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Hinter den Sternen wartet die Freiheit

Roman

©2018 303 Seiten

Zusammenfassung

Der Mut, für die Liebe zu kämpfen: Der Abenteuerroman »Hinter den Sternen wartet die Freiheit« von Erfolgsautor Thomas Jeier jetzt als eBook bei jumpbooks.

Amerika im 19. Jahrhundert. Hals über Kopf verliebt sich die junge Bensua vom Volk der Asante in den Krieger Ottobah. Doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern: Von skrupellosen Sklavenjägern werden die beiden nach Amerika verschleppt und gewaltsam voneinander getrennt. In sengender Hitze muss Bensua auf einer Baumwollplantage arbeiten und ist der Grausamkeit der Aufseher schutzlos ausgeliefert. Erst als sie eines Tages erfährt, dass es Menschen gibt, die Sklaven zur Flucht verhelfen, schöpft sie neuen Mut und wagt den Schritt ins Ungewisse – aber wird sie Ottobah jemals wiedersehen?

Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Hinter den Sternen wartet die Freiheit« von Erfolgsautor Thomas Jeier. Wer liest, hat mehr vom Leben: jumpbooks – der eBook-Verlag für junge Leser.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Über dieses Buch:

Amerika im 19. Jahrhundert. Hals über Kopf verliebt sich die junge Bensua vom Volk der Asante in den Krieger Ottobah. Doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern: Von skrupellosen Sklavenjägern werden die beiden nach Amerika verschleppt und gewaltsam voneinander getrennt. In sengender Hitze muss Bensua auf einer Baumwollplantage arbeiten und ist der Grausamkeit der Aufseher schutzlos ausgeliefert. Erst als sie eines Tages erfährt, dass es Menschen gibt, die Sklaven zur Flucht verhelfen, schöpft sie neuen Mut und wagt den Schritt ins Ungewisse – aber wird sie Ottobah jemals wiedersehen?

Über den Autor:

Thomas Jeier wuchs in Frankfurt am Main auf, lebt heute bei München und »on the road« in den USA und Kanada. Seit seiner Jugend zieht es ihn nach Nordamerika, immer auf der Suche nach interessanten Begegnungen und neuen Abenteuern, die er in seinen Romanen verarbeitet. Seine über 100 Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet.

Bei dotbooks erscheint auch:

Die Tochter des Schamanen

Biberfrau

Das Lied der Cheyenne

Die abenteuerliche Reise der Clara Wynn

Sterne über Vietnam

Flucht durch die Wildnis

Flucht vor dem Hurrikan

Die Reise zum Ende des Regenbogens

Die vergessenen Frauen von Greenwich-Village

Der Stein der Wikinger

Ich will keine Schokolade

Solange wir Schwestern sind

Die Website des Autors: www.jeier.de

Der Autor im Internet: www.facebook.com/thomas.jeier

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eBook-Lizenzausgabe Oktober 2018

Copyright © der Originalausgabe 2002 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2018 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Joseph Sohm, Asia Image Group, travelview

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96053-260-6

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Thomas Jeier

Hinter den Sternen wartet die Freiheit

Roman

jumpbooks

AFRIKA

O meine Mutter!
Meine Mutter, meine Schwestern, meine Brüder!
Werde ich euch niemals wieder sehen?
Mary Prince, ehemalige Sklavin

Kapitel 1

Am siebten Tag des September erlosch die Sonne. Sie wurde von den dunklen Wolken verdrängt, die den Beginn der Regenzeit ankündigten, und ertrank in einem goldenen Meer hinter dem Urwald. Der Himmel verfinsterte sich und faustgroße Hagelkörner fielen aus dem grauen Dunst herab. Sie trommelten auf die Palmdächer der Lehmhütten und gegen die massiven Wände des Königspalastes, der sich wie eine mächtige Festung im Zentrum von Kumase erhob. Die hundert Meter breite Hauptstraße verwandelte sich in einen morastigen Sumpf. Die Menschen verkrochen sich in ihren Hütten und beteten zu den Göttern, und Osei Yaw, der greise König der Asante, ließ die Türen seines Palastes verriegeln und rief nach seinen beiden Lieblingsfrauen. Das Gebrüll eines einsamen Leoparden, der sich in die Nähe der Hauptstadt verirrt hatte, wurde vom dunklen Prasseln der Hagelkörner verschluckt.

Es war wie jedes Jahr im September und doch empfand Bensua große Furcht. Sie war die jüngste Tochter eines erfolgreichen Jägers, der im Sommer einen gefürchteten Löwen getötet hatte und dafür vom König mit einer goldenen Kette ausgezeichnet worden war. Eine Schönheit, von schlankem Wuchs, die selbst die bewundernden Blicke erwachsener Krieger auf sich zog. Ihre Stirn war hoch, der Mund schmal, beides Schönheitsideale bei den Asante, und ihre Haut leuchtete in einem tiefen Schwarz, wie man es auch bei ihrem Volk nur selten sah. Ihre braunen Augen waren groß und ausdrucksvoll und ein Spiegel ihrer Seele, die von einer geheimnisvollen Kraft gespeist wurde.

Im Schein der Kerzen, die auf dem Tisch im Wohnraum brannten, wirkte Bensua noch stattlicher und schöner. Ihre Gestalt war von einer Anmut, wie sie nur den beiden Lieblingsfrauen des Königs nachgesagt wurde, und selbst ohne goldene Halsketten und Armreifen erweckte sie den Eindruck einer edlen Prinzessin, auch wenn sie nicht aus einer vornehmen Familie stammte und bei ihren Eltern in einem einfachen Lehmhaus wohnte. Der Kerzenschein zauberte flackernde Schatten auf ihre weiche Haut.

Weder ihre Großmutter, die am Tisch saß und an einem neuen Baumwollkleid nähte, noch ihre Brüder und Schwestern spürten, wie angespannt sie war. Nur ihre Mutter bemerkte, wie sich ihre Schultern verkrampften und ein leichtes Beben durch ihren Körper lief. Sie brauchte nicht zu fragen um zu wissen, was ihre Tochter bewegte. Sie fühlte die Unruhe selbst, die leise Warnung, die im Prasseln des Regens zu hören war, und den Hilferuf, der mit dem Wind aus der Hitze des Urwalds zu kommen schien. Die feuchte Luft zog wie eine Drohung zum Fenster herein und schien Bensua ersticken zu wollen. Selbst als die Hagelkörner ausblieben und nur noch heftiger Regen auf das Land prasselte, blieb dieses erdrückende Gefühl. Sie schob es auf die Angst um ihren Vater und ihren Onkel, die mit den anderen Kriegern in den Kampf gezogen waren, und ahnte doch, dass die bösen Geister nach ihrer Seele griffen. »Ich sehe nach den Ziegen«, sagte sie zu ihrer Mutter und verließ das schützende Lehmhaus.

Sie blieb unter dem hervorstehenden Palmdach stehen und atmete die schwüle Luft, die aus dem Urwald herüberwehte. Während der zweimonatigen Regenzeit litten selbst die Asante unter der Hitze, die in den endlosen Regenwäldern der Goldküste das Land peinigte. Die Menschen hatten sich mit der mächtigen Natur arrangiert, zogen sich ähnlich wie die Tiere in ihre Behausungen zurück und lauschten den Geschichten, die Männer wie ihr Großvater erzählten. Sie berichteten vom mächtigen Volk der Asante, das in den Wäldern des westlichen Afrika lebte und seinen Herrschaftsbereich bis zur Küste ausgedehnt hatte.

Osei Yaw war vom Schöpfer selbst zum ersten Asantehene erklärt worden. So nannten die Asante ihren König. Er hatte die mächtigen Denkyira besiegt und die ersten Pfade zur Küste geschlagen. Dort gingen die Engländer, Schweden, Dänen und Holländer mit ihren Segelschiffen vor Anker und brachten wertvolle Handelswaren aus dem fernen Europa: Musketen, Werkzeuge, Kleidung und Haushaltswaren, aber auch Kupfer und Messing und Salz, das bei den afrikanischen Völkern besonders begehrt war. Die Asante bezahlten mit Gold, schöpften aus den unermesslichen Vorräten, die in ihren Minen verborgen lagen und von Sklaven gefördert wurden. Die weißen Männer hatten vergeblich versucht ins Landesinnere vorzudringen, waren an der übermächtigen Natur und der riesigen Streitmacht der Asante gescheitert und hatten sich darauf beschränkt, steinerne Forts an der Küste zu errichten. Sie waren auf das Gold der Asante aus, kauften und stahlen aber auch Sklaven, obwohl die Engländer und Dänen den Sklavenhandel zu Beginn des 19. Jahrhunderts als »unmenschlich« verurteilt und verboten hatten.

Bensua hatte die weißen Männer nie gemocht. Sie ekelte sich vor ihrer blassen Hautfarbe und verurteilte das arrogante Gehabe ihrer Anführer. Sie hielten sich für etwas Besseres. Die englischen Offiziere, die vor einigen Wochen in Kumase gewesen waren, hatten Geschenke gebracht und den König mit schönen Worten umworben, aber in ihren Augen hatte blanke Gier gestanden. Sie dürsteten danach, die Asante zu töten und in den prächtigen Palast zu ziehen, der sich innerhalb der Hauptstadt erhob.

Vor einigen Jahren hatten die Baumeister den letzten Stein gelegt. Wie das größte Fort der weißen Männer überragte er alle anderen Häuser, ein traumhaftes Schloss aus fest gefügten Felsbrocken, das von den besten Kriegern und einer eigenen Polizeitruppe bewacht wurde. Die Fenster und Türen waren mit goldenen Beschlägen verziert und blitzten in der Sonne. Hinter seinen Mauern lagen weitläufige Gemächer, die sich mit den üppig ausgestatteten Räumen europäischer und arabischer Herrscher messen konnten. Es gab eine Bibliothek, die von einem arabischen Gelehrten betreut wurde, einen Ballsaal, der für das königliche Orchester reserviert war, und einen Weinkeller mit erlesenen Weinen und edlem Champagner, auf den selbst der französische König neidisch gewesen wäre, wenn er ihn jemals zu Gesicht bekommen hätte. In den mehrfach gesicherten Kellergewölben lagerten die unermesslichen Goldvorräte der Asante. Es gab so viel Gold, dass der König seinen Körper zu offiziellen Anlässen mit feinem Goldstaub puderte. Ein Zeichen seines Reichtums, der auch die englischen Offiziere beeindruckt hatte.

Bensua ahnte, dass die Überlegenheit der Asante nicht ewig dauern werde. Bisher genügte es den weißen Männern, ihre Handelswaren gegen Goldbarren und schwarze Sklaven zu tauschen, und solange es genug Gold gab und die Asante die Gefangenen unterjochter Stämme verkaufen konnten, waren beide Seiten zufrieden. Doch was geschieht, wenn das Gold knapp wird? Wenn es keine Gefangenen mehr gibt? Verbünden sich die Engländer dann mit den anderen Europäern? Rücken sie mit ihren mächtigen Kanonen in den Urwald vor? Rauben und versklaven sie dann die Männer, Frauen und Kinder der Asante?

Die junge Frau spürte, dass ihre Bedrücktheit etwas mit diesen Gedanken zu tun hatte, und trat in den Regen hinaus. Vielleicht wusch das Wasser, das aus dem Himmel kam, ihre Sorgen hinweg. Sie grübelte länger als ihre Brüder und Schwestern, das hatte ihr Onkel schon erkannt, als sie noch ein Kind gewesen war. Sie dachte länger über Probleme nach als andere Kinder, hielt sich von lauten Spielen fern und mochte am liebsten, wenn ihr Onkel die Geschichten ihres Volkes erzählte. Als Bruder ihrer Mutter war er mit für die Erziehung verantwortlich. Die Familie der Asante orientiert sich nach der Mutter, der leibliche Vater hat weniger zu sagen als alle männlichen Verwandten der Mutter.

Bensua trug keine Kopfbedeckung. Der Regen prasselte auf ihre kurzen Haare, durchdrang ihr dünnes Baumwollkleid und hinterließ helle Striemen auf ihrer Haut. Sie war allein. Nicht einmal die Ziegen und Hühner waren draußen. Die breite Straße schien durch eine verlassene Stadt zu führen und in dem milchigen Dunst zu enden, den der Regen über die Häuser legte. Sie genoss den Regen, obwohl er schmerzte, rieb mit beiden Händen über ihr Gesicht und blickte Hilfe suchend in den verhangenen Himmel. Wo waren die Antworten auf die vielen Fragen, die sie bedrückten?

Ohne es zu wollen verließ Bensua das Stadtviertel, in dem ihre Angehörigen wohnten. Ziellos irrte sie durch den Regen, über die breite Hauptstraße und die engen Gassen des Stadtteils, in dem die ärmeren Asante lebten. Auch hier war keine Spur von Leben. Nur der Rauch, der aus den Schornsteinen drang, und der herbe Geruch von gekochtem Wurzelgemüse erinnerten daran, dass Menschen in den armseligen Hütten lebten. Bensua gehörte der Mittelschicht an. Ihre Familie wohnte in einem der Stadtviertel, die zwischen der vornehmen Gegend um den Königspalast und den Armenvierteln lagen. Auch in Kumase gab es deutliche Grenzen zwischen Arm und Reich, vielleicht noch stärkere als in den fernen Städten der weißen Europäer.

Als der Regen etwas nachließ, bereute Bensua, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Jetzt waren die notdürftigen Hütten klarer zu erkennen und sie sah auch den Schmutz, der in den besseren Vierteln undenkbar gewesen wäre. Kumase war eine saubere Stadt. Die breiten Hauptstraßen wurden täglich gereinigt, auch an einem Tag wie diesem, wenn der Regen sie in eine Schlammwüste verwandelt hatte, und der Abfall wurde außerhalb der Stadt verbrannt.

Auch das hatte die englischen Offiziere, die den König besucht hatten, stark verwundert. Sie hatten wohl erwartet ein schmutziges Eingeborenendorf vorzufinden.

Bensua beschleunigte ihre Schritte. Sie sank bis zu den Knöcheln in den tiefen Schlamm und brauchte viel Kraft, um vorwärts zu kommen. Das Kleid klebte an ihrem Körper. Sie spürte die verwunderten Blicke einiger Männer, die unter einem Palmdach standen und rauchten, und erinnerte sich daran, dass einige der jungen Frauen in diesem Viertel ihren Körper verkauften. Mit ihnen wollte sie auf keinen Fall verwechselt werden. Sie überquerte eine Kreuzung und erreichte die breite Straße, die zum Stadtrand und weiter nach Norden führte. Aber sie wandte sich in die andere Richtung. Es war keinem Bewohner von Kumase gestattet, die Stadt ohne Erlaubnis zu verlassen, und sie wollte nicht Gefahr laufen, von der Polizei aufgehalten zu werden.

