen Ständen waren heute Morgen Wachen. Bettler humpelten auf verkrüppelten Beinen durch die Reihen und wurden mit Tritten und viel Gefluche verscheucht. An einem Obststand hielten die Kinder an. Er gehörte einem Bauern, dem das rechte Auge fehlte. Nekti wusste, dass sie ihm etwas stibitzen konnten, wenn sie sich von der rechten Seite näherten. Nekti schlich sich an, kroch unter den Stand und angelte mit einer Hand nach den köstlichen Weintrauben, die rot und saftig auf einem Haufen lagen. Er bekam einen Zweig zu fassen und zog ihn zu sich herunter.

Als er sich gerade mit der Beute zurückziehen wollte, schrie jemand: »Haltet den Dieb!«

Nekti sah mit einem schnellen Seitenblick, dass es der benachbarte Händler war, ein bärtiger Alter mit schadhaften Zähnen, der brennbares Öl und Kerzen verkaufte. Er wies mit einem schmutzigen Finger auf Nekti und schrie aus Leibeskräften. Dadurch wurde ein Marktaufseher aufmerksam, der mit seinem Pavian an der Leine durch die Reihen spazierte. Der Pavian sollte Dieben in die Beine beißen.

Nekti krabbelte unter der Auslage hindurch zu den Mädchen. Sie sahen ihm mit großen Augen entgegen und rannten dann davon, gefolgt von den beiden Gehilfen des Obsthändlers und dem Marktaufseher. Doch so schnell sie auch waren, die Verfolger kamen immer näher.

Die drei hörten deutlich die Drohrufe des Marktaufsehers in ihrem Rücken. Als Nekti sich im Laufen umwandte, sah er, dass der losgelassene Pavian sich mit einem anderen Affen balgte. Dann entdeckten sie einen verfallenen Schuppen und schlüpften hinein. Ihre Verfolger rannten vorbei.

»Sie sollen in den Nil fallen und ertrinken«, murmelte Nekti.

Sie setzten sich. Tiyi sagte: »Darf man solche schlechten Wünsche äußern?«

»Wer will mich daran hindern?«, fragte Nekti. Er teilte den Strunk mit den Trauben gerecht auf.

»Der Sonnengott Re zum Beispiel!«, sagte Tamit.

»Oder der Pharao! Er hört alles.«

»Chephren? Der liegt im Sterben. Sie haben seine Grabstätte in Giseh gerade fertig gebaut. Er wird bald ins Jenseits gehen.«

»Woher weißt du das, Nekti?«, wollte Tiyi wissen.

»Man erzählt es überall auf den Straßen. Aber du achtest nicht darauf, kleine Tiyi. Weil du immer träumst.«

»Pharao Chephren ist erst siebenundzwanzig Jahre alt«, überlegte Tamit. »Davon hat er zwanzig Jahre im königlichen Palast zugebracht. Und schon stirbt er. Aber er ist doch ein Gott, da muss er doch selbst bestimmen können, wann er ins Jenseits einfährt.«

»Keine Ahnung«, sagte Nekti. »Vielleicht will er ja sterben. Dann belästigt ihn keiner mehr. Er kann sich mit den Grabbeigaben zurückziehen, kann essen und trinken und die Tänzerinnen tanzen für ihn, wann er will.«

»Deshalb muss er nicht sterben«, erklärte Tamit. »Das kann er auch im richtigen Leben haben. Er ist der Herrscher. Er kann alles bekommen, was er will.«

»Wenn er gestorben ist, trifft er unsere Eltern«, sagte Tiyi. »Unsere Eltern erzählen ihm dann von uns. So lernt er uns kennen.«

»Unsinn!«, entfuhr es Nekti. »Für Straßenkinder interessiert sich ein Pharao nicht.«

»Wieso denn nicht?«, beharrte Tiyi. »Er ist doch verantwortlich für alle Menschen. Und vor allem für Kinder. In unserem Land gilt jedes Kind als Geschenk der Götter, stimmt das etwa nicht? Der Pharao Chephren liebt also alle Kinder. Auch die Straßenkinder.«

»Deshalb lässt er sie auch im Stich!«, sagte Nekti bitter. Aber sogleich bereute er es. »Ich meine, er könnte schon ein bisschen mehr für uns tun. Für alle Straßenkinder. Jede Nacht verschwinden ein paar auf Nimmerwiedersehen. Die Soldaten holen sie und keiner sieht sie mehr wieder.«

»Werden wir immer Straßenkinder bleiben?«, wollte Tiyi wissen.