Als sie an einer Kreuzung stehen blieb, um sich zu orientieren, entdeckte sie eine weißhaarige Frau, die geduckt durch den Regen schlich. Die Alte stapfte an den Lehmhäusern entlang, sorgsam darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden, und blieb alle paar Meter stehen und blickte sich um. Bensua versteckte sich nicht. Verwundert beobachtete sie, wie die Frau bei ihrem Anblick zusammenzuckte und in einer Seitengasse verschwand.

Bensua spürte, wie sich ihre Neugier regte. Sie folgte der Alten in die enge Gasse, sah gerade noch, wie sie um eine Hausecke bog. Es war einfach, ihrer frischen Spur nachzugehen. Ihre schmächtige Gestalt hob sich wie ein Schatten gegen den Regen ab und verschwand im Hof eines reichen Farmers. Bensua versteckte sich hinter einem Holzstapel und beobachtete verwundert, wie die Alte eine Ziege stahl und sie in die Gasse zog. An einem einfachen Strick zerrte sie das störrische Tier zurück auf die Hauptstraße. Niemand beachtete sie – außer Bensua, deren Neugier jetzt erst recht geweckt war. Sie folgte der weißhaarigen Frau bis zu der einfachen Hütte, in der sie wohnte, und schlich am Zaun entlang, bis ihr ein paar verschobene Latten auffielen. Dort kniete sie sich auf den Boden und spähte durch den Spalt.

Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Die Alte hatte die Ziege an einen Holzpflock gebunden und stand mit erhobenem Messer vor dem zitternden Tier. Ihr Gesicht war dem Himmel zugewandt und zuckte unter dem heftigen Regen. Sie schien ein Gebet zu sprechen, von dem Bensua nur wenig verstand, und murmelte eine Beschwörungsformel, wie sie nur Hexen anwandten. Die Worte erinnerten Bensua an eine junge Sklavin der Fante, die während der Odwira im letzten Jahr geopfert worden war und noch in ihrem Todeskampf die bösen Geister angerufen hatte. Das prunkvolle Fest, das zur Ernte der Jamswurzeln im späten August gefeiert wurde und die Begeisterung der Asante für ihren Staat stärken sollte, war eine willkommene Gelegenheit gewesen, die feindliche Hexe in ihre Schranken zu weisen und den Asante zu zeigen, dass ihre Götter stärker als die verderblichen Kräfte der Hexe waren. Aber auch bei ihrem Volk gab es Hexen. Sie wirkten hinter verschlossenen Türen. Der Zufall schien sie auf die Spur einer solchen Frau gebracht zu haben.

Bensua beobachtete, wie die weißhaarige Frau die Geister beschwor. Ihre knochigen Hände mit dem Messer ragten in den Regen und krümmten sich, als die letzten Worte der Beschwörung im Regen verklungen waren. Bensua unterdrückte mühsam einen Schrei, als die Alte der Ziege mit einem schnellen Schnitt die Halsschlagader durchtrennte und ihre Hände in das spritzende Blut hielt. Das Tier sank röchelnd zu Boden und verendete. Der Blutstrom wurde schwächer und endete in einem Rinnsal.

Die Hexe verschmierte das Blut auf ihrem Gesicht und wiederholte einige der Beschwörungsformeln. Erschöpft ging sie in die Knie. Sie verharrte stumm und verschmolz mit ihren Gedanken. Bensua stahl sich leise davon. Sie wollte nichts mit der weißhaarigen Frau zu tun haben. Hexen wurden getötet. Sie brachten Unglück über das Volk und trieben es den bösen Geistern in die Arme. Wo sie waren, breiteten sich tödliche Krankheiten aus. Die Priester der Asante ließen Hexen töten, wenn sie das Haus eines Kranken betraten, und manchmal opferten sie auch junge Frauen, die sich in der Nähe einer Hexe aufgehalten hatten.

Ängstlich kroch Bensua an dem Zaun entlang. Als sie die Gasse erreicht hatte, wurde sie von erstaunlich kräftigen Armen gepackt und in den Hof gezogen. Sie spürte ein Messer an ihrer Kehle. Der Regen wusch das frische Blut von der Klinge und trieb es über die Haut der jungen Frau. »Wer bist du?«, hörte sie die heisere Stimme der Alten. »Ich habe dich nie hier gesehen.«

»Bensua«, nannte sie rasch ihren Namen, »die Tochter des tapferen Jägers, der im letzten Sommer einen Löwen getötet hat!« Die Antwort schien keinen Eindruck auf die Hexe zu machen.

»Warum folgst du mir?«

Bensua war den Tränen nahe. »Ich weiß nicht. Ich wollte wissen, warum du die Ziege gestohlen hast. Ich habe es gesehen. Aber ich werde dich nicht verraten! Es ist mir egal, was du tust!«

»Wenn du zur Polizei gehst, werde ich dich töten! Selbst wenn ich in Ketten liege, besitze ich die Kraft, dein Leben zu beenden!«

»Ich sage nichts!«, beschwor Bensua die Hexe.

Die Frau lockerte ihren Griff und nahm das Messer von ihrer Kehle. Bensua stolperte einige Schritte zurück. Sie griff sich an den Hals und atmete erleichtert auf, als sie keine Wunde spürte. Das wenige Blut, das an ihr klebte, stammte von der Ziege. Ungläubig starrte sie die Hexe an. Ihr faltiges Gesicht war mit Blut verschmiert und erinnerte Bensua an ein Ungeheuer, das in einer unheimlichen Geschichte ihres Großvaters vorgekommen war. Auch auf dem schäbigen Kleid der Hexe war Blut. Und doch wirkte sie verletzlich und gar nicht wie eine Frau, die mit den bösen Geistern spricht und Macht über andere Menschen hat.

»Warum hast du das getan?«, fragte Bensua leise. Sie hatte keine Angst mehr, wollte nur wissen, warum es geschehen war.

»Unserem Volk droht großes Unheil«, antwortete die Alte. »Es reicht nicht mehr, die Geister unserer Vorfahren anzurufen und zu Onyankopon Kwame zu beten. Sie sind hilflos, wenn es um die weißen Männer geht.« Sie ging einen Schritt auf Bensua zu und blickte sie beschwörend an. »Du darfst ihnen nicht glauben, mein Kind! Versprichst du mir das? Die Europäer lügen! Sie wollen unser Gold! Sie wollen unsere Menschen! Sie wollen starke Frauen wie dich, die sie an die reichen Farmer in den fernen Ländern verkaufen können! Ich habe von diesen Ländern gehört! Ich weiß, wie sehr unsere Brüder und Schwestern, die auf die großen Schiffe gestiegen sind, in der Ferne leiden! Hüte dich vor den weißen Männern, mein Kind! Hüte dich vor ihnen!«

Bensua wich einen Schritt zurück und hielt sich mit beiden Händen an dem Zaun fest. Die Worte der alten Frau wühlten sie mehr auf, als sie zugeben wollte. Auch ihre Unruhe ging auf die Furcht vor den weißen Männern zurück. Und sie spürte tief in ihrem Herzen, dass ihr Volk von einem großen Unheil bedroht wurde. War sie eine Hexe? Würde man sie während der nächsten Odwim töten und ihr Blut in die Löcher schütten, die nach der Ernte der Jamswurzeln in der Erde geblieben waren? »Du lügst!«, rief sie. Ihre Worte sollten die bösen Gedanken vertreiben. »Du bist eine Hexe! Du bist mit den bösen Geistern im Bunde! Unsere Krieger sind stark genug um es mit jedem Gegner aufzunehmen! Sie werden es nicht zulassen, dass unsere Männer und Frauen von den Sklavenhändlern verschleppt werden!«

»Du wirst es sehen«, antwortete die Hexe betrübt. »Meine Kräfte reichen nicht mehr aus, das Unheil zu verhindern.« Sie wandte ihr Gesicht der toten Ziege zu. »Unser Volk wird im Blut liegen!«

Bensua schüttelte den Kopf und ging rückwärts aus dem Hof. Die Alte hielt sie nicht zurück. »Das ist nicht wahr«, flüsterte das Mädchen entsetzt. »Du lügst! Du lügst!« Sie begann zu weinen und lief davon, zuerst langsam, dann immer schneller. Als sie zu Hause ankam, hatte der Regen die Tränen von ihrem Gesicht gewaschen.

Kapitel 2

Während der folgenden Tage blieb Bensua zu Hause. Sie versteckte sich im Halbdunkel der Hütte, erledigte Handarbeiten und setzte sich nur zu den Mahlzeiten an den Tisch. Ihre Großmutter nahm an, dass sie sich um Vater und Onkel sorgte, die mit den Kriegern gegen einen aufständischen Häuptling der Fante gezogen waren. Vor ihrem Aufbruch hatten sie geschworen, bis zum Beginn der Regenzeit zurück zu sein. Sie gehörten zu den tapfersten Männern des Landes, doch der Urwald war voller Gefahren. Die Geister konnten sie in eine Falle der Fante oder Engländer getrieben haben. Einige Häuptlinge des Küstenvolkes lehnten sich noch immer gegen die Asante auf und von den Engländern wusste man, dass sie jede Gelegenheit nützten, die Asante zu schwächen. Bald würde es zu einem großen Krieg kommen, das behauptete ihr Onkel seit vielen Monaten.

Ihre Verwandten ahnten nichts von der weißhaarigen Hexe. Und Bensua hielt ihr Versprechen und hütete sich, die alte Frau zu verraten. Sie wollte nicht, dass die Hexe bestraft wurde. Stattdessen betete sie vor dem Einschlafen zu ihren Ahnen, die in einer anderen und besseren Welt lebten und täglich in das Angesicht des Schöpfers blickten. Sie sollten Onyankopon Kwame bitten, seine schützende Hand über ihr Volk zu halten. Die Weissagung der Hexe durfte nicht in Erfüllung gehen. Wenn die weißen Männer kämen und sie als Sklaven verkauften, wären sie dem Untergang geweiht und sie würde als eine der Ersten an Bord eines Schiffes gehen. Die Sklavenhändler bevorzugten kräftige Frauen, mit denen sie sich unterwegs vergnügen konnten.

Bensua hatte nichts gegen die Sklaverei. Alle Völker der Goldküste versklavten ihre Gefangenen und ließen sie die schweren Arbeiten verrichten. Und wenn der Schöpfer ein Menschenopfer verlangte, wurde immer einem Sklaven der Kopf abgeschlagen. Aber die meisten Gefangenen wurden aufgenommen und durften beinahe gleichberechtigt neben den Asante leben. Die Weißen meinten etwas anderes mit Sklaverei. Sie verschifften Gefangene über das große Wasser, zu grausamen Herrschern in fremde Länder, und demütigten und quälten sie während der langen Überfahrt. Einige Krieger behaupteten sogar, die Europäer würden einige Gefangene schlachten und aufessen. Ein schrecklicher Gedanke, der sie selbst in der Hitze frösteln ließ.

Bisher waren die Asante sicher vor den weißen Eindringlingen gewesen. Nur einige Krieger, die in die Gefangenschaft der Fante geraten und an einen Kaufmann verkauft worden waren, hatten die qualvolle Reise in eine ungewisse Zukunft angetreten. Ihr Volk war zu mächtig. Wenn ein Europäer mit wertvollen Handelsgütern gekommen war, um Sklaven zu kaufen, hatte der König einen Kriegertrupp zu verfeindeten Völkern geschickt, um dort Gefangene zu machen. Der Mann, der behauptet hatte, der König der Asante würde auch Angehörige seines eigenen Volkes als Sklaven verkaufen, war auf dem Marktplatz hingerichtet worden.

»Du bist still, mein Kind«, sagte ihre Mutter, während sie das Abendessen zubereitete. Es gab einen schmackhaften Eintopf aus Ziegenfleisch, den sie mit arabischen Gewürzen verfeinerte.

»Ich weiß«, antwortete Bensua.

»Du sorgst dich um die Krieger, nicht wahr? Um deinen Vater und deinen Onkel.« Es klang mehr wie eine Feststellung. »Auch wir haben Angst um sie.« Ihr Blick ging zu den anderen Verwandten, die auf ihren Nachtlagern saßen und auf das Abendessen warteten. Während der Regenzeit gab es wenig zu tun.

»Sie werden die Fante besiegen«, erwiderte Bensua. Sie verriet ihrer Mutter nicht, welche Gedanken sie wirklich beschäftigten. »Sie haben sie immer besiegt. Die Fante sind schwach und feige! Sie werden Gefangene bringen und sie den Göttern opfern!«

»So wird es sein«, sagte ihre Mutter.

Die Fante gehörten zu den Erzfeinden der Asante. Sie lebten an der Küste, hatten vor allen anderen Völkern mit den Europäern gehandelt und waren zuerst in den Besitz von Feuerwaffen gekommen. Erst vor knapp dreißig Jahren, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, hatten die Asante gesiegt. Ihre Streitmacht war zu groß für das kleine Küstenvolk, und der unbedingte Wille, einen Zugang zur Küste zu haben um am lukrativen Handel mit den Europäern teilzuhaben, hatte den Asante zusätzliche Kräfte verliehen. Nur noch wenige Häuptlinge lehnten sich gegen den König der Asante auf. Auch sie würden früher oder später ihre Waffen niederlegen.

»Sie kommen wieder«, sagte die Großmutter während des Essens. »Der Schöpfer will nicht, dass ich beide Söhne verliere.« Ihr anderer Sohn war vor einigen Jahren im Kampf gegen die Fante gefallen, ein Unglück, von dem sie sich niemals erholt hatte. Sie schwieg meistens und hatte seitdem nicht mehr gelacht, nicht einmal während der ausgelassenen Feste zur Trockenzeit. Sie war zu einer verbitterten Frau geworden, die nur noch in ihren Träumen lebte. »Sie spricht mit den Geistern«, behauptete der Großvater.

Doch diesmal schien sie sich geirrt zu haben. Zwei Monate später waren die Krieger noch immer nicht aufgetaucht und kaum jemand glaubte noch an ihre Rückkehr. Die heiligen Männer beteten und sangen den ganzen Tag und nachts dröhnte die Trommel eines Greises, der im Palast wohnte und das Vorrecht genoss, für den König zu beten. Der Schöpfer gab keine Antwort. Auch als Osei Yaw einen Sklaven enthaupten ließ und das Blut des Toten vor dem Palast verteilte, geschah nichts. Bensua hätte gern gewusst, ob das Ausbleiben der Krieger etwas mit der Warnung der weißhaarigen Hexe zu tun hatte, wagte aber nicht zu der alten Frau zurückzukehren. Sie rief die Ahnen ihres Vaters und ihres Onkels an und bat sie, die Männer aufzuspüren und sicher nach Kumase zurückzugeleiten. Sie sang ein heiliges Lied, das sie von ihrem Onkel gelernt hatte, und trat jeden Morgen auf die Straße um nach den Kriegern Ausschau zu halten.

Wenige Tage nach der Regenzeit wurden die Gebete der Asante erhört. Bensua gehörte zu den Frauen und Kindern, die an diesem schwülen Morgen auf der Straße standen und in den wabernden Dunst spähten, der von dem tiefen Morast aufstieg. Sie sah die dunklen Schatten in den Dunstwolken, blickte genauer hin und erkannte die Umrisse einiger Krieger. Stolze Männer, den Blick nach vorn gerichtet, die Speere in den Händen. »Die Krieger kommen! Die Krieger kommen!«, rief eine Frau und die frohe Kunde wanderte in Windeseile durch die ganze Stadt.

Bensua brauchte ihre Verwandten nicht zu holen. Auch sie hatten die freudigen Rufe gehört und kamen auf die Straße geeilt. »Sie kommen wieder«, sagte ihre Großmutter. Ihre Brüder und Schwestern liefen die Hauptstraße hinunter, ihrem Vater und ihrem Onkel entgegen. Bensua ging nur ein paar Schritte. Über ihr Gesicht rannen Tränen, als die Männer mit ihren Waffen und Schilden an ihr vorbeikamen. »Wir haben gesiegt! Wir haben gesiegt!«, stimmte sie in den Jubel ein. Sie winkte ihrem Vater und ihrem Onkel zu, die beide unverletzt waren, und griff sich mit beiden Händen an die Brust. Onyankopon Kwame hatte ihre heiligen Lieder gehört. Die Männer waren nach Hause gekommen.

Tausende von Menschen begleiteten die Krieger zum Palast. Sie ließen die Männer hochleben und bespuckten die Gefangenen, die sie mitgebracht hatten. Armselige Gestalten, die Hände hinter dem Rücken gefesselt und kaum noch fähig, sich auf den Beinen zu halten. Die Fante waren nie zimperlich mit ihren Gefangenen umgegangen, die Asante zahlten es ihnen hundertfach zurück. Einige dieser Sklaven würden den Geistern geopfert werden, die anderen würden auf dem Marktplatz in der Sonne schmoren, bis sich die Asante ihrer erbarmten und sie als Sklaven annahmen. Sie würden in den Goldminen vor der Stadt arbeiten oder auf den Feldern schuften. Und wenn der König neue Waren von den Weißen kaufte, würde er mit Sklaven bezahlen.

Bensua erreichte den Palast mit den Kriegern und drängelte sich ganz nach vorn. Sie wollte dabei sein, wenn der Asantehene die heimgekehrten Männer begrüßte. Der König ließ sich Zeit. Es war noch früh und er schlief immer sehr lange. Das erzählten die Frauen, die für ihn kochten. Er würde ungefähr zwei Stunden brauchen, um zu baden, seinen Körper mit Goldstaub einzureiben und seine besten Kleider mit dem kostbaren Goldschmuck anzulegen. Doch die vielen Schaulustigen warteten gern. Sie schwitzten in der feuchten Hitze, die dem Regen gefolgt war, und feierten die Krieger. Die Männer hatten kaum Verluste erlitten, waren auf dem Rückweg von der Regenzeit überrascht worden und hatten am Ufer eines überschwemmten Flusses gelagert, bis er wieder passierbar gewesen war. Es hatte keine Möglichkeit gegeben, die Bewohner von Kumase zu informieren.

Ein wütender Schrei lenkte die Aufmerksamkeit der Menschen auf einen der Gefangenen. Er war ungefähr so alt wie Bensua und in seinen dunklen Augen loderte der Zorn. »Die Fante werden niemals untergehen!«, rief er in seiner Sprache, die von allen Asante verstanden wurde. »Wir sind die wahren Herren der Goldküste!« Obwohl seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren, griff er die Krieger an, mit gesenktem Kopf und fest entschlossen, sein Leben für das Ansehen seines Volkes zu opfern. Ein Asante schlug ihn mit dem Gewehrkolben bewusstlos.

Schadenfrohes Gelächter begleitete den jungen Mann, der taumelte und der Länge nach in den Morast fiel. Der Vorfall war schnell vergessen. Es gab Wichtigeres als einen aufsässigen Gefangenen der Fante. Nur Bensua interessierte sich für den jungen Krieger. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge und blieb vor dem Bewusstlosen stehen. Sie scheuchte einige Kinder davon, die ihn mit Steinen bewarfen, und blickte in das leblose Gesicht des Fante-Kriegers.

Es war etwas Besonderes an diesem Gefangenen. Er war so unansehnlich wie alle anderen Fante, die Stirn viel zu niedrig, die Lippen voll, der Körper eher gedrungen, und wirkte in seinem schmutzigen Lendenschurz wie ein Bettler aus dem ärmsten Viertel von Kumase. Aber sie hatte seine Augen gesehen, bevor er bewusstlos geworden war. Den ungebrochenen Stolz und den Mut, der eines tapferen Asante-Kriegers würdig war. Der junge Fante hatte sein Leben riskiert und wäre lieber gestorben als gefesselt vor seinen Feinden zu knien. Selbst wenn der König ihn köpfen ließe, würde er als wagemutiger Krieger vor seinen Schöpfer treten. »Du bist ein mutiger Mann«, sagte Bensua leise.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht merkte, wie einer der älteren Krieger an ihre Seite trat. »Hast du dein Herz an diesen räudigen Hund verloren?«, fragte er spöttisch. »Er ist ein Fante, vergiss das nicht! Er wird uns als Sklave dienen oder einen langsamen und qualvollen Martertod sterben! Verschwende dein Mitleid nicht an diesen Bastard!«

Bensua riss sich vom Anblick des bewusstlosen Mannes los und versuchte gleichgültig dreinzublicken. »Er war sehr mutig«, sagte sie. »Ich dachte, die Fante sind feige und verstecken sich.«

»Er war aufsässig und dumm«, widersprach der Asante, »sonst hätte er sich in sein Schicksal gefügt. Nur ein Narr widersetzt sich den mächtigen Asante!« Er spuckte auf den regungslosen Gefangenen. »Wenn er wirklich tapfer ist, verflucht er meinen Namen, wenn ich ihm mein Messer durch die Wangen ramme!«

Bensua wollte keinen Streit mit dem Krieger und ging zu den Frauen und Kindern zurück. Das spöttische Lachen des Kriegers verfolgte sie. Einige Asante, die gesehen hatten, wie mitleidig sie den Fante angeschaut hatte, fielen in das Lachen ein oder blickten sie verständnislos an. Sie zeigten kein Mitleid für die Gefangenen. Während des Krieges hatten die Fante ein Dorf mit Frauen und Kindern niedergebrannt und es gab keinen Grund, sie zu verschonen. Ihnen blieb nur die Unterwerfung oder ein grausamer Tod. Sie verdienten ihn, sie waren die Hauptfeinde der Asante. Nur den stärksten Gefangenen war es vergönnt, den Asante als Sklaven zu dienen und in den Goldminen zu arbeiten.

Die Musiker des königlichen Palastes traten aus dem Tor. Stattliche Männer in farbenprächtigen Uniformen und blanken Schuhen. Elfenbeinhörner und die goldenen Blasinstrumente, die sie von den Holländern bekommen hatten, glänzten in der Sonne. Dumpfer Trommelrhythmus begleitete ihr Schritte. Sie traten auf den freien Platz vor dem Palast und stellten sich in Reih und Glied auf, wie die Soldaten, die vor einigen Wochen mit den englischen Besuchern gekommen waren. Der Kapellmeister hob den Taktstock und die Flötenspieler begannen mit dem Vorspiel zu einer feierlichen Hymne, die man ebenfalls von den Holländern übernommen hatte. Zum Rhythmus der Trommeln drang der schmetternde Klang der europäischen Hörner über den Platz. Die Mauern des Palastes warfen ihn als Echo zurück.

Bensua war ebenso beeindruckt wie die anderen Zuhörer und vergaß den jungen Krieger der Fante. Ihre Augen glänzten beim Anblick des feierlichen Prunks, den das königliche Orchester ausstrahlte. Im Auftreten ihres Königs zeigte sich die überlegene Macht der Asante. Kein anderes Volk der westafrikanischen Goldküste verfügt über ein so großes Reich und so viele Krieger. In keinem anderen Gebiet gibt es so viel Gold. Die Asante sind die Herren des Urwalds und selbst die Europäer verneigten sich vor dem mächtigen Asantehene. Viele Jahre später würde Bensua in einem Buch lesen, wie beeindruckt die englischen Besucher gewesen waren. Vom prunkvollen Auftreten des Königs, dem vielen Gold und Silber, den künstlerischen Darbietungen am Hofe und den erlesenen Speisen, die ihnen von arabischen Bediensteten im Ballsaal des Palastes serviert wurden.

Vier kräftige Männer trugen Osei Yaw in einer Sänfte auf den Platz. Ein Sklave hielt den violetten Schirm mit den goldenen Fransen, der sein Gesicht beschattete. Unter den Fanfarenklängen des Orchesters stellten sie die Sänfte auf einem Podest ab, das für die öffentlichen Auftritte des Königs gebaut worden war. Überall funkelte Gold, und als der Akondwa gebracht wurde, ging ein ehrfürchtiges Raunen durch die Zuschauer. Der goldene Stuhl war das Symbol der politischen Macht, stand für die Überlegenheit der Asante und die Einheit ihres Reiches, für die Liebe seiner Menschen und den Sieg über alle Feinde. Okomfo Anokye, der legendäre Priester des Volkes, hatte ihn während eines heftigen Gewitters aus dem Himmel empfangen. Jeder Asante kannte die Geschichte dieses großen Wunders, das sich während der Herrschaft von Osei-Tutu um 1700 ereignet hatte.

»Geliebtes Volk«, begann der König mit seiner Ansprache, »tapfere Krieger der Asante, die ihr wieder einmal einen großen Sieg errungen habt! Wir haben den letzten Aufstand der Fante niedergeschlagen!« Osei Yaw war ein alter Mann. Wenn er seine Sänfte verließ, benutzte er einen mit goldenen Ornamenten verzierten Krückstock. Er trug einen Umhang aus feinster chinesischer Seide und einen Kopfschmuck aus den gefärbten Federn eines großen Vogels. Um seinen Hals hing eine schwere Kette aus reinem Gold und auch auf seiner Brust, seinen Armen und an den Ohren leuchteten goldene Schmuckstücke. In sein Gesicht hatten sich tiefe Falten gegraben. Er war dem Tode nahe und doch wirkten seine Augen erstaunlich wach und lebhaft. Seine Stimme hatte einen entschlossenen Klang. »Der Weg zur Küste ist frei und niemand wird uns daran hindern, unser Reich bis zu den steinernen Forts der Europäer auszudehnen!«

Bensua interessierte sich nicht für Politik. Sie hatte keine Ahnung, welche Ränkespiele der König der Asante benutzte, um an der Macht zu bleiben, und mit welchen Tricks er arbeitete, um das Reich der Asante zu vergrößern. Politik war Männersache. Sie bewunderte den König, weil er es verstand, ihrem Volk einen großen Wohlstand zu erhalten, und sie berauschte sich an dem geheimnisvollen Prunk, der seine Herrschaft umgab. Die Menschenopfer und sein unerbittliches Verhalten gegenüber allen Feinden zweifelte sie nicht an. Sie war eine Asante, die niemals an der Küste gewesen war und nie vom christlichen Glauben der weißen Männer gehört hatte. Die Härte war ein Teil ihres Lebens, so unerbittlich wie die Natur im unendlichen Regenwald.

Auch an diesem Morgen zeigte Osei Yaw, dass er nicht gewillt war dem Aufbegehren der Fante tatenlos zuzusehen. Nachdem er über eine Stunde geredet, die eigenen Krieger gelobt und seine Feinde verdammt hatte, entschied er, einen der Fante-Krieger zu opfern. Sein Tod sollte die Geister versöhnen. Er ließ sich von seinen Bediensteten aus der Sänfte helfen, bedeutete dem Sklaven ihm mit dem Schirm zu folgen und verscheuchte zwei Kinder, die seine flachen Schuhe mit Elefantenschwänzen säubern wollten. Sein Blick streifte über die entkräfteten Gefangenen.

»Nimm diesen hier!«, rief der Asante, der Bensua verspottet hatte. Er deutete auf den jungen Fante, der gerade aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte. »Er hat seinen Tod am ehesten verdient!«

Bensua hielt den Atem an. Aus einem unerklärlichen Grund fühlte sie sich dem jungen Krieger verbunden. Er hatte einen Teil ihrer Seele berührt. Sie unterdrückte den Drang, um das Leben des Gefangenen zu betteln, und blickte rasch zur Seite um nicht in seine Augen sehen zu müssen. Es war gefährlich und manchmal sogar tödlich, sich gegen eine Entscheidung des Königs aufzulehnen. Das Blut des Kriegers, der vorgeschlagen hatte mit den Fante zu verhandeln, war längst in der Erde versickert. Auch Frauen und Mädchen wurden den Geistern geopfert.

Als der Gefangene merkte, was die Asante mit ihm vorhatten, sprang er wütend auf. Er trat einem der Leibwächter des Königs gegen das Schienbein und rammte einem anderen den Kopf in die Magengrube. Erst der Knüppelschlag eines Polizisten brachte ihn zur Besinnung. Einer der Schwertmänner wollte ihm den Kopf abschlagen, aber Osei Yaw hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Auf seinem faltigen Gesicht stand ein Grinsen.

»Nein, er soll leben!«, entschied der König zum Erstaunen aller Anwesenden. »Er ist mutiger als die Schwächlinge, die dort im Schlamm liegen!« Er deutete verächtlich auf die anderen Gefangenen. »Die weißen Kaufleute werden teuer für ihn bezahlen!«

Sein Blick wanderte zu einem älteren Krieger, der vor Schwäche kaum noch atmen konnte. »Nehmt den da! Er soll sterben!«

Bensua atmete erleichtert auf und barg ihr Gesicht in den Händen um ihre Gefühle nicht zu zeigen. Niemand sah die Tränen, die über ihre Wangen liefen, und niemand hörte ihr leises Dankgebet.

Kapitel 3

Der König befahl, die Gefangenen auf dem Marktplatz in der Sonne schmoren zu lassen. Mit den eisernen Ketten, die er von einem holländischen Kaufmann erworben hatte, ließ er die zwanzig Männer an hölzerne Pflöcke fesseln. Abseits des heiligen Kuma-Baumes mit seinen weit verzweigten Ästen waren sie der Hitze hilflos ausgeliefert. Der mächtige Baum markierte das Zentrum der Stadt und erinnerte die Asante daran, zum Himmel zu blicken und Onyankopon Kwame zu ehren. Sein Schatten wurde als kostbares Geschenk des Schöpfers betrachtet. Es war verboten, dort einen Verkaufsstand zu errichten, und nur dem Asantehene war es gestattet, an seinem Stamm längere Zeit zu verweilen.