»Nur dann, wenn uns nichts einfällt, wie wir hier wieder rauskommen«, erklärte Nekti. »Aber ich will dafür sorgen, dass es uns eines Tages besser geht. Tamit soll wieder zur Schreibschule gehen können. Du, Tiyi, sollst Gesangsunterricht bekommen. Und ich will Soldat werden! Ein guter Soldat! Und dann kämpfe ich gegen alles Unrecht!«

»Achtung!«, zischte Tamit. »Die Marktgehilfen kommen zurück! Sie haben Verstärkung mitgebracht.«

»Versteckt euch!«, sagte Nekti leise. »Sonst sehen sie uns noch.«

Die Kinder krochen hinter eine Kiste und duckten sich tief in den Staub.

3. Die Tiere

»Mmaauh!«, machte die Katze Ku.

»Was willst du sagen?«, fragte Tamit, die auf ihrem Schlafplatz hockte und die Katze kraulte.

»Mmaauh!«, wiederholte die Katze Ku.

Nekti beobachtete sie. »Sie ist dumm wie alle Katzen.«

Die Katze begann, sich im Sand hin und her zu rollen. Dabei blickte sie die Kinder mit ihren gelben Augen an.

»Sie holt sich die Zustimmung bei der Katzengöttin Bastet, um uns helfen zu dürfen«, meinte Tiyi.

»Du träumst. Sie hat Flöhe, deshalb wälzt sie sich im warmen Sand«, widersprach Nekti.

Die Katze Ku erhob sich und blickte die Kinder an. »Mmaauh!«, machte sie.

»Sie ist süß, aber wir wissen leider nicht, was sie will«, seufzte Tamit.

Die Katze ging auf Samtpfoten und mit aufgestelltem Schwanz in Richtung Tempelanlagen davon. Erst jetzt bemerkten die Kinder, dass dort auf einer abgebrochenen Säule Falke Fulkos saß. Er erinnerte sie wie immer an den Falkengott Horus. Fulkos schien auf Katze Ku zu warten. Und jetzt tauchte auch noch Esel Ephren auf, der für gewöhnlich stundenlang unbeweglich zwischen den Büschen stand. Den Kindern schien es so, als hätten sich die drei Tiere verabredet. Aber wahrscheinlich gab es hinter den Säulen des Horus-Tempels nur einen Futterplatz.

Der Parkwächter kam humpelnd auf die Kinder zu. Er sah bekümmert aus.

»Vorhin waren Soldaten hier. Die haben euch gesucht. Ihr sollt als Sklaven in die Steinbrüche verkauft werden. Ihr müsst auf der Hut sein. Wenn sie in der Nacht wiederkommen, kann ich euch nicht schützen.«

»Du musst uns eben vorher warnen«, meinte Tamit, »dafür bist du doch da.«

Der Alte brummte nur etwas Unverständliches.

»Mir fällt schon was ein«, beruhigte Nekti die beiden Mädchen.

Er drückte dem Alten die Matten in die Hände. »Pass darauf auf. Heute Nacht schlafen wir hier an unserem Platz. Niemand hindert uns daran.«

»Und Huy?«

»Pah!«, machte Nekti.

»Und wenn die Soldaten wieder kommen?«

»Wir sind klüger und schneller als sie«, erwiderte Nekti. »Passt bloß auf euch auf«, brummte der Alte. »Auch ich nicke hin und wieder ein, dann höre und sehe ich nichts.«

»Lasst uns baden gehen«, sagte Nekti. »Es ist heute besonders heiß. Immer wenn die Regenzeit bevorsteht, ist es in Memphis nicht mehr auszuhalten.«

»Und wenn die Krokodile im Nil sind, die bei Tante Kibi eingebrochen haben?«, warf Tiyi ein.