Der riesige Markt in Kumase versetzte sogar die arabischen Händler in anerkennendes Staunen. Er stand den Basaren im Norden des Kontinents in keiner Weise nach und überwältigte die Besucher mit einer Vielzahl von Verkaufsständen und Theaterbühnen. Die Händler saßen im Schatten von Palmendächern und bunten Schirmen, breiteten ihre Ware auf Tischen und bunt gemusterten Decken aus und lockten zahlungskräftige Kunden in runde Lehmhütten dahinter. Dort lagen die teuren Waren: goldene und silberne Schmuckstücke, farbenprächtige Textilien und kupfernen Haushaltswaren, die man bei einer gemeinsamen Tasse Tee oder einem Becher Rum anpries. Es gab Fleisch, Geflügel, Gemüse, arabische Gewürze, eine verwirrende Vielzahl von Früchten, europäische Stoffe, bunte Perlen, Lederwaren, Haarnadeln aus Elfenbein, Werkzeuge und Waffen. Es wurde getauscht oder mit Goldstaub und Kauri-Muscheln bezahlt, einem weit verbreiteten Zahlungsmittel in West-Afrika.

Unter den vielen Schaulustigen, die mit neugierigen Blicken verfolgten, wie die Gefangenen angekettet wurden, befand sich auch Bensua. Sie beobachtete den jungen Krieger, der sich gegen die Asante aufgelehnt hatte, und stellte bewundernd fest, dass er noch immer gegen sein Schicksal aufbegehrte. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, als ihn die Asante an den Pflock ketteten, und verhöhnte sie mit derben Worten. Die Peitschenhiebe, die er dafür bekam, ertrug er mit einem spöttischen Lächeln. Als einziger Gefangener blieb er aufrecht in der Hitze sitzen, das Gesicht trotzig der Sonne zugewandt. In seinen dunklen Augen stand der ungebrochene Stolz, der ihn selbst dem drohenden Tod mit Verachtung entgegensehen ließ. »Er ist ein Fante, aber er ist sehr tapfer«, hörte Bensua einen Händler sagen.

Sie wusste selbst nicht, warum sie sich zu dem aufsässigen Krieger hingezogen fühlte. Es schien eine seltsame Verwandtschaft zwischen ihnen zu bestehen, als wären sie sich in einem früheren Leben begegnet. Es war keine Zuneigung, auch kein Mitleid, eher ein unsichtbares Band, das der Schöpfer zwischen ihnen gespannt hatte. Es zwang die junge Frau, den Schatten eines Schirms zu verlassen und auf den Gefangenen zuzugehen. Sie war nicht allein. Zahlreiche Kinder waren bei den unglückseligen Männern und warfen mit Steinen und faulem Obst nach ihnen. Zwei beleibte Frauen, die schwere Lasten auf ihren Köpfen trugen, spuckten verächtlich aus, als sie an den Angeketteten vorbeikamen. Ein Händler, der unter seinem Schirm saß und aus einer Kokosnuss trank, verfluchte die gefangenen Männer.

Bensua verscheuchte die Kinder und blieb vor dem Fante stehen. Sie wunderte sich selbst über ihren Mut. Auch wenn der Mann an einen Pflock gekettet war, konnte er sie anspucken oder mit den Füßen nach ihr treten. »Wie heißt du?«, fragte sie.

Der Krieger blickte sie verwundert an und hatte bereits einen derben Fluch auf den Lippen, als er den seltsamen Ausdruck in ihren Augen sah. Ihr sanfter Blick machte ihn unsicher und ließ ihn für einen Augenblick seinen Hass und seine Verzweiflung vergessen. Er deutete das Gefühl als Schwäche und schüttelte verächtlich den Kopf. »Was kümmert ein Mädchen der Asante mein Schicksal? Willst du dich über mich lustig machen?«

»Ich habe gesehen, wie du dich gegen die Krieger unseres Volkes gewehrt hast«, antwortete sie. »Das war sehr mutig! Nur wenige Gefangene haben das jemals gewagt! Der letzte Sklave, der einen Asante angriff, starb unter dem Hieb unseres Scharfrichters! Du hast dein Leben riskiert!«

»Eher sterbe ich als tapferer Krieger, als von euren Männern gedemütigt zu werden!«, erwiderte er mürrisch. »Alle Fante, die im Kampf sterben, leben als erfolgreiche Krieger in der Welt, die nach dem Tod kommt.« Er blickte an Bensua vorbei, seine Lippen wurden schmal und in seine Augen trat ein entschlossener Ausdruck. »Wären eure Männer nicht wie heimtückische Wildschweine über unser Dorf hergefallen, hätten wir gesiegt! Das nächste Mal werden die Götter auf unserer Seite sein! Unsere Verwandten werden uns rächen!«

Bensua fühlte sich in ihrer Ehre gekränkt. »Die Asante sind ein mächtiges Volk«, widersprach sie. »Wir haben alle Krieger besiegt, die jemals den Boden unseres Landes betreten haben! Wenn du an der Ehre unserer Männer zweifelst, werde ich meinen Vater oder meinen Onkel bitten, dich zu einem Kampf auf Leben und Tod herauszufordern! Dann wirst du sehen, wie mutig sie sind!«

»Du sprichst wie eine tapfere Frau«, sagte der Krieger. »Wenn du sie wirklich fragst, werde ich bereit sein! Kein Fante hat sich jemals vor einem Asante versteckt! Euer Reich ist größer und ihr habt mehr Krieger, aber ihr seid deshalb keine besseren Menschen!«

»Wir werden sehen«, erwiderte Bensua wütend. Sie ärgerte sich darüber, auf die Herausforderung des Kriegers eingegangen zu sein. Ein Fante verdiente es nicht, sich in einem Zweikampf mit den Asante zu messen. Einen solchen Kampf würde der König niemals zulassen. »Die Fante sind räudige Tiere«, würde er sagen, »sie sind geboren, vor uns im Staub zu kriechen!«

Bensua bemerkte, wie einer der Krieger, die zur Bewachung der Gefangenen auf dem Marktplatz geblieben waren, auf sie aufmerksam wurde und langsam näher kam. »Ich muss gehen«, erwiderte sie rasch. »Ich komme später wieder«, fügte sie hinzu.

Sie drehte sich um und ging davon. Schon nach ein paar Schritten holte sie die Stimme des Gefangenen ein: »Ich heiße Ottobah!«, rief er, ohne auf die neugierigen Blicke seiner Leidensgenossen und die misstrauischen Krieger der Asante zu achten.

»Ottobah«, wiederholte sie leise, als sie sich einen Weg durch die Menge bahnte. Auf dem Marktplatz wimmelte es von Menschen und zwischen den Ständen liefen Schweine, Ziegen und Hühner herum. Ein Hund kam bellend hinter ihr her und ließ erst von ihr ab, als sein Besitzer einen Stein nach ihm warf. »Ich habe feinen Stoff aus Europa!«, pries ein Händler seine Waren an. Bensua beachtete ihn kaum und beeilte sich, den Marktplatz zu verlassen. In einer Seitenstraße lehnte sie sich gegen eine Mauer und weinte. Einige Kinder betrachteten sie verwundert.

Sie rieb die Tränen aus ihren Augen und lief weiter. Ihre Schritte wurden langsamer und ihre Panik wich einem verwirrenden Gefühl, das sie nicht zu deuten wusste. Warum war sie zu dem Krieger gegangen? Warum hatte sie ihm versprochen wiederzukommen? Der Mann war ein Fante. Er gehörte zu dem Volk, das die Dörfer der Asante überfallen und Frauen und Kinder getötet hatte. Manche Häuptlinge behaupteten, dass sie mit den bösen Geistern im Bunde waren. Wie konnte sie mit einem solchen Menschen reden? Sie wusste es nicht. Noch ahnte sie nicht, dass Onyankopon Kwame beschlossen hatte, sie beide auf einen gemeinsamen Weg zu schicken. Einem holprigen Pfad voller Hindernisse, der durch gefährliches Feindesland und in eine ungewisse Zukunft führte.

Bensua lief ziellos durch die Straßen, bis sie wieder klar denken konnte, und kehrte dann nach Hause zurück. Sie umarmte ihren Vater und ihren Onkel und rief: »Ich freue mich, dass ihr gesund zurückgekommen seid. Die Asante sind tapferer als alle anderen Völker auf der Erde!« Während sie diese Worte sagte, musste sie an den gefangenen Fante denken, an seinen stolzen Blick und seinen unerschütterlichen Mut. Es gab auf beiden Seiten tapfere Männer, das vermutete sie schon seit langer Zeit, auch wenn der König das Gegenteil behauptete. Wollten die Götter, dass ein Volk das andere unterdrückte? Hatten Asante und Fante nicht dieselbe Hautfarbe? Wie wollte man gegen die Europäer siegen, wenn es wirklich zu einem großen Krieg käme?

»Du kommst spät«. sagte ihre Mutter. In ihrer Stimme klang ein leichter Vorwurf mit. »Ich musste das Essen allein zubereiten.«

»Entschuldige, Mutter«, erwiderte Bensua schuldbewusst. »Ich habe eine Freundin auf dem Markt getroffen. Ihr Onkel wurde von den Fante erschossen und ich habe sie getröstet!« Sie schämte sich ihrer Lüge, wagte aber nicht die Wahrheit zu sagen. Niemand in ihrer Familie hätte verstanden, dass sie mit einem Gefangenen gesprochen hatte und seinetwegen zu spät kam.

»Wir haben fünf Krieger verloren,« bestätigte ihr Onkel wehmütig. Er war ein stolzer Krieger mit kantigen Gesichtszügen und einem stechenden Blick. »Ich musste zehn Feinde erschlagen, um ihren Seelen den Weg in die andere Welt zu ebnen!« Er bedauerte sein Vorgehen nicht und empfand auch kein Mitleid mit dem Jungen, den er vor den Augen seiner Mutter erschlagen hatte. Sein Leben war der Krieg und das Töten gehörte zum Alltag. Der Krieg war das Mittel um die Familien der Asante zu schützen.

»Ich bin froh, dass wir zurück sind«, sagte ihr Vater während des Essens. Er war ein einfacher Mann, der den Kampf als notwendiges Übel betrachtete und dessen Gedanken auch in der Ferne um Jagd und Ernte kreisten. Obwohl er zu den wenigen Männern gehörte, die nur eine Frau genommen hatten, war er auf den guten Willen der Götter angewiesen. Nur wenn ihm das Jagdglück treu blieb, war das Überleben der Familie gesichert. Als Jäger war er für die Fleischvorräte verantwortlich. »Sobald der Boden wieder trocken ist, gehen wir auf Antilopenjagd«, entschied er.

Bensua sprach wenig und war froh, dass niemand ihre Gedanken lesen konnte. Wie unter einem Zwang kehrten sie immer wieder zu dem gefangenen Krieger zurück. Ottobah hatte sie stärker beeindruckt, als sie wahrhaben wollte. Sie musste sich die Hänseleien ihrer jüngeren Brüder und Schwestern anhören, weil sie während des Essens in die Luft starrte und dreimal von ihrer Mutter gebeten werden musste, die schmutzigen Töpfe zu säubern. Als sie in den Hof ging um Wasser aus der Zisterne zu holen, stolperte sie über eine Ziege und musste sich mit beiden Händen am Brunnen festhalten. »Bensua ist dumm! Bensua ist dumm!«, sang einer ihrer Brüder. »Bensua fällt in den Brunnen!«

Ihrer Mutter machte sie weis, dass sie ihre Tage hatte und deshalb so abwesend war. Ihr Vater und ihr Onkel waren unterwegs, besprachen mit einigen Männern, wann sie auf die Jagd gehen sollten. Einige der älteren Jäger, die während des Kriegszugs in Kumase geblieben waren, hatten von einem Leoparden berichtet, der bis in die Nähe der Stadt gekommen war und mehrere Antilopen gerissen hatte, und sie wollten ihn unbedingt töten. Wer einen Leoparden erlegte, gewann großes Ansehen und war berechtigt den Schwanz des erlegten Tieres am Oberarm zu tragen, wenn er das nächste Mal in den Krieg zog. Nach dem Abendessen erzählte der Großvater von einer gefährlichen Raubkatze, die vor etlichen Jahren zwei Kinder getötet hatte, und Bensua träumte davon, bis sie schweißüberströmt aufwachte.

Sie brauchte einige Zeit um sich von dem Traum zu erholen. Sie starrte in die Dunkelheit und lauschte den regelmäßigen Atemzügen ihrer Mütter und ihrer drei Schwestern, die im selben Raum schliefen. Aus dem Nachbarzimmer drang das Schnarchen der Männer. Sie waren spät nach Hause gekommen und hatten beim Aufschlagen ihres Nachtlagers gescherzt und gelallt. Bensuas Mutter hatte ihnen vorgeworfen, den Schnaps des weißen Mannes getrunken zu haben. Aber sie hatten nur gelacht.

Bensua kannte das scharfe Wasser der Europäer. Sie hatte von der braunen Flüssigkeit gekostet, die sie »Rum« nannten, und sich beinahe übergeben. Der Schnaps brannte wie Feuer. Sie verstand nicht, warum einige Männer so begierig darauf waren, in den Besitz des Alkohols zu kommen. Sogar der König hatte einen Krug in seinem Schlafgemach stehen. So erzählten es die schwatzhaften Frauen des Palastes. Zum Essen trank er kostbare Weine aus Portugal und Frankreich, aber vor dem Schlafengehen gönnte er sich einen Schluck von dem Schnaps.

So leise, dass ihre Mutter und ihre Schwestern nicht aufwachten, verließ Bensua das Zimmer. Sie trat in den Hof, schöpfte eine Kelle aus dem Wassereimer und blickte nachdenklich zu den Sternen empor. Wie silberne Schmuckstücke funkelten sie am schwarzen Himmel. Der Mond war nur als schmale Sichel zu erkennen. Manchmal fragte sie sich, ob der Mond und die Sterne ziellos über den Himmel wanderten oder ein bestimmtes Ziel verfolgten. Forderten sie die Menschen auf ihnen zu folgen? Ihr Großvater war während des großen Krieges gegen die Fante an der Küste gewesen und erzählte, dass die europäischen Seefahrer ihre Schiffe nach den Sternen ausrichteten. Während eines Gewitters und wenn sich der Mond und die Sterne versteckten, irrten sie ziellos auf dem großen Wasser herum. Auch die weißen Männer waren nicht so klug, wie sie immer vorgaben.

Obwohl es schon nach Mitternacht war, lag drückende Schwüle über der Stadt. Der Lehmboden speicherte die Hitze des Tages und gab sie nun ab. Einige Hühner gackerten. In der Luft summten Fliegen. Bensua goss sich Wasser über den Kopf und genoss die angenehme Kühle. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu Ottobah und sie fühlte sich auf einmal schuldig, weil er den ganzen Tag ohne einen Schluck Wasser in der Hitze geschmort hatte und bestimmt am Ende seiner Kräfte war. »Wer die Hitze nicht ertragen kann, hat es nicht verdient, ein Sklave der Asante zu sein«, behauptete der König. »Ihn lassen wir sterben!«

Bensua wollte nicht, dass Ottobah starb. Ohne darüber nachzudenken, dass sie im Begriff war, einem gefangenen Todfeind zu helfen, goss sie frisches Wasser in einen Behälter. Sie zog ihr Kleid an und verließ das Haus. Indem sie die Hauptstraße umging und einen Umweg durch die schmalen Seitengassen nahm, vermied sie eine Begegnung mit den Polizisten. Die Männer in den bunten Uniformen, die als Zeichen ihres Rangs lange Haare trugen, sorgten dafür, dass es ruhig in Kumase blieb.

Sie brauchte eine halbe Stunde bis zum Marktplatz, verlor durch die Umwege viel Zeit. Schon nach wenigen Schritten erkannte sie, wie gefährlich es war, ein Gesetz der Asante zu brechen. Sie wäre am liebsten umgekehrt, doch eine geheimnisvolle Macht trieb sie vorwärts. Wer einem Gefangenen half oder einen Feind begünstigte, lief Gefahr, selbst versklavt zu werden, und wenn der König besonders wütend war, entschied er sogar einen solchen Verräter enthaupten zu lassen. Er machte keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, wenn es um das Wohl seines Volkes ging. Das wusste Bensua und dennoch ging sie weiter. Das Wasser schwappte unruhig in dem Messingkrug.

Der Behälter gehörte ihrem Onkel und sie wagte gar nicht daran zu denken, was geschah, wenn er erfuhr, dass ein feindlicher Krieger daraus getrunken hatte. Er brächte es fertig und verriete seine eigene Nichte an die Polizei. Als überzeugter Krieger, der seine Feinde mit aller Macht bekämpfte, stellte er die Gesetze der Asante über das Wohl seiner Familie. Er würde sich selbst opfern, wenn er seinem Volk dadurch helfen könnte. Bensua dachte an seine strengen Gesichtszüge und begann zu zittern.

Sie verharrte einige Zeit neben einer Mauer und huschte weiter durch die Nacht. Wenige Meter vor ihr öffnete sich die Straße zum Marktplatz. An den Mauern hingen Fackeln und verbreiteten flackerndes Licht. Sie schlich zu einem der leeren Verkaufsstände und blickte zu den Gefangenen hinüber. Die meisten schliefen, lagen auf der Seite und röchelten leise. Nur Ottobah war wach. Sie erkannte ihn selbst in dem unruhigen Halbdunkel. Der Feuerschein leuchtete in seinen dunklen Augen und ließ Schatten über seinen muskulösen Körper tanzen. Er war nicht hässlich. Er war ein stolzer Krieger, der es verdient hatte, zu leben.

Zwei gelangweilte Männer bewachten die Gefangenen. Sie besaßen Gewehre und hatten lange Schwerter an. ihren Gürteln hängen. Kumase war sicher vor feindlichen Eindringlingen und kannte kaum Verbrechen. Die gefangenen Krieger waren mit Eisenketten an die Holzpflöcke gebunden. Es war ausgeschlossen, dass einer der Männer es schaffte, sich zu befreien, und entsprechend nachlässig benahmen sich die Asante-Krieger. Um nicht einzuschlafen, liefen sie über den Marktplatz und unterhielten sich flüsternd. Bensua konnte nicht verstehen, was sie sagten.

Sie wartete, bis sie zwischen einigen Hütten verschwunden waren, und rannte zu Ottobah. Der junge Krieger verstand sofort und trank gierig, als Bensua ihm den Krug an die Lippen setzte. »Ich heiße Bensua«, sagte sie leise. »Du bist ein tapferer Mann. Du sollst nicht sterben!« Sie schüttete das restliche Wasser über seinen Kopf und schenkte ihm ein schüchternes Lächeln, bevor sie davoneilte.

»Bensua«, wiederholte er flüsternd. Und seine Augen leuchteten wie bei einem Jäger, der einen starken Löwen besiegt hatte.

Kapitel 4

Ottobah gehörte zu den Sklaven, die in den Goldminen arbeiten mussten. Jeden Morgen zogen die Fante unter strenger Aufsicht aus der Stadt, stiegen in die Erdlöcher hinab und schufteten in der sengenden Hitze, bis sie vor Erschöpfung beinahe zusammenbrachen. Nur mittags, wenn die Sonne am höchsten stand und ihre Strahlen bis tief unter die Erde schickte, wurde eine Pause eingelegt. Die Männer bekamen etwas zu essen und durften sich mit dem Wasser aus der Zisterne erfrischen. Die Arbeit war anstrengend. In den Minen staute sich die Hitze und der Staub legte sich auf die Lungen und machte das Atmen schwer. Doch Ottobah war stark und ließ sich nicht unterkriegen.

Schon während des erniedrigenden Marsches nach Kumase hatte ihn der Gedanke an eine baldige Flucht am Leben erhalten. Die Hoffnung, den Kriegern der Asante zu entkommen, ließ ihn gefesselt durch den Sumpf kriechen und das Ungeziefer essen, das ihnen die Asante vorwarfen. Wie ein Fels hatte er den tosenden Unwettern der Regenzeit getrotzt. Die feindlichen Krieger waren in der Überzahl und es hatte keine Möglichkeit zur Flucht gegeben. Aber er hatte nicht verzagt und wollte die erste Gelegenheit nutzen, in die Heimat zurückzukehren. Auch wenn die Asante viele Gefangene in ihr Volk aufnahmen – er würde sich den Feinden niemals unterwerfen. Eher würde er sterben.

Bensua hatte seine Pläne durchkreuzt. Die Asante hatte seine Seele berührt und ein Gefühl in ihm geweckt, das er bisher nicht gekannt hatte. Er mochte die junge Frau. Als sie mit dem Wasserkrug auf den Marktplatz gekommen war, hatte ihn ein seltsames Gefühl der Wärme durchströmt, und der Wunsch, die Ketten abzustreifen und sie in die Arme zu nehmen, war beinahe übermächtig gewesen. In ihren Augen hatte er denselben Wunsch gesehen. Nachdem sie gegangen war, hatte er kein Auge zugetan und darüber nachgedacht, ob es eine Zukunft für sie geben konnte. Er wusste nicht, ob es einer Asante gestattet war, einen Sklaven zu heiraten. Bei den Fante wäre eine solche Ehe unmöglich gewesen. Man hätte die beiden den Göttern geopfert.

Mit der morgendlichen Hitze kehrte die Ernüchterung zurück. Er machte sich etwas vor. Er hatte sich die Zuneigung der schönen Asante nur eingebildet. Die junge Frau hatte Mitleid mit ihm. Sie hatte ein Gesetz gebrochen und einem Gefangenen geholfen, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie sich ihn verliebt hatte. Die Krieger des Clans bestimmten, welchen Mann eine Frau heiraten durfte. So war es bei den Fante und so würde es wohl auch bei den Asante sein. Selbst wenn sie ihn mochte, gab es keine Zukunft für sie. Er tat gut daran, an seinem ursprünglichen Plan festzuhalten. Entweder entkam er den Feinden und kehrte in die Heimat zurück oder er starb in einem heldenhaften Kampf.

Bensua empfand die verwirrenden Gefühle, die fast jeden ihrer Gedanken bestimmten, als schwere Bürde. Ihr Leben hatte sich von einem Tag auf den anderen verändert. Sie war gezwungen einer Bestimmung zu folgen, die sie nicht verstand, und musste ihrer Familie etwas vormachen. Unter dem Vorwand, eine Freundin zu besuchen, ging sie fast jeden Abend aus dem Haus und schlich zu den schäbigen Hütten, in denen die Sklaven wohnten. Hinter einer Lehmmauer wartete sie auf die Rückkehr des Fante. In diesem Stadtteil waren besonders viele Polizisten unterwegs und sie wollte nicht entdeckt werden. Sobald die Gefangenen zu ihrem Volk gehörten, würde es leichter sein, Ottobah zu treffen.

Noch waren ihre Gefühle so widersprüchlich, dass sie nicht einmal an eine Heirat dachte. Sie hatte nie einen Mann geliebt und sich wie alle jungen Frauen der Asante darauf verlassen, dass die Krieger der Abusua, der mütterlichen Familie, einen Mann für sie aussuchten. So war es Brauch bei ihrem Volk. Die Zuneigung zu einem Mann entwickelte sich während einer Ehe, so war es schon bei ihren Eltern gewesen. »Hab Geduld«, antwortete ihre Mutter lachend, wenn Bensua nach ihrer Zukunft fragte, »auch für dich wird es einen Mann geben, der dich versorgt.« Für eine Frau war es am wichtigsten, dass sie ihr Leben lang versorgt war. Deshalb ehelichten die meisten Krieger mehrere Frauen. Es gab mehr Frauen als Männer bei den Asante.

Während ihrer heimlichen Treffen sprachen Bensua und Ottobah nicht über solche heiklen Themen. Sie begegneten einander schüchtern und vorsichtig, vermieden es, den anderen zu berühren, und ergaben sich den vielfältigen Gedanken. Vorsichtig wägten sie jedes ihrer Worte ab. Ottobah fürchtete sich davor, dass die junge Asante nur vom Mitleid geleitet wurde, und Bensua wollte gar nicht verstehen, warum sie jeden Abend das Haus verließ und den Krieger besuchte. Sie genossen den Augenblick und das Gefühl, im silbernen Schein des Mondes und der Sterne zu sitzen und der Welt entrückt zu sein. Es war beruhigend mit einem Menschen zu sprechen, den man mochte, und mehr über seine Heimat und seine Gedanken zu erfahren.

»Du hast den Markt gesehen«, begann Bensua. »Ich habe diese Stadt nie verlassen, aber ich weiß, dass wir den größten Markt des ganzen Landes haben! Das sagen sogar die Araber, die durch die große Sandwüste zu uns kommen! Hast du von den Taschendieben des Königs gehört? Sie versuchen den Menschen ihre Waren oder die Muscheln zu entwenden, und wer sie dabei ertappt, darf sie so lange schlagen, wie er will! Aber sie sind sehr gerissen und lassen sich kaum einmal erwischen.«

Ottobah erzählte von seiner Ausbildung als Jäger und wie er zum ersten Mal vor einem mächtigen Löwen gestanden hatte. Er hatte die Raubkatze mit seinem Speer getötet und noch viele Tage später von dem Augenblick geträumt, als sie losgesprungen war. Urplötzlich hatte sich der Löwe aus seiner Erstarrung gelöst und war mit ein paar Sätzen bei ihm gewesen. Er hatte den bedrohlichen Schatten der Raubkatze gespürt und ihre mächtigen Reißzähne gesehen. »Wenn meine Freunde nicht gekommen wären und mich gewarnt hätten, wäre ich verloren gewesen! Erst als ich ihre Schreie hörte, habe ich den Speer geworfen.« Er lächelte schwach. »Sein Fell hing in unserer Hütte.«

Bensua fragte nicht nach den Verwandten des jungen Kriegers. Sie hatte Angst, dass die Asante sie getötet hatten, und wollte nicht, dass er daran erinnert wurde. Die magischen Augenblicke, die sie im Schatten der Lehmmauer erlebten, durften nicht gestört werden. Die Gegenwart des Fante war so angenehm, seine feste Stimme und der entschlossene Blick, die Fähigkeit, ihr zuzuhören, selbst wenn sie über belanglose Dinge sprach. Nach zwei Wochen waren sie so vertraut miteinander, dass sie unbewusst eine Hand auf seinen Arm legte und zufrieden lächelte, als er die Berührung erwiderte und ihre Wange streichelte. »Du bist zu einem Teil meines Lebens geworden«, sagte er.

Jetzt ahnten sie, dass aus der Zuneigung aufrichtige Liebe werden konnte. Ein übermächtiges Gefühl, das jeden ihrer Gedanken bestimmte. Sie tauschten die ersten Zärtlichkeiten aus. Vorsichtige Berührungen und andere Zärtlichkeiten, die bald in leidenschaftliche Umarmungen übergingen und sie an den Rand der Leidenschaft trieben. Noch hatten sie Angst, über eine gemeinsame Zukunft zu reden, weil jeder von ihnen wusste, wie abwegig eine Ehe zwischen einer Asante und einem Sklaven war, aber wenn sie in ihre Decken gehüllt nebeneinander lagen, träumten sie von einer besseren Welt, in der Asante und Fante gleichberechtigt und friedlich nebeneinander leben. Ein Traum, der niemals in Erfüllung gehen würde. Doch sie wollten so lange wie möglich daran festhalten und nur aufgeben, wenn die Götter sie im Stich ließen.

Ihr Traum endete im Dezember, ausgerechnet dann, als die angenehme Jahreszeit begann und die ersten trockenen Winde aus der Wüste kamen und für ein besseres Klima sorgten. Ihr Onkel erwartete sie vor dem Haus und sagte: »Das Wetter hat umgeschlagen. Wir wollen ein paar Schritte gehen, mein Kind.«

Seine Stimme klang ernst und die Art, wie er sie ansah, machte sie nervös. Sie ahnte, dass er ihr etwas Wichtiges mitteilen wollte. Nur mühsam unterdrückte sie ihre Angst. Wenn er herausbekommen hatte, dass sie sich heimlich mit einem Sklaven traf, würde sie eine empfindliche Strafe erhalten. Sie folgte ihm auf die Hauptstraße und ging langsam neben ihm her. Dabei vermied sie es, ihm in die Augen zu blicken. Obwohl es während der Nacht merklich abgekühlt hatte, waren ihre Hände schweißnass.

»Ich erinnere mich an die Zeit, als du ein kleines Mädchen warst«, begann er. »Damals sind wir oft spazieren gegangen. Ich habe dir Geschichten erzählt und du bist mir weggelaufen und hast dich mit den Jungen im Schlamm gewälzt!« Er griff schmunzelnd nach ihrer Hand. »Seitdem sind viele Jahre vergangen. Unser Reich ist größer geworden. Unsere Krieger haben viele Siege errungen. Unsere Jäger haben starke Tiere erlegt.« Er ließ die Worte auf sie wirken und fügte hinzu: »Du bist erwachsen.«

»Was willst du mir sagen, Onkel?«, fragte sie ungeduldig.

Er blieb unter einem Palmendach stehen und nahm lächelnd ihre andere Hand. »Du bist in dem Alter, in dem Mädchen heiraten. Wir haben einen Mann für dich gefunden, mein Kind!«

Sie verstand die Worte nicht sofort. Erst als ihr Onkel den bedeutungsschweren Satz wiederholte, kapierte sie. Blankes Entsetzen lähmte ihre Gedanken. Sie starrte ihn mit leeren Augen an, als hätte er behauptet, die Welt würde in einer riesigen Feuersbrunst versinken und alle Asante mit sich reißen. Irgendwie war es auch so. Ihre Welt ging unter. Mit einem Satz hatte ihr Onkel die Zukunft vernichtet und ihr Leben bedeutungslos gemacht.