»Dann reiten wir auf ihnen hierher«, lachte Nekti, »und verscheuchen Huy und seine stinkenden Besucher aus Sakkara.«

Als sie losgehen wollten, kam Esel Ephren aus dem Tempelbezirk zurück. Abwartend stand er da und klappte seine spitzen Ohren hin und her. Nekti winkte Tiyi heran und half dem Mädchen auf den Rücken des Esels. Dahinter hatte auch noch Tamit Platz. Dann gab Nekti dem Esel einen freundschaftlichen Klaps auf das Hinterteil und sagte:

»Zum Nil, alter Ephren. Du kannst auch mal wieder ein Bad vertragen.«

»Iiaahh!«, sagte der Esel und nickte zustimmend.

4. Der Strom der Ägypter

Grüne Sträuße von Palmzweigen wiegten sich auf braunen Stämmen im Wind der Ebenen. Dahinter erstreckte sich der rotbraune Sand, türmte sich immer höher auf, bis er schließlich als lange Hügelkette den Horizont begrenzte. Am Ufer rauschten geheimnisvoll das Schilf und der Papyrus. Vogelscharen erhoben sich daraus und flogen davon. Darüber der blaue, tiefe Himmel.

Ein Boot aus den gelben Stängeln des Papyrus lag am Ufer, mit dem die Fischer auf den Strom hinausfuhren. Die Fischer behaupteten, man könne mit diesem Tankwa genannten, leichten Gefährt um die ganze Welt fahren. Aber eines war sicher: Krokodile griffen diese Boote nicht an.

Der blaue Himmel und die Uferlandschaft spiegelten sich im klaren Wasser des Nils. Und als die Kinder hineinsprangen, zerplatzte das Bild und verschwamm in immer größer werdenden Ringen.

»Das Wasser ist herrlich!«, schrie Nekti. »Aber passt auf die Strömung auf, sie kann lebensgefährlich sein.«

Tiyi badete ganz nackt. Nekti und Tamit behielten ihren um den Bauch gebundenen Lendenschurz an. Einige Fischer saßen in blauen, weißen und gelben Umhängen am Ufer. Den Kopf hatten sie mit Turbanen umwickelt. Ihnen schien die Sonne nichts auszumachen, während sie ihre Tankwas flickten.

Nekti fielen drei seltsam gekleidete Reiter auf Kamelen auf, die von Memphis her dicht am Ufer den Fluss herabgeritten kamen. Sie schienen in der sanften Strömung, die den Nil bis zum großen Meer führte, etwas zu suchen. Nekti ließ sich nur kurz von ihnen ablenken. Aber als er sich umdrehte, sah er vor sich im Wasser die Stirnwülste einer riesigen Echse. Sie starrte ihn aus gelben Augen an. Nekti hörte vor Schreck auf zu atmen. Das Untier kam immer näher, schien aber Tiyi im Auge zu haben.

»Tiyi!«, schrie Nekti aus Leibeskräften. »Ans Ufer! Schwimm, so schnell du kannst!«

Tamit schrie im gleichen Moment gellend auf. Tiyi blickte zurück und begann dann, wie wild um sich zu schlagen. Das Wasser spritzte hoch auf, als sie in Richtung Ufer schwamm. Tamit hatte sich von ihrem Schrecken erholt und schwamm auch zurück. Nekti war voller Panik, aber er besaß den Mut, das Krokodil im Auge zu behalten. Er wusste, man konnte es verscheuchen, wenn man ihm fest in die starren Augen blickte und laut schrie. Dann begriff das Untier, dass man nicht gefressen werden wollte. Das tat Nekti. Er gab sich alle Mühe, um das Krokodil von Tamit und Tiyi abzulenken.

Die Echse starrte ihn unverwandt an. Sie war nur noch fünf Meter entfernt. Nekti hatte einmal zugesehen, wie Dorfbewohner auf dem Land Krokodile fingen. Die kräftigsten Männer stießen ihm einen Stock in den Rachen und knoteten um sein Maul dicke Stricke. So machten sie es unschädlich und zogen es an Land. Aber Nekti war dem Krokodil ganz allein ausgeliefert.