»Hast du mich verstanden, mein Kind? Ich weiß, so eine Nachricht kommt immer etwas plötzlich. Das war bei deiner Mutter nicht anders. Als man ihr sagte, dass dein Vater sie heiraten werde, war sie sprachlos. Es dauerte lange, bis sie ihr Glück fasste. Dein Vater ist ein tapferer Krieger und ein großer Jäger.«

»Ich weiß, Onkel. Ich weiß.«

Sein Lächeln blieb. Er ahnte nicht, welchen Traum er zerstört hatte, und glaubte, dass der entsetzte Ausdruck in ihren Augen an der Aufregung lag, die jedes Mädchen empfand, wenn man ihr die baldige Heirat in Aussicht stellte. »Nun, willst du denn gar nicht wissen, wie der Mann heißt, der dich zur Frau bekommt?«

»Wie heißt der Mann, Onkel?«, fragte sie tonlos.

»Kwaku,« antwortete er, »ein junger Krieger des Oyoko-Clans. Du hast ihn bei der Odwira gesehen. Er war einer der besten Tänzer und er ist im Begriff, ein großer Jäger zu werden. Er wird dir ein guter Ehemann sein, das hat er bei seiner Ehre versprochen! Du bist seine erste Frau. Er wird dich beschützen, mein Kind.«

»Kwaku«, wiederholte sie seinen Namen. Eigentlich hätte sie sich glücklich schätzen müssen. Aus dem Oyoko-Clan waren zahlreiche Könige hervorgegangen und seine Mitglieder gehörten zu den edelsten Kriegern der Asante. Es hatte sicherlich viel Überzeugungskraft gekostet, die Angehörigen eines königlichen Clans zur Ehe mit der Tochter eines einfachen Jägers und Farmers zu überreden. Auch wenn ihr Vater einen riesigen Löwen getötet und erfolgreich gegen die Fante gekämpft hatte, gab es angesehenere Männer bei den Asante. In ihr floss das Blut einer einfachen Frau, die den königlichen Palast niemals von innen gesehen hatte. Kwaku war der Nachfahre legendärer Herrscher und Krieger und würde einmal zur königlichen Wache gehören.

«Kwaku«, sagte sie noch einmal. Sie bekämpfte das lähmende Gefühl, das ihren Körper ergriffen hatte, und versuchte sich gegen das drohende Schicksal aufzulehnen. »Ich bin eine einfache Frau. Wie kann ich einen Krieger des Oyoko-Clans heiraten?«

Ihr Onkel lächelte stolz. »Kwaku hat dich gesehen und besteht darauf, dich zu seiner Frau zu nehmen. Er sagt, dass dich deine sanftmütigen Augen und deine schlanke Gestalt zu einer Prinzessin machen. Er wird dich mit Gold überschütten, mein Kind!«

»Das hat er gesagt?«

»Ist das nicht wunderbar?«

Bensua löste sich von ihrem Onkel und ging einige Schritte. Verzweifelt kämpfte sie gegen ihre Tränen an. Noch vor wenigen Wochen wäre sie tief beeindruckt und geehrt gewesen, ein solches Angebot zu bekommen, doch jetzt waren ihre Gedanken bei Ottobah und sie zitterte beinahe vor Verzweiflung. Sie verschmähte einen königlichen Krieger und sehnte sich nach einem Sklaven, der jeden Morgen mit dem Tod rechnen musste.

Ihr Onkel deutete ihre Unruhe falsch und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Du bist bewegt, das verstehe ich. Ich gebe dir besser Zeit, dich von dieser Überraschung zu erholen. Lauf, mein Kind! Wir sehen uns heute Abend und dann wollen wir darauf anstoßen. So feiern die Europäer eine freudige Nachricht. Ich habe noch etwas Rum und werde auf deine Zukunft trinken.«

Bensua war froh, ihm auf diese Weise zu entkommen, und rannte hastig davon. Erst als ihr Herzschlag raste und sie kaum noch Luft bekam, blieb sie stehen. Sie sank gegen eine Hauswand und rutschte weinend daran hinunter. Tränen der Verzweiflung flossen über ihr Gesicht. Sie schluchzte, bis keine Tränen mehr kommen wollten, und beschimpfte die Götter, die sie im Stich gelassen hatten. Über eine Stunde blieb sie auf dem harten Boden sitzen. Der Wind, der aus der Wüste kam, trocknete ihre Tränen und brachte sie schließlich dazu, sich zu erheben und trotzig die Straße hinaufzublicken. Sie würde niemals auf Ottobah verzichten! Eher würde sie sterben, als den Krieger des Oyoko-Clans zu heiraten.

Am Abend desselben Tages traf Bensua den Sklaven und berichtete zögernd von der Entscheidung ihres Onkels. Ottobah hörte mit steinernem Gesicht zu. Er hatte mit einer solchen Nachricht gerechnet, aber nicht erwartet, dass sie so bald kam.

»Ich werde es nicht tun!«, entschied sie. »Ich werde ihn nicht heiraten! Wie kann ich ihm eine gute Frau sein, wenn ich ständig an dich denken muss? Lass uns fliehen, Ottobah! Irgendwo muss es doch ein Land geben, in dem wir zusammen leben können!«

Ottobah dachte über ihren Vorschlag nach. Er wollte ihr nicht wehtun und zögerte die Antwort so lange wie möglich hinaus. Selbst wenn er allein floh, waren die Chancen gering, die Heimat der Fante zu erreichen. Mit einer Frau war es beinahe unmöglich. Die Asante würden nicht zulassen, dass ein minderwertiger Sklave sie bloßstellte. Und sie würden auf keinen Fall hinnehmen, dass eine ihrer Frauen sich ihren Regeln widersetzte. Sie würden ihre erfahrensten Krieger losschicken um sie einzufangen und selbst ihr Onkel und ihr Vater würden an dieser Jagd teilnehmen. Wenn sie ihrer habhaft wurden, würde man sie auf den Marktplatz schleifen und öffentlich hinrichten.

»Das ist gefährlich«, versuchte er Bensua umzustimmen. »Sie würden schon nach wenigen Stunden merken, dass wir geflohen sind. Wenn wir es überhaupt schaffen, an den Polizisten vorbei aus der Stadt zu kommen! Wir werden streng bewacht!«

»Das weiß ich, Ottobah! Aber wir müssen es versuchen!«

»Ich will nicht, dass du geköpft wirst!«

»Und ich will nicht, dass sie dich hinrichten!«, flüsterte Bensua. »Ein gemeinsamer Tod ist mir lieber als ein leeres Leben!«

»Ich werde darüber nachdenken«, erwiderte er.

»Das ist gut«, stimmte sie zu. Sie umarmte ihn länger als sonst und blickte ihm tief in die Augen, bevor sie in die Dunkelheit verschwand. Sie war überzeugt davon, dass er sich auf eine gemeinsame Flucht einließ, wenn er länger darüber nachdachte, und beschloss die ganze Nacht zu ihren Vorfahren zu beten und sie zu bitten die Götter milde zu stimmen. Nur wenn sie auf ihrer Seite waren, konnten sie es schaffen. Sie zwang sich, nicht an die Risiken zu denken, und hielt einige Minuten in einer dunklen Gasse inne und reinigte ihre Gedanken, bevor sie zu ihrer Familie zurückkehrte. Sie durfte sich nichts anmerken lassen.

Vor dem Haus blieb sie stehen. Die Stimme eines fremden Mannes drang aus der offenen Tür. Er sagte: »Ich freue mich, dass wir uns so schnell einig geworden sind, mein Freund! Ich weiß, dass es keine Krankheiten in eurer Familie gibt, und ihr wisst, von welchem Blut wir sind. Bensua wird meinem Neffen gesunde Kinder gebären! Ich werde sie schon in wenigen Tagen in das Haus meiner Schwester holen, um sie an die Aufgaben in unserer Familie zu gewöhnen. Ihr habt doch nichts dagegen?«

»Es ist uns eine große Ehre«, antwortete ihr Onkel für die ganze Abusua. Wenn es um die Zukunft eines Kindes ging, hatten die Brüder der Mutter mehr zu sagen als der Vater. »Wenn du willst, kannst du es ihr selbst mitteilen. Sie wird bald wieder hier sein..

»Dein Wort ist mir genug«, meinte der Besucher. »Sobald wir den Hochzeitstermin festgesetzt haben, sind wir für deine Tochter bereit. Es war mir eine Ehre, bei euch zu Gast zu sein!« Der königliche Besucher verabschiedete sich und verließ das Haus.

Bensua schaffte es gerade noch, sich hinter einem Zaun zu verstecken. Sie beobachtete zitternd, wie der stattliche Krieger die Straße überquerte. Er trug einen Umhang aus kostbarem Stoff und eine Kopfbedeckung aus Leopardenfell. An seinem Gürtel hing ein goldverziertes Schwert. Zweifellos gehörte er zu den tapfersten und stattlichsten Kriegern des Königreichs. Er würde keinen Widerspruch dulden und bestimmt keine Gnade walten lassen, wenn er herausbekam, mit wem Bensua sich eingelassen hatte. »Onyankopon Kwame, hilf mir«, flüsterte sie.

Kapitel 5

Am Mittag des nächsten Tages herrschte große Unruhe in Kumase. Die Trommler eines benachbarten Dorfes meldeten die Ankunft eines bekannten Sklavenhändlers, der mit einer ganzen Karawane voller Handelswaren in die Hauptstadt unterwegs war. Willem van der Meyde war Holländer, ein gewichtiger Kaufmann, der vor über zwanzig Jahren nach Afrika gekommen war und in einem Fort an der Küste wohnte. Er scherte sich nicht um das Sklavenverbot; das Engländer und Dänen ausgesprochen hatten, tauschte minderwertige Handelswaren aus Europa gegen Schwarze ein und verkaufte sie an holländische und amerikanische Schiffseigentümer. Die Engländer und Dänen kassierten eine unrechtmäßige Steuer für jede Ladung und ließen ihn gewähren.

Bensua hatte die Trommeln gehört und machte sich große Sorgen. Der Besuch des holländischen Händlers konnte nur bedeuten, dass er neue Sklaven kaufen wollte, und dann war Ottobah in großer Gefahr. Der Asantehene würde nicht zögern die gefangenen Fante an den Holländer zu verkaufen. Sie waren kräftig und gesund und würden einen guten Preis bringen. Und wenn den Asante die Arbeiter in den Goldminen ausgingen, würden sie noch einmal losziehen und ein Dorf überfallen. Es war einfach, ein solches Unternehmen als Strafaktion zu verkaufen. Es gab zahlreiche Häuptlinge, die ihre Leute gegen die Asante aufbrachten.

Der Eintopf stand auf dem schweren Herd, den sie von einem englischen Händler bekommen hatten, und ihre Mutter hatte nichts dagegen, dass sie zum Palast ging. Bensua war nicht allein. Aus allen Teilen der Stadt kamen Schaulustige, um die Ankunft des holländischen Händlers zu beobachten. Er war ein bedeutender Mann und sie hatten ihm viel zu verdanken. Im Laufe der Jahre hatte er sie mit begehrten Waren aus Europa versorgt, sogar Salzfässer durch den Urwald schaffen lassen. Etliche Krieger, darunter auch ihr Onkel und ihr Vater, waren begierig darauf, etwas von dem Rum zu erwischen, der nach seiner Ankunft verkauft wurde. Das größte Fass der Lieferung landete in den Gewölben des Palastes. Der Preis, den der König für die europäischen Waren zahlte, kümmerte die Asante nicht. Ihre Goldvorräte waren unerschöpflich, so glaubten sie, und als Sklaven wurden nur gefangene Krieger verfeindeter Völker verkauft.

Die Trommeln wurden lauter und ließen auch den Herzschlag der jungen Asante schneller werden. Voller Furcht blickte sie dem holländischen Kaufmann entgegen, der mit seinem Gefolge die Hauptstraße heraufkam. Wie ein König thronte er in der Sänfte, die von vier kräftigen Sklaven getragen wurde. Zu Fuß schaffte es kaum ein Weißer durch den Urwald, auch nicht im Dezember und Januar, wenn die trockenen Winde aus der Sahara für ein angenehmeres Klima sorgten. Seine weißen Begleiter, ein Buchhalter und Sekretär und zwei erfahrene Jäger mit schweren Gewehren, saßen auf einfachen Tragbahren. Ihnen folgten die Schwarzen mit den Handelskisten und Rumfässern.

Willem van der Meyde kletterte aus seiner Sänfte und wischte sich mit einem weißen Tuch den Schweiß von der Stirn. Seit seinem letzten Besuch war er noch schwerer geworden. Er schnaufte bei jeder Bewegung und griff gierig nach der Wasserflasche, die ein Sklave für ihn bereithielt. Seine Augen waren kaum zu sehen, dazu war sein Gesicht viel zu aufgedunsen, und die Hängebacken konnte auch sein Vollbart nicht verdecken. Seine untersetzte Gestalt und die langsamen Bewegungen täuschten darüber hinweg, wie grausam und unnachgiebig er sein konnte, wenn es um seinen Profit ging. Er behandelte die Sklaven, die er als »Ware« bezeichnete, wie ungeliebte Tiere und ließ seine Jäger mit äußerster Härte vorgehen. Ihm waren alle Mittel, auch Mord und Totschlag, recht, um immer sein Ziel zu erreichen.

Die Asante kümmerten sich nicht darum, welches Leid die Sklaven ertragen mussten. Sie waren ein starkes Volk und hielten sich für unbesiegbar. Die wenigen Krieger, die auf die Schiffe der Sklavenhändler gebracht wurden, waren selbst schuld gewesen. Solange die Asante nicht persönlich betroffen waren, hörten sie nicht auf die Gerüchte, die von der Küste in den Urwald drangen. Was kümmerte es sie, wenn die verhassten Fante geschlagen und ausgepeitscht wurden? Wen interessierte, dass unzählige Männer und Frauen der Nzima, Adangbe und Ga gebrändet und auf die Segelschiffe der Europäer gebracht worden waren? Den Asante konnte niemand etwas anhaben. Ihre Stärke, ihr Kampfgeist und der Urwald schützten sie gegen die weißen Männer.

Auch Bensua hatte so gedacht. Sie war eine stolze Frau und hatte bisher fest daran geglaubt, dass die Asante allen anderen Völkern überlegen waren. Aber seit ihrer Begegnung mit der weißhaarigen Hexe dachte sie anders. Irgendwann würden auch die Asante zu schwach sein, um sich gegen die Übermacht der Europäer zu wehren. Dann würden sie einen Mann wie den holländischen Sklavenhändler nicht mehr willkommen heißen. Sie würden vor seinen Jägern in die Büsche fliehen, um der Sklaverei in einem fernen Land zu entgehen. Bensua konnte nicht ahnen, dass alles noch viel schlimmer kommen würde, und bereits der nächste Morgen ein neues Zeitalter einleitete. Sie fürchtete um den geliebten Fante, und wie sich schon bald herausstellte, war ihre Angst nur zu begründet. Nachdem Willem van der Meyde im Palast verschwunden war, erschien ein Schwertträger des Königs und verkündete dem wartenden Volk, dass die Fante-Sklaven an den Holländer verkauft würden. Man werde den Handel mit einem großen Fest feiern. Nach Sonnenaufgang sollte einer der Sklaven den Göttern geopfert werden.

Diese Ankündigung ließ Bensua noch niedergeschlagener werden. Um sich nicht zu verraten täuschte sie eine leichte Übelkeit vor und verzichtete auf den Eintopf, den sie selbst gewürzt hatte. »Ich brauche frische Luft«, sagte sie.

»Ich glaube, dir haben die guten Nachrichten auf den Magen geschlagen«, antwortete ihr Onkel ahnungslos.

Bensua ging nach draußen, blieb eine Weile im Schatten des hervorstehenden Palmendaches stehen und atmete die trockene Luft ein. Es tat gut, nach der langen Regenzeit die Wüste zu spüren. Sie arbeitete im Hof, säuberte die Ställe und blickte alle paar Minuten zum Himmel empor. Ungeduldig wartete sie auf den Abend. Sie musste Ottobah warnen. Auch wenn der König ihn ein Mal verschont hatte, war es möglich, dass er nun geopfert wurde. Dem Holländer sollte ein grausames Schauspiel geboten werden. Er sah gern bei Hinrichtungen zu.

Die Dunkelheit schien an diesem Tag besonders lange auf sich warten zu lassen. Der Himmel wölbte sich leuchtend blau über der Stadt. Bensua blickte wütend zur Sonne empor. Sie hatte das Gefühl, von ihr verhöhnt zu werden, empfand das strahlende Wetter als boshaftes Grinsen der bösen Geister, die nur darauf warteten, sie ins Unglück zu schicken. Sie verließ den heimatlichen Hof und wanderte ziellos durch die Stadt. Die anderen Menschen beachtete sie kaum. Sie übersah sogar eine Freundin ihrer Mutter, die mit einem großen Gefäß auf dem Kopf von der Zisterne kam und ihr freundlich zulächelte. Bensua ging weiter ohne sie anzusehen, ließ sich auf dem Markt treiben, bis die Sonne unterging und dunkle Schatten auf die Häuser fielen. Bald würden die Sklaven aus den Minen kommen.

Bei den runden Lehmhütten, in denen die Sklaven untergebracht waren, erwartete sie eine unangenehme Überraschung. Der König hatte die Wachen vervierfacht und ließ alle Gefangenen in Ketten legen. Sie musste zusehen, wie die Fante von den Kriegern ihres Volkes unsanft zu Boden gestoßen und misshandelt wurden. Der Asante, der sie ausgelacht hatte, schlug mit seiner Muskete auf einen jungen Sklaven ein und hätte ihn wohl umgebracht, wenn ihn ein anderer Asante nicht zurückgehalten hätte. Ottobah war nicht zu sehen. Im düsteren Schein der Fackeln waren die geschundenen Männer kaum zu erkennen. »Ottobah!«, flüsterte Bensua verzweifelt. »Wie sollen wir jetzt fliehen?«

Ohne den Versuch gemacht zu haben, mit Ottobah zu sprechen, kehrte sie nach Hause zurück. Es wäre selbst für einen erfahrenen Krieger unmöglich gewesen, die Wachen zu überlisten. Betrübt rollte sie sich in ihre Decken. Ihre Verwandten glaubten immer noch, dass ihr übel war, und ließen sie gewähren. Ihr Onkel machte eine Bemerkung, die sie nicht verstand, und sie hörte, wie ihr Vater und ihre Mutter lachten. Anscheinend hatte er wiederholt, was er zu ihr gesagt hatte: dass ihr die guten Nachrichten schlecht bekommen waren. Sie wusste von jungen Frauen, die vor ihrer Hochzeit ohnmächtig geworden waren. Sie hatten die Aufregung nicht ertragen. Die Eheschließung war ein Fest, das selbst von einfachen Familien groß gefeiert wurde.

Sie schlief schlecht und träumte von dem holländischen Sklavenhändler, wie er mit verzerrtem Gesicht über dem blutenden Ottobah stand und ihn mit seiner Peitsche marterte. Ottobah war an Armen und Beinen gefesselt. Er gab keinen Laut von sich, aber das machte den Holländer nur noch wütender und er schlug noch heftiger auf den Krieger ein. Sie erwachte schweißüberströmt und starrte in die Dunkelheit. Es war mitten in der Nacht. Sie stieg von ihrem Nachtlager, schlich auf den Hof hinaus und schöpfte frisches Wasser aus dem Brunnen. Es vertrieb die bösen Geister und verlangsamte ihren Herzschlag. Sie wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte, und kehrte zu ihrem Lager zurück. Vergeblich versuchte sie wieder einzuschlafen. Mit weit geöffneten Augen lag sie stumm auf dem Rücken, bis die ersten hellen Streifen zum Fenster hereinfielen und die Sonne aufging.

Noch vor ihrer Mutter stand sie auf. Sie wusch sich, bereitete heißen Tee und versuchte sich so normal wie möglich zu benehmen. Zusammen mit ihren Verwandten ging sie zum Palast. Der König hatte seine Untertanen gerufen und die Familien kamen geschlossen, um dem feierlichen Handel beizuwohnen. Erst vor dem Palast gelang es Bensua, sich von ihren Verwandten zu lösen und allein in der Menge unterzutauchen. Mit klopfendem Herzen bahnte sie sich einen Weg nach vorn. Ihre Augen flackerten vor Angst und ihre Beine drohten nachzugeben. Flüsternd betete sie zu den Ahnen und allen Göttern, die sie kannte.

Die salbungsvollen Worte des Asantehene, der in seiner königlichen Sänfte aus dem Palast getragen und von den Schwertträgern begleitet wurde, hörte sie kaum. Auch den holländischen Kaufmann, der unter einem goldverzierten Baldachin Platz nehmen durfte, beachtete sie nicht. Sie suchte verzweifelt nach den Kriegern, die Willem van der Meyde gekauft hatte und an die Küste mitnehmen würde. Und sie wartete auf den entscheidenden Augenblick, wenn einige Krieger ihres Volkes einen der Gefangenen über die Hauptstraße treiben und dem Henker übergeben würden. Welchen Mann hatte der König ausgesucht? Oder hatte er es dem Holländer überlassen ein Opfer auszuwählen?

Dumpfes Trommeln und ein heftiger Fanfarenstoß der königlichen Trompeter kündigten den feierlichen Augenblick an. »Mein Freund!«, wandte sich der Asantehene an den Holländer. »Du bist von weither gekommen, um mit dem mächtigen Herrscher der Asante zu speisen! Du hast uns die Waren gebracht, die du uns versprochen hattest! Du hast dich vor dem Akondwa verneigt und die Übermacht unseres Volkes anerkannt! Dafür wollen wir die Götter loben! Wir werden ihnen ein Opfer bringen, das sie günstig stimmt und dazu bringt, dich auf deinem langen Weg zu beschützen! Blicke nach Osten, mein Freund, und erfreue dich am Anblick des heimtückischen Fante, der für dich sterben wird!«

Bensua kniff die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zusammen und atmete erleichtert auf. Der unglückselige Gefangene, der von zwei Asante an Lederseilen über die Hauptstraße gezogen wurde, war älter als Ottobah. Sie wusste seinen Namen nicht, erinnerte sich aber, in seine Augen geblickt zu haben. Er stolperte wie ein tödlich getroffenes Wild. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Durch seine Wangen war ein Jagdmesser gestoßen worden, damit er den König nicht verfluchen konnte. In seinem Rücken steckten kleinere Messer. Unter den Klängen des königlichen Orchesters trieben ihn die Asante vor den König, der ihn verächtlich musterte und vor den Augen seiner Untertanen und des Holländers an den Henker weitergab.

Mit einem kräftigen Schwerthieb köpfte der Asante den verurteilten Sklaven. Der Fante ertrug sein Schicksal, ohne zu wimmern und um sein Leben zu flehen. Er starb lautlos. Die Asante zeigten kein Mitleid, jubelten sogar, als das Urteil vollstreckt war, und verneigten sich vor dem König und seinem hohen Gast. Sie empfanden eine Hinrichtung nicht als Mord, es war bloß eine Notwendigkeit, die Götter mit dem Blut unwürdiger Menschen zu versöhnen. Der grausame Tod der Gefangenen und manchmal sogar unschuldiger Asante war der Preis, den sie an Onyankopon Kwame und seine Götter zu zahlen hatten. Ohne die Menschenopfer würde sie der geballte Zorn der Götter vernichten.

Die Überreste des geopferten Fante wurden weggebracht und das königliche Orchester sorgte mit einem heiteren Marsch für gelöste Stimmung. Der Asantehene wusste, was er seinem Volk schuldig war. Willem van der Meyde hatte keine Miene verzogen, als der Sklave gebracht worden war, und lächelte sogar, als der Scharfrichter seine blutige Arbeit erledigte. Ihm war der Tod eines Schwarzen gleichgültig und er machte kaum einen Unterschied zwischen einem Asante oder Fante. Für ihn waren die Schwarzen nichts weiter als primitive Tiere, minderwertige Wesen, die nur den einen Vorteil hatten, dass man sie Gewinn bringend in ferne Länder verkaufen konnte. Er hütete sich jedoch diese Gedanken einem anderen Menschen mitzuteilen. Er hofierte den Asantehene und verwöhnte ihn mit europäischen Handelswaren, weil er keinen anderen Mann kannte, der so viel Gold besaß. Und der es verstand, so viele Sklaven aufzutreiben.

Vierzig Männer und Frauen und zwanzig Goldbarren hatte Willem van der Meyde für seine Waren verlangt. Sie hatten sich auf dreißig Sklaven und fünfzehn Goldbarren geeinigt und der Händler hatte versprochen bei seinem nächsten Besuch noch mehr Rum mitzubringen. Den scharfen Rum von den Westindischen Inseln trank der König am liebsten. Weil der Asantehene nur neunzehn gefangene Fante besaß, ließ er einige weibliche Sklaven und zwei Asante von seinen Schwertmännern festnehmen. Die Asante, zwei erwachsene Krieger, kamen aus dem Armenviertel und protestierten wütend gegen ihre Festnahme. Sie mussten gefesselt und geknebelt werden, sonst wären sie mit den bloßen Händen auf die Schwertmänner losgegangen.

Unter den Schaulustigen entstand Unruhe, als die gefesselten Sklaven auf den Platz getrieben wurden. Die beiden Jäger, die mit dem Holländer gekommen waren, hielten sie mit ihren Gewehren in Schach. Auch die Schwertmänner hatten ihre Waffen gezogen. Vielen Zuschauern gefiel nicht, dass zwei Asante an den Holländer verkauft werden sollten. Es gab genug Fremde in der Stadt, die sie eher geopfert hätten. Sie ahnten nicht, dass Osei Yaw eine eigene Strategie verfolgte. Er wollte die Bewohner der Hauptstadt früh genug daran gewöhnen, eigene Opfer zu bringen. Wenn es zu einem Krieg gegen die Engländer kam, konnte er es sich nicht leisten, weiter gegen die Fante zu kämpfen, und war gezwungen, dem Holländer eigene Untertanen auszuliefern. Mit Gold allein gab sich der Händler nicht zufrieden und Osei Yaw wollte auch nicht auf den Rum und die kostbaren Waren verzichten.

»Mein Volk«, rief er in die aufkommende Unruhe, »ich weiß, was eure Herzen bewegt! Warum sollen wir zwei Krieger der Asante opfern, wenn es noch genug Sklaven in unserer Stadt gibt? Ich sage euch warum, meine Freunde!« Seine Miene wurde grimmig und er deutete mit dem ausgestreckten Finger auf die beiden Unglücklichen. »Diese Krieger haben gegen unsere Gesetze verstoßen! Sie haben von dem Wasser getrunken, das für die Schwertmänner des Palastes bestimmt war, und was noch viel schlimmer ist, sie haben die Stadt verlassen und die Götter beschimpft! Eigentlich hätten sie einen grausamen Tod verdient, aber ich habe in meiner unermesslichen Güte beschlossen, sie meinem holländischen Freund zu verkaufen! Sie werden ihm viel Gold bringen! Ihr Verkauf wird die zornigen Götter versöhnen!«

Jedes seiner Worte war gelogen. Wenn die beiden Krieger wirklich diese Verbrechen begangen hätten, wären sie auf der Stelle hingerichtet worden. Dann hätte sich der König auch nicht durch einen goldgierigen Händler umstimmen lassen. Aber außer wenigen Königstreuen wusste niemand, dass die Männer ihr Haus gar nicht verlassen hatten. Nun waren sie geknebelt und konnten sich nicht wehren. »Ich bin der Asantehene«, beendete der König seine Ansprache, »ich bin der Herrscher eines Volkes, das niemals ein Unrecht dulden wird! Und jetzt lasst uns feiern! Wir wollen dem Palmwein zusprechen, während unser holländischer Freund mit seiner Beute an die Küste zurückkehrt! Dies ist ein großer Tag für die Asante, denn wir haben ein Unrecht gesühnt und einen Menschen glücklich gemacht!«

Kein Asante spürte die Verlogenheit dieser Worte. Am wenigsten Bensua, die tatenlos zusehen musste, wie die mit Ketten gefesselten Sklaven über den Marktplatz und aus der Stadt getrieben wurden. Selbst ein entschlossener Krieger wie Ottobah war machtlos gegen diese Behandlung. Fluchend folgte er dem Sklavenhändler, ein Schicksal vor Augen, das grausamer als der Tod war. Sein verzweifelter Schrei tönte durch die Stadt und erreichte Bensua, die neben einer Hütte stehen blieb und weinend der Karawane nachblickte. Würde sie ihn jemals wieder sehen?

Kapitel 6

In ihrer Verzweiflung beschloss Bensua der Sklavenkarawane zu folgen. Ohne weiter zu überlegen rannte sie nach Hause zurück. Sie stopfte Lebensmittel in eine Umhängetasche und füllte eine Wasserflasche. Zögernd griff sie nach einem der Jagdmesser, das ihr Onkel geschliffen und auf den Tisch gelegt hatte. Sie fuhr mit dem Daumen über die scharfe Klinge und erschrak, als die Haut aufplatzte und Blut hervorsickerte. Sie verstaute das Messer in der Tasche und schlich aus dem Haus. Mit einem raschen Blick überzeugte sie sich davon, dass ihre Verwandten noch nicht zurückkamen. Sie durfte ihnen auf keinen Fall begegnen. Geduckt tauchte sie in einer schmalen Gasse unter. Die meisten Bewohner waren noch beim Palast und jubelten dem König zu und sie begegnete kaum einem Menschen. Selbst Polizisten waren nicht zu sehen. Der ausgetretene Pfad, der von der Hauptstraße abzweigte und aus der Stadt führte, lag verlassen vor ihr.