Nekti machte vorsichtige Schwimmbewegungen, um das Krokodil nicht zu reizen, und gewann ein wenig Abstand. Das Krokodil kam nur noch langsam näher. Seltsam, dachte Nekti, es scheint satt zu sein, vielleicht hat es gerade eine Ziege gefressen.

Nekti hörte die Fischer am Ufer schreien. Sie schwangen Stöcke und hüpften aufgeregt auf der Stelle. Die drei Reiter waren nicht aufmerksam geworden. Sie waren in einiger Entfernung von ihren Kamelen abgestiegen und starrten über das Wasser auf Memphis zurück. Von dort war also keine Hilfe zu erwarten.

Nekti ließ sich von der Strömung flussabwärts treiben. Das Krokodil rührte sich nicht von der Stelle. Plötzlich drehte es sich um und sein weißer Bauch erschien an der Oberfläche. Allmählich begriff Nekti: Die Echse war tot. Jetzt versank der Kopf mit dem schreckenerregenden Maul in die Fluten.

Den Göttern sei Dank, dachte Nekti, es ist tatsächlich tot.

Als er zum Ufer blickte, sah er dort die beiden Mädchen. Sie winkten und riefen ihm zu. Nekti schwamm langsam zum Ufer zurück.

Das tote Krokodil wurde von der Strömung flussabwärts getrieben. Und weiter draußen auf dem Nil sah Nekti eine Herde mächtiger Nilpferde, die schnaubend und spritzend näher kamen. Mit diesen gefährlichen Tieren wollte Nekti auf keinen Fall Bekanntschaft schließen.

Noch ein paar kräftige Schwimmstöße und Nekti kroch an Land. Er ließ sich in den Ufersand fallen und blieb einfach liegen. Jetzt erst merkte er, wie sehr er zitterte.

»Mensch«, sagte Tamit. »Was für ein Glück wir gehabt haben.«

»Du hättest uns gerettet, nicht wahr, Nekti?«, fragte Tiyi.

»Wenn das Krokodil mitgespielt hätte, dann sicher«, ächzte Nekti. »Die Fischer wussten auch nicht, dass das Krokodil tot war. Sie haben mächtig gebrüllt.«

Nekti, Tiyi und Tamit blickten zurück. Im Hintergrund kehrten die Fischer unter aufgeregtem Palaver zu ihren Booten zurück. Die drei Kamelreiter waren wieder aufgesessen.

Die Kinder blieben im warmen Sand liegen. Nach einer Weile ließ sich Tiyi vernehmen.

»Was ist eigentlich eine Seuche?«

Ihre beiden Gefährten rührten sich nicht. Nekti sagte schläfrig: »Frag nicht immer so viel!«

»Ich musste gerade daran denken«, sagte Tiyi. »Was ist eine Seuche?«

»Eine Strafe, die die zornigen Götter herabschicken.«

»Und warum darf eine solche Seuche kommen und unsere Mütter töten, die doch gar nichts verbrochen hatten?«

»Das weiß nur der Sonnengott Re allein.«

»Vielleicht weiß es auch allein der Pharao«, ergänzte Tamit. Die Kinder schwiegen. Nach einer Weile sagte Tiyi erneut: »Wenn der Pharao keine Pyramiden bräuchte, dann müssten die Männer nicht als Zwangsarbeiter in den Steinbrüchen arbeiten. Und dann wären unsere Väter noch am Leben.«

»Du denkst zu oft an die Eltern, Tiyi«, antwortete Nekti. »Jeden Tag sprichst du mindestens zehn Mal von ihnen.«

»Weil ich nicht verstehe, warum es gerade unsere Eltern waren, die ins Schattenreich wandern mussten.«

»Es traf nicht nur unsere Eltern«, erwiderte Tamit. »Es traf die Eltern aller Kinder, die mit uns jetzt auf der Straße leben. Seuchen kommen und gehen, sie raffen viele Menschen dahin. Die Ärzte können nichts dagegen tun.«

»Die Steinbrüche sind auch wie Seuchen«, überlegte Tiyi. »Sie fordern jeden Tag ihre Opfer.«

»Irgendwie hast du recht«, bestätigte Nekti. Er wusste, dass viele in den Steinbrüchen starben. Die Sklaven schufteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bei glühender Hitze. Zu essen und zu trinken bekamen sie wenig. Große Felsblöcke, hundert am Tag, wurden aus dem Berg gehauen. Wer starb, wurde von anderen Sklaven weggebracht und im Sand verscharrt.

»Es ist nicht gerecht«, meinte Tiyi mit leiser Stimme. »Warum arbeiten nicht Priester in den Steinbrüchen?«

»Es ist Sklavenarbeit. Viele sterben dabei ...«

»Aber unsere Väter waren keine Sklaven.«

»Nein, es waren Bauern. Aber die Ländereien auf denen sie arbeiteten, gehören dem Pharao, deshalb konnten sie jederzeit zur Fronarbeit abkommandiert werden. Eines Tages waren nicht mehr genug Sklaven oder Kriegsgefangene da, um die Pyramide zu errichten. Deshalb zogen die Soldaten des Hofstaates im ganzen Land herum und legten die arbeitsfähigen Männer in Ketten. Sie wurden nach Giseh verschleppt, genauso wie die Felsblöcke von überall her nach Giseh geschleppt wurden. Auf Wagen, oder an Seilen durch den Wüstensand gezogen – von Tausenden von Sklaven.«

Nekti hatte sich halb aufgerichtet und stützte seinen Oberkörper mit den Armen ab. Er blickte nach links. Dort standen noch immer die drei Kamelreiter. Jetzt blickten sie allerdings in Richtung der Kinder. Vielleicht sahen sie auch an ihnen vorbei, denn zur Rechten kamen in diesem Moment Dorfbewohner aus dem Hinterland ans Ufer und begannen, an einer großen Schöpfstelle Wasser zu schöpfen.

Tamit beschloss, zu den Dorfbewohnern zu gehen und sich die Wasserschöpfanlage anzusehen. Sieben Felsstufen waren in die hohe Uferböschung gehauen worden. Auf jeder Stufe standen Steinsäulen, über die hölzerne Gerüste gespannt waren. An jedem der Gerüste hingen lange, bewegliche Stangen, am einen Ende waren Schöpfeimer und am anderen Ende steinerne Gegengewichte angebracht. Die Dorfbewohner schwenkten die Eimer auf die nächsthöhere Stufe und kippten das Wasser in die hinteren Eimer und von dort aus in enge, verzweigte Kanäle. Es sah aus, als bewegte sich eine riesige Spinne. So wurde das ganze Land bewässert.

Tiyi dachte immer noch über das nach, was Nekti gesagt hatte. »Wie furchtbar das ist. Und alles nur, damit der Pharao ein schönes, großes Grab bekommt. Ich hasse Chephren!«

»Der Pharao tut nur das, was die Gesetze von ihm verlangen. Pyramiden haben den Zweck, die Körper der verstorbenen Könige zu erhalten, ihre Schätze und die Grabbeigaben zu schützen, mit denen sie ins Jenseits gehen.«

»Und wohin kommen die verstorbenen Königinnen? Zum Beispiel die Gattin des Pharaos, Meres-anch, ihre drei Töchter und ihre ganze Familie?«

»Für sie werden in der Nähe der Riesenpyramiden kleine Pyramiden gebaut und sind unterirdisch miteinander verbunden. Alle Pyramiden haben Gänge, die ins tiefste Totenreich führen. Dorthin gelangt nie ein Sonnenstrahl.« Nekti blickte hinüber zu der Wasserschöpfstelle. Er sah Tamit mit einigen Bauern verhandeln. Offenbar ging es um etwas, das in einem der hölzernen Wassereimer lag. Nekti erzählte weiter: »Vom Vater Tamits sagt man sogar, er sei ein nubischer Prinz gewesen. Tamit ist deshalb adlig. Sie stammt aus einem Königsgeschlecht im Süden. Man verschleppte sie aus Dschebel Barkal nach Memphis, ich glaube, sie war acht Jahre alt. Seitdem kenne ich sie. Vier Jahre lang leben wir nun auf der Straße. Vor einem Jahr kamst du dazu, Tiyi. Eigentlich müsste Tamit in Seide gekleidet sein und Goldgeschmeide tragen.«

Auch Tiyi blickte jetzt zu Tamit hinüber, die gerade von einem Bauern einen Gegenstand entgegennahm. Tamit gab ihm die Hand zum Dank und kam dann so stürmisch herbeigerannt, dass sie eine ganze Wolke Ufersand aufwirbelte.