So schnell sie konnte, rannte sie davon. Wie eine Antilope, die vor einem Löwen flieht, sprang sie durch das hüfthohe Gras. Erst als sie den Waldrand erreicht hatte und ungefähr zwei Kilometer von der Stadt entfernt war, wurde ihr klar, was sie getan hatte. Sie blieb keuchend stehen und blickte zurück. Ihre Heimatstadt war hinter einem Hügel verschwunden. Es gab kein Zurück mehr. Niemals würde sie Kumase wieder sehen. Ihre Familie, ihre Freunde, es gab sie nicht mehr. Sobald sie herausfanden, was sie getan hatte, würde großes Wehklagen einsetzen, gefolgt von der unerträglichen Scham, eine Verräterin aufgezogen zu haben. Der königliche Krieger, der um sie geworben hatte, würde sein Schwert ziehen und sie öffentlich verfluchen. Ihr Onkel würde der Familie verbieten ihren Namen auszusprechen. Und der König würde seine Schwertmänner losschicken um sie zurückzuholen. Nur ihre Hinrichtung würde die Götter versöhnen.

Entschlossen rannte sie weiter. Wenige hundert Meter vor ihr bewegte sich die Sklavenkarawane durch den Urwald. Bensua war beweglicher als die Coffle , wie eine solche Karawane von den Weißen genannt wurde, und würde sie bald eingeholt haben. Was sie dann unternehmen sollte, wusste sie nicht. Ihr Verstand sagte ihr, dass es selbst für einen erfahrenen Krieger unmöglich gewesen wäre, einen Gefangenen zu befreien. Immer fünf Sklaven, darunter auch zwei Frauen, waren mit Ketten aneinander gefesselt und trugen schwere Balken auf den Schultern, die man mit Lederschnüren an ihren Hals gebunden hatte. Stabile Eisenringe umschlossen die Fußgelenke der Unglücklichen. Den Schlüssel zu den Vorhängeschlössern hatte Willem van der Meyde in seiner Tasche stecken. Seine Jäger waren mit Gewehren und Peitschen bewaffnet und auch die schwarzen Träger würden nicht zögern eine Befreiung der Sklaven zu verhindern. Sie wussten, dass sie selbst verkauft würden, wenn ein solcher Angriff gelang. Es musste einen anderen Weg für Bensua geben, Ottobah aus den Händen des Händlers zu befreien.

Der holländische Händler würde ungefähr einen Monat brauchen um die Küste zu erreichen. Mehr als fünf Meilen an einem Tag schaffte eine Coffle nicht durch den Regenwald. Wie ein unüberwindbares Hindernis stemmte sich der Dschungel gegen die Eindringlinge. Über hundert Meter ragten die mächtigen Bäume empor, bildeten ein grünes Dach, das kaum Sonnenstrahlen durchließ. Das wenige Licht brach sich auf den feuchten Blättern und Blumen, ließ geheimnisvolle Schatten durch das Unterholz geistern und spiegelte sich auf dem silbernen Fell kleiner Affen. Farbenprächtige Blumen rankten sich an dem Buschwerk empor, dürsteten nach den Regentropfen, die von den riesigen Farnen fielen. Bunte Schmetterlinge leuchteten in dem dichten Grün. Papageien krächzten, Vögel zwitscherten, Insekten summten. Das vielstimmige Konzert der vierbeinigen Bewohner begleitete die Menschen über den kaum sichtbaren Trampelpfad, ließ die weißen Männer nach wilden Tieren Ausschau halten und nervös zu den Waffen greifen. Ein Leopard fauchte. Sein geflecktes Fell blitzte zwischen den Bäumen auf.

Für die weißen Männer war der Urwald eine grüne Hölle, ein undurchdringliches Hindernis, das jeden Eindringling mit seinen Schlingpflanzen umfing und nicht mehr losließ. An der Küste wurde die Geschichte eines Mannes erzählt, der sich ein paar Meter von seiner Karawane entfernt hatte und von einem Augenblick auf den anderen zu einem Gefangenen der Wildnis geworden war. Er wurde nie mehr gesehen. Nur ein paar hundert Meter von der rettenden Küste entfernt verirrte er sich in dem Gewirr aus Bäumen, Büschen und Schlingpflanzen, starb einsam im Dunkel des Waldes oder endete als Beute eines wilden Tieres, das ihn in sein Versteck schleifte. Im tropischen Regenwald warteten tödliche Geheimnisse, die jedem Weißen zum Verhängnis wurden, wenn er auf die Hilfe eines Schwarzen verzichtete. Nur die Bewohner des Dschungels kannten sich darin aus.

Bensua hatte keine Angst. Obwohl sie in der größten Stadt des Asante-Reiches aufgewachsen war, hatte sie ihren Onkel und ihren Vater oft in den Urwald begleitet und war mit seinen Geheimnissen vertraut. Sie kannte die Tiere und Pflanzen, wusste die essbaren von den giftigen Früchten zu unterscheiden. Sie hatte gelernt, mit welchen Kräutern man eine Krankheit heilen konnte. Ihr Respekt vor den wilden Tieren und der mächtigen Pythonschlange war groß, aber sie ließ sich nicht einschüchtern und verließ sich auf ihren angeborenen Instinkt, der sie sicher über den einsamen Pfad führte. Die Hitze, die sich auch unter dem grünen Dach des Regenwaldes staute, machte ihr kaum etwas aus. Und wenn es gefährlich wurde, hatte sie immer noch das Jagdmesser ihres Onkels um sich zu wehren.

Sie blieb neben einem mächtigen Baumstamm stehen und lauschte angestrengt. Ihr Blick reichte keine fünf Meter weit, verlor sich in dem verwirrenden Grün des Waldes. Ihr blieb nur das Gehör um einen Feind auszumachen. Eine Raubkatze, eine Schlange, einen Krieger der Asante, der aus einem benachbarten Dorf kam und zufällig auf sie stieß. Sobald sie ihre Flucht bemerkten, würden auch die Schwertmänner auf ihrer Spur sein um sie nach Kumase zurückzuholen. Viel Zeit blieb ihr nicht. Die Krieger waren es gewohnt einen Feind durch den Dschungel zu verfolgen und würden sie einholen. Auch wenn es noch einige Zeit dauern würde, bis sie ihr Verschwinden bemerkten. Und gegen die besten Krieger des Königs war sie selbst mit einem Messer machtlos. Nur eine List konnte ihr helfen, den unerbittlichen Verfolgern zu entkommen. Und der Beistand der Götter, die sich vielleicht erweichen ließen und ihrer Liebe zu dem gefangenen Fante eine Chance gaben.

Was sie unternehmen würde, falls es ihr wirklich gelang den Verfolgern zu entkommen, wusste sie nicht. Sie hatte keinen festen Plan, nicht mal eine vage Idee, wie sie Ottobah befreien konnte. An den Schlüssel würde sie niemals herankommen, nicht einmal nachts. Das schaffte nur ein Krieger wie ihr Onkel, der sich auch einem schlafenden Löwen bis auf wenige Schritte nähern konnte. Das Gold, das der Holländer für den Sklaven verlangen würde, besaß sie nicht. Wenn er ihn überhaupt verkaufte. Blieb nur die Möglichkeit, ihren Körper für die Freilassung anzubieten. Sie hatte von einer jungen Frau gehört, die ihren Körper an einen Sklavenhändler verkauft hatte und für ihre Dienste mit Geschenken überhäuft wurde. Würde Ottobah sie zur Frau nehmen, wenn sie mit dem Holländer schlief? Sie konnte nicht ahnen, dass die junge Frau, von der sie gehört hatte, wenige Wochen später als Sklavin auf ein Segelschiff nach Brasilien verfrachtet worden war.

Sie blieb am Rande eines ausgedehnten Mangrovensumpfes stehen und starrte in den nebligen Dunst, der wie feine Watte über dem dunklen Wasser hing. Ein Schwarm von Insekten bewegte sich in der feuchten Luft. Die weißen Männer fürchteten Gegenden wie diese. Sie wurden krank in der Hitze, bekamen hohes Fieber und starben. Es gab Schiffskapitäne, die sich nicht von Bord trauten und ungeduldig auf ihre Ladung warteten, weil sie fürchteten sich anzustecken. Willem van der Meyde war einer der wenigen Europäer. die viele Jahre an der westafrikanischen Küste lebten und nicht ein einziges Mal krank gewesen waren. Er besaß natürliche Abwehrkräfte gegen die verseuchte Luft. Bensua nahm an, dass die bösen Geister auf seiner Seite waren und ihn gegen das Fieber schützten. Er hatte sich mit ihnen verbündet.

Das Mädchen ging zügig weiter. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig, als nach Süden weiterzulaufen. Mit einem Gebet auf den Lippen marschierte sie durch den Urwald. Sie musste den Göttern vertrauen. Wenn sie auf ihrer Seite waren, würden sie eine Möglichkeit finden, Ottobah zu befreien. In Gedanken sah sie einen feurigen Blitz, der aus dem Reich der Götter herabfuhr und den Sklavenhändler wie eine Fackel brennen ließ. Ein gewaltiger Donnerschlag löste die eisernen Fesseln von den Gefangenen und trieb Ottobah in ihre Arme. Sie würden zur Küste fliehen und weiter nach Norden, bis sie ein Land erreichten, in dem sie sicher vor den Schwertmännern des Asantehene waren. Sie würden ein Haus bauen und ein neues Volk gründen.

Hinter ihr ertönte ein ungewöhnliches Geräusch. Sie griff blitzschnell nach ihrem Messer und fuhr herum. Nur ein Stachelschwein, das im Gebüsch verschwand. Erleichtert ließ sie die Hand mit dem Messer sinken. Die ständige Gefahr, in der sie seit ihrer Flucht schwebte, hatte sie nervös gemacht. Sie rieb sich den Schweiß von der Stirn und marschierte weiter. Es würden noch einige Stunden vergehen, bis man Alarm schlug. Auch die Polizisten feierten auf dem Marktplatz, tranken Palmwein und scharfen Rum, und wenn sie Glück hatte, tanzten und tranken auch ihre Verwandten bis in die späte Nacht. Dann würde es früher Morgen werden, bis sich die Schwertmänner an eine Verfolgung machten. Sie schickte ein Gebet zum Himmel, bat Onyankopon Kwame die Krieger so lange aufzuhalten, bis sie einen ausreichenden Vorsprung hatte. Die Schwertmänner hatten bestimmt keine Lust, ihr bis zur Küste zu folgen. Wenn sie großes Glück hatte, brachen sie die Verfolgung ab und kehrten unverrichteter Dinge nach Kumase zurück. Sie konnten den König anlügen, ihm erzählen, dass sie von einem Leoparden getötet worden war. Aber sie vermutete vielmehr, dass sie nicht eher ruhen würden, bis sie für ihr Verbrechen bestraft worden wäre.

Auf einer Lichtung holte Bensua die Coffle ein. Sie blieb im Dunkel des Waldes stehen und beobachtete, wie die Sklavenkarawane über einen sumpfigen Hang zog. Durch die Öffnung in dem grünen Dach strahlte die Sonne herein, als wollte sie das Leid der bedauernswerten Sklaven durch ihr Licht besonders hervorheben. Von der Last der hölzernen Balken, die auf ihren Schultern lagen, nach unten gedrückt, stolperten sie durch das feuchte Gras. Die Spitze der Karawane bildete die Sänfte des holländischen Händlers, gefolgt von den schwarzen Lastenträgern und den gefesselten Sklaven. Die weißen Jäger trieben die Gefangenen mit Peitschenschlägen an. Das Gewimmer einiger Männer, die diese grausame Marterung kaum noch aushielten, drang wie ein dumpfes Echo über die Lichtung.

Bensua unterdrückte einen Schrei und suchte nach Ottobah. Er war leicht zu finden. Als einziger Sklave wehrte er sich lautstark gegen die unwürdige Behandlung. Er verfluchte seine Peiniger mit derben Flüchen, spuckte vor ihnen auf den Boden und schimpfte nur noch lauter, wenn ihm einer der Jäger die Peitsche über den nackten Rücken zog. Der Schmerz schien ihm nichts auszumachen. Das Blut, das aus seinen Wunden sickerte, beachtete er kaum. »Schlagt mich, ihr räudigen Hunde!«, fauchte er die Männer an. »Ihr könnt mir das Fleisch zerfetzen und die Knochen brechen! Aber meine Seele könnt ihr niemals töten! Sie wird immer leben! Ich bin stark! Ich bin ein Krieger der Fante! Die bösen Geister werden euch holen und ins Verderben stürzen! Das Königreich, das uns nach dem Tod erwartet, werdet ihr niemals sehen. Ihr werdet an dem finsteren Ort schmoren, den ihr Hölle nennt! Dort werdet ihr eure gerechte Strafe finden!«

Willem van der Meyde verstand als einziger Weißer, was der Krieger sagte. »Schlagt ihn!«, rief er seinen Männern auf Holländisch zu. »Schlagt ihn, bis er nicht mehr gerade stehen kann! Wenn ihn die anderen mitschleppen müssen, werden sie sich dreimal überlegen, ob sie dieses Geschrei noch länger dulden!«

Bensua beobachtete mit wachsendem Entsetzen, wie die beiden Jäger den Befehl des Holländers ausführten. Sie hatte die Worte nicht verstanden, konnte sich aber denken, was er gemeint hatte. Über ihr Gesicht liefen Tränen, als die weißen Männer mit ihren Peitschen auf den armen Fante eindroschen und erst zufrieden waren, als er stöhnend zu Boden sank. »Du hast die längste Zeit auf unseren Herrn geschimpft«, triumphierte einer der Peiniger, »noch ein Wort und wir lassen dich für die wilden Tiere liegen!« Er wandte sich an die Gefangenen, die an denselben Balken gefesselt waren, und herrschte sie an: »Tragt den verdammten Kerl! Habt ihr euch selber zuzuschreiben, wenn ihr ihn schleppen müsst!« Er ließ die Peitsche knallen und grinste schadenfroh, als er sah, wie sich die Gefangenen mit Ottobah abmühten.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Neuausgabe
Jahr
2018
ISBN (eBook)
9783960532606
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Abenteuer Roman Amerika Afrika 19. Jahrhundert Underground Railroad Befreiung Sklaven Liebe Sklaverei eBooks
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Titel: Hinter den Sternen wartet die Freiheit