»Nekti! Tiyi! Ich habe etwas ganz Tolles gefunden!«

»Was denn?«, wollte Tiyi wissen.

Tamit kam außer Atem bei ihnen an. Sie ließ sich in den Sand fallen und legte ein Binsenrohr vor ihre Füße.

»Was ist das?«, wollte Tiyi wissen.

Tamit öffnete den Behälter. »Es ist ein Papyrus!«, rief sie und holte eine Schilfrolle heraus. »Eine Rohrfeder zum Schreiben ist auch dabei. Und sogar ein Gefäß mit Tinte!« Nekti und Tiyi starrten Tamit erstaunt an.

»Die Bauern fanden das Binsenrohr im Wasser des Nil und wollten es wieder hineinwerfen.«

»Was steht auf dem Papyrus?«, wollte Nekti wissen.

»Ich habe es noch nicht gelesen«, erwiderte Tamit. »Es ist nicht einfach zu entziffern. Und einige Stellen hat das Wasser gelöscht.«

»Und was nützt der Papyrus dir dann, Tamit?«, fragte Tiyi.

»Ich hatte plötzlich eine Idee«, berichtete Tamit, noch immer ganz atemlos. »Die Rückseite des Papyrus ist leer. Ich schreibe ein Bittgesuch. Darin werde ich darum bitten, dass die Seelen unserer Eltern aus dem Totenreich entlassen werden. Den Brief bringen wir dann nach Heliopolos und wir geben ihn den Priestern des Sonnengottes Re

»Noch besser wäre es«, überlegte Nekti, »du schreibst an den Pharao Chephren. Er liegt doch gerade im Sterben. Wir reiten auf Esel Ephren nach Giseh und geben den Papyrus dem Pharao direkt mit auf den Weg ins Jenseits. Wenn der Pharao in den nächsten Tagen ins Jenseits einfährt, kann er das Bittgesuch persönlich dem Falkengott Horus geben, der ihn zum Herrn der Unterwelt, Osiris, begleiten wird.«

»Ich muss nur schnell die richtigen Hieroglyphen aufschreiben«, nickte Tamit, »dann ziehen wir nach Giseh.«

Nekti und Tiyi sahen Tamit zu. Sie zog den Papyrus aus dem Binsenrohr, in dem er die Flussreise überstanden hatte, ebenso eine Rohrfeder. Auf dem Behälter stand ein Spruch, mit dem Thot, der Gott des Schreibens angerufen wurde. Tamit fuhr liebevoll mit dem Finger über die Einkerbung mit dem Spruch. Wie gern hatte sie früher geschrieben, sie konnte sich gut daran erinnern! In den letzten Jahren hatte sie dazu keine Gelegenheit mehr gehabt. Sie tauchte die Rohrfeder in ein dünnes Gefäß aus Schildkrötenpanzer, in dem eine rote Flüssigkeit schwamm. Dann schrieb Tamit auf den Papyrus:

»Lieber Pharao Chephren. Bitte sei so gut und übergib dem Falkengott Horus unsere Bitte, dass die Seelen unserer Eltern wiederauferstehen dürfen. Deine dich liebenden Kinder aus Memphis, Nekti, Tiyi und Tamit.«

Dann rollte Tamit den Papyrus zusammen und verstaute ihn wieder im Binsenbehälter. »Das Rohr mit den Schreibutensilien nehme ich einfach mit und hänge es mir um den Hals. Wer weiß, wann ich es noch mal gebrauchen kann.«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2018
ISBN (eBook)
9783960532248
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Februar)
Schlagworte
Spannung Krimi Aegypten Geheimnis Pharao Freunde Abenteuer Detektive Enid Blyton eBooks
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Titel: Das Geheimnis des Falkengottes